systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

27. Oktober 2007
von Tom Levold
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Lernen als Konstruktion von Wirklichkeiten

Wenn der Prozess des Lernens als Prozess der Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeiten verstanden wird, ist er natürlich ein interessanter Gegenstand von konstruktivistischer Erziehung und Erwachsenenbildung. Horst Siebert, Literaturwissenschaftler, Altphilologe und Philosoph, Professor für Erziehungswissenschaften und seit 2002 auch als Professor in Rumänien tätig, hat 2004 für das überwiegend englischsprachige Journal of Social Science Education JSSE einen (deutschsprachigen) Beitrag zu diesem Thema geschrieben und resümiert folgendes:„Eine konstruktivistisch inspirierte Didaktik der sozialwissenschaftlichen und politischen Bildung ist – insbesondere in der Erwachsenenbildung – anschlussfähig an Konzepte des erfahrungsorientierten, lebensweltlichen Lernens, des biografischen Lernens und an den Deutungsmusteransatz. Eine konstruktivistische Didaktik vernachlässigt die Wissensaneignung nicht – wie gelegentlich vermutet wird – , aber Wissen ist eine kognitive, konstruktive Aneignung von Wirklichkeit und wird mit Begriffen wie ,Gewissheit‘, ,Bewusstsein‘ und ,Gewissen‘ verknüpft. Die konstruktivistische Didaktik distanziert sich von einer normativen Pädagogik, die gleichsam stellvertretend für die Lernenden verbindliche Norm- und Wertentscheidungen trifft. Allerdings sind normative Fragen einer zukunftsfähigen, sinnvollen, sozial- und umweltverträglichen Wirklichkeit durchaus zentrale Themen einer konstruktivistischen Pädagogik. Das konstruktivistische Konzept setzt den argumentativen Diskurs, die rationale Konsensfindung, die empirisch gesicherten Erkenntnisse keineswegs außer Kraft und leistet keiner moralischen oder politischen Beliebigkeit Vorschub, es akzeptiert jedoch die Vielfalt der Wirklichkeitsdeutungen und Beobachtungsperspektiven und betont die ,Differenzerfahrungen’“.
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26. Oktober 2007
von Tom Levold
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Arbeitskampf eskaliert – Autos werden teurer

Der Arbeitskampf zwischen der Deutschen Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat neue Dimensionen erreicht. Nachdem der Antritt einer Kur durch den Lokomotivführerführer Manfred Schnell in der vergangenen Woche seitens der Medien fälschlicherweise als privatistischer Eskapismus attackiert wurde, zeigt sich jetzt, dass es sich in Wirklichkeit um die Einleitung eines folgenreichen strategischen Schachzuges der GDL gehandelt hat. Gestern abend traten nämlich auch alle anderen Mitglieder der GDL eine Kur an und stehen für die kommenden Wochen nicht mehr für den regulären Einsatz im Fahrplan der Bahn zur Verfügung, ohne dabei die Streikkasse der Gewerkschaft zu belasten. Nachdem diese Nachricht in der Öffentlichkeit durchsickerte, schnellten die Preise für Gebrauchtwagen sprungartig in die Höhe. So wurde in Köln schon gestern nachmittag auf dem Schwarzmarkt für einen fast zehn Jahre alten Gebrauchtwagen fast das Doppelte des Anschaffungspreises gezahlt (s. Foto, klicken für Großansicht). Gerüchte, dass es sich beim Käufer um Hartmut Mehdorn gehandelt habe, wurden vom Vorstand der Deutschen Bahn AG umgehend dementiert. Der Kölner Kardinal Meisner kritisierte die Aktion der Lokomotivführer scharf:„Dort, wo die Zugführung von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Fahrplan im Ritualismus und die Reisekultur entartet. Sie verliert ihre Anhänger“.

24. Oktober 2007
von Tom Levold
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Die Wirksamkeit des Unsichtbaren. Konstruktion von Geschlecht in systemischen Paartherapien

Sabine Kirschenhofer und Verena Kuttenreiter, Sozialwissenschaftlerinnen und Therapeutinnen am Institut für Ehe- und Familientherapie in der Praterstraße in Wien und im Dozentenstab der ÖAS, sind zwei systemisch wie feministisch überaus versierte und belesene Kolleginnen. Im Eigenverlag hat das IEF nun ihre empirische Untersuchung über die Frage herausgebracht, in welcher Weise das soziale Geschlecht im paartherapeutischen Gespräch nicht nur sich bemerkbar macht, sondern im Zusammenspiel von (geschlechtsgemischten) Therapeutenpaaren und Klientenpaaren auf je individuelle und doch typische Weise geradezu erst hervorgebracht wird. Den Autorinnen gelingt es auf eindrucksvolle Weise, anhand weniger – für diese Veröffentlichung ausgewählter – Passagen erkennbar zu machen, wie produktiv eine mikroanalytische Studie von geschlechtsspezifischen Verhaltens- und Kommunikationsmustern für PaartherapeutInnen sein kann. Immerhin lässt sich erwarten, dass „doing gender“ in Paartherapien ein hochrelevantes Thema darstellt. Es geht dabei aber nicht um Therapeutenschelte, vielmehr wird deutlich, dass das „doing gender“ eine Gemeinschaftsleistung aller am Gespräch Beteiligten darstellt und keineswegs durch eine normative Orientierung („do not gender!“) aufgehoben werden kann. Da die Autorinnen selbst Therapeutinnen sind, berücksichtigen sie ebenfalls, dass viele Interventionen therapeutisch durchaus effektiv und daher legitim sein können, obwohl sie gleichzeitig Geschlechtskonstruktionen verfestigen, an deren Auflösung man womöglich interessiert ist. Die Emanzipation von solchen Konstrukten ist also für sich allein noch längst nicht therapeutisch, der Geschlechterdiskurs und der therapeutische Diskurs gehen nicht ineinander auf, es gibt aber relevante Schnittmengen. Das Buch bietet vor diesem Hintergrund eine hervorragende Einladung an alle TherapeutInnen, sich mit ihren eigenen Beiträgen zur Aufrechterhaltung von Geschlechterkonstruktionen auseinanderzusetzen, gerade auch da, wo sie sich durchaus selbst als effektiv, allparteilich und empathisch erleben und die entsprechende positive Rückmeldung seitens ihrer Klienten erhalten.
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23. Oktober 2007
von Tom Levold
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Mit dem Familienbrett bei den Mapuches

Ende der 80er Jahre reiste Kurt Ludewig nach 24jähriger Abwesenheit erstmals wieder in sein Geburtsland Chile – unter dem Arm das von ihm mitentwickelte Familienbrett. Damit besuchte er Familien der Mapuche, ursprünglich halbnomadische„natives“ in Chile, die zuerst Opfer des Inka-, später des spanischen Imperialismus wurden. Ludewig hat darüber einen spannenden Bericht angefertigt, der 1989 in der Familiendynamik erschien und auch heute noch absolut lesenswert ist. Er ist jetzt in der Systemischen Bibliothek des systemagazin zu finden. In seinem Resümee schreibt er:„Dieser kleine Bericht eines Amateur-Anthropologen beansprucht gewiss nicht, weitragende Erkenntnisse über die familiäre Struktur eines der unbekanntesten Völker Amerikas herbeizuführen. Mich hat jedoch meine Exkursion in eine so andersartige Welt in vielerlei Hinsicht nachdenklich gestimmt. Zum einen führte sie mich persönlich in eine sehr gegenwärtige Vergangenheit, in der die Dinge noch so sind, wie sie sind, in der die Bedeutung z.B. der Familie sich nicht aus wie auch immer verankerten soziologischen Erklärungen wie Funktion, Sinn oder Zweck speist. Bei den Mapuche beinhaltet Familie offenbar den nicht hinterfragten Mittelpunkt des Lebens als Teil der Natur und so auch einer natürlich erlebten Kosmovision. Zum anderen lernte ich von diesen Menschen, dass ‚ökologische Bescheidenheit‘, d.h. das Eins-Sein mit den Seinen und der Welt, in der Tat an eine Einfachheit des Seins gebunden ist, welche uns anderen nach dem Biss in die Frucht vom ‚Baum der Erkenntnis‘ wohl unwiederbringlich abhanden gekommen ist. Ich war gewissermaßen zu Besuch im Paradies, durfte den Duft der Einfachheit spüren und musste im Anschluss in den stinkenden Jeep einsteigen, der mich in meine Welt zurucksperrte. Und ich hatte dazu keine echte Alternative“
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22. Oktober 2007
von Tom Levold
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Familiendynamik 4/2007: Paare und anderes

„Therapeutische Konzepte reagieren immer auch auf Einflüsterungen des Zeitgeists. Das gilt besonders für Paartherapien. Und für unsere Haltungen demgegenüber, was die Klientenpaare uns anbieten. Auch wenn wir uns mit methodischer Neutralität aus Partnerkonflikten heraushalten, sind wir inhaltlich parteiisch und alles andere als neutral. Stets auf der Seite der Aufklärung, treten wir Therapeuten meist für Veränderung und gegen Stagnation, für Autonomie und gegen das Anklammern, für Geschlechtergleichwertigkeit und gegen patriarchale Werte, für guten Sex und gegen die erotische Langeweile ein. Und wie steht es mit den Einstellungen zu außerpartnerschaftlichen Beziehungen? Affären haben Konjunktur. Die hatten sie eigentlich immer schon. Aber ob sie immer noch den zwingenden Charakter des Betrugs zugeschrieben bekommen, ist nicht mehr so klar“, schreibt Herausgeber Ulrich Clement in seinem letzten Editorial für die„Familiendynamik“. Er gibt seine Herausgeberschaft 2008 an Ulrike Borst und Arist von Schlippe weiter. Im Mittelpunkt des aktuellen Heftes steht ein Aufsatz von Michele Scheinkman, der im englischen Original 2005 in„Family Process“ erschien, und einen„neuen Blick auf Affären in der Paartherapie“ wirft. Eine zweite Arbeit zum Paartherapiethema steuert Halko Weiss bei. Eine Gemeinschaftsarbeit von Björn Grebe, Elisabeth Nicolai, Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer zeigt nüchtern auf, wie schwer es ist, systemisches Know-how in psychiatrischen Kliniken trotz Trainings nachhaltig zu verankern. Und schließlich fordert Kurt Buchinger in einem Text über Systemische Supervision die Schulenunabhängigkeit von Supervision, wenngleich er beim Systemischen Ansatz viele Essentials ausmacht, die für Supervision maßgeblich sein sollten. Abgeschlossen wird das Heft von einem Nachruf von Fritz B. Simon auf Paul Watzlawick.

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21. Oktober 2007
von Tom Levold
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Wilhelm Rotthaus übergibt DGSF-Vorsitz an Jochen Schweitzer auf der Jahrestagung 2007

Die diesjährige Jahrestagung der DGSF in Neu-Ulm stand im Zeichen von Neuwahlen des Vorstandes, nachdem die langjährigen Vorstandsmitglieder Friedebert Kröger und Wilhelm Rotthaus, der als Vorsitzender den Verbandes souverän und stilvoll sieben Jahre führte und präsentierte, ihre Vorstandsstätigkeit beendet hatten. Neuer Vorsitzender wurde Jochen Schweitzer aus Heidelberg, der als Lehrtherapeut des Helm-Stierlin-Institutes auch der Systemischen Gesellschaft angehört, Susanne Altmeyer aus Aachen wurde neue Schatzmeisterin. Man darf gespannt sein, wie sich die breite Kooperation der beiden Verbände zukünftig entwickeln wird.
systemagazin präsentiert einen Tagungsbericht von Björn Enno Hermans, der einen Eindruck von der inhaltlichen Vielfalt der Veranstaltung bietet. Sozialer Höhepunkt der Tagung war zweifellos die Verabschiedung von Wilhelm Rotthaus und Friedebert Kröger, denen die Ausrichter der Tagung im Rahmen des Tagungsfestes ein wunderbares Feuerwerk organisiert hatten (s. Foto und Bericht).
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19. Oktober 2007
von Tom Levold
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Systemische Praxis in der Schule

„Die Erfahrung zeigt, dass eine neue und gute Idee von ihrer Entwicklung und ihrer Anwendung in der klinischen und der Organisationspsychologie bis zu ihrer Berücksichtigung in der (Schul-)Pädagogik immer cirka 30 Jahre braucht. So war es beim nicht-direktiven Ansatz von Carl Rogers und so war es auch bei der lerntheoretisch begründeten Verhaltensmodifikation. Wenn wir die Veröffentlichung von ‚Paradoxon und Gegenparadoxon‘ als systemischen Startschuss akzeptieren, dann ist diese Wartezeit für den systemischen Ansatz jetzt vorbei und es kann endlich losgehen“, formuliert Gastherausgeber Winfried Palmowski optimistisch in der neuen Ausgabe der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung und versammelt einige interessante theoretische und praktische Beiträge zur Implementation systemischer Konzepte in den Alltag von Schule und Lehrerausbildung, die den Startschuss dokumentieren sollen.
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18. Oktober 2007
von Tom Levold
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Meisner: Issschwein statt Isslamm

Zum Abschluss der Internationalen Ernährungsmesse ANUGA in Kön, die von Joachim Kardinal Meisner (Foto: Arbeiterfotografie) gestern als festliches Hochamt zelebriert wurde, rief das Oberhaupt der Diözese Köln alle Gläubigen auf, ab sofort auf den Verzehr von Lammfleisch zu verzichten. Das Lamm stelle zwar seit ältester Zeit ein Symbol für Jesus Christus dar, der sich für die Sünden der Menschen Gott geopfert habe und insofern habe der rituelle Verzehr von Lammfleisch immer auch eine besondere Nähe zu diesem Opfer bedeutet. Diese Bedeutung werde jedoch durch den Isslamm als einzige Religion, die ihren Namen einer bloßen Speisevorschrift verdanke, pervertiert:„Dort, wo die Esskultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im kulinarischen Ritualismus und die Esskultur entartet. Sie verliert ihre Mitte und muss ausgeschwitzt werden“, betonte der Kardinal. Dem Isslammismus in allen seinen Erscheinungsformen müsse nun endlich die Stirn geboten werden. Darum sei es eine Pflicht aller gläubigen Christen, auf den Verzehr von Schweinefleisch umzustellen. Zwar könne er verstehen, dass einigen fehlgeleiteten Menschen immer noch bei„gefüllter Lammschulter an Zitronen-Kapern-Jus“ oder„Lamm-Madaillons auf Bärlauch-Schaum“ das Wasser im Munde zusammenliefe, aber wahres Christentum bedeute eben auch Opferbereitschaft, da müsse man auch mal mit Leberkäse oder Weißwurst Vorlieb nehmen. Er wies darauf hin, dass Papst Benedikt immerhin mit dieser Ernährung zu dem werden konnte, was er nun sei. Im Domradio verteidigte der Kardinal später seine Wortwahl: Er habe mit der Aussage lediglich deutlich machen wollen:„Wenn man Kochkunst und Kultur auseinanderbringt, dann leidet beides Schaden. Das war die schlichte Aussage dieser Passage“ Und sein Sprecher Stephan Schmidt interpretierte die Äußerung am Abend wie folgt: Meisner lasse keineswegs alte Ideologien zu neuer Ehre kommen. Das Wort„entartet“ habe er als rhetorisches Mittel verwendet, um die Ideologen des 20. Jahrhunderts mit ihren eigenen Begriffen zu schlagen. Der Erzbischof habe in seiner Predigt bewusst Bezug auf die grausamen kulinarischen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts genommen, betonte der Sprecher. Damit habe er verdeutlichen wollen, was in einer Gesellschaft passiere, die Gott vergesse.„Der Erzbischof will gerade nicht den Ideologen des 20. Jahrhunderts die Deutungshoheit über das, was Esskultur ist, überlassen“, sagte Schmidt.

17. Oktober 2007
von Tom Levold
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Gesundheitscoaching

Die allerorten beschriebenen dramatischen Veränderungen des Arbeitslebens in Unternehmen und anderen Organisationen haben nicht nur soziale und psychische Folgen, sondern wirken als Stressfaktoren auch direkt auf das körperliche Wohlergehen der Arbeitenden ein. Insofern wird Gesundheit bzw. ihre Förderung zunehmend zum Gegenstand von Beratungs- und Personalentwicklungsprozessen, dessen Bedeutung für die Zukunft gegenwärtig wohl erst in Ansätzen erkannt wird. Ein Pionier des Gesundheitscoachings ist Matthias Lauterbach, der als Arzt und systemischer Organisationsberater eine kompetente Doppelperspektive auf diese Thematik zur Verfügung hat und mit seinen Arbeiten zum Gesundheitscoaching derzeit auf große Resonanz stößt. In ihrer Rezension seines Buches über Gesundheitscoaching („Strategien und Methoden für Fitness und Lebensbalance im Beruf“) hält Ursel Winkler fest:„In dem vorliegenden, äußerst empfehlenswerten Buch entwickelt der Autor für die Initiierung und Begleitung dieses Prozesses ein fundiertes und in allen Punkten überzeugendes Konzept. Neben Grundlagen systemischen Coachings werden auch spezifische gesundheitsorientierte Ansätze integriert, die die Salutogenese, die Resilienz sowie die Lebensbalance bzw. „Work-Life-Balance“ in den Blick nehmen. Zentrale Positionsbestimmungen wie gesundheitsorientierter Führungsstil, gesundheitsorientierte Arbeitsorganisationen und betriebliches Gesundheitsmanagement werden nicht wie in zahlreichen oberflächlichen Ratgebern als gehaltlose Schlagworte abgehandelt, sondern mit Inhalt gefüllt und im Rahmen des Konzeptes im ersten Teil des Buches theoretisch hergeleitet und schlüssig begründet“
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16. Oktober 2007
von Tom Levold
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Forschen oder Lehren?

Während alle Welt die Zukunft der deutschen Universität im Bemühen um die Erlangung von Fördermitteln im Rahmen der„Exzellenzinitiative“ sieht und gleichzeitig die Mehrzahl der Universitäten sich mit der Umstellung auf Bachelor- und Mastersabschlüsse herumschlägt, frohlockte Dirk Baecker am vergangenen Samstag in der TAZ über die Gewinne, die bei diesem Prozess für die Universität als solche herausspringen könnten – nämlich die versteckte Aufwertung der Lehre:„Im Kern der ,Institution‘ Universität steht von Anfang an und bis heute die Idee einer Wissenschaft, die von der Notwendigkeit und Attraktivität der Lehre lebendig gehalten wird. Der Gang der Wissenschaft, so Wilhelm von Humboldts Argument für die Universität, also die Lehre, und gegen die Akademie, also die Versammlung der Gelehrten, sei unter kräftigen, rüstigen und jugendlichen Köpfen rascher und lebendiger. Deswegen ist die Universität bis heute und damit gegen das Interesse von Hochschullehrern, die sich ihre Reputationsgewinne aus ihren Forschungsbeiträgen versprechen, von der Lehre her zu denken. Die Universität ist primär nicht eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung, sondern eine Sozialisationsagentur für die Heranführung des Nachwuchses an die komplexeren Fragen von Welt, Leben und Gesellschaft. Wissenschaftliche Forschung ist innerhalb der Universität, worin auch immer ihre eigenen Ziele bestehen, auf ihren Beitrag zu dieser Art von Lehre zu befragen“ Es geht dabei um nichts anderes als die methodische, theoretische und praktische Neubestimmung des Verhältnisses von Wissen und Nicht-Wissen:„Dafür braucht man den Dreischritt von Methode, Theorie und Praxis, nämlich (a) die Fähigkeit, zwischen Situationen, in denen man sich festgefahren hat, von Situationen zu unterscheiden, in denen man noch weiterkommt (,Methode‘), (b) die Fähigkeit, ein Problem nicht nur zu erkennen und gegebenenfalls zu lösen, sondern überhaupt erst einmal als ein solches zu formulieren, darzustellen und einer möglichen Lösung zuzuführen (,Theorie‘), und (c) die Fähigkeit, mit der Erfahrung umzugehen, dass Situationen von den Teilnehmern unterschiedlich definiert werden und noch lange nicht jede gelungene Problemdefinition auch begrüßt wird (,Praxis‘). Das Steckenbleiben kann den Verhältnissen, den Dingen, wie sie sind, und den Herren, wie sie herrschen, willkommener sein als das Weiterkommen; und die Problemstellung (bestenfalls auch nur eine Problemverschiebung) tritt jenen auf die Füße, die ihr Auskommen mit der bisherigen Problemvermeidung oder Problemlösung hatten. Deswegen macht es immer wieder Sinn, daran zu erinnern, dass praxis für die alten Griechen jede Tätigkeit war, die sich selbst genügt. Wollte man darüber hinaus etwas bewirken oder herstellen, sprach man von poiesis. Das ist die Herausforderung, der sich die nächste, die kleine, die dichte, die vernetzte Universität stellt: Sie bemisst die methodischen und die theoretischen Kompetenzen, die sie nur vermittelt, indem sie sie laufend erprobt, an einer Praxis, von der man weiß, dass sie sich selbst genügt, indem sie ihre eigenen Motive, Werte und Ziele hat und selbst dann auf Kontinuität hinaus will, wenn sie die Diskontinuität, den dauernden Wandel predigt“
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15. Oktober 2007
von Tom Levold
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Foucault und White

Heute wäre Michel Foucault 81 Jahre alt geworden. Michael White aus Australien hat seine therapeutischen Bemühungen ganz explizit in einen Foucaultschen Begründungszusammenhang gestellt – und ist dafür auch ziemlich kritisiert worden. Fred Redekop hat in einem Aufsatz im„Journal of Marital and Family“ aus dem Jahre 1995 diese Debatte skizziert und stellt sich auf die Seite Whites. „White and Epston’s (1990) use of Foucault has been characterized as ’skewed‘ and ‚dubious‘, a characterization which I have argued is unjust; White in particular has developed Foucault’s problematizing practices to a high degree in his work. Rather than Foucault and White having ’nothing in common but their first names‘, it seems more accurate to say that White has closely followed a number of Foucault’s tactics, such as questioning the local use of power, examining the relationship of story to discourse, and raising the question of one’s position in a discipline, all tactics which make use of problematization“Der Artikel ist im Volltext auch im Netz zu finden.
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14. Oktober 2007
von Tom Levold
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Thomas Luckmann 80!

Heute feiert Thomas Luckmann, Wissenssoziologe und bis zu seiner Emeritierung Professor an der Universität Konstanz, seinen 80sten Geburtstag. Er wurde am 14. Oktober 1927 in Slowenien geboren. 1966 erschien sein wohl bekanntestes Werk, das er gemeinsam mit dem österreichisch/amerikanischen Soziologen Peter Berger verfasste:„Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Dieses Buch wurde für die Schule des sozialen Konstruktionismus zu einem bedeutenden Referenzwerk. 1982 folgte„Strukturen der Lebenswelt“, zusammen mit Alfred Schütz verfasst. Luckmann hat mit seinem Werk wesentlich zu einer Neubegründung der Wissenssoziologie beigetragen und mit seiner phänomenologisch orientierten konstruktivistischen Soziologie die Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Disziplin nachhaltig beeinflusst. Herzlichen Glückwunsch!

14. Oktober 2007
von Tom Levold
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Felerkultuhr

Das aktuelle Heft von OSC widmet sich dem Thema der„Fehlerkultur“. Herausgeberin Astrid Schreyögg schreibt in ihrem Editorial dazu:„Der Begriff ,Fehlerkultur‘, der Nähe zu dem der Organisationskultur aufweist, bezeichnet letztlich die Art und Weise, wie in einem System Fehler betrachtet werden: Sieht man sie als Desaster, das einfach nicht passieren darf, das mit Verachtung usw. geahndet werden muss, dann besteht bei den Mitarbeitern mit größter Wahrscheinlichkeit die Neigung, Fehler zu verleugnen oder zu vertuschen. Das aber führt dazu, dass aus Fehlern nie gelernt werden kann, und dann treten sie umso häufiger auf. Wo Menschen tätig sind, besteht aber immer die Möglichkeit, Fehler zu machen. Und mit diesen sollte möglichst realistisch und sorgfältig umgangen werden. Das also ist die zentrale Botschaft aller Beiträge zur Fehlerkultur. Und zur Entwicklung einer „guten“, „qualifizierten“ oder angemessenen Fehlerkultur können in vielen Fällen Supervision und Coaching einen Beitrag leisten“ Im vorliegenden Heft von OSC befassen sich vier Beiträge mit diesem Thema, weitere Aufsätze sind dem Selbstmanagement im Coaching, Trennungsgesprächen in Unternehmen und der Rezeption der Unterscheidung von Format und Verfahren in der Beziehungsarbeit gewidmet.
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