Die Häufigkeit der Witze über Corona und die Intensität, mit der sie in den sozialen Netzwerken weitergegeben werden, legen es nahe, über eine besondere Funktion von Witzen nachzudenken, nämlich über ihre entängstigende Wirkung: Wenn eine Situation als komisch definiert wird, ist sie schon nicht mehr ganz so bedrohlich, die dominante Realität wird relativiert. Man begibt sich im Witz – im „Als-ob-Modus“ – in die Position der indirekten Überlegenheit: Man lacht über das, was bedrohlich ist. Wer lacht, hat keine Angst. Angesichts der Fülle der Witze zu Corona liegt die Vermutung nahe, dass die gegenwärtige bedrohliche Lage uns alle in eine Situation massiv erlebter Unterlegenheit zwingt, eine Einladung, sich zumindest in der Phantasie und im Lachen über das Schicksal zu erheben.
Im Folgenden stellen wir nun einige Cartoons aus der Werkstatt von Björn vor, unser kleiner Beitrag zur allgemeinen Entängstigung.
Aus dem Nichts „Scheinbar ,aus dem Nichts’ hat Corona seit dem 1. Lockdown im März bis in die Banalitäten des Alltag hinein unsere Leben verändert. Sogar meine Spülbürste hat es erwischt.“
Alles muss raus! „Nicht nur Berater und Supervisorinnen leiden – Corona trifft auch die Geschäftswelt!“
(Foto: Maria Langmaier)
Covid-19-Orakel „Der Lockdown scheint sein Zentrum in der Toilette, dem meist kleinsten Ort einer Wohneinheit, zu haben. Das Klo, ein Ort des Rückzugs in Zeiten der physischen Distanz?“
Die Zeit des Karussells „Dieses Blechkarussell, das ich auf einem Weihnachtsmarkt kaufte, steht auf meinem Schreibtisch, es lässt sich aufziehen, dann dreht es sich erst schnell, dann immer langsamer; es klimpert herum, mal schnell, mal langsam. Es macht mir die Augen von innen bunt. Ich nutze es für die Enkelschaft, aber auch für Innigkeitsminuten, die es schwer machen, Sentimentalitätsanfälle zu vermeiden. Was das Spielzeug im Foto ‚vorführt‘, ist ein Zeitwirbel, der feststeckt und doch wieder nicht – wie Corona, die die Zeit seltsam bremst und beschleunigt. Das macht ja auch Weihnachten: eigentlich immer. Tatsächlich habe ich eine alte Sanduhr neben das Karussell gestellt. Die sieht man wie von ungefähr nicht auf dem Bild, aber es gibt sie hier bei mir als Denkmal der Zeitweiligkeit.“
(Foto: Andreas Brennecke)
Eine Sammelleidenschaft oder: Wie der King of Rock’n Roll unser Weihnachtsfest rettete „Wer sich für Betongold entschieden hat, oder wie meine Liebste und ich für 94 Jahre altes Ziegelsteingold, der hat immer was zu tun: Zu renovieren, zu sanieren, zu prokrastinieren. Indes fällt der Sanierungswütige gern auch später über den Keller als einzig verbliebenem Tätigkeitsfeld her, um dort allmählich vom geliebten Baustellencharme all der Jahre Abschied zu nehmen. Offenbar haben viele Zeitgenoss*innen das infolge nicht stattfindender Urlaube Ersparte in ihre Butzen gesteckt. Da bilde meine Liebste und ich keine Ausnahme. Bis vor einigen Wochen müffelte und feuchtelte der Proben- und Musikstall vor sich hin. Also wurde er kurzerhand trockengelegt und auf Vordermann gebracht. Dann hieß es, all die lieb gewonnenen rund 4000 Vinylschätzchen wieder einzuräumen und mit weiteren Tagen eifrigen Sichtens und Sortierens dem blöden, lästigen Virus ein Schnippchen zu schlagen. Abgesehen von dem Angebot, angesichts einer Kreislerplatte demnächst gemeinsam nach dem Lockdown im Park Tauben vergiften zu gehen, wurden auch andere Genres einer ausführlichen Revision mit nächtlichem Probehören unterzogen, das die Liebste schon manches Mal dazu veranlasste, Ruhe einzufordern und nicht ständig z.B. mit den Urschreien eines nobelpreisdekorierten Barden aus Duluth Minnesota unsanft geweckt zu werden. Gestern dann rettete mir der King of Rock’n Roll das Coronaweihnachtsfest. Für die passende Musik ist nunmehr gesorgt!
„Wie kommen wir nur hier weg. … Haben Sie eine Idee, Mr. Spock? (Raumschiff Enterprise, 1966-1969)
Auch wenn die Raten meiner virtuellen Beratungen, Supervisionen, Fortbildungen und Seminaren in 2020 rapide angestiegen sind – manches lässt sich dann doch nur analog-live – auch so ein neuer Begriff aus 2020 – machen. Selbsterfahrungsseminare zum Beispiel. Das Reisen mit der deutschen Bahn in diesem Jahr hatte einige skurrile und fast beängstigende Momente… Dann, wenn ich morgens zur besten Arbeitszeit den Kölner Hauptbahnhof durchschreite und mir gefühlt 5- 10 Menschen begegnen. Dann, wenn der Zug in Mannheim einfährt und die Bahnsteige wie leergefegt sind oder wenn ich mich alleine in einem ganzen Abteil wiedergefunden habe und das für die Dauer von 3 Stunden (!) und dabei auch noch Maske tragen muss… Das hat was von Matrix, Truman Show und einem (Alp-)Traum zugleich… Da drängt sich die Frage auf: Wo bin ich falsch ein- bzw. ausgestiegen? In welcher Welt befinde ich mich gerade – bzw. in welchem Jahr? Also, was ist real? In welchem Paralleluniversum bin ich gestrandet? Gut, das dieser Zug in Freiburg ankam und ich dort auf echte (?) Menschen getroffen bin – hoffe ich jedenfalls!
(Foto: Cornelia Tsirigotis)
Weihnachtsmarkt 2020 Alle Jahre wieder habe ich den weihnachtlichen Konsumwahn und die Glühweinseligkeit bekrittelt und den Aachener Weihnachtsmarkt, der als einer der schönsten gilt, jedes Jahr vielleicht nur ein bis zweimal besucht. Und nun hat mich der Anblick des Aachener Katschhofes am Samstag vor dem 1. Advent doch sehr betroffen gemacht.
Wien, Mariahilfer Straße, Lockdown „Wo sonst das Leben pulsiert ist es gähnender, gespenstischer Leere gewichen. Das Leben ist auf standby und hofft auf Medizin. Hoffen wir, dass sie das Versprechen halten und das Leben wieder starten kann.“
(Foto: Lisa Reelsen)
Quarantäne in Santiago de Chile nach 8 Jahren in Santiago de Chile, wo ich an der Uni Talca als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache in der deutschen Abteilung im Bereich der Ausbildung von Studierenden zu Erzieher/innen und Lehrer/innen gearbeitet habe, bin ich nun als Beamtin zurück im innerdeutschen Schuldienst in Esslingen gelandet. In Chile lebte ich wochenlang im April/ Mai 2020 in kompletter Quarantäne mit Ausgangssperre (2 x in der Woche durfte man mit polizeilicher Genehmigung zum Einkaufen oder für einen Arztbesuch für 3 Stunden das Haus verlassen.) Das führte unweigerlich zu einem Bewegungsmangel, der mich dazu veranlasste, das Treppenhaus des Hauses mit 15 Stockwerken, in dem ich wohnte, näher bzw. überhaupt das 1. Mal kennenzulernen, indem ich es täglich rauf und runterlief, um nicht einzurosten. Für mich wurde der eigentlich recht trostlose tägliche Blick durch die Bewegung zu einem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Erlebnis. Die Treppenhausläufe haben mich dazu veranlasst, auch heute noch eher wieder Treppen zu laufen als Aufzüge zu benutzen. 🙂
Als Nebeneffekt der unangenehmen Veränderungen habe ich beim ersten Lockdown eine alte Leidenschaft wieder belebt: den Bau von Flaschenschiffen. Nach 40 Jahren Unterbrechung sind sie mir doch ganz gut gelungen, sagen meine Töchter, die sich über ihre Corona-Geschenke gefreut haben. Max Frisch sagt: „Krise ist ein produktiver Zustand – man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
(Foto: Andrea Knittel, Wien)
„Super- ich habe etwas gefunden, was man trotz Lockdown machen kann – von der Wohnung rausfotografieren, wenn man schon nicht rausgehen soll, was mich innerlich total nervt und wütend macht.“
Kindergeburtstag in Coronazeiten „Enkel Bela in Luxemburg wird 5 Jahre alt. Wir, Oma + Opa, wollen gratulieren. Als wir in Luxemburg ankommen, erreicht Belas Vater die Nachricht, dass er positiv auf Corona getestet wurde. Für die Familie wird sofort Quarantäne angeordnet. Wir stehen unten auf der Straße, singen ein Geburtstagslied, legen das Geschenk vor die Eingangstür, damit Bela es sich dort holen kann. Und fahren wehmütig wieder nach Aachen zurück.“
Leere Strände „Es gab leere Strände – sehr ungewöhnlich für Ende Juli. Und reihenweise freie Plätze auf einem in der Regel vollem Campingplatz. Die meisten Menschen waren auch rücksichtsvoller. Eigentlich schön, wenn es nicht so gruselig wäre.“
(Foto: Bernd Schmid)
Mehr Gardasee „Und plötzlich verdüsterte sich der Himmel, beunruhigend und dramatisch schön. Und man wurde wieder mehr Kreatur mit etwas Ehrfurcht und angewiesen auf ein gnädiges Schicksal.“
Corona-K(r)itzeln „Die Kritzeleien sind Anfang April 2020 (in der Zeit des 1. Lockdowns in Österreich) während eines Telefongespräches mit einer Kollegin entstanden. Das Bild drückt die Stimmung in diesem Moment aus: Eine Traurigkeit, ein Warten, ein Vorblättern im Kalender, auf der Suche nach einem veränderten Zustand und Perspektiven, eine Stille im Praxisraum, das Handy und der Bildschirm als neue Arbeitsmittel.“
„Locked in im Lockdown April 2020. Sinnbild tröstender Kopplung in der Koppel.“
(Foto: Regina Riedel)
„Bauhaus-Museum in Dessau. Wenn man genau hinschaut: Mit Maske. Aber auch ohne diese Detail drückt es für mich die soziale Dimension der Krise aus: abgekapselt …“
Der diesjährige Adventskalender besteht vor allem aus Fotos und Bildern, mit denen ihre ProduzentInnen Erfahrungen und Ereignisse zum Ausdruck bringen, die für sie mit der Corona-Pandemie dieses Jahres verbunden sind. Dabei reicht die Spanne von künstlerischen Formen bis hin zu Alltagstrivialitäten, die alle wie kleine Blitzlichter die verschiedensten Facetten dieser Krise ausleuchten können. Ich danke jetzt schon allen Einsendern für ihre Beiträge zum Kalender. Den Anfang macht ein Foto von Andreas Heindl aus Wien.
„Schlechte Zeiten, wenn man selbst beim Wallfahrten in Sankt Corona am Schöpfl (am Fuße der höchsten Erhebung des Wienerwaldes) vor verschlossenen Türen steht und nichts zu essen kriegt.“