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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Professionen und wie sie sich zugrunde richten 

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Von der Lektüre des Klassikers The system of professions (Chicago University Press 1988) von Andrew Abbotts angeregt, hat Barbara Kuchler, Soziologin am Institut für Soziologie der Universität München, systemische Therapeutin, Bloggerin und Mitherausgeberin des Kontext einen Text für systemagazin verfasst, in dem sie sich mit den Gefahren von Professionalisierungs- und Professionsbildungsprozessen auseinandersetzt, eine Frage, die sich auch auf die Entwicklung des systemischen Ansatzes und seine Vertreter beziehen lässt.

Barbara Kuchler, München: Professionen und wie sie sich zugrunde richten 

Barbara Kuchler

Wie Professionen sich entwickeln, ist eine spannende Frage, und die Professionssoziologie hat dazu Interessantes zu berichten. Als jemand, der ein Neuling in der Systemikprofession ist, bisher in der Soziologie zu Hause war und sich gerade durch die Professionssoziologie liest, berichte ich hier ein paar Highlights. 

Professionen haben nicht nur ein komplexes Wissen, sondern sie müssen sich auch in einer komplexen gesellschaftlichen Umwelt positionieren. Ihr Platz in der Welt ist ihnen nicht göttlicherseits zugewiesen, sie müssen ihn selbst definieren und erobern und oftmals verteidigen. Sie können dabei erfolgreicher oder weniger erfolgreich sein, und nicht immer ist am Anfang absehbar, was die Konsequenzen einer bestimmten Strategie und Selbstpositionierung sein werden. Hier zunächst drei Möglichkeiten, wie eine Profession, langfristig gesehen, sich zugrunde richten oder sich selbst schaden kann. 

(1)  Es kann passieren, dass eine Profession – aus einem sicher ehrenwerten Selbstverständnis heraus – sehr puristisch agiert, hohe und höchste Ansprüche an eigenes professionelles Problemverständnis und Klientencompliance stellt und sich dadurch auf die Dauer selbst aus dem Markt manövriert: als ein zu hochschwelliger und zu hochpreisiger Anbieter. Das ist das Schicksal der Psychoanalyse gewesen, die einst das Therapiefeld beherrschte, dann aber, durch Festhalten an endlosen Analyseprozessen zu Kosten, die dem Preis eines Mittelklassewagens entsprachen, sich aus dem Zentrum dieses Feldes herausmanövriert und in eine wesentlich schwächere, konkurrenzintensivere Position gebracht hat. Andere, niedrigschwelligere und „userfreundlichere“ Anbieter wie Verhaltenstherapie oder Familientherapie/Systemik erhielten ihre Chance, oder sie erkämpften sie und nutzten sie. 

(2)  Es kann passieren, dass eine Profession sich intellektuell „überhebt“ und sich damit auf der Praxisseite selbst ins Bein schießt. Professionen haben neben der Ebene des unmittelbaren praktischen, klientenbezogenen Handelns auch noch die Ebene der akademischen Theoriebildung und Systematisierung von Wissensbeständen. Das ist gut, wenn und soweit es Grundlage für praktisches Handeln ist, also in der Einzelfallarbeit etwas nützt und daran hinreichend angeschlossen ist. Wenn es zu abstrakt, akademisch und abgehoben wird, kann sich die Profession dadurch aus dem Bereich praktischer Erfolge hinausmanövrieren, oder umgekehrt: sie kann intellektuell-akademische Erklärungsleistung kompensatorisch als Ersatz für fehlende praktische Erfolge einsetzen. Letzteres hat etwa die (amerikanische) Psychiatrie Anfang des 20. Jahrhunderts getan, die in psychiatrischen Kliniken basiert war, dort so gut wie gar keine Behandlungserfolge vorweisen konnte und sehr frustrierende Arbeitsbedingungen vorfand und darauf mit einem Ausgriff ihres intellektuellen Erklärungsanspruchs auf alle möglichen „sozialen Probleme“ und „normalneurotischen Probleme“ des Lebens antwortete, was zwar ihr professionelles Geltungsbedürfnis bediente, aber – in Ermangelung korrespondierender praktischer Erfolge – insgesamt eher zu ihrem Abstieg beigetragen hat.

(3)  Es kann passieren, dass eine Profession sich politisiert und dadurch tendenziell entprofessionalisiert. Politisierung ist eine Grundgefahr in der modernen Gesellschaft, die daher kommt, dass Politik einen mächtigen „Sogfaktor“ hat, oder dass das politische Feld ein Feld ist, das viel dramatisches Geschehen bietet (Kriege, Krisen, Konfrontationen) und phasenweise viel Emotion und Identifikation zieht. Das kann dazu führen, dass Aktivitäten, Organisationen oder eben Professionen aus anderen Bereichen eingesaugt, für politische Zwecke eingespannt und u.U. verheizt werden, freiwilligermaßen oder gezwungenermaßen. Im akademischen Bereich wird diese Gefahr von der Disziplin der Soziologie illustriert, die seit den 1960er/1970er Jahren entschieden links und progressiv orientiert ist, womit sie damals auch, in einem insgesamt linken Klima und gesellschaftlichen Aufbruchsklima, gut ankam. Heute findet sie sich dagegen eher in der Position einer zunehmend bedeutungslosen, nicht richtig ernst genommenen, allzu normativ aufgeladenen und allzu vorhersehbar urteilenden, in ihrer Wissenschaftlichkeit angezweifelten Disziplin, und in den USA auch in Gefahr, politisch nicht mehr gefördert oder eher bekämpft zu werden, weil man sagt: Warum sollen wir Staatsgelder dafür ausgeben, dass die Unis die Studenten mit linken Ideologien indoktrinieren? 

Von diesen drei Gefahren hat die Systemik im Jahr 2024 am meisten mit der letzten zu tun. Wir leben in einer aufgeladenen Zeit, mit aufgeladenen politischen Kämpfen, die immer schärfer werden und immer mehr auf „kulturellem“ Terrain geführt werden. Systemiker sind – teils ihrer allgemeinen Menschennatur nach, teils ihrer professionellen Ausrichtung und Klientenverbundenheit nach – grundsätzlich eher linksorientierte Gutmenschen und liberale, tolerante Diversitätsfans und Allseitigkeitsspezialisten. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange es auf der Ebene individueller Einstellungen und Berufsdispositionen liegt – wie es ja auch so ist, dass bei Polizisten und Berufssoldaten eher „rechte“, ordnungsbetonte Weltbilder ein typisches und zum Beruf prädisponierendes Merkmal sind und das auch einen gewissen Sinn hat. Man könnte Systemiker und Polizisten nicht einfach austauschen und auf den je anderen Arbeitsplatz versetzen, selbst wenn man die professionell erworbenen Kompetenzen mitrotieren könnte. So weit so gut also. Wenn politische Einstellungen aber zu einer Politisierung im Sinn eines Bekenntniszwangs und eines Ausschlusses Andersdenkender führen, ist das eine gefährliche, weil deprofessionalisierende und den Schwerpunkt auf professionsfremde Identifikationen legende Entwicklung. 

Wenn das schlechte oder riskante Wege für die Professionsentwicklung sind, was sind dann gute Wege? Gut ist auf jeden Fall ein kontinuierliches Arbeiten an der Abstraktion und Weiterentwicklung von Wissen, wobei „Abstraktion“ heißt: Formulierung von abstraktem Wissen, das aber wieder fallmäßig runterspezifiziert und „angewandt“ oder jedenfalls fruchtbar gemacht werden kann, also nicht eine rein akademisch-platonische Systematisierung (s. oben, Intellektualisierungsgefahr). Es gibt beispielsweise einen interessanten Unterschied zwischen professionell-praktisch basierten und akademisch basierten Diagnostiksystemen, der darin besteht, dass erstere nach einer „probabilistischen“ Logik vorgehen: vom Häufigen zum Seltenen und ganz-speziell-Verdrehten, während zweitere nach einer „logisch-kategorialen“ Logik vorgehen: nach ordentlich-vollständigen Schubladensystemen, die rein abstrakt gesehen besser begründbar ist, aber praktisch viel zu lange dauern und in der Abarbeitung am einzelnen Fall jeden Klienten überfordern würden. 

Was weiter gut tut, ist eine gute Autonomie des Sozialsystems, ein gesundes „Selbstbewusstsein“ gewissermaßen, und damit eine gute, stabile, aber nicht berührungsfeindliche oder berührungsphobische Distanz zu benachbarten Professionen. Das ist eine Anforderung in der Außendimension oder der „Ökologie“ der Professionen. Dazu gehört eine geschickte Pflege des eigenen Zuständigkeitsgebiets oder Problemabdeckungsgebiets, ein Erkennen von Chancen, neue Problemfelder und Tätigkeitsfelder zu übernehmen und nach den eigenen Begriffen zu framen, und ein Wille, alte Zuständigkeitsbereiche gegen Übernahmeversuche von anderen zu verteidigen. 

Früher galten Ethikkodizes als wichtigstes Qualitätsmerkmal von Professionen: Wer eine Profession sein und als Profession gelten wollte, musste sich einen Ethikkodex geben. Damit konnte man mindestens Professionssoziologen, vielleicht auch staatliche Lizensierungs- und Finanzierungsstellen überzeugen, dass man eine vollwertige und voll entwickelte Profession war. In der heutigen Lage, mit inzwischen Hunderten von Kandidaten für immer mehr sich vermehrende Professionen, reicht das nicht mehr aus. Es ist zu einfach, weil sich einen Ethikkodex jeder geben kann und weil das andere, konkurrierende Anbieter nicht daran hindert, sich ebenfalls einen zu geben, es insofern gar kein auszeichnendes Merkmal ist. Statt dessen ist es der „grip“, der funktionierende oder Ergebnisse bringende Zugriff auf ein Problem oder auf bestimmte Problemfelder, die professionell abgedeckt werden. Dieser muss fundiert und flexibel gleichzeitig sein, und das erfordert einen freien, kreativitätsfördernden, gleichzeitig offenen und durch professionelle Identität hinreichend geschlossenen professionellen Diskurs. Neugier, Offenheit für neue Impulse, kombiniert mit geschulter Aufnahme- und Interpretationsfähigkeit, oder technisch gesagt: Fremdreferenz und Selbstreferenz in gut ausbalancierter Mischung – das ist, in aller Abstraktheit gesagt, das Rezept für professionellen Erfolg. 

Leseempfehlung: Andrew Abbott, The system of professions, Chicago: Chicago University Press 1988. 

10 Kommentare

  1. Rolf Klatta sagt:

    Kommentar zum Beitrag von Barbara Kuchler im Systemmagazin „Professionen und wie sie sich zugrunde richten“

    Barabara Kuchler greift hier eine Fragestellung auf, die weiter als die Argumente ihres Beitrages auf die Thematik in therapeutischer oder in der Regel auch pädagogischer einzelfallbezogener Beratung geht.
    Ihre drei Kritikansätze an der Selbstschädigung von Professionen:
    • Purismus und höchste Ansprüche an sich selbst,
    • Intellektuelle Überhebung und damit mangelnde Praxistauglichkeit,
    • Politisierung und Entprofessionalisierung
    Ist zwar zuzustimmen, aber eine darüber liegende Hauptfragestellung wird dabei übersehen: Profession wird hier weiterhin damit überwiegend als individuelle Leistung einer Person definiert.
    Dieses ist aus mehreren Gründen nicht haltbar:
    Die Leistungen Professioneller finden nicht in einem auftrags- und rahmenfreien Raum statt, der sicher noch am ehesten in der Psychoanalyse als traditionell privater Beauftragung stattfand.
    Schon lange sind die Masse an Aufträgen von Psychologen, Therapeuten, Soziologen oder Pädagogen öffentliche Aufträge, z. B. aus der Sozialgesetzgebung und werden über Aufträge, meist mit ziel- oder Erfolgsfestlegung von öffentlichen Institutionen vergeben.
    Die z. B. von Staub-Bernasconi formulierte Ethikbasierung bei den Sozialpädagogen auf Basis der Menschenrechte – abgeleitet von den medizinischen Berufen – ist als persönlich-berufliche Haltung sicher ein wichtiger Teil von Professionalität, reicht aber nicht, um in einem Viereck von Auftraggeberin, tragender Organisation (schließlich sind die meisten Professionellen angestellte Fachkräfte), den Klienten und mit der eigenen Ethikbasierung klar zu kommen. Das verlangt – und das ist die Leitung der Professionellen – eine Austarierung zwischen diesen polyvalenten Anforderungen.
    Das heißt aber auch, dass die Professionellen die Anforderungen der anderen drei Mitwirkenden am Auftrag berücksichtigen müssen. Diese Professionalität beinhalten z. B. die Fragestellung wie mit organisationellen Qualitätsmangements klarzukommen ist. Ohne diese würde die einzelne Fachkraft auch bestimmte Aspekte eines Auftrags oft eben nicht professionell abwickeln: z. B. die meist als lästig angesehenen Dokumentationspflichten.
    Insofern ist die professionelle Berufsausübung auch nur in einem Rahmen und der kritischen und in der Austarierung begrenzten Akzeptanz dieses Rahmens vorstellbar und somit keine rein individuelle Leistung.
    Kuchler ist auch mit ihrer Feststellung zum Problemfeld wissenschaftlichen Purismus als scheinbarer Professionshaltung und „nicht berührungsfeindliche oder berührungsphobische Distanz zu benachbarten Professionen“ zu recht zu geben. „Das ist eine Anforderung in der Außendimension oder der „Ökologie“ der Professionen“. Dies bestätigt die oben festgestellten Polyvalenzen auch auf der Theorieebene, mit der sich eine professionelle Fachkraft stetig auseinandersetzen muss.

    Rolf Klatta,
    Darmstadt 24.10.2024

  2. Martin Rufer sagt:

    Lieber Matthias
    Hab Dank für Deine klärende Differenzierung, und ich wäre natürlich neugierig, was sich daraus, über „Klimmzüge im akademischen Elfenbeinturm“ hinaus, an „Richtlinien“ für die Qualität von Psychotherapie, Coaching, Sozialarbeit..ableiten liesse..
    mit liebem Gruss
    Martin

  3. Matthias Ochs sagt:

    Liebe Barbara,
    Herzlichen Dank für den guten Impuls! Ich bin kein Professionssoziologe, aber nach meinen Verständnis ist Systemische Therapie/Beratung keine Profession, sondern ein Ansatz. Psychotherapie mit ihrer Verkammerung ist wohl eine Profession (damit auch systemische Psychotherapie), (systemische) Soziale Arbeit ist, wenn ich es recht verstehe, auf dem Professionalisierungsweg, es gibt dort bekanntlich differenzierte und hochinteressante Diskurse und Forschungsbemühungen zur Professionalisierung Sozialer Arbeit, arbeitsweltlich-systemische Beratung (z.B. Coaching, Supervision, Organisationsentwicklung) findet nach meinen Verständnis auch nicht im Kontext einer Profession statt (es gibt etwa keine Coaching-Kammer, keine berufsrechtliche verpflichtende Ordnung für Supervision, es gibt kein Versorgungswerk für Organisationsentwickler*innen)… es ist sicherlich sehr lohnend, das systemische Feld einmal zu versuchen, professionssoziologisch etwas zu ordnen… und zwar nicht nur als quasi Klimmzüge im akademische Elfenbeinturm, sondern weil hieraus möglicherweise weitere interessante und wichtige Impulse zur Klärung der Grundlagen und „Richtlinien“ systemischen Arbeitens entstehen können…
    Herzliche Grüße
    Matthias

    • Martin Rufer sagt:

      Lieber Matthias
      Hab Dank für Deinen klärenden Beitrag, neugierig, was sich den über „akademische Klimmzüge im Elfenbeinturm“ daraus für unser Metier professionalisieren lässt..
      mit liebem Gruss
      Martin

      • Stefan Beher sagt:

        Lieber Martin Rufer und lieber Matthias,

        aus meiner Sicht steht das ziemlich deutlich im Text: Politisierungen sind sehr grundsätzlich Zeichen einer mangelnden Professionalisierung, oder umgekehrt: gescheite Professionen sind; gescheite professionelle (und also auch systemische) Arbeit ist gerade differenziert gegenüber Politik.

        Was aber derzeit in der DGSF, in Ausbildungskontexten und überhaupt im ganzen Feld stattfindet ist eine, eben: völlig unprofessionelle Politisierung und politische Moralisierung an allen möglichen Ecken und Enden. Die der Zeitgeist zwar allgemein begünstigt, die aber offensichtlich psychosoziale (und insbesondere: sozial-/pädagogische) Felder besonders schlimm affiziert. Und im Übrigen (abgesehen davon, dass sie oft genug nicht einmal für die eigenen Ziele förderlich ist) nicht zuletzt auch zu Systemtheorie und Konstruktivismus besonders schlecht passt.

        Abseits der akademischen Klimmzüge wäre es insofern im Sinne eigener Professionalität zu begrüßen, wenn der wachsenden Zahl an Moralsirenen mit der „richtigen politischen Meinung“ allenthalben ein wenig mehr Einhalt geboten würde.

        Gruß Stefan

        • Martin Rufer sagt:

          Lieber Stefan Beher
          Auch wenn das, was scheinbar in Deutschland (u.a. DGSF) den politisch-professionellen Diskurs bestimmt, bei uns in der Schweiz (noch) nicht angekommen ist, so wäre es doch wichtig den Diskurs über ,Moral und ihre Sirenen‘ weiterzuführen. Ich glaube nämlich – im Gegensatz zu Philipp Hübel (Moral-Spektakel), dass weder er (da ist er ja auch der Barbara Bleich in der „Sternstunde Philosophie“ ausgewichen) noch wir alle – auch Systemiker nicht – der Moral abschwören können (schon dies alleine wäre ja wieder „moralisch“). Die Frage ist nur, wann, wo und wie jenseits von Selbstbeweihräucherung..
          Mit liebe Gruss
          Martin Rufer

          • Stefan Beher sagt:

            Lieber Martin Rufer, ich freue mich über Ihr Interesse an Hübl und bin einmal mehr neidisch auf die Schweizer Neutralität! Die Ansicht, dass man der Moral abschwören könne, vertreten allerdings weder Hübl noch ich. Es ging hier gar nicht um die Frage des ob, sondern die Frage des wie und des Kontexts. Wenn sich nun Organisationen wie die DGSF plötzlich selbst als politische Akteure *im Allgemeinen* verstehen, deutlich Partei beziehen in allen möglichen Fragen auch außerhalb ihres eigentlichen Kompetenzbereichs oder auch innerhalb dessen offenkundig völlig einseitige politische Forderungen formulieren; gar im Namen des Konstruktivismus irgendwelche Normativitäten ausrufen – dann ist das nicht nur ziemlich un-klug, sondern vor allem un-professionell.
            Herzlich
            Stefan Beher

  4. Ich bedanke mich ebenfalls für diesen anregenden Text! Zwischen Banalisierung und Dramatisierung – war eine erste Assoziation von mir. Für beides erkenne ich Beispiele in der Praxis, nicht nur der Systemik, sondern auch im Coaching.
    Und Heuristik wäre das zweite Stichwort. Womit wir bei Kahneman wären … Auch das würde wieder auf das Postulat des guten Balancieren (mit „grip“) hinauslaufen.
    Ich würde mich freuen, zu einem späteren Zeitpunkt dann (vllt.) von der Kollegin wieder und mehr zu lesen 😉
    Thomas Webers

    • Barbara Kuchler sagt:

      Ich habe gerade einen Forschungsantrag zu Therapie als Profession gestellt, Titel: „Therapie als Reflexionstheorie der modernen Familie“. Sollte der durchgehen, werden Sie bestimmt von mir mehr zu dem Thema hören. (wobei es nur leider nicht so wahrscheinlich ist, dass er durchgeht, angesichts der statistischen Annahmewahrscheinlichkeit von Forschungsanträgen …)

  5. Martin Rufer sagt:

    Herzlichen Dank für den lesenswerten Beitrag von Frau Kuchler, der hoffentlich zum kritischen Diskurs anregt.
    Ich gehe mit der Kollegin einig, dass auch die ST nicht davor geschützt ist, „sich intellektuell zu „überheben“ und sich damit auf der Praxisseite selbst ins Bein zu schießen“. Im Gegensatz aber zu Psychoanalyse sind es bei der ST weder „hohe und höchste Ansprüche an eigenes professionelles Problemverständnis … und ein Festhalten an endlosen Analyseprozessen zu Kosten, die dem Preis eines Mittelklassewagens entsprechen“, sondern eher die Schwierigkeit aus unterschiedlichen (System-)Theorien auch eine stringente Praxis abzuleiten. Nicht dass wir Systemiker keine guten und wirkungsvolle Praktiker wären, im Gegenteil. Aber die Evaluation von Therapieprozessen, insbesondere nach einer Ausbildung (!), zeigt unmissverständlich, dass sich Methoden, Techniken, Verfahren sowohl grundsätzlich als auch Schulen spezifisch nur schlecht gegeneinander abgrenzen lassen, und ein Hochhalten entsprechender Prinzipien (z.B. Ressourcen-Klientenorientierung, Emotions- Bindungsfokussierung, Haltung usw.) nicht vor dem Zeitgeist/Modeströmungen geschützt ist und bloss noch auf der „Zertifizierungsetikette“ erscheint. Was es m.E. im Sinne einer Professionalisierung, die weiterleben kann, aber zwingend braucht – und hier liegt die Chance der ST, wenn sie diese denn auch erkennt – , ist die Positionierung einer Systemtheorie als Metatheorie und Heuristik jenseits der zunehmenden Medizinalisierung von Psychotherapie. Eine solche würde schliesslich auch vielseitige „Interventionen“ aus dem zunehmend unübersichtlichen Feld von Methoden und Techniken erlauben, die sich aber weder als eindeutig humanistisch, verhaltens- oder eben systemtherapeutisch erfassen und als solche Schulen spezifisch verkaufen lassen.

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