Am 27.3.2021 ist Peter Fürstenau in Düsseldorf gestorben – zwei Monate vor seinem 91. Geburtstag. Damit verliert die Psychotherapie in Deutschland einen ihrer herausragenden Vertreter, obwohl oder gerade weil er nie als ein Vertreter einer Schule, eines Institutes oder eines Verbandes aufgetreten ist. Im Gegenteil hat er immer eine dezidiert unabhängige Position zu allen Versuchen eingenommen, Psychotherapie, Beratung oder Supervision dem Weltbild oder den wissenschaftlichen, persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen von individuellen oder organisationalen Akteuren im psychosozialen Feld unterzuordnen. Schulenorientierung hatte für ihn „viel mit Indoktrination und Ideologie zu tun“. Stattdessen plädierte er dafür, „Psychotherapie nicht auf Methoden, Schulen und Tradition zu basieren, sondern sich wirklich um eine umfassende, dem zeitgenössischen Erfahrungsschatz entsprechende Ausübung von Psychotherapie zu bemühen. Das heißt natürlich, es geht dann auch um die Spannweite des Begriffs ,Psychotherapie’. Das, was die bisherigen Schulen und Methoden an Psychotherapie betreiben, schöpft den Begriff der Psychotherapie nicht aus. Nach meiner Vorstellung gehört zur Psychotherapie gerade nicht nur die sog. Fachpsychotherapie, sondern eben der psychologische Umgang mit kranken, gestörten Menschen, eben gerade auch der Umgang mit organisch oder chronisch Kranken, also Patienten, die nicht in erster Linie oder ausschließlich psychogen krank sind wie Neurotiker. Die gesamte Psychotherapie ist ja weitgehend im Sinne der Richtlinien-Psychotherapie eine Neurotikertherapie und wird deshalb dem Gesamtfeld möglicher psychotherapeutischer Tätigkeiten überhaupt nicht gerecht“ (Fürstenau & Senf 2002, S. 93).
Als ausgebildeter Psychoanalytiker hielt er damit nicht nur seiner Zunft einen kritischen Spiegel vor. Der Psychoanalyse freilich, deren Mainstream er eine Tendenz zu einer „Esoterischen Psychoanalyse“ bescheinigte, „eine psychoanalytische Methode Schritt für Schritt auszuarbeiten, zu entwickeln und zu perfektionieren, die möglichst rein und klar auf das Originelle der Psychoanalyse (die »Essentials«) konzentriert ist“ und für die „schon die Kommunikation mit den gesunden Ich-Anteilen des Analysanden, seinem bewussten Willen, seinen Plänen und Absichten ein Agieren (ist), das die Deutung unbewusster pathologischer Anteile vermeidet“ , stellte er ein Konzept einer „Exoterischen Psychoanalyse“ gegenüber, die offen gegenüber einer „lösungsorientierten, psychoanalytisch-systemischen kurz- und mittelfristigen Psychotherapie“ sein müsse (Fürstenau 2007, S. 51ff.). Diese Distanz zum psychoanalytischen Mainstream ermöglichte ihm, seine jahrzehntelange psychotherapeutische und supervisorische Tätigkeit ohne jede Berührungsängste und -vorbehalte zu entwickeln und zu differenzieren.
Ursprünglich hatte Fürstenau, der 1930 in Berlin geboren wurde, von 1948 bis 1956 ein Studium der Philosophie, Soziologie und der Klassischen Philologie (Gräzistik) in Berlin und Frankfurt am Main absolviert, das er mit seiner Promotion 1956 abschloss. Seine Studie über Heidegger und „Das Gefüge seines Denkens“ erschien 1958 bei Klostermann in Frankfurt/M. Beruflich schloss sich 1957 bis 1960 eine Anstellung als Wissenschaftlicher Assistent, später als Dozent für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Berlin an. Peter Fürstenau wechselte dann nach Gießen, wo er von 1962 – 1973 Mitarbeiter am Zentrum für psychosomatische Medizin des Fachbereichs Humanmedizin der Universität Gießen war, das von Horst Eberhard Richter geleitet wurde, damals ein Pionier der psychoanalytisch orientierten Familientherapie in Deutschland. Nach seiner Habilitation 1969 erhielt er in Gießen eine Professur für Psychoanalyse und Soziologie, die er ab 1973 nebenamtlich als Honorarprofessor weiterführte. Eine Veröffentlichung aus dieser Zeit, seine „Soziologie der Kindheit“ (Quelle & Meyer-Verlag Heidelberg 1967), in der er psychoanalytische, psychologische, kulturanthropologische und soziologische Konzepte der Sozialisations- und Erziehungsforschung vorstellte, machte mich in meinem Studium erstmals mit seinem Namen bekannt. In den Folgejahren pflegte er eine psychotherapeutische Privatpraxis für Einzel-, Paar-, Familientherapie in Düsseldorf und wurde über diese Tätigkeit hinaus weit bekannt für seine breite Beratungs-, Fort- und Weiterbildungstätigkeit in therapeutischen und organisationalen Kontexten, die er nicht nur in Düsseldorf, sondern über viele Jahre auch immer wieder in Venedig durchführte, ein Lernort, der nicht nur für ihn, sondern auch für viele Teilnehmer eine besondere Aura hatte.
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