systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

18. August 2009
von Tom Levold
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Charisma-Kurve: Merkel gegen Steinmeier

Der Psychotherapeut, Publizist und Berater Ulrich Sollmann hat wie schon im Wahlkampf 2005 ein Internetprojekt gestartet, mit dem das Publikum die Austrahlung der Spitzenkandidaten der Bundestagswahl bewerten und Tipps für die persönliche Selbstdarstellung geben können:„Merkel und Steinmeier müssen den besonderen Spagat meistern: einerseits in der großen Koalition Partner zu sein, andererseits im Wahlkampf gegen den Partner zu siegen. Dies ist eine spannende Herausforderung. Eine besondere Note bekommt der Wahlkampf 2009 durch den Umstand, dass beide: Merkel und Steinmeier, keine charismatischen Politiker sind. Wem wird es also gelingen, die Bevölkerung von sich zu überzeugen? Der Bundestagswahlkampf 2009 ist als Richtungs- und Personenwahlkampf ausgerichtet. Erfolg wird die Partei haben, deren Kandidat vor allem persönlich überzeugend und medienwirksam in Erscheinung tritt. Das Zusammenspiel von sachlich-politischer Kompetenz und persönlicher Authentizität sowie Überzeugungskraft entscheidet über das Charisma des jeweilig eigenen Kandidaten/der Kandidatin“ Das ganze ist natürlich ein Spiel, das sich die wechselseitige Beobachtung von Protagonisten und Publikum zu Nutze macht und in diesen zirkulären Prozess eingreifen möchte. Ich bin eingeladen, diesen Prozess als sozialwissenschaftlicher Experte zu kommentieren und gespannt, ob mir etwas dazu einfällt 🙂 Alle Besucher können aber auch selbst ihre Meinung zu Merkel und Steinmeier abgeben – die Ergebnisse werden laufend aktualisiert.
Zur Charisma-Kurve…

18. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages:Niklas Luhmann

«Auf der Ebene aktiver Politik beobachten Politiker sich selbst und andere im Hinblick auf das, was von einem Handeln zu halten ist, das sich dem Beobachtetwerden aussetzt. In der Politik selbst geht es, wie am Markt, um ein Verhältnis der Konkurrenz. Aber die Konkurrenz wird inszeniert mit Rücksicht darauf, daßauch sie beobachtet wird von Beobachtern, deren Mitwirken als Publikum unterstellt wird. Anders als am Markt gibt es keine Preise, deren Beobachtung (in ihrer Veränderung ebenso wie in ihrer Relation zum Absatz) das Beobachten der Beobachter erleichtern würde; aber es gibt laufend fortgeschriebene Geschichten, in denen man den eigenen Namen und die anderer wiederfindet und als Resultat von Beobachtungen beobachten kann. Und es gibt, anstelle von Preisen, Moral. Dem Publikum erleichtert (oder so denkt man jedenfalls) die Beobachtung der einander beobachtenden Beobachter die Entscheidung in der politischen Wahl. Und dafür genügt es, sich die Beobachtungsverhältnisse zu vereinfachen und davon auszugehen, daß die Politiker als Handelnde, also als Beobachter erster Ordnung, zu beobachten sind. Auf allen Ebenen macht sich das politische System Vereinfachungen dieser Art zunutze—und verzichtet eben damit auf konvergierende Integration der Beobachtungsverhältnisse. Statt dessen hilft die Unterstellung aus, daß hinter den Kulissen ein anderes Spiel gespielt wird als auf der Bühne. Das kann man dann durchschauen, was aber nichts ändert.» (In: Die Politik der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000).

17. August 2009
von Tom Levold
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Beziehung ist Krieg, Therapie ist Weg und ich bin ein Stern

Zur Bedeutung des Metapherngebrauchs für Problembeschreibungen wie für therapeutische Lösungsansätze gibt es mittlerweile eine Reihe von interessanten Forschungsbefunden und Veröffentlichungen. Eine systematische Metaphernanalyse anhand von transkribierten Therapiestunden einer (psychoanalytisch orientierten )Langzeit-Psychotherapie hat Emanuel Jung als Lizentiatsarbeit am Psychologischen Institut der Universität Zürich vofgenommen, die im Internet zu lesen ist:„«Metaphern sind mehr als nur ein rhetorisches Stilmittel. Die kognitive Metapherntheorie hat gezeigt, dass Metaphern unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Sie ermöglichen ein Verstehen, indem sie Unbekanntes durch Bekanntes erklären. Metaphern kategorisieren Erfahrungen und verweisen auf menschliche Denkstrukturen. Sie bestimmen die Sicht auf die Wirklichkeit. Metaphern sind einerseits kollektiv verankert und färben andererseits Wahrnehmungsstrukturen des Einzelnen ein. Über Metaphern kann Zugang zum Erfahrungshorizont des Einzelnen gewonnen werden. In einer Psychotherapie steht der individuelle Erfahrungshorizont im Zentrum des Interesses. Über eine Veränderung des metaphorischen Konzeptsystems ist eine Veränderung der Sicht auf die Welt möglich. Bestehende Probleme können in einem neuen Licht gesehen werden. Anhand der Systematischen Metaphernanalyse geht die vorliegende Arbeit der Frage nach, ob sich in der Therapie von Wilma metaphorische Konzepte rekonstruieren lassen, die auf individuelle Denkstrukturen verweisen. Dabei sind die drei Bereiche „Beziehung zu Bezugspersonen“, „Therapie“ und „Selbst“ von besonderem Interesse. Es werden neun transkribierte Therapiestunden dieser psychoanalytisch orientierten Langzeittherapie untersucht. Die metaphorischen Konzepte des Therapeuten werden mit denjenigen der Patientin verglichen. Die untersuchten Therapiestunden sind so gewählt, dass eine Veränderung des Metapherngebrauchs über die Zeit möglich ist. In der vorliegenden Untersuchung lassen sich sowohl für die Patientin als auch für den Therapeuten metaphorische Konzepte zu den drei relevanten Breichen rekonstruieren. Die Konzepte des Therapeuten und der Patientin unterscheiden sich auf charakteristische Weise. Der Therapeut greift die Metaphern der Patientin auf und formuliert neue, alternative Sichtweisen auf bestehende Probleme und Erfahrungen der Patientin. Es lässt sich zeigen, dass der Metapherngebrauch
sich während der Therapie verändert. Verschiedene metaphorische Konzepte der Patientin weisen zu Beginn der Therapie gegensätzliche Implikationen auf. Am Ende der
Therapie lässt sich auf metaphorischer Ebene eine Distanzierung seitens der Patientin feststellen, welche die Spannung dieser konträren Implikationen auflöst.»
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17. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Dirk Baecker

«In der Unterscheidung von Risiko und Sicherheit ist„Risiko“ nolens volens der negative und„Sicherheit“ der positive Terminus. Dann muss man Risiken vermeiden, um Sicherheit zu erreichen. Und damit wird man von seiner eigenen Semantik in die Irre geführt, denn es bleibt ja dabei, dass man mit Risiken Geschäfte macht und mit deren Strukturierung (Bündelung, Trennung und Verteilung) den Erfolg seiner Geschäfte sichert. Unterscheidet man zwischen Risiko und Gefahr, wird„Gefahr“ der negative und„Risiko“ der positive Terminus und man ist auch sprachlich auf der Höhe dessen, was man praktisch tut. Das ist der Grundgedanke. Luhmann ergänzte ihn dann noch dadurch, dass er festhielt, dass Risiken die Ergebnisse eigener Entscheidungen sind – keine Entscheidung, kein Risiko beziehungsweise nur das Risiko der Nichtentscheidung -, während Gefahren unbeeinflussbar so oder so eintreten.» (In: FAZ im Gespräch mit Dirk Baecker vom 24.6.2009)

16. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Daniel N. Stern

«Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß Psychotherapie zwei gleichwertige Phasen bzw. Ziele hat. Das erste Ziel ist, die Tiefenstruktur eines Narrativs aufzudecken und in eine Oberflächenstruktur zu transportieren. Dieser Prozeß unterscheidet sich von dem traditionellen Vorgehen der Psychoanalyse. Die psychoanalytische Theorie geht von einem unbewußten verdrängten Wissen aus oder von Abwehrmechanismen bzw. dem Widerstand, etwas zu berichten. Die traditionelle Aufgabe der psychoanalytischen Arbeit ist das Aufheben dieses Widerstandes bzw. der Abwehr. Somit kommt das Material zum Vorschein. Meines Erachtens funktioniert dieser Vorgang nicht für das sog. implizite unbewußte Wissen, das nicht psychodynamisch verdrängt ist. Dieses Material wird nicht abgewehrt, sondern es befindet sich in dem Raum des Nicht-Bewußten, der nonverbalen Existenz. So scheint die Frage zu sein, was man machen kann, um dieses implizite Wissen in eine Oberflächenstruktur zu verwandeln, so daß ein Narrativ erzählt werden kann. Im zweiten Schritt, falls es sich um eine psychodynamische Behandlung handelt, geht es um die Deutung. Damit können die narrativen Strukturen, die auftauchen, zueinander in Beziehung gebracht werden und es wird ein sog. Meta-Narrativ konstruiert. Um das Material deuten zu können, muß bereits eine Oberflächen-Struktur vorhanden sein. In diesem Sinne deckt die Deutung nicht etwas auf, sondern sie kann die Voraussetzung für eine„Entdeckung“ schaffen. Im folgenden würde ich nun gerne auf diesen„Entdeckungsprozeß“ eingehen, da dieser Prozeß nicht dasselbe ist, wie Abwehr aufzuheben oder Verdrängung aufzulösen. Ein Beispiel für das implizite Wissen wäre das Küssen: Jeder weiß, wie man küßt und wie es sich anfühlt geküßt zu werden. Wahrscheinlich haben Sie dies noch nie in Worte gefaßt und falls man es versuchen würde, wäre es sehr merkwürdig, weil man vermutlich sagen würde:„Man benützt die Muskeln im Mund usw“ Es würde wahrscheinlich eine dreiviertel Stunde benötigen, um dies zu erklären, und man würde das Essentielle gar nicht erfassen. Was man eigentlich machen müßte, um zu erklären, wie man küßt und wie es sich anfühlt, wäre in Versform zu sprechen oder Metaphern und Analogien zu benützen, die diese Erfahrung kurzerhand erfassen würden, weil es keine Art und Weise gibt, dies in Worten zu erläutern. Dies ist wesentlich, da es hier nicht um Verdrängung geht; es ist eine andere Sprache, auch wenn die Grundstruktur die gleiche für beide ist (Tiefen- und Oberflächenstruktur) – die gleiche narrative Struktur, die zielorientiert und motiviert ist.» (In:„Das Narrative Selbst…)

16. August 2009
von Tom Levold
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Daniel N. Stern 75

Heute vor 75 Jahren wurde Daniel N. Stern in New York geboren. 1956 begann er seine medizinische Ausbildung in Harvard und spezialisierte sich 1964 auf psychiatrischem Gebiet, bis er 1972 eine psychoanalytische Ausbildung begann. International bekannt wurde er durch seine Beiträge zur Säuglingsforschung und zu seinen darauf beruhenden bahnbrechenden entwicklungspsychologischen Arbeiten. Durch seine Arbeiten hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass sich in der internationalen Psychoanalyse ein interaktionales Paradigma etablieren konnte, dass auch für Anschlüsse zu systemischen Konzepten offen ist. Seit Jahren lebt Daniel Stern in Genf, wo er lange Zeit an der Universität lehrte. Er hielt auch auf systemischen Kongressen in Zürich (Affektive Kommunikation – 1997) und Berlin (EFTA-Kongress 2004) Hauptvorträge, die vielen Teilnehmern noch in Erinnerung sein dürften. systemagazin gratuliert herzlich zum Geburtstag! Online ist der Text eines Vortrages von ihm zu lesen, den er 1998 auf den Lindauer Therapietagen zum Thema„Das narrative Selbst“ gehalten hat. Der Sammelband mit den Vorträgen zu diesem Thema ist
hier zu finden…

14. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Till Bastian

«Beschämung, oft ritualisiert, spielt eine bedeutende Rolle in „gesetzlosen“ Randzonen und Subkulturen, beispielsweise dann, wenn Zuhälter Frauen zum „Anschaffen“ zwingen oder wenn die Initiation in eine Jugendgang vollzogen wird. Sie ist aber auch von großer Bedeutung gerade in jenen Institutionen, die der Jurist als „besondere Gewaltverhältnisse“ definiert, weil in ihnen die verfassungsmäßigen Grundrechte weitgehend außer Kraft gesetzt sind: In der Bundeswehr, in der Schule, in der Haftanstalt, im psychiatrischen Krankenhaus, jedenfalls in der „geschlossenen Abteilung“ und im „Maßregelvollzug“. Die Suspendierung von Rechtsnormen ruft offenbar, fast im Sinne einer conditio humana, stets zahlreiche Miniaturtyrannen auf den Plan, die Kapos und Schleifer vom Format des Unteroffiziers Himmelstoß in Remarques „Im Westen nichts Neues“. In ein gesellschaftliches Vakuum tropft die Niedertracht hinein wie Flüssigkeit in einen Hohlraum. Wird die Niedertracht allerdings zum System erhoben, kann die rituelle Beschämung durchaus zum vorwaltenden Interaktionsmuster werden.» (In: „Scham und Schaulust, Macht und Ohnmacht…“. Vortrag im Rahmen der 57. Lindauer Psychotherapiewochen 2007, Foto: das.syndikat.com)

13. August 2009
von Tom Levold
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Coaching für Wissenschaftler/innen

Zu diesem Thema hat Ferdinand Buer das aktuelle Heft von OSC als Gastherausgeber gestaltet. Die interessanten Beiträge befassen sich mit dem Angebot-Nachfrage-Verhältnis beim Wissenschaftler-Coaching, Coaching als Bestandteil der Wissenschaftler-Qualifikation, Promotions- und Habilitandencoaching, Coaching von neuberufenen und etablierten Professoren und anderen Themen. Im Vorwort macht sich F. Buer Gedanken, warum Coaching offenbar bei Wissenschaftlern größere Akzeptanz genießt als etwa Supervision. Er geht davon aus, dass„das Angebot, die Qualität der wissenschaftlichen Tätigkeit durch Supervisor/innen sichern und also prüfen zu lassen (…), geradezu eine Zumutung“ darstellt.„Coaches dagegen können unproblematisch in Anspruch genommen werden, um in Feldern, die der eigentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung fernliegen und doch nun mal zur Hochschullehrertätigkeit gehören, passgenaue Weiterqualifizierung on demand in einem diskreten Rahmen zu bieten. Das sind dann vor allem die Felder: Lehre und Management“. Voraussetzung freilich auch eines erfolgreichen Coachings ist die Bereitschaft des Wissenschaftlers, sich nicht in erster Linie als Wissender, sondern als Lernender zu begreifen. Und diese Hürde muss ja erst einmal genommen werden.
Zu den vollständigen abstracts…

13. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Heinz Kersting

„Für Luhmann verstand es sich von selbst, dass er sich als Soziologe nicht bevorzugt mit Affekten beschäftigte. Das entspricht der alteuropäischen Arbeitsteilung zwischen der Soziologie und der Psychologie, in der sich die Soziologie als die Beobachterin der Gesellschaft betätigen soll und der Psychologie die Beobachtung psychischer Prozesse zugewiesen wird. Da das vordringliche Interesse des Soziologen Luhmann der Beobachtung von sozialen Systemen galt, wurden von ihm die Affekte und individuellen Motivationen der Mitglieder von sozialen Systemen unter den Bedingungen der Umwelt von sozialen Systemen abgehandelt. Wie weit Luhmanns Ansatz als brauchbares Paradigma auf supervisorische Prozesse übertragen werden kann, ist unter den VertreterInnen der systemischen Supervision noch nicht ganz ausdiskutiert. Luhmann selbst macht in bezug auf die Praxis der „Systemtherapie“ auf Probleme aufmerksam, die mit der allzu einfachen Adaptierung der Allgemeinen Systemtheorie einhergehen, die ja eben nicht für die Beobachtung von Beratungssystemen wie der Therapie oder der Supervision entwickelt wurde, sondern für die Beobachtung der Gesellschaft. Halten wir fest: Wenn systemische Therapeuten (…) oder systemische Supervisoren (…) sich allzu einseitig an die Allgemeine Systemtheorie des Niklas Luhmann angeschlossen haben, dann bleibt für die Beobachtung von Emotionen wenig Platz und diese Beobachtung wird sehr schnell vernachlässigt oder abgedunkelt, wie die Differenztheorie von George Spencer-Brown es weniger wertend nennt. Gelingt aber diese Abdunkelung, kann man in der Tat einen Widerspruch zwischen Systemischer Supervision und Emotion konstruieren. Im Brennpunkt steht dann vorzüglich die Beobachtung der Beobachter, die Beschreibungen einer Vielzahl von Perspektiven, die Beobachtung von unterschiedlichen Aussagen, Begründungen, Bewertungen, die Beobachtung der Selbstorganisation des Systems und seiner Zirkularität, dazu die Kommunikationsmuster des Systems und die angestrebte Lösungsorientierung. Das sind alles Termini, die Kognition konnotieren, die Systemrelationen beschreiben und nicht Personen mit ihren Affekten, Emotionen und Gefühlen“ (In: Systemische Supervision und Emotion – ein Widerspruch? in: Heinz J. Kersting, Heidi-Neumann-Wirsig (Hrsg.) Supervision intelligenter Systeme. Supervision, Coaching, Organisationsberatung. Aachen 2004).

12. August 2009
von Tom Levold
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Affektlogik, affektive Kommunikation und Pädagogik

Auf der website des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ist ein Aufsatz von Luc Ciompi zu finden, in dem er sein Konzept der Affektlogik auf neun Seiten zusammenfasst, verbunden mit einer Einschätzung der pädagogischen Implikationen seines Konzeptes:„Gefühle und deren Wirkungen auf das Denken sind, ungeachtet ihrer zentralen Bedeutung in praktisch allen Bereichen des Lebens, in der wissenschaftlichen Psychologie und ihren Anwendungen – darunter auch in der Pädagogik – jahrzehntelang in erstaunlicher Weise vernachlässigt worden. Ganz allgemein werden Gefühle in unserer Kultur für alles Denken als störend, ja schädlich betrachtet. Rein logisches Denken sei gefühlsfrei, behauptet man, und diesem Ideal müsste ein vernünftiger Mensch in jeglicher intellektuellen Aktivität nachstreben. Demgegenüber soll hier etwas radikal anderes vertreten und wissenschaftlich belegt werden: nämlich, dass Gefühle – oder Affekte, Emotionen, Stimmungen, wir werden auf definitorische Fragen noch zurückkommen –, nicht nur mit jeglichem Denken von vornherein untrennbar verbunden sind, sondern dass sie (über ihre sog. Operatorwirkungen auf das Denken, s. u.) darin auch ständig lebenswichtige organisatorisch-integratorische Aufgaben zu erfüllen haben“
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12. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Fritz B. Simon

„Märkte sind dumm, ungerecht und moralfrei, denn sie verfolgen keine eigenen Ziele. Und das ist auch gut so. Denn nur aufgrund ihrer Blindheit gegenüber nichtwirtschaftlichen Bewertungen lassen sich wirtschaftliche Mechanismen für ganz widersprüchliche Werte und Zwecke nutzbar machen. Man kann Unternehmen gründen, um Profite zu erwirtschaften, Geld spenden, um die Welt zu verbessern, oder arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Der Wirtschaft ist egal, wofür ihre Zahlungen erfolgen, solange überhaupt gezahlt wird. Deshalb ist es auch müßig, Managern Gier vorzuwerfen oder von den Akteuren des Wirtschaftssystems eine besondere Ethik zu verlangen. Wirtschaft funktioniert vollkommen unabhängig von den guten oder bösen Absichten und Motiven ihrer Teilnehmer. Deshalb sollte man gesellschaftliche Sinnfragen genauso wenig von Ökonomen beantworten lassen, wie man sich von seinem Arzt den Sinn des Lebens verordnen lassen sollte“ (In: Zukunft des Kapitalismus (17): Der Untergang findet nicht statt. FAZ vom 7.8.09)

11. August 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Jens Daniel Peter

„Wenn Maturana behauptet, Repräsentationen könnten nicht existieren, weil das Nervensystem eben nur mit internen Zuständen umgeht, dann übersieht er dabei, dass »Repräsentation von etwas« eine zweistellige Relation ist. Das Vorliegen einer solchen Relation kann also per definitionem nur von einem Beobachter festgestellt werden, der Zugang zu beiden Relata (System und Umwelt) hat. Diese Beschreibung dann als verzerrt zurückzuweisen, eben weil sie von einem Beobachter vorgenommen wurde, übersieht, daß eine Beschreibung »aus Sicht des Gehirns« vollkommen sinnlos ist. Gleichzeitig privilegiert Maturana dadurch seine eigene Beschreibung allen anderen gegenüber als die »zutreffendere« ohne Gründe dafür anzugeben oder seine Argumentation zu relativieren; denn auch Maturana befindet sich »nur« in einer »verzerrenden« Beobachterposition. Maturanas Verallgemeinerung der Unabhängigkeit von Wahrnehmung und Umweltreizen muß als schlichtes Wunschdenken entlarvt werden. Maturanas eigene Experimente beziehen sich nur auf den Bereich der Farbwahrnehmung und selbst wenn diesbezügliche Schlußfolgerungen auch nur wahrscheinlich wären, so ist für andere Sinnesmodalitäten gerade auch das Gegenteil gezeigt worden“ (In: „Systemisches“ systemischer Therapie. S. 29 www.magst.de

11. August 2009
von Tom Levold
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Systemische Hirngespinste

Unter diesem Motto stand die Jahrestagung 2008 der DGSF – und Reinert Hanswille, Leiter des ISF in Essen und verantwortlicher Ausrichter der Tagung, hat im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht den Tagungsband herausgegeben, zu dem ein Teil der Referenten ihre Beiträge beigesteuert haben. Thema war die Bedeutung der Hirnforschung und Neurobiologie für die Systemische Therapie und Beratung und Andreas Manteufel, einer der Belesensten in der systemischen Szene, was (nicht nur) den Stand der Neurobiologie betrifft, hat den Sammelband für systemagazin besprochen. Das Ergebnis ist wohlwollend, aber durchaus kritisch. Gelegentlich schleicht sich bei ihm der Verdacht ein, dass„jemand seine bewährte Praxis im Nachhinein mit neurobiologischer Terminologie unterfüttert“, der Bezug auf Hirnforschung also durchaus im Metaphorischen stecken bleibt. Gegenüber den exponierten Befürwortern einer neurobiologischen Perspektive (im Band prominent vertreten durch Hans Markowitsch und Günter Schiepek) wird eine vorhandene Skepsis Manteufel zufolge zuwenig ausgearbeitet:„So geht dem Buch gegen Ende die neurobiologische Luft aus. Impulse für die systemische Theorie und Praxis, wie sie der Untertitel verspricht, schimmern nur an einigen Stellen auf. Viele Autoren können nicht verbergen, dass sie der ganzen neurobiologischen Mode skeptisch gegenüber stehen. Da hätten sie aber auch gleich eine deutlich kritische Position einnehmen können, das wäre impulsiver gewesen“. Bleibt die Frage, von wem in der Systemischen Szene diese deutlich kritische Position denn zu erwarten ist.
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