systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

16. März 2007
von Tom Levold
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Multidimensional Family Therapy for Adolescent Cannabis Users

Howard Liddle ist Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit und leitet das Zentrum zur Erforschung der Behandlung von Drogenmissbrauch bei Jugendlichen an der medizinischen Fakultät der Universität Miami. Als Psychologe und Familientherapeut ist er ein international anerkannter Experte für Drogenmissbrauch bei Jugendlichen und jugendliche Straftäter. Auf dem EFTA-Kongress 2004 in Berlin hat er seine Arbeit auch in Deutschland vorgestellt. Sein Buch„Multidimensional Family Therapy for Adolescent Cannabis Users“ ist online frei erhältlich. Im Vorwort heißt es:„MDFT is a family-based outpatient treatment developed for clinically referred adolescents with drug and behavioral problems …. The approach strives for consistency and a coherent and logical connection among its theory, principles of intervention, and intervention strategies and methods. The intervention methods derive from target population characteristics, and they are guided by research-based knowledge about dysfunctional and normal adolescent and family development. Interventions work within the multiple ecologies of adolescent development, and they target the processes known to produce and/or maintain drug taking and related problem behaviors. Similar developmental challenges may be common to all adolescents and their families, and these are central assessment and treatment focuses (Liddle & Rowe, 2000). At the same time, considerable variation may be demonstrated in the expression of these generic develop – mental challenges. In MDFT, therapists are sensitive to these individual adolescent and family variations. With each case, therapists seek to understand the unique manifestations of developmental problems“
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15. März 2007
von Tom Levold
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Chromosomen est non omen

„Chromosomen est omen, Name ist Schall und Rauch“ dichtete einst Hans-Dieter Hüsch. In der Systemischen Bibliothek ist nun ein ausgesprochen kenntnisreicher und differenzierter Aufsatz von Andreas Manteufel zu lesen, der dieses Zitat paraphrasiert und das Verhältnis von Psychotherapie zu den neuesten Entwicklungen in der Neurobiologie thematisiert (erstmals wurde er in„systeme“ 2003 veröffentlicht):„Zwei Thesen werden vertreten. Erstens: Trotz unterschiedlicher Tendenzen scheint die Entwicklung in den Neurowissenschaften auf ein synergetisches Modell der Selbstorganisation hinaus zu laufen. Da es bereits ein synergetisches Konzept für die Psychotherapie gibt (Schiepek 1999), ist die Chance für eine Annäherung von Neurowissenschaften und Psychotherapie unter dem Dach der Selbstorganisationsperspektive gegeben. Zweitens: Psychotherapie erhebt, auch als praktische Tätigkeit oder ,Heilkunst‘, Anspruch auf wissenschaftliche Fundierung. An den Entwicklungen der modernen Neurowissenschaften kommt sie daher nicht vorbei. Kritisch nimmt der Aufsatz aber Stellung zu Tendenzen, die einen Hegemonialanspruch der Neurobiologie über die Psychotherapie beanspruchen. Psychotherapie ist keine ,angewandte Neurobiologie‘. Psychotherapie sollte vielmehr gegenüber Krankheitskonzepten, ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen der modernen Neurobiologie eine kritische Funktion bewahren“
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14. März 2007
von Tom Levold
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Verhandlungen des Geschlechts

„Was ist unter »Geschlecht«, »Weiblichkeit« oder »Frau« zu verstehen? Wie kann die Kategorie »die Frau« definiert werden, wenn es die soziale, kulturelle und ethnische Diversität aller Frauen zu bewahren gilt? Und wie soll der für die Geschlechterforschung so grundlegende Begriff des Geschlechts gefaßt werden? Als etwas Körperliches oder Sprachliches? Als eine natürliche, biologische Tatsache oder als eine soziale Größe? Als eine individuelle und subjektive Erfahrung oder als Gegenstand eines allgemeinen objektiven Wissens? Als Thema des statistischen Nachweises einer Ungleichstellung zwischen Frauen und Männern oder als das Ergebnis von gesellschaftlichen Normen, die diese Ungleichheiten über entsprechende rechtliche und ökonomische Verhältnisse erst hervorbringen? Soll das Geschlecht als ein Begehren oder als Trieb verstanden werden, der das Handeln der einzelnen unbewußt bestimmt? Oder einfach als ein strategisches Vorgehen, das im Sinne eines Machtkalküls einer sozialen Gruppe dient? Oder handelt es sich beim Geschlecht um nicht mehr und nicht weniger als um die körperbedingte Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit? Oder ist es doch eher ein kulturelles Phantasma, das unsere Handlungen leitet?“
So beginnt das Vorwort der Herausgeberinnen Eva Waniek und Silvia Stoller in ihrem Sammelband, der die gegenwärtige Entwicklung der Gender Studies in ihrer ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit erörtert. Dabei werden insbesondere Innovationen hinsichtlich der seit Beginn der neunziger Jahre heftig diskutierten Sex-Gender-Unterscheidung in den Mittelpunkt gerückt und Ansätze zur Diskussion gestellt, die über die traditionelle Unterscheidung hinausführen können.
Die Zusammenstellung der Beiträge eröffnet einen interdisziplinären Überblick. Die einzelnen Beiträge stammen aus den Bereichen Politikwissenschaft, Kunsttheorie, Philosophie und feministischer Theorie.
Der Wiener Verlag Turia + Kant, der sich mit einem philosophisch, historisch und kulturtheoretisch inspirierten Programm einen Namen gemacht hat, stellt erfreulicherweise einzelne vergriffene Titel auf seiner Website zum kostenlosen Download zur Verfügung, so auch dieses Buch. Eine schöne Initiative, interessante, aber nicht mehr verfügbare Bücher der Vergessenheit zu entreißen.
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13. März 2007
von Tom Levold
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Der Holocaust im Leben von drei Generationen

Gabriele Rosenthal ist Professorin für„Qualitative Methoden“ an der Universität Göttingen. Sie hat mit einer Forschungsgruppe Fallstudien über Familien sowohl von Shoah-Überlebenden als auch Nazi-Tätern erstellt, die schon vor einiger Zeit im Psychosozial-Verlag erschienen sind. Renate Franke schreibt in ihrer Rezension dazu:„Man muss das Buch einfach lesen! Es gibt jedem der verschiedenen Generationen Anstöße zum Arbeiten mit der Familiengeschichte. Und sofern eine Öffnung für Verarbeitung und Transformation da ist, kann es nur gewinnbringend sein. Sowohl in den Einzel- und Familienschicksalen als auch in den umfassenden und fundierten historischen und psychologischen Zusammenhängen, die wiederum mit den konkreten Falldarstellungen korrespondieren, werden mit der dargestellten adäquaten narrativen Methode nicht nur Informationen, sondern eine realisierte und realisierbare Bewältigungsstrategie aufgezeigt. Wissenschaftlich wird wieder einmal eine uralte Weisheit bewiesen: ,Das Vergessen wollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.'“
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12. März 2007
von Tom Levold
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Familienaufstellungen als kurzzeittherapeutisches Verfahren in der Gruppentherapie

Im Jahr 2004 hielt Oliver König einen Kongress-Vortrag zu diesem Thema, der in dem Kongressband der Herausgeber Bernhard Strauß und Michael Geyer„Psychotherapie in Zeiten der Globalisierung“ 2006 veröffentlicht wurde. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Übersicht über die Aufstellungsarbeit, sondern gleichzeitig um eine Reflexion des Standortes der Psychotherapie als„angewandte Sozialwissenschaft“ sowie um eine Reflexion des Nachdenkes über Psychotherapie schlechthin. Gerade die Entfernung zum psychotherapeutischen Mainstream, die die konzeptuelle wie ökonomische Position von Oliver König auszeichnet, ermöglicht eine kritische Distanz, die leider zunehmend verloren geht. Allein schon deshalb lohnt sich ein ausführliches Zitat aus dem Beginn des Textes, das deutlich macht, dass es hier um noch viel mehr als um Familienaufstellungen geht:„Als Sozialwissenschafter eine reflexive Haltung einzunehmen erfordert ein Wissen darum, ,dass das Besondere seines Standpunktes darin besteht, ein Standpunkt im Hinblick auf einen Standpunkt zu sein‘ (Bourdieu). Die einzige Möglichkeit, die Einschränkungen der Standortgebundenheit unserer Wahrnehmungen und Analysen zu relativieren, besteht daher darin, die Perspektivität des eigenen Standpunktes auszuweisen. Dies ist umso notwendiger, wenn es um ein Thema geht, das so umstritten ist und innerhalb der psychosozialen und therapeutischen Profession derart skandalisiert wurde, wie dies für die Methode der Familienaufstellungen der Fall ist. In meinem Fall ist dieser Standpunkt in mehrerer Hinsicht randständig. Ich arbeite in freier Praxis psychotherapeutisch mit Familienaufstellungen, bin aber in der Perspektive des ,Zentrums‘ kein Psychotherapeut, sondern firmiere unter dem Begriff ,Heilpraktiker‘. Mit ,Zentrum‘ ist in diesem Fall jene hegemoniale Figuration von Institutionen und Personen gemeint, die in der Frage, was Psychotherapie und wer ein Psychotherapeut sei, die Definitionsmacht haben. Von dieser Position am Rande trete ich nicht nur als Vertreter der Arbeit mit Familienaufstellungen auf, sondern zugleich als ihr Kritiker. Da diese Kritik nicht von außen kommt, sondern von jemandem, der die Methode selber praktiziert, kann sie sich nie ganz von dem hegemonialen Beigeschmack befreien, ihrerseits definieren zu wollen, wie man diese Arbeit eigentlich machen müsse. Insofern führe ich vom Rande aus einen hegemonialen Diskurs gegenüber dem Rande. Dabei gerät aus dem Blick, dass die hegemoniale Definitionsmacht hinsichtlich des Feldes der Psychotherapie im Zentrum angesiedelt ist. Ein kritischer Blick auf die Arbeit mit Familienaufstellungen hat nur
dann eine Chance, sich von dieser Einseitigkeit der Kritik zumindest partiell zu befreien, wenn sie die gegenseitige Bezogenheit von Rand und Zentrum im Auge behält. Um dies zu tun, ist wiederum der Rand besser geeignet als das Zentrum, vorausgesetzt natürlich, man schließt sich an diesem Rande nicht einem jener Zirkel an, die sich in ihr Randdasein eingraben und zur Gemeinde werden, wie dies für die Szene um Bert Hellinger herum in der Vergangenheit zu beobachten war. Um in diesem Bild zu bleiben, geht es also um eine doppelte Randständigkeit. Der Preis dafür sind unklare Zugehörigkeiten. Der Vorteil ist jedoch, in dieser Position nicht so schnell von den Denk- und Handlungsselbstverständlichkeiten des beruflichen Feldes aufgesaugt zu werden, dem man angehört. Unterstützt wird dies dadurch, dass ich aus der Soziologie komme und in das berufliche Feld der Psychotherapie vorgedrungen bin, das traditionell von anderen Fächern als ihr Territorium angesehen wird, der Medizin und der Psychologie. Je länger ich mich in diesem Feld bewege, um so mehr wächst in mir die Auffassung, dass der Psychotherapie ein Selbstverständnis gut anstehen würde, sich als Teil der angewandten Sozialwissenschaften zu verstehen, zu der ich auch die Psychologie zählen würde. Als Sozialwissenschaft hat sie sicherlich eine wesentliche Schnittstelle zu den biologischen Wissenschaften vom Menschen, aber eben in dieser Gewichtung und nicht umgekehrt. Solange Psychotherapie „talking cure“ ist und bleibt, ist sie soziales Geschehen und sollte auch als solches analysiert und begründet werden“ Die Lektüre sei dringend empfohlen.
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11. März 2007
von Tom Levold
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Die Kunst des Lächelns

Eva Bänninger-Huber, Psychologie-Professorin in Innsbruck und neue systemagazin-Autorin, befasst sich schon lange mit Mikroanalysen affektiver Kommunikation, die sie auch auf ihre Bedeutung als Wirkfaktor in der therapeutischen Beziehung hin untersucht. In ihrem Beitrag für die Systemische Bibliothek über das Lächeln („Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungsgestaltung“) stellt sie anhand verschiedener Beispiele u.a. auch eigene Forschungsergebnisse zum Thema zusammen und diskutiert die Bedeutung des Lächelns für die Regulation der sozialen Interaktion von Erwachsenen (auch in therapeutischen Prozessen) dar: „Therapeutische Interaktionen können mit Hilfe von Konzepten aus der Emotionsforschung besser verstanden werden. Andererseits ist die therapeutische Interaktion eine günstige Situation, um grundlegende emotionale Prozesse zu erforschen, weil das therapeutische Denken und Handeln sowohl die intrapsychische als auch die interaktive Perspektive kennt und berücksichtigt. Die differenzierte Beschreibung der therapeutischen Interaktion soll nicht nur dabei helfen, dem Therapeuten vertraute Phänomene zu erfassen, sondern darüber hinaus neue Zusammenhänge zu finden und dadurch das „therapeutische Auge“ weiter zu schärfen. Erst wenn besser verstanden wird, wie und mit welchen Mitteln eine therapeutische Interaktion von den beiden Beteiligten – intendierterweise oder nicht – gestaltet wird, können Aussagen darüber gemacht werden, worin die Wirksamkeit psychotherapeutischen Handelns begründet ist“
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10. März 2007
von Tom Levold
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Bateson, Mead und die Macy-Conferences

Gregory Bateson und Margaret Mead trafen sich 1932 in Neu-Guinea, wo sie beide ethnologische Feldforschungen durchführten. Sie heirateten 1936, bekamen 1939 eine gemeinsame Tochter, Mary Catherine Bateson, trennten sich aber später. Dies hielt sich nicht ab, bis zum Ende ihres Lebens miteinander freundschaftlich verbunden zu bleiben. Beide waren an der Entwicklung und Durchführung der berühmten Macy Conferences in den Jahren 1947-1953 beteiligt, die zum wissenschaftlichen Durchbruch der Kybernetik wesentlich beigetragen haben und zu der Heinz von Foerster später als Sekretär und Organisator hinzustieß. Stewart Brand führte 1976 für die Zeitschrift„CoEvolutionary Quarterly“ ein Interview mit Margaret Mead und Gregory Bateson über die Initialphase der Macy-Konferenzen durch. Zu diesem Zeitpunkt war Mead 75, Bateson 72. Es offenbart nicht nur ungewöhnliche Einblicke in die Aufbruchstimmung der damaligen Jahre, sondern auch in eine auch zum damaligen Zeitpunkt immer noch lebendige, widerspruchsfreudige und anregende Beziehung zweier außergewöhnlicher Persönlichkeiten.
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9. März 2007
von Tom Levold
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Ein sozialkonstruktionistischer Ansatz in der Arbeit mit Alleinerziehenden

Joan D. Atwood, Direktorin des„Graduate Programs in Marriage and Family Therapy“ an der Hofstra University in Hempstead, New York, und Autorin zahlreicher familientherapeutischer Veröffentlichungen und Arbeiten zur Script-Theorie, setzt sich mit einem Beitrag mit der Therapie von Ein-Eltern-Familien aus sozialkonstruktionistischer Perspekte auseinander, die aus ihrer Sicht die jeweils einseitigen normativen Ansätze traditioneller Therapierichtungen einerseits (die sich auf„normale Familienmodelle“ beziehen) und des lösungsorientierten Ansatzes andererseits transzendiert, der die Ressourcen zu Lasten der Probleme betont, die die Klienten überhaupt erst in Therapie gebracht haben:„Traditional models of therapy, based on modernist assumptions, embrace a position of certainty in that there is a model of normalcy, to which the therapist then compares the person/family in therapy. In so doing, s/he focuses on how different the family is from the norm, i.e. deficit focus, and decides which interventions are needed to bring the family closer to the norm. Solution focused therapy, although accepting of post-modernist assumptions, in many ways is a therapy of certainty in that there is a focus on the competencies, resources, and strengths to the exclusion in some cases of the reason why the person/family came to therapy in the first place. As such, both models represent a one sided view of the phenomena they study. Although there is much overlap, it is the contention of this paper to state that these models- the traditional psychotherapies and the solution focused therapies- operate from a position of certainty and thus are representative of an either/or perspective in that they tend to leave out the other half of the picture. This paper presents a six stage social constructionist therapeutic model which takes into account both the trauma/problem and its effects and the competencies and the strengths of the clients, assisting the client to expand their reality rather than assisting them to replace their problem reality with the flip side-the competencies and strengths. The model is then explored and applied to the single parent household“
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8. März 2007
von Tom Levold
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Respektspersonen

Das Wort Respekt hat bei aller mitschwingenden Ambivalenz ungebrochene Hochkonjunktur, sei es im öffentlichen Leben, in der Jugendszene oder der bei der Mafia. Womöglich handelt es sich hier mittlerweile um ein leeres Konzept, das immer weniger in der Lage ist, in sozialen Zusammenhängen Verbindung zu stiften. Zumindest scheint die personale Attribuierung auf Respektspersonen nicht mehr so einfach möglich zu sein. Hartwig Hansen beklagt jedenfalls in seiner Glosse das Verschwinden von Respektpersonen in der Öffentlichkeit:„Irgendwann und irgendwie hat das aufgehört mit den ,Respektspersonen‘. Nach meinem Eindruck hielten sich die Medien ehedem noch eher an die gemeinsame Etikette, Politiker und Prominente nicht bloßzustellen. Heute in Zeiten des Auflagen- und Quotenkrieges und der ,Jedermann-Paparazzi‘ scheint die ,Richter-Skala‘ des Respekts nach oben offen zu sein – oder sagen wir lieber nach unten“
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7. März 2007
von Tom Levold
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Der französische Soziologe Jean Baudrillard ist gestorben

„Als der amerikanische Physiker Alan Sokal 1996 mit einer fulminanten Wissenschaftsparodie Sprache und Metaphorik der modernen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften aufs Korn nahm (ihr folgte 1998 das mit Jean Bricmont verfasste Pamphlet «Fashionable Nonsense»), stand Jean Baudrillard in der ersten Reihe der zum Abschuss freigegebenen Denker. Er fand sich dabei in prominenter Gesellschaft. Gemeinsam etwa mit François Lyotard, Gilles Deleuze oder Jacques Derrida galt er dem New Yorker Professor als einer jener ganz speziellen «french intellectuals», die angeblich ausser heisser Luft und gehörig viel Metaphernstaub nicht viel bewegen“ So beginnt ein schöner Nachruf auf Jean Baudrillard (Foto: Wikipedia), der heute in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist. Ein Interview mit Baudrillard, der im Alter von 77 Jahren in Paris starb, ist am 24.11.2005 in der Süddeutschen Zeitung erschienen („Kein Mensch braucht französische Theorien“). Und wer Baudrillard zum Abschied im Original lesen möchte, findet hier einen Link zu seinem Text über Madonna: The Madonna Deconnection

7. März 2007
von Tom Levold
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Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann

Keine leichte Kost auch für Luhmann-Fans, aber lohnende Lektüre für alle, die sich für die Bedeutung des Sinnbegriffs und seine Verwendung im Werk von Niklas Luhmann interessieren. Thomas Krumm schreibt in seiner Kritik: „Schützeichel unternimmt in seiner akribischen Rekonstruktion der Luhmann’schen Systemtheorie als Sinntheorie nun keinen strukturgenetischen Rekonstruktionsversuch des Sinnbegriffs, sondern er rekonstruiert theorieimmanent. Der Vorteil einer solchen kohärenztheoretischen Methode liege in der Betonung des Netzwerkcharakters von Theorien, in der Verknüpfung theoretischer Fragen mit methodologischen und explanativen Fragen. … Schützeichels kohärenztheoretischer Rekonstruktionsversuch argumentiert mit Luhmann gegen Luhmann, er versucht, die Systemtheorie gegen sich selbst auszuspielen. In dieser Vorgehensweise liegt sowohl die Stärke wie auch die Schwäche des Unternehmens. Einerseits gelingt es ihm auf diese Weise, Brüche in der Architektur der Theorie sichtbar zu machen, andererseits bleibt er zu sehr jenem Ausdrucksstil verhaftet, der so typisch für systemtheoretisches Argumentieren ist: eine Art hermetischer Abkapselung bzw. Segmentierung der Theorie, eine narzisstische Selbstbeobachtung bis hin zur Selbstverfangenheit ist die Folge. Man hat trotz der kritischen Einwände Schützeichels den Eindruck, dass externe Vergleiche der Theorie vernachlässigt werden, um interne Konsistenzansprüche erhöhen zu können“
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6. März 2007
von Tom Levold
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Planet der Slums


So heißt ein Buch des amerikanischen Sozialhistorikers Mike Davis, das im Februar im Verlag Assoziation A erschienen ist und eine„Kopernikanische Wende“ der menschlichen Siedlungsgeschichte konstatiert.„Denn nie zuvor überstieg der Anteil der Stadtbevölkerung den Anteil der auf dem Land Wohnenden und nie zuvor sah sich eine ungeheure Anzahl von über einer Milliarde Menschen gezwungen, ihr Überleben in Armut, im Schmutz der Müllhalden, ohne (sauberes) Wasser, ohne Toiletten, ohne irgendeine Art der Gesundheits- oder Sozialversorgung zu organisieren. Die Megaslums des ‚Südens‘ sind Ausdruck einer im höchsten Maße ungleichen und instabilen urbanen Welt. Hier treffen die sozialen Fronten der Globalisierung in radikaler Weise aufeinander“
Telepolis bringt ein aufschlussreiches und ausführliches Interview mit dem Autor:„Es ist schon erstaunlich, dass die klassische Gesellschaftstheorie, ob nun Marx, Weber oder gar die Modernisierungstheorie des Kalten Krieges, nicht antizipiert hat, was mit der Stadt in den letzten 30 oder 40 Jahren passiert ist. Niemand hat die Entstehung einer riesigen Klasse vorhergesehen, die hauptsächlich aus jungen Menschen besteht, die in Städten leben, keine formelle Verbindung zur Weltwirtschaft haben und auch chancenlos sind, jemals eine zu bekommen. Diese informelle Arbeiterklasse ist nicht das Marxsche Lumpenproletariat, und sie ist nicht der„Slum der Hoffnung“, wie man ihn sich vor 20 oder 30 Jahren vorgestellt hat – voller Menschen, die schließlich in die formelle Ökonomie aufsteigen werden. Diese an die Ränder der Städte verbannte, informelle globale Arbeiterklasse hat normalerweise wenig Zugang zur traditionellen Kultur der Städte, und sie stellt eine beispiellose Entwicklung dar, die in der Theorie nicht vorhergesehen wurde. … Nach der konservativen Rechnung des Berichtes leben gegenwärtig eine Milliarde Menschen in Slums und mehr als eine Milliarde kämpfen als informelle Arbeiter um ihr Überleben. Diese mögen Straßenhändler, Tagelöhner, Kindermädchen, Prostituierte oder gar Menschen sein, die ihre Organe für Transplantationen verkaufen. Die Zahlen sind erschreckend, zumal erst unsere Kinder und Enkel die größte Bevölkerungszahl der Menschheit erleben werden. (…) 95 Prozent dieses Wachstums wird in den Städten des Südens stattfinden. … Die klassische Urbanisierung nach dem Muster von Manchester, Chicago, Berlin oder Petersburg findet man heute noch in China und an einigen wenigen anderen Orten. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die städtische industrielle Revolution in China ähnliche Entwicklungen andernorts ausschließt, denn sie saugt alle Produktionskapazitäten für Konsumgüter – und zunehmend alles andere – auf. Aber in China und ein paar angrenzenden Ökonomien ist noch städtisches Wachstum zu beobachten, das von einem Prozess der Industrialisierung angetrieben wird. Überall sonst wachsen Städte weitgehend ohne Industrialisierung, oftmals sogar, was noch erschreckender ist, ohne jegliche Entwicklung. Überdies haben Städte wie Johannesburg, Sao Paulo, Mumbai, Belo Horizonte oder Buenos Aires, vormals die großen Industriestädte des Südens, in den letzten 20 Jahren eine massive Deindustrialisierung erlitten“
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6. März 2007
von Tom Levold
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Orientierungsqualität als Maßstab bei der Evaluierung sozialer Einrichtungen

Johannes Ewald Brunner betont in einem Beitrag für„System Familie“ aus dem Jahre 1999 den Vorrang von Selbstevaluation sozialer Einrichtungen gegenüber Fremdevaluationen und schlägt den Begriff einer„Orientierungsqualität“ als Ergänzung zu den vorfindlichen Kategorien von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vor:„Die Fähigkeit einer sozialen Einrichtung, sich des eigenen Handelns bewusst zu sein und die eigenen Aktivitäten zu reflektieren, bezeichne ich summarisch mit dem Begriff ‚Orientierungsqualität.‘ Neben den vielzitierten Kategorien der ‚Strukturqualität‘, ‚Prozeßqualität‘ und ‚Ergebnisqualität‘ halte ich die Kategorie ‚Orientierungsqualität‘ für zentral. Die Qualität einer sozialen Einrichtung ist daran festzumachen, welche Reflexionskultur sie aufweist“
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