systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

22. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Ambiguitätstoleranz leben

Ulrike-Luise Eckhardt, Berlin:

Erinnerungen an den 9. November 1989 sind neben den reichlich dargestellten geschichtlichen und allbekannten Ereignissen bei mir fest verbunden mit einem Seminar zur Familienmediation mit Josef Duss-von Werdt, zu dem er an unser Berliner Institut für Familientherapie, Systemische Therapie, Beratung, Supervision und Fortbildung e.V. (BIF) kam. Das Seminar sollte Samstag und Sonntag am 11. und 12.11.1989 stattfinden. Sepp kam mit seiner Kollegin ein paar Tage eher nach Berlin und erlebte den Mauerfall live mit. Er erzählte oft, wie sehr ihn das bewegt und berührt hat und ich habe seine Bewegung hautnah mitbekommen, habe ich doch als Organisatorin der Seminare auch immer die Referenten „betreut“, also vom Hotel abgeholt und kleinere Stadtrundfahrten mit ihnen gemacht. So ist dieser Mauerfall auch immer mit der Erinnerung an Sepp verbunden, der uns lange Jahre ein treuer Begleiter und Berater im BIF war und dessen Tod kürzlich mich persönlich auch sehr berührt hat.

Ich selbst habe den Mauerfall verschlafen und erfuhr erst am Freitag, dem 10.11., früh in den Nachrichten davon. Ich war fassungslos und schaltete zwischen Radio und Fernseher hin und her und bewegte mich nicht von der Stelle. So erlebte ich die ersten begeisterten Anrufe meiner Verwandten und Freunde aus den USA und England und dann Köln (in der Reihenfolge) und die freudigen Reaktionen. Der etwas peinliche Auftritt der damaligen Politiker auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses enthielt neben der falschgesungenen Nationalhymne den Hinweis, dass heute Abend die Glienicker Brücke geöffnet wird. Ihr erinnert Euch: die Brücke des Agentenaustausches zwischen Wannsee und Potsdam. Das war mein „Dorf“ und sofort mobilisierte ich Freunde, dort hinzufahren. Das meist gehörte Wort in der allgemeinen Freude der menschlichen Begegnungen war „Wahnsinn“. Anders konnte man das Ganze nicht bezeichnen. Und da fiel mir der 7. Oktober 1989 ein: Rosemary Whiffen und Magret Dennis waren aus London zu uns zu einem Seminar gekommen und wollten am 7.Oktober nach Ost-Berlin. Sie kamen enttäuscht zurück, sie wurden an der Grenze zurückgewiesen mit den Worten: „Heute sei kein guter Tag die Hauptstadt der DDR zu besuchen“ (40. Jahrestag der DDR). Stattdessen machte ich eine Stadtrundfahrt mit ihnen, u.a. an die Glienicker Brücke. Sie fragten mich, wie lange die Mauer wohl noch stehen würde und ich antwortete, dass ich bis dahin dachte, noch 50 Jahre – aber nach dem heutigen Ereignis vielleicht noch 100 Jahre oder aber doch nicht mehr so lange.

Da hatte ich noch nicht die Eindrücke meines Besuches in Ost-Berlin am 2.11.1989, zwei Tage vor der großen Demonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz. Ich erlebte eine total andere Stimmung als bei vorigen Besuchen, eine Offenheit, eine Aufbruchsstimmung, die Menschen schauten sich an und redeten, auch mit uns Wessis. Da glaubte ich, dass es wohl weder 100 noch 50 Jahre dauern wird, aber schon eine Woche später war das dann doch eine Überraschung.

Meine Mit-Zeitzeugen in diesen Tagen kamen aus dem Ausland und gaben mir ein etwas anderes Bild: eins der Begeisterung einerseits und der Skepsis andererseits. Einige Freunde aus New York sind deutsche Juden (Überlebende der Shoah) und es gab durchaus Ängste, wie es nun in Deutschland weitergeht. Sie erinnerten sich an einen anderen 9.November: 1938. Die „Reichsprogromnacht“ oder auch „Kristallnacht“ wie Andreas Nachama sie dann doch aus historischer Sicht wieder nannte, macht ein ganz anderes Gedenken nötig. Und auch die 9. November 1918 (Ende des 1. Weltkrieges und das Ausrufen der Republik) und 1923 (Hitler-Putsch), lassen diesen Tag als typischen Gedenktag der deutschen Geschichte vierfach begehen und beschreiben so vielleicht die Ambiguitätstoleranz, die wir als Nation und vielleicht auch individuell aushalten müssen. Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in Ost und West? Bis 1945 hatten wir alle dieselbe Geschichte und die lebt in uns, in den Familien mehrgenerational weiter, was besonders in der Arbeit mit Familien, in Therapien oder auch in der Selbsterfahrung der Herkunftsfamilie in den Weiterbildungen immer eine Rolle spielt.

Ich erlebte nach dem Mauerfall u.a. das Glücksgefühl der gemeinsamen Sprache (als Berliner) und ein Heimatgefühl als Berlinerin stellte sich sofort ein. Wir sprachen die gleiche Sprache, den gleichen Dialekt (im Westen versteckt, im Osten offenener), aber bald musste ich feststellen, dass wir zwar die gleiche Sprache sprachen, aber nicht dieselbe. Als Systemikerin halfen mir da die Erlaubnis zu fragen, auch Sprache zu hinterfragen und erst einmal nichts zu verstehen. Das hatte ich aus meiner Ausbildung in USA mitgebracht: Ich verstehe erst einmal nichts und frage nach, auch bei eigentlich selbstverständlichen Begriffen.

Die Angst meiner Freunde vor evtl. wieder auflebenden Antisemitismus hat sich leider bestätigt und auch andere Entwicklungen in unserem Land lassen uns hoffentlich wachsam bleiben oder werden. Es gibt natürlich unendlich viele Gemeinsamkeiten und auch unendlich viele Unterschiede, aber nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch und vor allem schon immer zwischen Nord und Süd, Stadt und Land und vielem mehr. Diese als Bereicherung zu erleben, auch durch die Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen ist wünschenswert, aber nicht unter Aufgabe der eigenen Identität aller Menschen und den Verfall in die Beliebigkeit.

Ich bin immer noch froh und dankbar, dass die Menschen in der DDR die friedliche Revolution gewagt haben und unser gemeinsames Land soviel reicher gemacht haben, ohne Leid und Enttäuschungen, vielleicht auf beiden Seiten, nivellieren zu wollen.

Ich hatte schon vor der Wende zu Verwandten in der DDR viel Kontakt, allerdings ergaben sie nur eine Seite des Bildes von der DDR, da sie mehr oder weniger im Widerstand waren. Trotzdem hat mich mein Studium an der Freien Universität in Berlin in den 70er Jahren auch geprägt und da zeichneten wir ein positives Bild in der Kritischen Psychologie und Soziologie. Schon da lernte ich vielleicht die Ambiguitätstoleranz zu leben und beiden oder mehreren Perspektiven einen gleichberechtigten Platz zu geben.

Um die Zukunft zu gestalten halte ich das Erinnern für sehr wichtig, daraus zu lernen und statt alter lieber neue Fehler zu machen, also reflektiert zu handeln, anstatt „gut gemeint“ auf die möglichen Auswirkungen zu schauen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gutes neues Jahr 2020.

21. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Inspiration auf der Glienicker Brücke: eine Bildergeschichte

Ulrich Schlingensiepen, Potsdam:

Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo ich am 9.11.1989 war. In Stuttgart, so viel ist sicher. Aber ich erinnere mich sofort an meinen Vater, der über viele Jahre Pakete und Päckchen zu seinem Kriegskameraden und seiner Familie nach Klingenthal geschickt und mit im Mantel eingenähten D-Mark-Scheinen seinen Freund dort besucht hat. Für ihn wäre dieser Tag ein Fest gewesen.

Also ich hatte keine Erinnerung an diesen Tag, aber ich war neugierig. Und so fuhr ich am 10.11.2019 nach Potsdam zur Glienicker Brücke, Schauplatz während des Kalten Krieges. Über diese Brücke tauschten die USA und die Sowjetunion Spione und Agenten aus, sie wurde am 10.11.1989 geöffnet.

Ich wollte mal nachprüfen, wie es mir an diesem aufgeladenen Tag an diesem Ort so geht. Was immer auch geschieht, es ist das einzige, was geschehen kann. Und Bier- und Currybuden gab’s ja auch. Die Stadt hatte eine große Veranstaltung geplant. Die Brücke war weiträumig für den Autoverkehr gesperrt, angestrahlt, Videoprojektionen des Agentenaustausches zwischen Ost und West, Bier- und Sektbuden, Diskussionsrunden, Tafeln mit Erläuterungen zur Geschichte der Brücke im Kalten Krieg. 

Also: dem Zufall und der Inspiration eine Chance geben und so machte ich mich mit der Kamera auf den Weg, in der Hoffnung Resonanzen zu erzeugen.   

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20. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Die deutsche Vereinigung und ich: Szenen zwischen 1973 und 2018

Jochen Schweitzer, Heidelberg:

Als westdeutsches „Zonengrenzkind“, geboren in Göttingen , aus Bebra stammend und dort oft bei meinen Großeltern zu Besuch,  war für mich „Drüben“ immer hochinteressant. Aber es war  bis zu meinem 35. Lebensjahr praktisch unbekannter als die USA oder Frankreich. Ich schildere einige wenige mir zentrale Erinnerungen. Meine Haltung wird daraus deutlich werden: klasse, dass dieses Land wieder vereint wurde! Schade und tragisch, dass dies in Form eines einseitigen „Anschlusses“ geschah, der das (Volks-)Vermögen der Menschen im Osten ihnen enteignet und viele ihrer Kompetenzen vorübergehend wertlos gemacht hat. Die aktuellen Probleme des in Ostdeutschland noch umfangreicher als im Westen verbreiterten Rechtsradikalismus erkläre ich mir zu wesentlichen Teilen auch damit, was nach 1989 geschah. 

Irgendwann 1973: Willy Brandt und Willy Stoph oder ihre Unterhändler haben einen innerdeutschen „kleinen Grenzverkehr“ ausgehandelt. Westdeutsche im 30 km Abstand von der Grenze dürfen in den 5-30 km-Bereich auf der ostdeutschen Seite für 24 Stunden reisen, wenn Sie 25 Mark zum Verhältnis 1.1 („Staatswucher“) umtauschen und dort lassen . Mit meinem Vater fahren ich von Bebra nach Eisenach und Mühlhausen, bin tief beeindruckt von der Wartburg, den miserablen Straßen, dem preisgünstigen Mittagessen, unseren freundlichen älteren Verwandten drüben. 

November 1989: Mit noch recht frischem  Baby sitzen wir zuhause am Fernsehen und betrachten darin mit offenen Augen die Ströme von Menschen, die hauptsächlich von Ost nach West, aber auch von West nach Ost fahren. Jeden Abend rufen meine Eltern an, und berichten, wo sie jetzt gerade wieder angekommen sind („Bad Salzungen, Friedrichsroda, Erfurt, Dresden…“). Wir hören es voller freundlichem Neid. Wir sind nicht dabei.

März 1990: Wir haben einen VW-Campingbus gemietet und fahren eine Woche durch Thüringen. Auf dem Marktplatz von Jena, nahe der Bananen- und Wurstwagen aus dem Ruhrgebiet, fragt uns eine freundliche alte Frau, ob das unsere beiden Kinder wären und ob wir aus dem Westen kämen – die beiden sähen so gesund aus. Die Braunkohleschwaden aus Heizungen und Trabis hängen in der Luft, wir können die Kontexte ihres Kommentars erahnen. Am Abend stehen wir mit dem Campingbus in einem Wald zwischen Jena und Weimar und bekommen Angst, als wir in der Nähe sowjetische Truppen im Gelände beobachten. Die tun uns aber nichts.  Am nächsten Morgen in Weimar staune ich, dass Männer im Blaumann morgens um 10 Uhr ihre Arbeit für 30 Minuten und mehr verlassen (können, dürfen, müssen?), um in einer Bäckerei  für die dort angekündigten frischen Brötchen sich in die Schlange zu stellen.

März bis Oktober 1990: Nach den Volkskammerwahlen im Frühjahr wird klar, dass die DDR sich als „Beitrittsgebiet“ der BRD anschließen wird.  In meinem Umfeld löst das Bedauern bis Entsetzen aus. Wir hatten gehofft, es werde „das Beste aus beiden Systemen“ für den gemeinsamen Staat übernommen werden.  Als in den gesamtdeutschen Wahlen Oskar Lafontaine, Warner  vor der sofortigen Einführung der D-Mark im Osten, weil diese die Ost-Wirtschaft sofort konkurrenzunfähig machen werde,  gegen Helmut Kohl verliert und als Bündnis 90/ die Grünen ins gesamtdeutsche Parlament gar nicht hineinkommen, ahnen wir den totalen „Endsieg“ eines nun entfesselten Kapitalismus kommen. Die Frankfurter Rundschau sagt voraus, Ostdeutschland werde sich nie davon erholen, dass nun alles Kapital und  die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel dauerhaft im Westen sitze.

1992 bis 1996: Der Nordosten ist in dieser Phase unser spannendstes, weil unbekanntestes Reiseziel –  wir verbringen nun immer abwechselnd einen Sommerurlaub im Südwesten (Frankreich, Italien) und einen im Nordosten (Mecklenburg, Kaschubyen) –  letztere meist auf ehemaligen Betriebscampingplätzen mit Betriebskantinen und Sperrholz-Ostgeruch, aber an herrlichen Seenplatten mit viel Kanufahren.

Herbst 1999: Ich bin nun ein „Wiedervereinigungs-Gewinner“ geworden, mit Ruf auf eine Professur für Sozialmanagement in Jena. Ich erprobe das ein halbes Jahr und sage dann schweren Herzens ab, obwohl ich die Stadt Jena schön finde, Kollegium und Studierende mich total freundlich auf nehmen und ich dort sogar kurzfristig Freunde finde – gleichalte, arbeitslos gewordene  Akademiker, die mich am Ende meiner Zeit zum Hirschbraten und ins Volksbad einladen. Aber das Pendeln bekommt meinem Familienleben nicht, ein Familienumzug erscheint mir zu riskant und die materiellen Arbeitsbedingungen sind ungünstiger als ohne Professur in Heidelberg. 

Frühjahr 2018: ich bin von sächsischen Regionalgruppen der DGSF zu einem Fachtag in Chemnitz eingeladen worden, der sich mit Demokratie, Rechtsradikalismus und Flüchtlingsintegration beschäftigt. Immer noch: Alle planmäßigen Referenten sind Wessis, glücklicherweise fällt einer von denen aus und wird durch zwei hochkompetente Ossis ersetzt. Aus meinem Vortrag scheint der Abschnitt „die Ostdeutschen als Avantgarde“ (Zitat eines Buchtitels von Wolfgang Englert) auf das stärkste Interesse zu stoßen: weil die Ostdeutschen Anfang der 1990er Jahre schon einmal das komplette Ende einer „Arbeitsgesellschaft“ erlebt und sich daran angepasst haben, sind sie auf eine künftige Gesellschaft besser vorbereitet.

19. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Assoziationen zum Fall der Mauer am 9. November 1989

Peter Müssen, Köln:

1. Assoziation: Goethe vs. Trump

Am 9. November in diesem Jahr las ich morgens auf ZEIT-ONLINE in einem Bericht über  Donald Trumps Glückwünsche an die Deutschen:

„Trump zitiert Goethe („Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“) und warnt, dass es immer noch tyrannische Regime gebe, die für Unterdrückung und Totalitarismus nach sowjetischem Vorbild stünden. Die USA setzten sich dagegen für Freiheit ein, die Frieden und Wohlstand gewährleiste. 

Ein Geschenk der Initiative Offene Gesellschaft, das für eine Welt ohne Mauern stehen soll, wollte Trump allerdings nicht annehmen. Der Verein wollte dem US-Präsident ein 2,7 Tonnen schweres Stück der Berliner Mauer überreichen. Das Weiße Haus habe jedoch die Annahme verweigert.“

Dass Trump das Geschenk der ‚Initiative Offene Gesellschaft‘ nicht angenommen hat, passt zu ihm, denn er plant ja gerade selbst den Bau einer Mauer, die Menschen fern halten soll.

Zudem hat Trump oder sein*e Redenschreiber*in vermutlich nicht wirklich in Goethes Faust (Faust 2, V) gelesen, denn das Zitat stammt aus einer Szene, in der der 100-jährige, blinde Faust das Ziel hat, durch den Bau eines Deiches dem Meer Land für Besitzlose abzuringen.

Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,
nicht sicher zwar doch tätig-frei zu wohnen.

Faust will altersweise seine Möglichkeiten für Bedürftige einsetzen, um so vor sich selbst und der Nachwelt bestehen zu können:

Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht‘ ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!

Es lohnt sich, zum Thema ‚Überwindung der Mauer‘ (sie ist ja nicht einfach nur so ‚gefallen‘!) auf Goethes Spuren zu bleiben:

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18. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – In Verantwortung gehen für die Vergangenheit

Andreas Wahlster, Lampertheim:

Einmal war ich in der richtigen DDR, 1974 auf der Abiturfahrt. Wir waren neunzehn, zwanzig Jahre alt, wollten irgendwie cool wirken, hatten aber beim erstmaligen Passieren der Grenze bei Hof ziemlich die Hosen voll, als zwei DDR-Grenzbeamte mit leicht mürrischem Blick unsere Pässe kontrollierten. Beim Wiedereintritt in die Bundesrepublik nach West-Berlin änderte sich die Stimmung und wir blieben die ganze Woche über bis auf einen Alibiausflug in das Pergamon-Museum im sicheren, weil bekannten Westen der Stadt. Mein damaliges Wissen über den „Osten“ bestand aus Informationen der westlichen Medien und von Verwandtenberichten, die noch im Osten wohnten.

Dachte ich daran, hatte ich meist ein dumpfes Empfinden von Dunkelheit. Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus Pommern, sie mussten nach dem Krieg die sowjetische Zone schnell verlassen, da mein Großvater Offizier in beiden Weltkriegen war, somit als Nazi galt. Meine Großmutter beklagte den Verlust ihrer Heimat sehr und schimpfte auf den „Scheißkrieg“, untermauert von einem pietistisch getränkten Antikommunismus und heimlicher Sympathie für den „alten Wilhelm“. Es sollte sich noch herausstellen, dass Vorfahren aktiv am Genozid in Namibia, vormals fast zärtlich anmutend „Südwest“ genannt, beteiligt waren. An Weihnachten wurde eine Kerze ins Fenster gestellt, um die Verbundenheit mit den Landsleuten im Osten zu dokumentieren. Der Mauerfall wurde in unserer Familie begrüßt, aber nicht gefeiert, eher war es ein Gefühl der Erleichterung.

Bei aller Neugier, meine Beklemmung gegenüber dem Osten blieb. 2004 fuhr ich erstmals zusammen mit meinem Kollegen Jerzy Jakubowski nach Poznan zu einem Seminar, das ich dort hielt. Trotz sehr freundlicher Begrüßung durch die polnischen Kolleg*innen fühlte ich mich als Deutscher fremd, einhergehend mit einem diffusen Schuldgefühl. Und nach Jahren geschah das: Ein Teilnehmer eines Seminars in Poznan gab mir am Ende eine Rückmeldung, die mir die Tränen in die Augen trieb. Er sagte, er habe zum ersten Mal eine deutsche Männerstimme gehört, die freundlich und sympathisch klang. Er habe bisher deutsche Stimmen nur aus Kriegsfilmen gekannt, als sie Befehle aussprachen oder in Uniform eine Frau küssten. Wir kamen danach noch ins Gespräch und er erzählte, dass zwei Mitglieder seiner Familie von der SS ermordet worden waren. Ich habe sowohl meine Verbindung zur Heimat meiner Mutter gespürt als auch das Trennende als Kind einer Nation, die barbarische Verbrechen begangen hat.

Was ich hier erzähle, mag fragmentarisch erscheinen, für mich hingegen gibt es viele Zusammenhänge, sie lassen sich zusammenfassen in Verbundenheit und Zugehörigkeit, Trennendes und letztlich die Zustimmung zur Tatsache, dass es so war, wie es war. Das kann uns idealtypisch bemächtigen, verantwortlich zu handeln und neugierig interessiert zu bleiben für die Geschichten Anderer.

17. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – 30 Jahre sind schon ne Hausnummer

Katrin Bärhold, Heikendorf:

Hm, 30 Jahre sind schon ne Hausnummer dachte ich als erstes

Damals war ich in Berlin und wohnte direkt an der Mauer. Oderberger Strasse – direkt an den Wedding geklebt im Osten. Nachts 2 Uhr hatte mein alter Freund Harry an die Tür gewummert, um mir nach sehr kräftigem „Öffnen“ derselben mitzuteilen, dass er ein Bier hatte. Er war/ist Tischler und hat sie wieder repariert. 
Noch bevor ich Augenrollend denken konnte, dass er das immer tue – das mit dem Bier – antwortete er mit glänzendem Ganzkörper – „auf‘m Kudamm“. Seine einzige Angst damals war, dass sie ihn nicht wieder „reinlassen“. Ich hatte die Wende verschlafen und bewunderte das riesen Loch in der Mauer am nächsten Tag. Da wollte ich nicht durch … nee – wie geht das – nach Westberlin gehen in die Bernauer Strasse … erst 2 Tage später – in der Invalidenstrasse wagte ich das. Befremdlich. Beschämend. Was tue ich hier … obwohl ich demonstriert hatte damals für mehr Freiheit, fühlte sich das nur wie das nächste System an. Unfrei. Laaangweilig. Aufregend?

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16. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Der Fuchs ist schlau …

Johannes Herwig-Lempp, Halle/Merseburg:

Für mich ist die Wende eines der großartigsten Ereignisse, die in meinem Leben passiert sind: Der Fall der Mauer wurde durch die Einsatzbereitschaft, die Ausdauer und vor allem auch den Mut zehntausender demonstrierender Menschen bewirkt, die diese durchschlagende Wirkung so gar nicht unbedingt beabsichtigt oder erwartet hatten. Sie wollten eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und lehnten sich gewaltlos gegen ein System auf, obwohl dies übermächtig und eigentlich unbeeinflussbar schien. Auch im Rest der Welt hätte man sich noch wenige Monate vorher eine solche Wende nicht vorstellen können. Für mich war und ist das ein eindrückliches Lehrstück dafür, dass Menschen unvorstellbare Veränderungen bewirken können und dass es sich lohnen kann, sich auch dann zu engagieren und einzusetzen, wenn es eigentlich aussichtslos erscheint.

Als ich 1998 an die Hochschule Merseburg kam, war ich neugierig darauf, noch ein bisschen was von der Nach-Wende-Zeit mitzubekommen. Natürlich war ich ein Wende-Gewinner – ich hatte Glück und konnte eine Professur erhalten, für die es damals keine geeigneten ostdeutschen KandidatInnen gab, weil in der DDR keine SozialarbeiterInnen ausgebildet worden waren. So kamen nur Westdeutsche für diese Stelle in Frage.

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15. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Einheit ohne Humor ist witzlos

Rudolf Klein, Merzig:

Einheit ohne Humor ist witzlos (frei nach F.B. Simon)

Als ich vom diesjährigen Motto des Adventskalenders las, dachte ich: „Das kenne ich doch irgendwoher.“ Und dann fiel mir ein, dass Tom vor genau 10 Jahren schon einmal dazu aufgerufen hatte, den Mauerfall thematisch zum Gegenstand des Adventskalenders zu machen. Ich las meinen damaligen, eher ernsthaften Text und dachte, dass ich nach 10 Jahren nicht viel mehr Neues schreiben und dies der erste Adventskalender sein würde, zu dem ich aus Mangel an Einfällen nichts beitragen könne.
Hinzu kam, dass ich keine Lust hatte, einen bierernsten Text zu schreiben. Die Vorweihnachtszeit und damit auch ein Adventskalender haben für mich eher etwas Leichtes, Lockeres, Beschwingtes. Warum nicht auch mal zum Thema Mauerfall und Einheit? Es wollte mir aber einfach nicht gelingen.

Ich fragte mich zum Beispiel, ob es in einem so komplexen Vorgang wie dem Zusammenwachsen zweier Staaten nicht vielleicht um noch langsamere Langsamkeit, um noch geduldigere Geduld gehen sollte statt um Beschleunigung oder das Lamentieren über die zu geringe Geschwindigkeit des Prozesses. Damit ausreichend Zeit und Muße für die Frage übrig bleibt, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede existieren, wie sich diese entwickelt und erhalten haben, wie wir sie verstehen könnten und ob sie bestehen bleiben, sich stärker herauskristallisieren sollten oder eben nicht. Damit die „sanfte Revolution“ Zeit zur Entwicklung hat und nicht vorschnell als beendet erklärt wird. Denn wenn sie zu Ende wäre, was wäre dann „der Anfang“? Kürzlich las ich den Satz: „Eine gute Revolution ist nicht unter 800 Jahren zu haben.“ (Kluge 2017, S. 139).

Vielleicht sollte auch der Begriff „Einheit“ und die damit zusammenhängenden Assoziationen nicht so selbst-verständlich hingenommen werden. Was soll das eigentlich sein, „die“ Einheit? Woran merkt man, wenn sie erreicht ist? An einer Unterschiedslosigkeit etwa? Ich hoffe nicht.

Ich möchte vorhandene Konfliktfelder nicht ausblenden und kann nur ungläubig meinen Kopf über meine langjährige Haltung schütteln, die DDR als das interessantere System eingeschätzt und über menschenverachtende Stasi-Bespitzelungen hinweggesehen zu haben.

Ich möchte aber auch nicht in die Position verfallen, Einheit mit (Verteilungs-) Gerechtigkeit oder Gleichheit zu verwechseln und diese auch noch für herstellbar, machbar, kontrollierbar, gar produzierbar zu halten. Das wäre eine Hoffnung (oder: Aberglaube), die einem Machbarkeitswahn verfallen ist und notwendig Enttäuschungen gebiert.

Und es beschleicht mich noch ein ungewöhnlicher Gedanke. Vielleicht wird Einheit erst erlebt werden können, wenn vergessen wurde, dass es zwei Staaten gab. Erinnerung führt halt dazu, immer und immer wieder den Unterschied herauszukristallisieren, zu vergleichen und Differenzen zu bewerten. Oder anders formuliert: Eine Erinnerungskultur führt nicht nur zu Jubel – sie hat auch einen Preis. 

Doch halt! Jetzt fallen mir doch tatsächlich Witze ein. Vielleicht täte etwas Lockerheit gut und sicher wäre der eine oder andere dieser Witze nicht schlecht. Aber wie das mit Witzen so ist – ob man über sie lachen kann, hängt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil davon ab, wie hoch der Verbissenheitsquotient hinsichtlich der Thematik Einheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einzuordnen ist. Ich lasse es lieber mit den Witzen.
Zum Glück drängt sich eine andere Geschichte auf. Weniger verfänglich – jedoch möglicherweise verwirrender:

Ein Zen-Meister und ein Meister im Bogenschießen verabreden sich zum gemeinsamen Bogenschießen. Sie platzieren die Zielscheibe an den Rand einer Klippe. Unmittelbar dahinter fällt der Felsen ca. 100 Meter tief ins Meer. Der Meister des Bogenschießens macht den Anfang. Er legt seinen Pfeil ein, spannt die Sehne bis sie seine Wange berührt, und am höchsten Punkt seiner Konzentration lässt er den Pfeil los. Dieser schießt los und trifft genau in die Mitte der Zielscheibe. Ein meisterhafter Schuss.
Dann nimmt der Zen-Meister seinen Pfeil und fädelt ihn in seinen Bogen. Er spannt die Sehne bis sie seine Wange berührt. Am höchsten Punkt seiner inneren Sammlung lässt er den Pfeil los. Der Pfeil fliegt los, hoch über die Zielscheibe hinweg, verfehlt diese um mehrere Meter und landet schließlich weit im Meer. Der Zen-Meister schaut, lächelt und sagt: „Volltreffer!“.

Literatur:
F. von Schirach u. A. Kluge: Die Herzlichkeit der Vernunft. München (Luchterhand)

14. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Wie die Zeit vergeht…

Tanja Kuhnert, Köln

Wie die Zeit vergeht.

Bei Maueröffnung war ich 14 Jahre alt. Ich erinnere mich noch daran, dass ich es gar nicht glauben konnte, war doch die DDR das Land, in dem meine Tante lebte und die zu besuchen immer irgendwie besonders war…

Der Weg war weit: Damals. Mit dem Auto fuhr man von der Eifel bis zum Bezirk Leipzig manchmal bis zu acht Stunden. Je nach Witterung (wir fuhren oft zu Silvester „rüber“), je nach Verkehrssituation, der Schlange an der Grenze (werden wir kontrolliert oder nicht?), je nach Straßenzustand hinter der Grenze …

Der Grenzübertritt war immer aufregend: Einmal hatten meine Eltern meinen Kinderausweis vergessen und befürchteten, dass wir die 8 Stunden wieder zurückfahren müssten, ohne Besuch bei meiner Tante. Aber wir gerieten an einen Grenzsoldaten, der uns wohl gesonnen war: Ich musste mit ihm allein als 8-jähriges Kind in ein Grenzerhäuschen, wo er mir samt neuem Foto einen neuen Ausweis ausstellte.

Die Reise zur Familie meiner Tante war immer spannend. Ich spürte als Kind und Teenager, der noch keine richtige Ahnung davon hatte, warum es BRD und DDR gab, dass irgendetwas ganz anders war, gleichzeitig aber auch nicht.

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13. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – „Vorwärts und nicht vergessen“

Tina Lachner, Hattingen:

Der Fall der Mauer war für mich ein prägendes Ereignis. Etwas Persönliches soll es also nun werden im Adventskalender:

Wenige Jahre vor der Wende war ich mit meinen Eltern im Urlaub im Wendland (dem dünnbesiedelten niedersächsischen „Zonenrandgebiet“). An einem Abend standen wir dann da direkt an der Elbe, auf der anderen Seite des Flusses war die DDR. Meine Eltern erzählten mir, dass da auch Deutschland sei, aber in einem anderen Staat, und dass die Menschen da nicht heraus dürfen, ja sogar die Grenzen mit Schießbefehl bewacht werden. Ich war erschüttert, weil das doch so ungerecht war.

In den Osterferien 1989 war ich dann mit meinen Eltern in West-Berlin ein paar Tage im Urlaub – wow, Urlaub im Hotel und eine so große Stadt … Aber wir haben keinen Tagesausflug in den Osten der Stadt gemacht. Die Erniedrigungen beim Grenzübertritt wollten meine Eltern mir nicht antun. Doch die Zugfahrt durch die DDR hinterließ ein paar Eindrücke, als der ganze Zug an der Grenze kontrolliert wurde. Und dann fiel die Mauer – und die Erfahrung eines Grenzübertritts konnte es nicht mehr geben.

Ich war fast 15 Jahre alt, sah am 9. November 1989 die Nachrichten im Fernsehen und weiß noch, dass ich ziemlich gerührt war. Da hatten die DDR-Bürger seit Monaten demonstriert, einige hatten große Ungewissheit in Kauf genommen, als sie in der deutschen Botschaft in Prag Zuflucht gesucht hatten. Und dann war es geschehen – ohne militärisches Eingreifen, irgendwie einfach so! Naja, ganz so einfach war es ja doch nicht, wie wir wissen …

Irgendwas prägte mich so sehr, dass ich im Studium der Erwachsenenbildung meine Diplomarbeit über die Erinnerungsarbeit zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung geschrieben habe. Das war (erst) 10 Jahre nach dem Mauerfall.

Auseinandersetzung mit jüngerer deutscher Geschichte hieß vielfach Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (dessen Thema ich in keinster Weise klein reden möchte!), aber wieso war und ist die deutsch-deutsche Geschichte so wenig Thema im öffentlichen Diskurs – und wenn, dann nur an Gedenktagen?

Wann kommt denn das Systemische? Damals im Studium überzeugte mich die Haltung meines Professors der Erwachsenenbildung, der allerdings diesen ganzen systemtheoretischen und konstruktivistischen „Kram“ geradezu verteufelte, weil es Beliebigkeit gut hieß und seinem Verständnis von erfahrungsorientierter politischer Erwachsenenbildung und der Kritischen Theorie widersprach. Doch haben mich auch systemische Beratung und Organisationsentwicklung wie auch Systemtheorie schon damals interessiert und irgendwie fasziniert. Da schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Denn wie konnte ich das eine, also die Kritische Theorie und das andere, also die Systemtheorie schätzen, wenn es sich doch irgendwie so ausschloss?

Heute möchte ich systemisches Arbeiten so verstanden wissen, dass man sich auch im Systemischen an Werten orientieren und Position beziehen kann und muss. Konstruktivistisches Denken muss nicht gleichbedeutend damit sein, dass man in Beliebigkeit verharrt. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich unter anderem für den Diskurs zum Umgang mit „den Rechten“, den Herr Herwig-Lempp vor einigen Jahren angestoßen hat.

Was bleibt und was kommt? „Vorwärts und nicht vergessen…“

Wie bekommt man systemische Haltung inkl. Neutralität oder Allparteilichtkeit mit politischer Orientierung in Anlehnung eine „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno) überein? Das Nachdenken darüber ist wichtig – und manchmal ist gerade das wichtig: keine einfache Antwort parat haben und immer wieder die eigene Haltung hinterfragen, also die systemische wie auch die politische.

12. Dezember 2019
von Tom Levold
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In 35 % der Paarfamilien mit Kind unter 3 Jahren arbeiteten 2018 beide Eltern / Aber: Bei 54 % der Elternpaare war der Vater Alleinverdiener

WIESBADEN – In immer mehr Familien mit kleinem Kind arbeiten beide Elternteile: Im Jahr 2018 waren in 35 % der Paarfamilien mit einem Kind unter 3 Jahren beide Eltern erwerbstätig. 2008 waren es noch 29 % gewesen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hängt die Erwerbsbeteiligung der Eltern stark vom Alter des jüngsten Kindes ab. Mit einem Kind unter 1 Jahr arbeiteten 2018 in gut 7 % der Fälle Vater und Mutter. War das Kind 2 Jahre alt, gingen bereits in 60 % der Familien beide Elternteile einer Arbeit nach.

Mit einem jüngsten Kind dieses Alters ergeben sich im Zeitvergleich auch die stärksten Zuwachsraten: 2008 waren nur in gut 44 % der Paarfamilien mit zweijährigem Kind beide Eltern erwerbstätig. 

Bei zwei erwerbstätigen Eltern herrscht Modell „Vater in Vollzeit, Mutter in Teilzeit“ vor 

Paarfamilien mit zwei erwerbstätigen Elternteilen wählten am häufigsten ein Modell, bei dem der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit arbeiten. 24 % der Paare mit einem Kind unter 3 Jahren entschieden sich 2018 dafür. Mit zunehmenden Alter des jüngsten Kindes gewinnt diese Erwerbsaufteilung an Bedeutung: Mit einem Kind unter 1 Jahr arbeiteten nur 4 % der Paare nach der Aufteilung „Vater in Vollzeit, Mutter in Teilzeit“. Mit einem 2 Jahre alten Kind waren es bereits 42 %. Dagegen waren in nur 9 % der Paarfamilien mit einem Kind unter 3 Jahren beide Eltern vollzeiterwerbstätig (mit jüngstem Kind unter 1 Jahr: 3 %; mit jüngstem Kind unter 2 Jahren: 6 %) 

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12. Dezember 2019
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender – Fragmente aus einer Wendezeit

Dörte Foertsch, Berlin:

Aus meiner heutigen Sicht scheint mir der „Osten“, also die damalige DDR als sie es noch gab, näher gewesen zu sein als in den Jahren nach dem 9. November 1989. Heute, 30 Jahre später, gibt es immer noch Fremdheitsgefühle, sie sind aber sporadisch geworden und manchmal plötzlich, besonders wenn Menschen von früher erzählen und wie es damals so war.

Seit 1976 lebe ich in Berlin-West, das ist auch heute noch so. Ich habe anfangs in der Nähe der Mauer in Kreuzberg gewohnt und an manchen Stellen drüber schauen können. Der Osten war ja nah, der Alex immer zu sehen – außer wenn es neblig war. Oft bin ich am Tränenpalast über die Grenze oder auch an der Oberbaumbrücke oder an der Sonnenalle, jetzt wohne ich wieder dort. Manchmal fällt es mir noch ein, wie und wo das war, manchmal ist das vergessen. Warschau oder Prag waren nicht weiter weg als Hamburg oder Köln. In welcher Richtung die Grenze zu überschreiten war, es war immer mit gewissen Ängsten verbunden, wie lange wird es dauern, werden wir gefilzt, was werden sie finden was die Reise verhindern wird, meine Reisepässe von damals sind voll mit Stempeln der verschiedenen Grenzübergänge.

An der FU gab es den Studiengang „Kritische Psychologie“, eine politische und gesellschaftliche Sicht auf die Psychologie in Abgrenzung zu naturwissenschaftlichen Konzepten, verbunden mit einer manchmal verklärenden Sicht auf den Sozialismus in der UDSSR und der DDR. Das Thema Ökologie in der DDR wurde komplett ausgeklammert, obwohl ich die verpesteten Städte Cottbus, Schwedt und Eisenhüttenstadt besucht hatte. Die Theaterkarten und Bücher in Ostberlin waren eben billig, aber man wurde auch schwer bewacht, wenn man an der Friedrichstrasse in den Osten wollte, die Silhouette der bewaffneten Vopos an der gläsernen Bahnhofsfront werde ich nicht vergessen.

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11. Dezember 2019
von Tom Levold
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Jede fünfte Frau zwischen 45 und 49 Jahren war 2018 kinderlos

WIESBADEN (11.12.2919) – Immer mehr Frauen in Deutschland bekommen ihr erstes Kind im vierten Lebensjahrzehnt. 2018 waren die Mütter von 48 % der insgesamt 366 000 Erstgeborenen zwischen 30 und 39 Jahren alt. Bei 3 % der ersten Kinder war die Mutter älter als 40 Jahre. Das Durchschnittsalter der Frauen bei der ersten Geburt betrug 30 Jahre. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis des Mikrozensus weiter mitteilt, bleibt etwa ein Fünftel aller Frauen eines Jahrgangs am Ende der als gebärfähige Phase geltenden Altersspanne zwischen 15 und 49 Jahren ohne leibliches Kind.

Die sogenannte endgültige Kinderlosenquote (Anteil der kinderlosen Frauen an allen Frauen zwischen 45 und 49 Jahren) stieg zwischen 2008 und 2018 von 17 % auf 21 %. Die ersten Geburten der Frauen ab 50 Jahren – 2018 waren es 67 Babys – haben keinen Einfluss auf die endgültige Kinderlosenquote.

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