Vor kurzem ist eine sehr schön gestaltete website Therapievielfalt für Deutschland veröffentlicht worden. Sie bereitet eine Mitte November an den Start gehende Petition an den Bundestag vor, die die Aufnahme der Systemischen und Humanistischen Psychotherapie in das leistungsrechtliche System der Patientenversorgung fordern wird. Die Petition wird eingereicht von der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie AGHPT, der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie DVG und dem Deutschen Dachverband Gestalttherapie für approbierte Psychotherapeuten DDGAP. Eine Vielzahl von bekannten Persönlichkeiten aus dem Feld der Psychotherapie gehören zu den Erstunterzeichnern der Petition ebenso wie eine Reihe anderer Psychotherapeuten-Verbände.
Auf der website heißt es: „Die Initiatorengruppe des PsychThGs von 1998 hat den Ausschluss des Humanistischen Verfahrens aus der sozialrechtlichen Patientenversorgung erreicht. Dies ist wissenschaftlich nicht begründet und motiviert sich vielmehr aus ökonomischen Ängsten, sodass offenbar auch der Gesetzgeber irregeleitet wurde. Damalige und neuere wissenschaftliche Studien belegen die Wirksamkeit der Systemischen und der Humanistischen Psychotherapie. Die Effektivität der Behandlung ist mit der augenblicklichen Richtlinientherapien vergleichbar, die vielfältigen, unterschiedlichen Vorgehensweisen erlauben häufig sogar eine bessere Passung. Diese mangelnde Ressourcenausschöpfung ist letztlich zum Nachteil der Patienten, der Bevölkerung und der Krankenkassen. Daher setzt sich die Petition für mehr Therapievielfalt in Deutschland ein. Es wird ein wertschätzendes Neben- und Miteinander aller vier psychotherapeutischen Grundrichtungen (verhaltenstherapeutisch, psychodynamisch, systemisch und humanistisch) angestrebt. Die Nicht-Aufnahme des Humanistischen Verfahrens in die sozialrechtliche Patientenversorgung von 1998 sollte nun, 16 Jahre später, korrigiert werden.“
Diese Position dürfte sich in ziemlicher Übereinstimmung mit den Vorstellungen der meisten Systemischen TherapeutInnen in Deutschland befinden. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als bemerkenswert, dass die systemischen Verbände SG und DGSF sich offensichtlich nicht an dieser Aktion beteiligt haben. Wurden sie nicht eingeladen? Kann ich mir kaum vorstellen. Gibt es gute Gründe, auf eine politische Vertretung des Anliegens auf Anerkennung der Systemischen Therapie verzichten zu können? Womöglich, um die eigenen Chancen bei der Prüfung durch den G-BA nicht durch eine allzu aktive und öffentliche Interessenvertretung zu verkleinern? Und wenn ja, ist das die Entsolidarisierung mit einem anderen Verfahren wert, dem mindestens genauso übel mitgespielt worden ist wie dem Systemischen Ansatz? Haben wir aus der Beobachtung der opportunistischen Haltung der psychoanalytischen Vereinigungen gegenüber der Politik des G-BA nicht schon genug gelernt?
Wie auch immer, dieser Petition steht gut an, wenn sich so viele Systemiker wie möglich daran beteiligen, damit die erforderliche Mindestzahl von 50.000 Unterschriften zusammenkommt.
Liebe Kollegen
Aus schweizerischer Perspektive, wo sowohl die Systemische als auch die Humanistische Therapie wissenschafttlich anerkannt sind, die Kassenzulässigkeit für psychologische Psychotherapeuten aber vorläugfig nur über ärztliche Delegation zu erreichen ist, wird einmal mehr deutlich: wer (schon) dabei ist, hat das Sagen, verteidigt seinen Futternapf und hilft so mit, den Psychomarkt zu steuern
Aus psychotherapeutischer Perspektive, in der die verfahrenspezifische Orientierung zur Qualifizierung von Psychotherapie zunehmend obsolet wird, wird einmal mehr deutlich, dass die Anerkennung von Verfahren oder Therapieschulen nicht eine wissenschaftliche, sondern eine (gesundheits-)politische ist.
Aus systemischer Perspektive (und mit Blick auf das oben Gesagte) ist das Fahren eines „Sonderzuges“ nicht nachvollziehbar, es sei denn auch wir Systemiker, inzwischen auf der Zielgeraden (wie in Deutschland) oder in der gut eingerichteten Stube angekommen (wie in der Schweiz) möchten uns nun nicht mehr (ver-)stören lassen.
Martin Rufer, Bern
Viele Worte … und dann?
Gleich einmal vorneweg – ich habe in Sebastian Baumanns Erwiderung, die ich als eine Art „offizielles Statement der SG“ interpretiere, denn er unterzeichnet sie als Geschäftsführer, kein einziges inhaltliches Argument dafür gefunden, die Petition nicht zu unterstützen!
Und ein weiteres – es wäre sicher gut und der Transparenz förderlich gewesen – die Mitglieder laufend und von vornherein zu informieren – immerhin geht es um die Frage der Anerkennung der Therapieverfahren – ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste, Ziel/Vorhaben der SG. Ich habe die SG deswegen angeschrieben und nach Abfassen dieses Kommentars – bereit zum Abschicken – eine Information der SG erhalten, wobei mir nicht klar geworden ist, wieso das gerade jetzt passierte, an wen diese Information ging … viele offene Fragen.
Egal – ich beziehe mich im Folgenden auf den Kommentar von Sebastian Baumann.
Der Reihe nach:
1. Sebastian Baumann schreibt, dass die SG eingeladen wurde, sich zu betei-ligen, „[a]ber zu einem Zeitpunkt, als sich an dem Konzept nichts mehr verändern ließ.“ Das wirft die Frage auf, wie denn das Konzept aussieht, das die SG ablehnt. Information in Baumanns Schreiben: Fehlanzeige – jedenfalls habe ich nichts gefunden. Und auch nicht, welche Ablehnungs-kriterien die SG sieht.
Schade – kein inhaltliches Argument
2. Die nächste Aussage: „Gerne hätten wir ein solidarisches großes Haus miteinander gebaut. Das Haus stand aber schon, mit einer Bauweise, die uns nicht überzeugt hat; und wir hätten einziehen sollen.“ (Zitat Baumann)
Eine interessante Metapher, ein nettes Bild, aber was sagt das inhaltlich? Wenn ich polemisiere, könnte ich sagen: Ah ja, die SG will auf jeden Fall immer einen Neubau, an dessen Gestaltung auch ein von der SG beauf-tragter Architekt teilnehmen muss. Und ich dachte immer, Menschen würden auch in Altbauten einziehen, in Doppel- oder Mehrfamilienhäuser usf. Und soweit ich weiß, lassen sich Häuser – auch nach Fertigstellung – renovieren und /oder umbauen.
Schade – auch kein inhaltliches Argument!
3. Auf Tom Levolds Frage, ob es „gute Gründe“ gibt, „ auf eine politische Vertretung des Anliegens auf Anerkennung der Systemischen Therapie verzichten zu können?” lautet die Antwort: „Wir verzichten nicht auf die politische Vertretung. Wir gestalten sie nur anders und glauben, dass das vielversprechender ist.“
Ja, das ist okay – nur verstehe ich nicht, weshalb das ein Argument sein soll, die Petition nicht zu unterstützen, denn auch SystemikerInnen gehen m.W. davon aus, dass es üblicherweise mehr als nur eine Möglichkeit gibt. Weshalb dann auf Möglichkeiten verzichten, zumal sie von anderen vorgezeichnet und geebnet werden?
Schade – auch kein inhaltliches Argument!
4. Und nun wird es für mich völlig unverständlich, wenn Baumann schreibt: „Wir kommen hier auch von unterschiedlichen Voraussetzungen: Die Systemische Therapie ist wissenschaftlich anerkannt, die Humanistische (leider) noch nicht.“
Das mag so sein, nur was hat das mit der (Nicht-) Unterstützung der Peti-tion zu tun? Zumal die Systemische Therapie auch noch nicht sehr lange „wissenschaftlich anerkannt“ ist. Wenn Baumann dies ernsthaft als Ar-gument anführt, könnte ich auf die Idee kommen, dass er sich mit dem WBP solidarisiert und damit andere Therapieverfahren, die sich noch in dem „unwissenschaftlichen Zustand“ befinden, den die Systemische The-rapie erst kürzlich hat überwinden können, abwertet. Ich nehme mal an, dass er das anders gemeint hat …
Nur das Fazit bleibt: Schade – kein inhaltliches Argument!
5. Jetzt kommt ein interessanter Satz: „Die Frage ist nicht, ob wir dafür poli-tisch arbeiten möchten, sondern welches der beste Weg ist.“
Was heißt das?
Dass man/frau ausschließlich einen Weg geht, nämlich den besten? Nur – wer kann das im Voraus wissen? Und wie verhält sich das mit systemi-schen Ideen der vielen oder mehreren Möglichkeiten? Heißt das denn, es geht darum, zunächst darüber zu entscheiden, welches der beste Weg ist? Und erst dann losgehen? Falls man/frau sich da überhaupt einig wird …
Das wäre fatal – denn ich erinnere daran, dass die SG vor Jahren die Ent-scheidung getroffen hat, nur den einen Weg der wissenschaftlichen Aner-kennung zu gehen und keinesfalls eigene Verhandlungen mit den Kassen aufzunehmen, um rechtlich systemische Therapie ausüben zu können. Es wurde entschieden (ich frage von wem? Den Mitgliedern? Dem Vor-stand?), ins GKV-System einzusteigen, ohne meines Wissens darüber zu reflektieren, welche Auswirkungen das auf Theorie und Praxis der syste-mischen Therapie haben könnte. Und dann wäre zu fragen, ob das der richtige Weg ist – denn „richtig“ lässt sich nach meinem Verständnis im-mer erst im Nachhinein beurteilen, nämlich daran, ob und inwieweit das angestrebte Ziel erreicht worden ist. Das kann vorher niemand wissen.
Wieso und warum, die Petition nicht zu unterstützen, zum besten Weg gehören soll – dazu äußert Baumann sich leider nicht.
Schade – auch kein inhaltliches Argument!
6. Eine weitere Aussage lautet: „Eine online Petition scheint uns dafür nicht der geeignetste Weg, um dafür unsere Ressourcen einzusetzen (die kostet nämlich einiges, wenn man sie so professionell aufzieht).“
Da hätte es geholfen, etwas mehr darüber zu erfahren, worin die Kosten bestehen und wie hoch sie tatsächlich sind oder sein sollen. In dieser all-gemeinen Aussage ist das eine interessante Spekulation.
Schade – auch kein inhaltliches Argument!
7. Und nun folgt eine Aussage, die zutreffen kann, aber nichts zu meinem Verständnis beiträgt, weshalb die SG die Petition nicht unterstützt: „Ob der Petitions-Ausschuss des deutschen Bundestages der richtige An-sprechpartner für das berechtigte Anliegen ist, darüber sind wir unter-schiedlicher Meinung gewesen.“
Ja, und?
Unterschiedlicher Meinung zu sein, ist für mich nicht zwangsläufig gleichbedeutend damit, sich nicht zu beteiligen. Zumal dies, so verstehe ich Baumanns Aussage, auch keine „wahre“ Aussage ist, sondern nur die Vermutung, dass der Petitions-Ausschuss des deutschen Bundestages nicht der richtige Ansprechpartner ist.
Wobei, da kann ich Tom Levold nur beipflichten, es durchaus sinnvoll, nützlich und unterstützend sein kann (ich möchte hier nicht von „richtig“ sprechen), viel verschiedene Institutionen, Personen oder Organisationen in die DISKUSSION einzubeziehen.
8. Wenn Baumann auf Tom Levold erwidert: „Wir hätten uns wunderbar ganz prominent beteiligen können, das hat auf den G-BA keine Wirkung“, dann frage ich, woher Baumann das so genau weiß? Oder meint er ledig-lich, dass es durchaus Wirkung haben kann, nur dass der Ausschuss nicht das Entscheidungsgremium ist. Das wäre dann etwas anderes und wirft die Frage auf, in welchem Maß – auch die SG – daran interessiert ist, die Diskussion so breit wie möglich zu gestalten.
Schade – auch kein inhaltliches Argument!
Ich will hier erst einmal aufhören – denn ich habe bisher kein Argument gelesen und das geht für mich so weiter. Nur einen Punkt, den Baumann am Ende an-führt möchte ich noch einmal betonen, weil der mir sehr „am Herzen“ liegt.
Baumann stellt fest: „Wenn die lebendigen Theorien erstmal alle ausgestorben sind, weil sie nicht im GKV System sind, wo kommt dann das frische Blut her, das alle belebt?“
Das ist für mich eine, wenn nicht die wichtige Frage – nämlich ob und inwieweit die Verfahren, die in das GKV-System eingehen oder eingegangen sind, nicht alle notwendigerweise blutleer werden, einfach weil sie nur „Einlass“ in dieses System finden, wenn sie sich dazu verpflichten, die Spielregeln dieses Systems einzuhalten. Und wie schwer es ist, diese Spielregeln von innen her zu verändern, daran kann ein Blick auf die Verhaltenstherapie erinnern.
Mein Fazit:
Die Argumentation des Geschäftsführers der SG erscheint mir – meine Meinung – eher blutleer und ohne klaren Inhalt, der mir die Entscheidung verständlicher macht, die Petition nicht zu unterstützen und die Mitglieder nicht darüber zu informieren. Ich hoffe, dass die SG zukünftig offener und transparenter handelt – auch wenn andere nicht ihrer Meinung sind, aber ähnliche oder gleiche Ziele verfolgen.
Ich selber bin immer noch in der SG, obwohl ich deren Entscheidung, sich (of-fenbar oder möglicherweise: koste es, was es wolle) in das GKV-System hinein-zubegeben, überhaupt nicht teile – aber das sind in meinen Augen einfach Wegmarken im politischen Feld.
Jürgen Hargens (Meyn)
Lieber Tom,
hab herzlichen Dank für Deine Antwort.
Ich teile Deine Anmerkungen, zwei Dinge meiner Position möchte ich aber noch genauer fassen: Dass ich den Schluss gezogen hätte, Öffentlichkeit und Politik (und somit eine Petition) hätten keinen Einfluss auf den G-BA, kann ich nicht erkennen, zumindest habe ich es nicht so gemeint. Eher so, wie Du es weiter beschreibst: Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, welche Handlungsoptionen welche Auswirkungen haben. Den Impact einer Petition, aus der nicht genau hervorgeht, wer eigentlich was tun soll, haben wir nicht so hoch eingeschätzt. Die Tatsache, dass das Wort „Humanistische Psychotherapie“ (die es als formale Anerkennung ja (noch) nicht gibt) als Marke gesetzt wird, ist hingegen eine Stärke der Petition.
Die Einschätzung, dass jedes Mitglied eines systemischen Verbandes selbst entscheiden soll, teile ich; wir hatten auch nicht vor, nicht auf die Petition hinzuweisen. Sie wird ja erst morgen „scharf gestellt“.
Danke für die anregende Diskussion!
Herzliche Grüße
Sebastian Baumann
Lieber Sebastian,
ganz herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort. Ich weiß nicht recht, was Du damit meinst, dass ich „nur eine Antwort provozieren“ wollte. Wieso „nur“? Und ist nicht jede Frage eine Provokation (provocare = herausfordern, anregen)? Wenn ich Fragen habe, freue ich mich immer über Antworten. Da die Petitions-Aktion eine öffentliche ist, über die ich im systemagazin berichte, fand ich auch angemessen, meine Fragen öffentlich zu stellen. Umso erfreulicher, dass Du so ausführlich auch öffentlich geantwortet hast.
Nun kann man sicherlich die Frage der Nützlichkeit einer Petition ebenso in Frage stellen wie alle anderen Formen der politischen Vertretung einer Sache. Immerhin schafft, wie viele erfolgreiche Beispiele in den letzten Monaten gezeigt haben, eine Petition im Erfolgsfalle eine Form von Öffentlichkeit und Bekanntheit, die auch politische Entwicklungen in Gang zu bringen und Einschätzungen zu beeinflussen vermag. Dass die Petition nicht im G-BA verhandelt wird und insofern dort keinen unmittelbaren Einfluss erzeugt, versteht sich ja wohl von selbst. Politische Entscheidungen entstehen vermittels Verfahren und die allgemeine Öffentlichkeit ist aus gutem Grund kein Verfahrensbeteiligter. Daraus abzuleiten, dass sie dann auch keine Wirkung z.B. auf den Verlauf von Verfahren entfalten kann, ist aber unzulässig. Schließlich ist der G-BA kein neutraler Gutachter, sondern ein Gremium, in dem die fachlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Bänke politisch hart verhandelt werden. Insofern geht es m.E. nicht um ein entweder-oder, sondern um die Frage der strategischen Nutzung bzw. Nicht-Nutzung von unterschiedlichen Handlungsoptionen im politischen Feld. Und das Schöne an der Politik ist, dass man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann.
Weil ich vorziehe, dass diese Diskussion von möglichst vielen Betroffenen geführt werden kann, bin ich der Ansicht, dass sie auch hier und nicht nur im Vorstand eines Verbandes geführt wird.
Mein Ausgangspunkt war das Fehlen der systemischen Verbände und systemischer KollegInnen bei den Erstunterzeichnern dieses Aufrufes. Verstanden habe ich nun, warum sich die Systemische Gesellschaft an dem Aufruf nicht beteiligen wollte. Noch nicht verstanden habe ich, warum die Mitglieder der Systemischen Gesellschaft nicht von dieser Möglichkeit – etwa in einem Rundbrief – informiert wurden, um dann selbst zu entscheiden, ob sich sich an einem solchen Aufruf beteiligen wollen oder nicht. Aber vielleicht gibt es ja dazu auch eine gute Erklärung. Nicht zuletzt ist der Aufruf ja jetzt in der Welt und es steht nun jedem frei, die Initiative in der kommenden Woche zu unterstützen oder nicht.
Herzliche Grüße
Tom Levold
Lieber Tom,
ich hätte es schöner gefunden, wenn Du uns gefragt hättest, wie wir zur Petition stehen, anstatt uns vorneweg negative Absichten zu unterstellen. Aber vielleicht wolltest Du nur eine Antwort provozieren: Das ist Dir gelungen! Insofern: Danke für die Provokation.
„Wurden sie nicht eingeladen?“ – Doch, wurden wir. Aber zu einem Zeitpunkt, als sich an dem Konzept nichts mehr verändern ließ. Gerne hätten wir ein solidarisches großes Haus miteinander gebaut. Das Haus stand aber schon, mit einer Bauweise, die uns nicht überzeugt hat; und wir hätten einziehen sollen. Wenn man zusammen ein Haus baut, sollten Archtiekten von beiden Bauherren dabei sein.
„Gibt es gute Gründe, auf eine politische Vertretung des Anliegens auf Anerkennung der Systemischen Therapie verzichten zu können?“ – Wir verzichten nicht auf die politische Vertretung. Wir gestalten sie nur anders und glauben, dass das vielversprechender ist. Wir kommen hier auch von unterschiedlichen Voraussetzungen: Die Systemische Therpapie ist wissenschaftlich anerkannt, die Humanistische (leider) noch nicht. Hier prüft der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) gerade, ob die verschiedenen humanistischen Verfahren (Gestalt, klientenzentrierte, Psychodrama, Körper, Logo, …) zu einem Verfahren zugelassen werden. Erst dann kann der Antrag im G-BA auf Kassenzulassung gestellt werden.
In unserer politischen Arbeit setzen wir uns ein und haben uns immer dafür eingesetzt, von vier international anerkannten Grundausrichtungen auszugehen: Psychodynamisch, systemisch, verhaltenstherapeutisch und humanistisch.
Die Frage ist nicht, ob wir dafür politisch arbeiten möchten, sondern welches der beste Weg ist. Eine online Petition scheint uns dafür nicht der geeignetste Weg, um dafür unsere Ressourcen einzusetzen (die kostet nämlich einiges, wenn man sie so professionell aufzieht). Ob der Petitions-Ausschuss des deutschen Bundestages der richtige Ansprechpartner für das berechtigte Anliegen ist, darüber sind wir unterschiedlicher Meinung gewesen.
„Womöglich, um die eigenen Chancen bei der Prüfung durch den G-BA nicht durch eine allzu aktive und öffentliche Interessenvertretung zu verkleinern?“ Hier überschätzt Du den Einfluss einer online-Petition auf die Arbeit des G-BA. Wir hätten uns wunderbar ganz prominent beteiligen können, das hat auf den G-BA keine Wirkung. Im Gegenteil: Wir haben gerade ein Widerspruchsverfahren mit dem G-BA angestrengt, indem es um die Nennung der Namen der Mitglieder der Unterausschüsse nach dem Informationsfreiheitsgesetz geht. Stirn bieten und sich gegen Intransparenzen wehren, da haben wir kein Problem mit. Kampf für etwas kommt beim G-BA übrigens sehr viel weniger negativ an, als von außen vermutet wird.
„Und wenn ja, ist das die Entsolidarisierung mit einem anderen Verfahren wert“
Wir haben mit den humanistischen Verbänden seit Jahrzehnten ein sehr gutes, kooperatives Verhältnis. Diese Beziehung hält es aus, dass man die Wirksamkeit politischer Strategien unterschiedlich beurteilt. Wie wäre es denn um unsere Beziehung bestellt, wenn die Humanisten so argumentieren würden: Entweder ihr macht mit, oder ihr seid unsolidarisch! Das wäre moralische Erpressung und das machen unsere humanistischen KollegInnen nicht.
„Dem mindestens genauso übel mitgespielt worden ist wie dem Systemischen Ansatz?“
Das sehe ich genauso. Ihnen ist übel mitgespielt worden: Auf der einen Seite wurden sie beim Psychotherapeutengesetz nicht berücksichtigt, auf der anderen Seite werden dauernd ihre Methoden angwandt (eine weitere Gemeinsamkeit mit uns). Schön für den Patienten, schlecht für den Erhalt und die Verbreitung der humanistischen Ansätze. Nur: Wenn die lebendigen Theorien erstmal alle ausgestorben sind, weil sie nicht im GKV System sind, wo kommt dann das frische Blut her, das alle belebt?
Leider nur führt die fortwährende Wiederholung des Anprangerns nicht zur Beseitigung des Unrechts. Hinter vorgehaltener Hand rollen viele im Psychotherapiesektor mit den Augen: „Schon wieder die mit ihrem Ungerechtigkeitsgetöse!“ Das mag man für menschlich verwerflich halten. Einen Kniefall wird man mit der Argumentationsstrategie aber nicht bewirken können. Ich persönlich glaube, dass es mit der wissenschaftlichen und dann hoffentlich auch sozialrechtlichen Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie nur etwas wird, wenn man aufhört, die anderen zur Einsicht in ihr unrechtes Handeln bringen zu wollen. Insofern haben wir da tatsächlich eine andere politische Strategie.
Herzliche Grüße
Sebastian Baumann, Geschäftsführer der SG