systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Psychiatriebezogene Sozialpädagogik

| Keine Kommentare

Marc Schmid et al. (Hrsg.) Handbuch psychiatriebezogene Sozialpädagogik

Marc Schmid et al. (Hrsg.)
Handbuch psychiatriebezogene Sozialpädagogik

Bei Vandenhoeck & Ruprecht ist 2012 ein umfangreiches Handbuch Psychiatriebezogene Sozialpädagogik (von 581 Seiten) erschienen, herausgegeben von Marc Schmid, Michael Tetzer, Katharina Rensch und Susanne Schlüter-Müller. Es handelt sich um einen breitgefächerten Band, der zahlreiche Problemkonstellationen und klinische Bilder aus der Kinder- und Jugend-, wie auch der Erwachsenenpsychiatrie informativ zusammenstellt. Bemerkenswert ist allerdings, dass von 62 AutorInnen nicht einmal 15 SozialpädagogInnen sind. ÄrztInnen und PsychologInnen überwiegen. Das ist bei vielen Beiträgen zu spüren, die ohne Probleme auch in anderen psychiatrischen Handbüchern hätten erscheinen können. Eine spezifische berufsbezogene sozialpädagogische Perspektive ist hier also nicht immer zu erkennen. Diesen Aspekt kritisiert auch Jürgen Beushausen, der das Buch rezensiert hat.

Jürgen Beushausen, Edewecht:

Die Herausgeber Marc Schmid, Michael Tetzer, Katharina Rensch und Susanne Schlüter-Müller legen ein umfangreiches Handbuch psychiatriebezogener Sozialpädagogik vor. 62 Autorinnen und Autoren geben in vierzig circa 10- bis 15-seitigen Beiträgen eine Übersicht über den Stand psychiatriebezogener Sozialpädagogik. Das Handbuch enthält zudem ein Autorenverzeichnis und ein Sachregister. Die Autorinnen und Autoren stammen aus vielfältigen multiprofessionellen Bereichen der Praxis, der Ausbildung und der Wissenschaft.

Das Buch gliedert sich in einen allgemeinen, grundlegenden und einen altersspezifischen Teil. Im ersten Teil werden unter anderem die historische Entwicklung, die Theoriebildung, rechtliche Grundlagen, Forschungszugänge, ethische Aspekte und Fragen der Ausbildung und Qualifizierung erörtert. Im zweiten Teil werden im Kontext der Lebensphasen altersspezifische Entwicklungs- und Bewältigungsaufgaben der frühen Kindheit/Kindheit, Jugendalter, Erwachsenalter und Alter ausgewählte Störungsbilder und Problemlagen diskutiert.

Im Vorwort weisen die Herausgeber auf die Notwendigkeit einer Sensibilisierung der Schnittstellen zwischen Gesundheitswesen und anderen psychosozialen Hilfssystemen hin. Die Herausgeber gehen davon aus, dass viele Menschen, die sozialpädagogische Angebote in Anspruch nehmen, zusätzlich unter psychischen Störungen leiden. Hilfsbedürftige und stark belastete Menschen, insbesondere psychisch Erkrankte bedürften einer speziellen interdisziplinären Unterstützung. Hierzu will das Handbuch einen Beitrag leisten, indem es Studenten und Berufseinsteiger auf diese interdisziplinäre Arbeit vorbereitet. Neben grundlegenden sozialpädagogischen Theorien und Handlungskonzepten wird auf psychische Krankheiten und Theorien eingegangen. Für einzelne Krankheitsbilder werden gelingende Modelle multiprofessionellen Arbeitens vorgestellt.

Die Herausgeber begegneten sich an der Lüneburger Universität im Diplomstudiengang Sozialpädagogik mit dem Studienschwerpunkt psychiatriebezogene Sozialpädagogik. Daher bezeichnen sie wohl ihre Tätigkeit als Sozialpädagogik, während diese an anderen Hochschulen als Soziale Arbeit oder Sozialarbeit bezeichnet wird. Inwieweit sich die psychiatriebezogene Sozialpädagogik von der Sozialen Arbeit oder der Klinischen Sozialarbeit unterscheidet, wird im Buch nicht thematisiert. Ein Beitrag, in dem diese Bezeichnungen und insbesondere ihr Verhältnis zur Psychiatrie zur Sprache kommen, wäre wünschenswert und hilfreich. So entsteht bei manchen Beiträgen, zum Beispiel bei dem von Martin Schröder und Herbert Ernst Colla über die »Geteilte Sorge« oder im Beitrag von Michael Pelzer über »Sozialpädagogische Theorieperspektiven und der Capabilities Approach«, der Eindruck, dass psychiatrische Aspekte nur am Rande thematisiert werden.

Zwei Beiträge sollen aus einer subjektiven Perspektive positiv herausgehoben wer- den. Dies sind im theoretischen Teil die Beiträge von Marc Schmid über »Forschung an der Schnittstelle von Psychiatrie und Sozialpädagogik aus medizinisch-psychologischer Perspektive« und »Freiheit und Zwang« von Michael Winkler. Die Praxisfelder, die im zweiten Teil des Buches beschrieben werden, zeigen die Vielfältigkeit und die Breite des sozialen Feldes auf. Erörtert werden beispielsweise die Traumapädagogik, Frühe Hilfen, die Probleme von Kindern psychisch kranker Eltern und die Altersdepression.

Nur wenige der Beiträge werden von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen verfasst. Hier spiegelt sich, wie dies auch die beruflichen Qualifikationen der Lehrenden im Be- reich der Sozialarbeit und Sozialpädagogik zeigen, dass die Sozialarbeitswissenschaft noch immer von anderen Berufsgruppen geprägt bzw. dominiert wird.

Das empfehlenswerte Handbuch bietet einen Überblick über die Vielfältigkeit und die Schnittstellen der psychiatriebezogenen Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Durch die Praxisbeispiele wird der Blick auf sonst oft wenig fokussierte Anwendungsfelder gerichtet.

(Mit freundlicher Genehmigung aus Kontext 44[3], 2013)

links

 

Eine weitere Rezension von Annemarie Joost für socialnet.de

info

 

Marc Schmid, Michael Tetzer, Katharina Rensch, Susanne Schlüter-Müller (Hg.): Handbuch Psychiatriebezogene Sozialpädagogik

1. Auflage 2012
581 Seiten mit 15 Abb. und 14 Tab. gebunden

Preis: 49,99 €

ISBN 978-3-525-40442-3

Verlagsinformation:

Viele Menschen in ambulanten und stationären sozialpädagogischen Angeboten leiden auch unter psychischen Störungen oder weisen zumindest eine höhere Vulnerabilität dafür auf. Umgekehrt sind viele psychische Störungen ursächlich durch soziale Faktoren mitbedingt und wirken sich auf die gesellschaftliche Teilhabe im Alltag aus. Dieses in seiner interdisziplinären Kombination einzigartige Handbuch plädiert für eine Sozialpädagogik, die um eine psychiatrische Perspektive ergänzt wird, indem störungsspezifisches Wissen für die Ausgestaltung von sozialpädagogischen Angeboten herangezogenen wird.

Im ersten Teil werden grundsätzliche Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in den theoretischen Zugängen der beiden Disziplinen Sozialpädagogik und Psychiatrie diskutiert und die Entwicklung einer gemeinsamen interdisziplinären Haltung angestrebt.
Der zweite Teil befasst sich mit lebensaltertypischen psychosozialen Problemlagen, psychiatrischen Störungen und entsprechenden Hilfsangeboten. Für jede Lebensphase werden gelungene Praxisbeispiele multiprofessioneller Zusammenarbeit für viele hochaktuelle Themen aufgegriffen wie zum Beispiel der Umgang mit komplex traumatisierten Kindern, psychisch belasteten Familien mit Migrationshintergrund, aggressiven und hyperaktiven Kindern, delinquenten Jugendlichen, psychisch kranken und suchtkranken Eltern, Obdachlosigkeit, Unterstützung von pflegenden Angehörigen, Begleitung von Menschen mit Demenzerkrankungen.
Die Autoren argumentieren für ein gemeinsames Fallverständnis, das die Stärken beider Disziplinen und Professionen nutzt.

Inhalt:

Schmid, Marc, Michael Tetzer, Katharina Rensch & Susanne Schlüter-Müller: Vorwort der Herausgeber. S. 11-14.

Fegert, Jörg & Reinhard Wiesner: Vorwort. S. 15-18.

Schröder, Martin & Herbert Ernst Colla: Geteilte Sorge. S. 21-39.

Krumm, Silvia & Thomas Becker: Historische Aspekte und Konzepte der Sozialpsychiatrie. S. 40-57.

Tetzer, Michael: Sozialpädagogische Theorieperspektiven und der Capabilities Approach. S. 58-77.

Schmeck, Klaus & Susanne Schlüter-Müller: Theoretische Grundlagen der Psychiatrie. S. 78-85.

Dörner, Klaus: Nachbarschaft ist die Lebendigkeit des Sozialraums. S. 86-89.

Gahleitner, Silke Birgitta: Klinische Sozialarbeit. S. 90-109.

Schmid, Marc: Forschung an der Schnittstelle von Psychiatrie und Sozialpädagogik aus medizinisch-psychologischer Perspektive. S. 110-127.

Schröder, Martin & Silke Birgitta Gahleitner: Forschung an der Schnittstelle von Psychiatrie und Sozialer Arbeit. S. 128-141.

Winkler, Michael: Freiheit und Zwang. S. 142-160.

Kölch, Michael & Jörg M. Fegert: Ethische Grundlagen in der Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. S. 161-175.

Behrends, Christian: Rechtliche Grundlagen der Arbeit mit psychisch kranken Menschen im geteilten Aufgabenbereich von Sozialpädagogik und Psychiatrie. S. 176-192.

Ramb, Winfried & Herbert Ernst Colla: Menschliche Würde in der Lebensphase natürlicher Abhängigkeit – Jugendpsychiatrische und sozialpädagogische Aspekte. S. 193-201.

Tetzer, Michael & Katharina Rensch: Sozialpädagogischer Habitus und der Lüneburger Studienschwerpunkt »Psychiatriebezogene Sozialpädagogik«. S. 202-219.

Heimann, Regina & Klaus Schmeck: Führungsaufgaben von Sozialpädagogen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. S. 220-226.

Kärcher, Andrea, Monika Lindlacher, Reiner Romer & Wolfram Schneider-Arnoldi: »Sichere Orte schaffen« – ein Qualifizierungsprojekt des SOS-Kinderdorf-Vereins zur Betreuung psychisch belasteter Kinder und Jugendlicher in stationären Erziehungshilfen. S. 227-243.

Seiffge-Krenke, Inge: Entwicklungsaufgaben der Lebensalter. S. 247-258.

Geier, Katharina, Babrak Daqieq & Susanne Schlüter-Müller: Kultursensible Hilfen für traumatisierte Flüchtlinge. S. 259-277.

Schmid, Marc & Nadia Di Bella: Frühe Kindheit und Kindheit. Sozialpädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in (teil-)stationären Settings. S. 278-293.

Schmötzer, Gabriele & Sabine Feineis-Matthews: Autismus. S. 294-303.

Schlüter-Müller, Susanne & Karin Schuhmann: Kinder psychisch kranker Eltern. S. 304-314.

Pönsch, Christian & Ruthard Stachowske: Kinder drogenabhängiger Eltern. S. 315-324.

Künster, Anne Katrin, Leonore Thurn & Ute Ziegenhain: Frühe Hilfen. S. 325-336.

Schmid, Marc & Birgit Lang: Was ist das Innovative und Neue an einer Traumapädagogik? S. 337-351.

Zarotti, Gianni & Philipp Lehmann: Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis im Kindes- und Jugendalter. S. 352-268.

Breithaupt-Peters, Monique & Bernd Dufner: Jugendliche mit Persönlichkeitsstörungen. S. 369-379.

Roth, Binia, Angelika Berger & Emanuel Isler: Essstörungen und Adipositas. S. 380-394.

Renk, Felix: Krisenintervention im sozialpädagogischen Alltag. S. 395-405.

Denz, Annette: Konfrontative Pädagogik. S. 406-417.

Stadler, Christina, Felix Euler, Julia Feifel & Dörte Grasmann: Jugendliche mit aggressiven Störungen. S. 418-433.

Danielsson, Célia, Nina Hamel & Klaus Schmeck: Straffällige junge Menschen mit psychischen Störungen. S. 434-445.

Bilke-Hentsch, Oliver: Jugendliche und stoffgebundene Suchterkrankungen. S. 446-456.

Schmid, Marc, Jörg M. Fegert & Günther Opp: Schule als besondere Herausforderung für psychisch belastete Kinder und Jugendliche – Sozialpädagogische und kinder- und jugendpsychiatrische/-psychotherapeutische Überlegungen. S. 457-472.

Kölch, Michael & Jörg M. Fegert: Integration in Ausbildung und Beruf bei psychischen Störungen. S. 473-485.

Stierl, Marlene & Sebastian Stierl: Chronische psychische Erkrankungen bei Erwachsenen. S. 486-494.

Freudenberg, Dorothee: Obdachlosigkeit – ein dunkler Fleck in der Psychiatriebezogenen Sozialpädagogik. S. 495-504.

Heinz, Werner & Carolin Hornack: Suchtbehandlung: Entgiftung, Entwöhnung und Substitutionstherapie. S. 505-518.

Keitel, Anna-Maria, Neele Garbers & Frank Löhr: Der soziale Empfangsraum entlassener forensischer Patienten und die Bedeutsamkeit forensischer Ambulanzen innerhalb und außerhalb des Maßregelvollzugs. S. 519-528.

Rensch, André & Katharina Rensch: Gerontopsychiatrie. S. 529-543.

Rensch, Katharina: Pflegende und betreuende Angehörige demenzkranker Menschen. S. 544-555.

Wormstall, Henning: Altersdepression – gibt’s das? S. 556-568.

Über die HerausgeberInnen:

Dr. Marc Schmid, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor, Systemischer Familientherapeut, ist leitender Psychologe und Zentrumsleiter Liaison und Qualitätssicherung (EQUALS) der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Michael Tetzer ist Diplom-Sozialpädagoge beim Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) in Lüneburg.

Katharina Rensch, Diplom-Sozialpädagogin, ist im Sozialdienst der Asklepios-Klinik Nord – Wandsbek in Hamburg tätig.

Dr. med. Susanne Schlüter-Müller, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, arbeitet in eigener Praxis in Frankfurt/Main.

 

 

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.