systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

10. September 2019
von Tom Levold
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Lynn Hoffman, 10.9.1924 – 21.12.2017

Heute würde Lynn Hoffman ihren 95. Geburtstag feiern. Im systemagazin ist schon häufiger auf ihre Bedeutung für die Entwicklung des systemischen Ansatzes hingewiesen worden, so z.B. hier oder hier. Wie vielen anderen PionierInnen der Systemischen Therapie bliebe ihr, die zunächst als Literaturwissenschaftlerin in Kontakt mit dem therapeutischen Feld gekommen ist (und von Virginia Satir eingeladen wurde, ihr bei der Abfassung des Buches „Conjoint Family Therapy“ zu helfen), heute wohl der Weg zu einer therapeutischen Ausbildung versperrt – auch wenn gerade ihr unkonventioneller professioneller Background (wie bei vielen anderen Pionieren) die therapeutischen Perspektiven in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich erweitern half. Die Sprache und ihre Bedeutung für die Konstruktion und Veränderung von Wirklichkeiten blieb ihr lebenslanges Thema, das sie mit Klugheit und Wärme in aller Welt auf wunderbare Weise vermittelte. An dieser Stelle sei mit zwei Nachrufen von Harlene Anderson und Imelda McCarthy an Lynn Hoffman erinnert!

9. September 2019
von Tom Levold
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Systemische Organisationsberatung

Eckard König, emeritierter Lehrstuhlinhaber im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Universität Paderborn, ist gemeinsam mit Gerda Volmer für seine „Personale Systemtheorie“ bekannt geworden, die im Unterschied zum Luhmannschen Ansatz die Basis sozialer Systeme nicht in den Kommunikationen als zentrale Operationen sieht, sondern in den beteiligten Personen, ihren Wirklichkeitsdeutungen und daraus resultierenden kommunikativen Mustern, Systemgrenzen und -entwicklungsmöglichkeiten. Beide sehen sich dabei in der Tradition von Gregory Bateson und Paul Watzlawick. Ihr. Konzept der „Personalen Systemtheorie“ stellten sie in ihrem Buch „Einführung in die systemische Organisationsberatung“ vor, das heute als wichtige Grundlage für Systemische Organisationsberatung und Systemisches Coaching gilt. Erstmals 1993 erschienen, wurde 2008 aus der Einführung das Handbuch, das 2018 bereits in der 3. komplett überarbeiteten Fassung im Beltz-Verlag erschienen ist. Ingo Kallenbach, der die ursprüngliche Fassung in den 90er Jahren kennengelernt hat, ordnet den Band dem unverzichtbaren Kanon der Organisationsberatungsliteratur zu:

Ingo Kallenbach, Rohrbach:

Gern würde ich die Besprechung mit einer kleinen Umfrage starten: Wer von Ihnen als Lesende/r dieser Rezension hat dieses Buch nicht auch im Bücherschrank stehen? Da es sich bei der Zielgruppe hier um Systemiker/innen handelt, schätze ich einfach mal auf mindestens 50 %. Und das auch nur, da sich nicht jede/r im weiten Feld der systemischen Disziplin für Organisationsberatung interessiert, denn dann wären es vermutlich nahezu 100 %.

Soll heißen: An dem Handbuch kommt eigentlich nicht vorbei, wer sich mit systemischer Organisationsberatung beschäftigt. Meine persönliche Ausgabe, damals noch im Deutschen Studienverlag erschienen, datiert aus dem Jahr 1996, damals schon die 4., überarbeitete Ausgabe innerhalb von drei Jahren. Erstausgabe war im Jahre 1993. Die hier zugrundeliegende Ausgabe ist die 3., komplett überarbeitete Auflage des »Handbuch Systemische Organisationsberatung«, wie es seit 2008 heißt. Weiterlesen →

6. September 2019
von Tom Levold
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Gestiegene Geburtenhäufigkeit bei älteren Müttern

WIESBADEN (3.9.2019) – Im Jahr 2018 kamen in Deutschland 787 500 Babys zur Welt. Das waren rund 2 600 Neugeborene mehr als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, blieb 2018 die durchschnittliche Kinderzahl je Frau auf dem Vorjahresniveau: Die zusammengefasste Geburtenziffer betrug 1,57 Kinder je Frau. In den neuen Ländern (ohne Berlin) war sie mit 1,60 Kindern je Frau höher als im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) mit 1,58. Bemerkenswert ist die steigende Geburtenhäufigkeit der Frauen ab 40 Jahren. Mütter im Alter ab 40 Jahren brachten 2018 rund 42 800 Babys zur Welt. Zwar war ihre Geburtenhäufigkeit mit 88 Kindern je 1000 Frauen immer noch relativ gering, hat sich aber gegenüber 23 Kindern je 1000 Frauen in 1990 fast vervierfacht.
Die zusammengefasste Geburtenziffer wird zur Beschreibung des aktuellen Geburtenverhaltens herangezogen. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekäme, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im betrachteten Jahr.

Niedersachsen und Brandenburg mit höchster Geburtenziffer

In Niedersachen und Brandenburg war 2018 die zusammengefasste Geburtenziffer mit 1,62 Kindern je Frau am höchsten. Mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns war sie auch in den übrigen ostdeutschen Bundesländern sowie in Bremen und Nordrhein-Westfalen mit 1,60 Kindern je Frau relativ hoch. Besonders niedrig war die Geburtenziffer dagegen in Berlin (1,45 Kinder je Frau). Auch im Saarland (1,47) und in Hamburg (1,49) war sie deutlich niedriger als den übrigen Bundesländern.

Stadtstaaten gemessen an Einwohnerzahl besonders geburtenreich

Die Zahl der Geborenen wird allerdings nicht nur durch das Geburtenverhalten, sondern auch durch die aktuelle Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst. In Bundesländern mit einer relativ jungen Bevölkerung gibt es mehr potenzielle Eltern. Dort werden deshalb – bezogen auf die Einwohnerzahl – vergleichsweise mehr Kinder geboren. An erster Stelle standen hier 2018 die Stadtstaaten Hamburg mit 12 Kindern sowie Berlin und Bremen mit jeweils 11 Kindern je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. In den Bundesländern mit einer verhältnismäßig alten Bevölkerung und weniger potenziellen Eltern wurden dagegen im Verhältnis zur Einwohnerzahl weniger Kinder geboren. So kamen in den neuen Ländern (außer Sachsen) und im Saarland nur 8 Babys je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner zur Welt. In Deutschland insgesamt wurden 9 Kinder je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner geboren, im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 10 Kinder.

Quelle: Deutsches Statistisches Bundesamt

5. September 2019
von Tom Levold
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Kammer: Kliniken brauchen mehr qualifiziertes Personal für wirksame Behandlung

(lifePR) (Wiesbaden, 4.9.2019)Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kann dafür sorgen, dass ab 1. Januar 2020 durch neue Vorgaben in allen Psychiatrie-Krankenhäusern ausreichend qualifiziertes Personal für wirksame Therapien angestellt werden muss. Diese Überzeugung vertritt die Psychotherapeutenkammer Hessen. In einer am Mittwoch (4. 9.) in Wiesbaden verbreiteten Erklärung bittet Kammerpräsidentin Dr. Heike Winter den Bundesgesundheitsminister, hier – im Interesse psychisch kranker Menschen – ein klares gesundheitspolitisches Signal zu setzen: „Die Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV) ist seit fast dreißig Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Seitdem haben Medizin und Psychotherapie enorme Fortschritte gemacht: Bei den meisten psychischen Störungen empfehlen wissenschaftlich fundierte Behandlungsleitlinien Psychotherapie als wesentliches Element.“ Doch nach wie vor gebe es „Verwahr-Psychiatrien wie im vorangegangen Jahrtausend, in denen die Patientinnen und Patienten hauptsächlich Medikamente bekommen – ohne leitliniengerechte Psychotherapie-Angebote“, stellt Kammerpräsidentin Winter fest. Die „Beschäftigungstherapie“ bestehe dort manchmal vor allem im gemeinsamen Fernsehen: „Hier muss es ab 2020 endlich grundlegende Verbesserungen geben – kosmetische Korrekturen helfen nicht mehr weiter.“ Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat den Auftrag, bis zum 30. September 2019 Mindestvorgaben zur Personalausstattung in Psychiatrie-Kliniken zu entwickeln. Diese Mindestvorgaben sollen eine Versorgung psychisch kranker Menschen nach modernen Standards ermöglichen. Weiterlesen →

26. August 2019
von Tom Levold
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Metaphern: Ihre Analyse und ihr Einsatz in Therapie und Beratung

Die linguistische Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson hat seit ihrem erstmaligen Erscheinen (Lakoff & Johnson 1980) das Verständnis von Metaphern grundlegend verändert. Anstatt nur als rhetorisches Stilmittel betrachtet zu werden, erweisen sie sich mittlerweile als Schlüssel zum Verständnis und zur Rekonstruktion individueller und sozialer Selbst- und Weltverhältnisse. Vor allem für den Bereich der Psychotherapie und Beratung hat sich die neuere Metapherntheorie als extrem fruchtbar erwiesen.

In den letzten vier Jahrzehnten ist ein riesiger Fundus an grundlagentheoretischen sowie forschungs- und praxisbezogenen Büchern und Aufsätzen entstanden, der leider – das gilt auch für die Arbeiten von Lakoff und Johnson – zum allergrößten Teil nur englischsprachig zur Verfügung steht. Im deutschsprachigen Raum sind es vor allem die theoretischen und empirischen Arbeiten von Michael B. Buchholz (u.a.), die in den 90er Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Arbeiten von Lakoff und Johnson auch hierzulande wahrgenommen worden sind.

In diesem Zusammenhang ist auch Rudolf Schmitt zu nennen, der mit seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Metaphern-Sammlungen (z.B. zu Metaphern des Helfens oder des Alkoholkonsums) das Thema ebenfalls seit langem intensiv bearbeitet. Nach dem Studium der Germanistik und Psychologie in Marburg und Berlin arbeitete er zunächst ein paar Jahre als Familienhelfer in Berlin, dann von 1990 bis 1997 als Klinischer Psychologie in der Allgemeinpsychiatrischen Abteilung der Karl-Bonhoeffer-Klinik in Berlin. In dieser Zeit machte er auch eine Weiterbildung in systemischer Therapie. Seit 1997 hat er an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Hochschule Zittau-Görlitz eine Professur inne, seine Betätigungsfelder sind „Empirische Forschungsmethoden, Beratung und Behandlung, Soziale Arbeit mit psychisch kranken und substanzabhängigen Menschen“.

Seine beiden hier besprochenen Bücher decken die Spannbreite der wissenschaftlichen und praxeologischen Beschäftigung mit dem Thema Metaphern auf eine eindrucksvolle Weise ab. Der Band „Systematische Metaphernanalyse als Methode der qualitativen Sozialforschung“, der ursprünglich als „kleines Buch zur Einführung in die Metaphernanalyse“ gedacht war (S. VIII), mündete schließlich in das Habilitationsprojekt von Schmitt mit immerhin 644 Seiten, davon alleine 80 Seiten Literaturangaben, und ist 2017 bei Springer VS erschienen. Neu hinzu gekommen ist der mit 165 Seiten deutlich kleinere Band „Metaphern in Psychotherapie und Beratung. Eine metaphernreflexive Perspektive“ (Beltz-Verlag Weinheim), den er mit Thomas Heidenreich als Co-Autor verfasst hat, der als verhaltenstherapeutisch ausgerichteter Psychologie als Professor an der Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege an der Hochschule Esslingen arbeitet.

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23. August 2019
von Tom Levold
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Ronald D. Laing (7.10.1927-23.8.1989)

Heute vor 30 Jahren starb Ronald D. Laing im Alter von 61 Jahren beim Tennisspielen in St. Tropez in Südfrankreich. Er gehörte zur Antipsychiatrischen Bewegung der 60er Jahre und war in seiner Arbeit als Psychiater maßgeblich von der phänomenologischen Philosophie (insbesondere von Jean Paul Sarte, aber auch von Martin Buber Ludwig Binswanger u.a.) beeinflusst. In seiner „Phänomenologie der Erfahrung“ bezog er eine klare Position gegen eine szientistische Psychiatrie, die Verrücktheit einem biologistischen und naturwissenschaftlichen, verobjektivierenden Behandlungs-Paradigma unterwarf. Dagegen setzte er den Beziehungsaspekt einer personalen Begegnung mit Schizophrenen. In dem berühmten Sammelband „Schizophrenie und Familie“, der wichtige Artikel zur Familiendynamik psychiatrischer Phänomene von Gregory Bateson, Don D. Jackson, Lyman Wynnne, Jay Haley, Murray Bowen und anderen enthielt, erschien auch ein Artikel von Laing über „Mystifikation, Konfusion und Konflikt“ über die verwirrenden Kommunikationsstrukturen in Familien mit einem schizophrenen Indexpatienten. Die konsequente Interaktionsperspektive entfaltete Laing auch in seinen Arbeiten über „Das geteilte Selbst“, „Sanity, Madness and the Family“, „Das Selbst und die Anderen“ u.a. Weiterlesen →

22. August 2019
von Tom Levold
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Wenn Kinder größer werden. Familientherapie mit älteren Kindern und Jugendlichen

Grossmann Wenn Kinder größer werden

Lange war im Feld der systemischen Therapie das Familiensetting bzw. die Arbeit mit der ganzen Familie dominant – und Markenzeichen des systemischen Ansatzes. Das hat sich in den vergangenen Jahren verändert – in vielen Kontexten (von den aufsuchenden Familienhilfen abgesehen) hat die Arbeit im Einzelsetting einen viel größeren Stellenwert erhalten. Die Arbeit mit der Familie ist aufwendiger und komplexer, im Zuge der Anerkennung von Systemischer Therapie im Rahmen der sozialrechtlich gesicherten psychotherapeutischen Versorgung wird das Familientherapie-Setting nur noch in Ausnahmefällen praktiziert werden, so meine Prognose. Vor diesem Hintergrund ist es begrüßenswert, dass es mit dem vorliegenden Band von Konrad Peter Grossmann ein aktuelles und einladendes Buch zum Thema gibt, das die Relevanz der Arbeit mit der Familie noch einmal nachhaltig vor Augen führt. Ulrike Hollik hat es gelesen und empfiehlt die Lektüre:

Ulrike Hollick, Weimar:

Wenn Kinder größer werden – der Titel spricht einerseits direkt auf die Be-deutung an, die ältere Kinder und Jugendliche in der Familientherapie haben, zum anderen löst er wohl viele Assoziationen aus, die mit eben diesem Größer- werden in engem Zusammenhang stehen, nämlich die Herausforderungen, mit denen größer werdende Kinder und Jugendliche und ihre Familien konfrontiert sind und die Entwicklungsaufgaben, die sie zu bewältigen haben.

Grossmann ermutigt dazu, in der Praxis der Familientherapeuten vermehrt wieder die Vorteile der Arbeit mit der ganzen Familie zu nutzen und vor allem Kinder und Jugendliche ab circa zehn Jahren mit in das Setting einzubeziehen. Weiterlesen →

21. August 2019
von Tom Levold
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Jede vierte Person in Deutschland hatte 2018 einen Migrationshintergrund

WIESBADEN – Im Jahr 2018 hatten rund 20,8 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis des Mikrozensus weiter mitteilt, entsprach dies einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 2,5 % (2017: 20,3 Millionen). Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Dies traf 2018 auf jede vierte Person in Deutschland zu. Im Jahr 2018 waren rund 52 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund Deutsche und knapp 48 % Ausländerinnen beziehungsweise Ausländer. Etwa die Hälfte der 10,9 Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit seit ihrer Geburt (5,5 Millionen). Sie haben einen Migrationshintergrund, weil mindestens ein Elternteil ausländisch, eingebürgert, deutsch durch Adoption oder (Spät-)Aussiedlerin oder Aussiedler ist.
Fast die Hälfte der Zugewanderten gibt familiäre Gründe für Migration an.
Von den 20,8 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund waren rund 13,5 Millionen Menschen nicht hierzulande geboren, sondern sind im Laufe ihres Lebens zugewandert. Als wichtigstes Migrationsmotiv nannten die Zugewanderten familiäre Gründe (48 %), bei weiteren 19 % war es die Aufnahme beziehungsweise Suche nach einer Beschäftigung in Deutschland. Für 15 % der Zugewanderten stellten Flucht und Asyl das Hauptmotiv dar. 5 % gaben an, zum Studieren beziehungsweise wegen einer Aus- oder Weiterbildung nach Deutschland gekommen zu sein. Weiterlesen →

9. August 2019
von Tom Levold
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Vom Vorgegebenen zum Aufgegeben

Im Carl-Auer-Verlag ist im vergangenen Jahr Bruno Hildenbrands „Genogrammarbeit für Fortgeschrittene. Vom Vorgegebenen zum Aufgegebenen“ erschienen. Hartwig Hansen hat es rezensiert. Sein Fazit: „Fazit: Der »neue Hildenbrand« ist für alle Genogramm-Fans eine ebenso anspruchsvolle wie kurzweilige Lektüre eines vor Ideen sprühenden Tausendsassas mit langjähriger Erfahrung!“

Hartwig Hansen, Hamburg

»Ich selbst bin ein Erstgeborener mit einer neun Jahre jüngeren Schwester. Wenn mich jemand sensu König etikettieren würde, hätte er mit ernsthaften Schwierigkeiten zu rechnen.«

Bei dieser Fußnote 110 (von insgesamt 135) musste ich schmunzeln – wie im- mer wieder bei der Lektüre »des neuen Hildenbrands«. An dieser Fußnote lässt sich einiges in Bezug auf den Geist dieses Buches ablesen:

  • Der Autor scheut sich nicht, seinen persönlichen Hintergrund einzubringen. Im Gegenteil.
  • Er verwahrt sich energisch gegen zu plumpe und rasche Zuschreibungen und Interpretationen. Denn: »Es kommt, wie immer, auf den Einzelfall und damit auf den Kontext an.« (91)
  • Vom »König-Sein« will er (trotz seiner unbestrittenen Verdienste in diesem Feld) nichts wissen.
  • Und er droht (eventuell doch im Sinne eines erstgeborenen großen Bruders und das noch als 70-Jähriger) humorvoll »eine blaue Nase« an.

Der Autor mag mir diese persönliche Deutung verzeihen, denn er schreibt selbst: »In der menschlichen Welt kann das Deuten nicht eliminiert werden.« (63)

Neben der stattlichen Zahl an Fußnoten – wohl dem am Ende des Buches erwähnten »Stapel der Notizen aus den letzten Jahren« geschuldet – gibt es unter den sechs Kapitelüberschriften 1. Einführung, 2. Vornamen als Deutungsressourcen, 3. Geschwisterbeziehungen, 4. Weiterentwicklungen in der Genogrammarbeit, 5. Integrative Darstellung und 6. Immer wieder gestellte Fragen, ungefähr hundert Unterüberschriften auf 212 Buchseiten.

Das macht das Lesevergnügen einerseits kleinteilig und andererseits komplex. Der Autor bekennt als emeritierter Professor für Sozialisationstheorie und Mikrosoziologie: »Es ist meine Sache nicht, dem süßen Gift der Vereinfachung zu erliegen …« (196) Das Buch wendet sich also im doppelten Sinne an »Fortgeschrittene«.

Hildenbrand geht in seiner Arbeit von den ältesten verfügbaren Daten der (Index-)Familie aus und rekonstruiert sequentiell Generation um Generation – siehe seine »Einführung in die Genogrammarbeit« von 2005, dessen Lektüre durch sein hier vorgestelltes Buch nicht ersetzt werden kann, wie er schreibt. Er sagt: »Mich interessiert der Prozess des Werdens. Ich möchte nicht anfangen mit dem, was ist, sondern rekonstruieren, was wird.« (186)

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1. August 2019
von Tom Levold
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Bedingtheiten und Möglichkeiten

Das aktuelle Heft des Kontext befasst sich mit unterschiedlichen Themen wie Würde statt Scham, Beratung an einer Hochschule, Kinderwunschberatung und Paarberatung. Im Editorial heißt es: „Würde, so schrieb einmal Karl Kraus: das sei die konditionale Form von dem, was einer ist. Es wird Ihnen also sofort einleuchten, liebe Leserin und lieber Leser, dass wir es hier mit einem Thema von höchster Relevanz für Therapie und Beratung zu tun haben. Bedingtheiten wollen aufgelöst, der Möglichkeitsraum will schließlich vergrößert werden, erarbeitet, durchschritten und erreicht. Erst Möglichkeiten, das glauben Systemtheoretiker, erzeugen in Differenz zu Wirklichkeiten Sinn. Und der Möglichkeits-Sinn war immerhin die paradoxerweise bestechendste Eigenschaft des Mannes ohne Eigenschaften, Ulrich, in Robert Musils gleichnamigen Roman, dem bekannten Standardwerk konstruktivistischen Denkens.

Sie sehen: Wir haben uns allerhand vorgenommen für das neue Heft, das vielleicht auch deshalb ein ziemlich dickes geworden ist. Den Auftakt machen Peter Bünder und Kolleginnen, die Würde allerdings nicht vom Unbedingten, sondern von Scham unterscheiden – also umgekehrt gerade von den Eingeschränktheiten, von Störungen der Selbst-Identifikation. Die Autorengruppe beleuchtet, auch an zwei Praxisbeispielen, wie ein so verstanden würde-voller und Scham vermeidender Rahmen durch die Marte-Meo-Methode gerade bei solchen Klienten erzeugt werden kann, die in ihrer Vergangenheit bereits stark durch Beschämungen verletzt wurden.

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28. Juli 2019
von Tom Levold
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Ciompi goes online

Luc Ciompi, der in diesem Jahr unglaubliche 90 Jahre alt wird, hat die Entwicklung des systemischen Ansatzes seit Beginn der 80er Jahre nicht nur mit seinen revolutionären Strategien zur Behandlung psychiatrischer Patienten in Bern, sondern vor allem mit seinen Arbeiten zu affekt- und emotionstheoretischen Fragestellungen begleitet. „Affektlogik“ ist sein bekanntestes Werk aus den 80er Jahren. Auch heute ist er ungebrochen kreativ, nicht nur als Maler, sondern auch mit wissenschaftlichen und biografischen Beiträgen. Auf der website des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht hat er in diesem Jahr einen Blog gestartet, in dem er unter den Rubriken-Titeln „Mein Stand des Irrtums“, „Mein Blick aufs Ganze“ und „Mein Weg mit der Schizophrenie“ Einblicke in seine eigene Entwicklungsgeschichte und die damit verbundenen Einsichten in die Zusammenhänge von Affekten, Kognitionen und Körper, von Denken, Fühlen und Handeln, von Schizophrenie und ihrer Bewältigung eröffnet. Diese Geschichte ist maßgeblich durch seine Erfahrungen mit einer Mutter geprägt, die selbst unter einer „schleichenden Schizophrenie“ litt. Seine Fähigkeit, die eigenen privaten und beruflichen Lebenserfahrungen u.a. auch schreibend zu reflektieren und damit auch zu bewältigen, macht diesen Blog unbedingt lesenswert – ein großes Geschenk eines wirklichen Meisters an seine Leserschaft.

Bedauerlicherweise ist die website des Verlages derzeit nicht wirklich voll funktionsfähig – so gelangt man nur durch die Suchfunktion auf die Beiträge im Blog und nicht durch eine vernünftige Menüführung – das sollte mit diesem Link aber gelingen. Einer Lektüre des Blogs, den man wohl auch nicht abonnieren kann, sollte das aber nicht im Wege stehen. Zu den Beiträgen geht es hier …

20. Juli 2019
von Tom Levold
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Auswirkungen systemischer Beratung und Therapie in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle auf die Bindungssicherheit verhaltensauffälliger Kinder im Grundschulalter

In einem von der DGSF geförderten Forschungprojekt hat der Dipl.-Soz.Päd. Mathias Berg die Veränderung im Bindungsverhalten von Grundschulkindern im Zuge der Beratung an einer EFL untersucht. Die vollständige Studie, die auch als Dissertation an der Universität Siegen eingereicht wurde, ist im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.

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16. Juli 2019
von Tom Levold
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Jede fünfte Person lebte 2018 in einem Einpersonenhaushalt

WIESBADEN – Im Jahr 2018 gab es 41,4 Millionen private Haushalte in Deutschland. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach Ergebnissen des Mikrozensus weiter mitteilt, hatten darunter Einpersonenhaushalte mit 42 % den größten Anteil. Damit lebten rund 17,3 Millionen Menschen oder etwa jede fünfte Person in Deutschland in einem Einpersonenhaushalt. In 58 % der Haushalte (24 Millionen) lebten zwei oder mehr Personen. Unter den
Mehrpersonenhaushalten hatten Zweipersonenhaushalte mit 34 % aller Haushalte den größten Anteil. Dreipersonenhaushalte machten 12 % und Vierpersonenhaushalte 9 % aus. Nur in 3 % der Haushalte lebten fünf oder mehr Personen. Damit hielt der langfristige Trend zu kleineren Haushalten an: Von 1991 bis 2018 ging die durchschnittliche Haushaltsgröße von 2,27 Personen auf 1,99 Personen zurück.
(Quelle: Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/pressemitteilungen)