systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

3. Juli 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Bernd Schmid & Christiane Gérard

„Intuition muss wie jedes Urteilen über Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen beschrieben und kritisch befragt werden. Intuitives Urteilen kann zum Beispiel falsch oder richtig, qualifiziert oder unqualifiziert, befangen oder unbefangen, konventionell oder kreativ, borniert oder weitsichtig, versponnen oder weltzugewandt, liebevoll oder gnadenlos sein. »Intuitiv« ist also weder ein Gütesiegel noch eine Disqualifikation. Wenn wir uns mit Intuition auseinandersetzen, müssen wir uns mit den Weltbildern und dem Urteilsvermögen, das sich in der Intuition zeigt, befassen. Intuition ist Teil unserer Kultur und weder im positiven noch im negativen Sinn eine natürliche Kraft, die durch Erziehung verschüttet wurde und lediglich freizusetzen ist. Intuition ist wie jedes Urteilen im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung von Menschen und der Kultur, in der sie sich bewegen, zu sehen. Intuitive Steuerung heißt also weder Steuerung nach einer anderen, besseren Intelligenz noch unbedachte und in ihren Motiven und Interessen unkontrollierte Steuerung. Intuitiv steuern heißt, komplexe Daten zu Informationen verarbeiten zu können, so wie wir sie bewusst und erklärbar nicht verarbeiten könnten. Intuitiv steuern heißt außerdem, dass dieser Vorgang ungeheuer schnell abläuft und unabhängig von der Übersetzung in Sprache direkt in Handlung umgesetzt werden kann“ (In:„Intuition und Professionalität. Systemische Transaktionsanalyse in Beratung und Therapie“. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2008, S. 33).

2. Juli 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Armin Nassehi

„Luhmanns und Bourdieus Systemtheorie und Strukturalismus nehmen beide Abstand von Theoriemustern, die man zunächst von Systemtheorie und Strukturalismus erwartet. Weder Systeme noch Strukturen gelten hier als eine Art objektive Wirklichkeit, als deren Entäußerung das Besondere nur anzusehen sei. Vielmehr geht es beiden um die Dynamisierung von Systemen und Strukturen. Sowohl die ereignistheoretische Perspektive Luhmanns als auch die praxistheoretische Soziologie in Bourdieus Sinne sind operative Theorien, die Ganzeheiten als Folge emergenter Operationen ansehen und die als Ganzheiten nur einem Beobachter zugänglich sind – etwa einem wissenschaftlichen Beobachter, der sich freilich nicht nur für die vordergründige Sichtbarkeit interessiert, sondern für den Anschlusszusammenhang, in dem Praxis möglich ist. Exakt deshalb interessieren sich sowohl Bourdieu als auch Luhmann für die operative Dekonstruktion von Strukturen“ (In: Der soziologische Diskurs der Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 252).

2. Juli 2009
von Tom Levold
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Elterncoaching und Multifamilientherapie

Max Ernst, der das Titelbild der aktuellen Familiendynamik 1926 malte, wurde von seinem Vater häufig geprügelt, als Kind aber von ihm auch immer wieder als süßer Jesusknabe gemalt. Die Ausstellung des Bildes in Paris und später in Köln löste einen Skandal aus, in dessen Verlauf Ernst vom Kölner Erzbischof exkommuniziert wurde. Als Bildnis einer bigotten, gewalttätigen Kultur im Umgang mit Kindern (und Zeugen, die nicht wirklich hinschauen) ist das Bild in gewisser Weise zur Ikone geworden. Im Elterncoaching geht es dagegen um die Stärkung von Eltern, die nicht zu Lasten der Kinder geht. Diesem Ansatz und der Multifamilientherapie, die die Ressourcen von Familien füreinander auch therapeutisch in einem Mehrfamiliensetting zu nutzen versucht, ist das aktuelle Heft der Familiendynamik gewidmet.
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1. Juli 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Jean Grondin

„Die Frage nach dem Sinn des Lebens setzt (…) eine gewisse Fremdheit des Lebens sich selbst gegenüber voraus. Dieses Fremdheitsgefühl hat etwas an sich Unheimliches, denn es ist hier das eigene Leben, das sich selbst fremd vorkommt. Es ist merkwürdig, weil ich doch mit meinem Leben eng vertraut bin. Trotz dieser unaufhörlichen Intimität behält das Leben etwas Bestürzendes, Geheimnisvolles, lrres, als ob wir auf dem Rücken eines Tigers hängen würden, wie Nietzsche schreibt. Unser Leben erstreckt sich von der Geburt bis zum Tod hin, aber wir haben doch meist keine Erinnerung an unsere Geburt oder unsere ersten Jahre; und unser Tod wird nicht mehr – so hat es zumindest den Anschein – von uns erfahrbar sein. Wir stecken dazwischen, ohne wirklichen Zugriff auf uns selbst. Ein »Griff« ist ja nur gegenüber einem vor uns befindlichen Gegenstand möglich, was für unsere Existenz nicht zutrifft: Sie ist uns eher inhärent als gegenübergestellt. Niemand ist für seine Geburt verantwortlich, und der Tod bleibt in den meisten Fällen unvorhersehbar, plötzlich und kläglich. Er erinnert uns daran, dass wir armselig vor ihm stehen und dass wir wie alle Tiere, denen gegenüber wir uns so überlegen dünken, sterben werden“ (In: Vom Sinn des Lebens. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, 27f.)

1. Juli 2009
von Tom Levold
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Mindestens sieben Möglichkeiten

Unter diesem Motto fand im November 2008 an der Hochschule Merseburg eine Fachtagung statt, die die Perspektivenvielfalt systemischer Sozialer Arbeit zum Inhalt hatte. Die aktuelle Ausgabe des Kontext unter der Gastherausgeberschaft von Johannes Herwig-Lempp, langjähriger Mitherausgeber des Kontext und Mitorganisator der Tagung, bringt die Vielfalt der auf der Tagung vertretenen theoretischen und praktischen Perspektiven in elf Beiträgen zusammen. Die Beiträge dieser wie auch vorangegangener Tagungen des systemischen Netzwerkes in den Sozialarbeitswissenschaften zeigen einmal mehr, dass die Theorie der systemischen Sozialen Arbeit für die Fortentwicklung des systemischen Diskurse bedeutsame Perspektiven zur Verfügung stellen kann.
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30. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Hans J. Markowitsch & Harald Welzer


Ein zentrales Problem der disziplinären neurowissenschaftlichen Perspektive auf Gedächtnis besteht darin daß sie auf das Individuum fokussiert. Diese individualistische Perspektive kann nicht erfassen, daß sich das Gedächtnis in einem sozialen Vorgang ausbildet und strukturiert – was das spezifisch Humane am Menschen ist und dafür sorgt, daß aus Information etwas viel Komplexeres wird: Erinnerung. In einem sehr weitgehenden Sinn gilt das aber auch für die sozialwissenschaftliehe Betrachtungsweise, wenn man eine interaktionistisch orientierte Entwicklungspsychologie und Sozialisationsforschung dazu zählen möchte. Denn auch hier wird implizit davon ausgegangen, daß Individuum und Sozialität zwei verschiedene Entitäten seien, und entsprechend richtet sich dann die Kardinalfrage aller Sozialwissenschaften darauf, wie aus einem asozialen Wesen ein gesellschaftliches wird, oder, andersherum, wie eine Gesellschaft, die aus lauter Individuen besteht, mehr sein kann als die bloße Addition handelnder Menschen. Wie zahlreiche Wissenschaftler vor uns auf unterschiedlichste Weise herausgearbeitet haben, ist diese Perspektive so hinderlich wie die Vorstellung, das autobiographische Gedächtnis sei etwas substantiell Individuelles. So hat etwa der Soziologe Norbert Elias schon vor einem Dreivierteljahrhundert darauf hingewiesen. daß wir die Psycho- und Soziogenese des Menschen nur dann zureichend verstehen können, wenn wir den zugrunde liegenden Prozeß als einen begreifen, der sich grundsätzlich innerhalb einer Figuration von Menschen abspielt, die vor dem sich entwickelnden Kind da war. dessen gesamte Entwicklung nach der Geburt also von den kulturellen und sozialen Handlungen und Techniken abhängt, die diese Figuration co-evolutionär entwickelt hat“ (In: Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, S. 260f.)

30. Juni 2009
von Tom Levold
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Therapie und Beratung in Zwangskontexten

Unter dem griffigen Titel„Wie kann ich Ihnen helfen, mich wieder loszuwerden?“ (Über den man allerdings ruhig mal eine Weile nachdenken sollte) hat Marie-Luise Conen im Jahre 2007 ihr Buch über Therapie und Beratung in Zwangskontexten veröffentlicht, ergänzt von Workshop-Transkripten von Gianfranco Cecchin und einem Beitrag von Rudolf Klein über das systemische Verständnis süchtigen Trinken. Wolfgang Loth hat es rezensiert und empfiehlt es als„Standardlektüre für alle, die unter erschwerten Bedingungen helfen sollen und wollen“:„Während Conen im vorliegenden Fall das Gerüst beisteuert, malt Cecchin die praktische Umsetzung anhand von Beispielen und mithilfe von Transkripten aus. Er erweist sich wieder einmal als anregender Erzähler, dem es scheinbar mühelos gelingt, die Fragen und Details, die Conen in lexikalischer Gründlichkeit aufbereitet, als gelebte Praxis zu vermitteln. Doch gibt es auch in Conens Part immer wieder Passagen, die einen unmittelbaren Einblick in die Weise erlauben, wie sie ihre Überlegungen in der Praxis umsetzt“
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29. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Heiko Kleve & Jan V. Wirth

„Auch für Raum kann die funktionale Brille Interessantes beisteuern (…). Die gemeinsame Erfahrung des (jeweiligen) Raums führt nämlich sozial zu der Herausbildung von Raumsemantiken. Systemtheoretisch ist Hier/Dort die basale Raumdifferenz für Beobachter. An diese knüpfen in der Systemgeschichte elaboriertere Unterscheidungen an, je nachdem wie diese Unterscheidung mit weiteren Unterscheidungen versorgt wird (z.B. im Fall von Räumen, die als Container konstruiert werden wie ,Nationalstaat‘). Personen sind in Containermodellen drinnen oder draußen: Raumkommunikation ist daher immer Komrnunikationsvermeidungskommunikation (im Gegensatz zur Netzwerkkommunikation)! Weil Räume (als physisch erzwungene Barrieren) die Möglichkeit zu Kommunikationsabbruch mitführen, erfüllen sie jedoch eine unverzichtbare soziale Funktion: man muss nun nicht mehr kommunizieren. Positiv betrachtet kommt dem Raum daher eine sozial ganz wichtige Coping- und Schutzfunktion zu: jetzt kann man sich vor Kommunikation, vor zu viel – zuerst noch angenehmer – Gesellschaft schützen“ (In: Die Paxis der Sozialarbeitswissenschaft. Eine Einführung. Schneider Verlag Hohengeren, Baltmannsweiler 2009, S. 179).

28. Juni 2009
von Tom Levold
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Nachtrag zu Foucault

Am Donnerstag bekam ich eine schöne Mail von Peter Müssen, der anlässlich der Erinnerung an Michael Foucaults Tod vor 25 Jahren in seinem Archiv gekramt und spontan einen schönen Text über Foucault und Steve de Shazer für die Systemische Bibliothek beigesteuert hat, den er 1995 in systeme veröffentlicht hat. Es geht dabei um die Lebenskunst in Ethik und Therapie:„Um Veränderung, die erfreut oder sogar beglückt, und um Lebenskunst, die zu erfreulichen Veränderungen führt, als gemeinsamem Anliegen der Ethik Michel Foucaults und der Kurzzeittherapie Steve de Shazers soll es gehen; und es handelt sich dabei natürlich um eine Beobachterperspektive, aus der heraus der Versuch gewagt wird, zwei so unterschiedliche Autoren vergleichsweise miteinander in Verbindung zu bringen, zumal de Shazer selbst in einer mündlichen Auskunft den Einfluß Foucaults auf seine Arbeit als minimal eingeschätzt hat. Aus den eigenen Vorannahmen, Verstehensweisen und Intentionen heraus (…) will ich dennoch versuchen, eine Konvergenz zu konstruieren, die sich von einem ‚tertium comparationis‘ leiten läßt, das durch die Stichworte ‚Veränderung‘ und ‚Lebenskunst‘ markiert wird“ Vielen Dank, Peter!
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28. Juni 2009
von Tom Levold
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Technik steh mir bei!

Nachdem mein MacBook Pro vor drei Wochen am Abend vor einem Workshop in Berlin seinen Geist aufgegeben hat (und ich den Workshop ohne Präsentation ganz aus dem Kopf machen musste, was übrigens eine sehr schöne Erfahrung war), nahm die Reparatur geschlagene 18 Tage in Anspruch. Großzügigerweise spendierte mir Apple ein nagelneues Logic Board. Nachdem ich das Gerät am Donnerstag abend abholen konnte und in drei Stunden wieder meine Daten auf den aktuellen Stand gebracht hatte, fiel es am Freitag abend schon wieder in dauerhaftes Schweigen. Gleiches Problem, hoffentlich eine neue Lösung. Nun habe ich mir einen schönen großen iMac besorgt, in der Hoffnung, dass ich endlich wieder normal arbeiten kann. Da wird einem die Abhängigkeit von all dieser Kommunikations-Technik sehr bewusst.

25. Juni 2009
von Tom Levold
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Michel Foucault 15.10.1926-25.6.1984: Macht ist nicht gleich Macht!

Heute vor 25 Jahren starb Michel Foucault. Obwohl alles andere als ein Systemtheoretiker, hat er dennoch den Diskurs der systemischen Therapie und der Familientherapie inspiriert, vor allem durch die Arbeiten des unlängst verstorbenen Michael White. Kürzlich ist in systhema ein (auch online verfügbarer) Beitrag von Kerstin Schmidt und Tanja Bous erschienen, die sich mit der Bedeutung des Foucaultschen Machtbegriffs für den systemischen Diskurs beschäftigten:„Über Macht als gesellschaftliches Phänomen gibt es so viele Sichtweisen, wie es Wirklichkeitskonstruktionen gibt. Eine für Systemiker besonders interessante Sichtweise ist die Machttheorie Michel Foucaults. Im Folgenden wird ein Transfer von ausgesuchten Ansichten Foucaults zu Systemischer Therapie und Beratung dargestellt. Der Artikel versteht sich als Anregung und Irritation: ein Schlüssel für einen verantwortungsvollen Umgang mit Macht liegt in einem differenzierten Verständnis und nicht zuletzt in der Loslösung des Begriffs von einer rein negativen Assoziation“
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24. Juni 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Frank Nestmann, Ursel Sickendick & Frank Engel


„Der Trend zur Professionalisierung von Beratung ist in Deutschland und Europa ebenso zwingend wie sicher, wenn auch umstritten (…). So offenbaren zwar verschiedene Indikatoren einen aktuellen Professionalisierungsschub: zunehmende Publikationsraten zum Thema, Beratung als Gegenstand wissenschaftlicher Gesellschaften, erste Bestrebungen zu einer Beratergesetzgebung, erste Ethikrichtlinien sowie neuere grundständige und weiterbildende akademische Beratungsstudiengänge. Angesichts der Beratungskonzepte und Praxisfelder bleibt heute jedoch noch unklar, welche Richtung die Professionalisierung einschlagen wird und einschlagen sollte. Die Entwicklung der Psychotherapie in Deutschland, die mit dem Psychotherapeutengesetz einen exklusiv ausgrenzenden und an einem engen medizinischen Berufsverständnis orientierten Weg eingeschlagen hat, scheint kein geeignetes Vorbild zu sein. Eine berufsoffene und interdisziplinäre Professionalisierung, orientiert an gesundheits-, sozial- und bildungspolitischen statt an berufspolitischen Zielen (wie dem eigenen„beruflichen Überleben“ in der Konkurrenz der Angebote, …) dagegen würde der Vielfalt der Beratungsbedürfnisse und Bedarfslagen des 21. Jahrhunderts eher entsprechen. Beratung muss heute und zukünftig eine professionelle Aufgabe und berufliche Tätigkeit vieler Berufsgruppen im Sozialbereich, Bildungswesen und Gesundheitssektor sein. Interdisziplinäre Kooperation in multidisziplinären Hilfeeinrichtungen und Hilfenetzwerken muss disziplinäre Borniertheit und berufsständisches Eigeninteresse konterkarieren, um Beratung in der Zukunft zu einem effektiven und nachhaltigen Unterstützungsangebot für alle Menschen, die sie brauchen, zu machen. Die spezifischen disziplinären Zugänge – psychologische, pädagogische, soziologische, philosophische etc. – sind zum Zusammenwirken in Eigenständigkeit aufgerufen“ (In: Handbuch der Beratung, Bd. 2. Ansätze, Methoden und Felder, DGVT-Verlag, Tübingen 2004, S. 603f.)