systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

22. September 2009
von Tom Levold
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Vorabdruck: Unkonventionelle Familien in Beratung und Therapie

„Familie ist heute kein brauchbares Wort mehr, denn es beschreibt eine Situation, die es heute nicht mehr gibt. Familien sind heute nicht mehr nur Kernfamilien, bestehend aus Vater, Mutter und Kind. Eine Einengung der Familie auf biologische Elternschaft grenzt viele andere Familien aus, in denen Stiefkinder leben. Familie und Haushalt fallen nicht unbedingt mehr zusammen. Auf der Grundlage dieser Thesen schlägt Karl Lenz, ein Paar- und Familiensoziologe, vor, den Familienbegriff durch den Begriff der persönlichen Beziehungen zu ersetzen. Das, was vorher Familie genannt wurde, wird nun so definiert: Es handelt sich um eine Form von Beziehung, in der (a) die Personen nicht austauschbar sind, (b) deren Beziehung auf absehbare Zeit fortbestehen wird, (c) die emotional aufeinander bezogen sind und in fortwährender Interaktion stehen, (d) die persönliches Wissen umeinander aufgebaut haben. Diese Definitionen unterscheiden sich auf den ersten Blick nur wenig voneinander. Die Unendlichkeitsfiktion bzw. die Vereinbarung, dass man der Liebesbeziehung kein Verfallsdatum setzen möchte, auch, dass man die Eltern-Kind-Beziehung nicht aufzukündigen gedenkt, nicht heute und nicht in der Zukunft, teilen beide Definitionen. Auch die persönliche Unersetzbarkeit gilt nicht als überholt. Trennung und Scheidung sind auch in der „moderneren“ Definition nicht einfach hinzunehmende Tatsachen, sondern Katastrophen. Auch die in der älteren Familiensoziologie betonten Solidaritätsformen der affektiven, der erotischen und der unbedingten Solidarität werden im Begriff der persönlichen Beziehungen nicht aufgegeben. Dass jede auf Dauer angelegte Beziehung zu einem persönlichen, im Lauf der Zeit angehäuften Fundus an Wissen, besser gesagt: zu einer gemeinsamen Geschichte führt, wird weder hier noch dort in Zweifel gezogen. Worin also unterscheiden sich die beiden Konzepte? Sie unterscheiden sich in zwei wesentlichen Elementen: (1) In der Definition der persönlichen Beziehungen entfällt die biologische Elternschaft, und (2) es entfällt die Koppelung von Haushalt und Familie“ So beginnt das spannende erste Kapitel eines Buches, das Dorett Funcke gemeinsam mit Bruno Hildenbrand, systemisch interessierten Lesern längst und gut bekannt, in zu erwartender Qualität verfasst hat und in diesen Tagen im Carl-Auer-Verlag erscheint. systemagazin bringt das ganze Kapitel als Vorabdruck.
Zum vollständigen Text geht es hier …

21. September 2009
von Tom Levold
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Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung ist nicht die Vereinigung der deutschen Psychotherapeuten

Einige Presseberichte über die Todesfälle während einer „psychotherapeutischen“ Sitzung in Berlin-Hermsdorf und die darin berichteten Statements des Psychotherapeuten Weidhaas können dieses Missverständnis nahelegen, zumal Hans-Jochen Weidhaas in einer Zeitung sogar als stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer vorgestellt wird.„’Bei der Gruppenssitzung handelte es sich um eine sogenannte ‚psycholytische Therapie‘. ‚Eine Psycholyse, wie sie der Hermsdorfer Arzt in seiner Praxis angeboten hatte, ist explizit nicht zugelassen‘, so Hans-Jochen Weidhaas, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer. Drogen seien ohnehin verboten. Bei einer kassenärztlichen Zulassung sei der Therapeut an die offiziellen Richtlinien gebunden, sagte Weidhaas. „Und hier ist klar festgelegt, mit welchen Methoden beziehungsweise mit welchen Verfahren jemand Patienten behandeln darf.“ In Deutschland gebe es rund 250 Psychotherapieverfahren. „Aber in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind davon nur drei: nämlich die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Psychoanalyse.“ Vor diesem Hintergrund solle der Patient sicherstellen, dass der jeweilige Therapeut eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung hat, riet Weidhaas“ So berichtete der Kölner„Express“. Zu dieser bekannten Art, auf der Herdplatte aktueller Katastrophennachrichten sogleich ein eigenes Süppchen zu kochen, hat Gerd Böttcher in den „Berliner Blättern für Psychoanalyse und Psychotherapie“ einen Kommentar verfasst, der mit freundlicher Erlaubnis auch hier erscheint:

„Die großenteils noch nicht aufgeklärten Todesfälle in einer auch psychotherapeutisch zugelassenen ärztlichen Praxis in Berlin haben für die Tageszeitungen einen hohen nachrichten- und verkaufspolitischen Wert. Fachleute werden angefragt, um solche Vorgänge zu kommentieren. Sie sind häufig zu schnell zu Deutungen bereit, ehe die Zusammenhänge wirklich geklärt sind. Naheliegend ist es, dass die Medien Fachleute befragen, die vorgeben, die gesamte Psychotherapeutenschaft
zu repräsentieren, wie es die Verbandsbezeichnung “Deutsche Psychotherapeutenvereinigung“ suggeriert, (Suggerieren laut Duden: einen bestimmten den Tatsachen nicht entsprechenden Eindruck entstehen lassen) so dass dieser Verband schließlich sogar mit der Bundespsychotherapeutenkammer verwechselt wird. Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung ist aber nicht die Vereinigung der deutschen Psychotherapeuten, sondern ein Verband unter vielen Psychotherapeutenverbänden. Wer sich mit solchem Repräsentationsanspruch anbietet, gerät häufig in Gefahr, mit der Nachrichtenkommentierung zugleich sein eigenes Anliegen zu verkaufen, nämlich die drei vertragsärztlich zugelassenen Psychotherapieverfahren unter „rund 250“ nicht zugelassenen Verfahren auch als allein berufsethisch vertretbare und wissenschaftlich anerkannte Verfahren gelten zu lassen. Der dahinter verborgene besitzstandswahrende Wissenschaftseklektizismus wird dabei selten erkannt. Immerhin könnte die verfahrenseinschränkende Regulierungshartnäckigkeit in der gesetzlichen Krankenversorgung durch Gesetzgeber, Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen das Feld unkontrollierter Psychotherapieverfahren erst ermöglichen. Die Unheilsmeldung von Berlin-Hermsdorf provoziert schnelle distanzierende Verurteilung. Psychotherapeutische Ethik birgt aber auch die Möglichkeit der Geduld und Deutungsabstinenz, die nicht vorschnell anklagt, sondern zuerst verstehen will, was sich in Hermsdorf eigentlich ereignet hat“

Gerd Böttcher
Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie
www.bbpp.de
mit den Maillisten
http://de.groups.yahoo.com/group/psychotherapeuten/
http://de.groups.yahoo.com/group/psychoanalyse/
redaktion@bbpp.org

21. September 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Roland Reichenbach

„Überredungsdefinitionen (persuasive definitions) sind Definitionen, die weniger bestimmen, eingrenzen und klären (was ihre Aufgabe wäre), als vielmehr mit emotional aufgeladenen Wörtern zu ›überzeugen‹ trachten und so auf mehr oder weniger direkte, mehr oder weniger polemische Weise Eindeutigkeiten erzeugen, d.h. es handelt sich um Versuche, die Einstellungen und Gefühle der Adressaten in bestimmter Hinsicht zu bearbeiten und zu dirigieren. In Überredungsdefinitionen kommt die Kraft der ›guten‹ und der ›bösen‹ Wörter erst richtig zur Geltung. Je eindeutiger die emotionale Geladenheit der Wörter (sei es im positiven oder negativen Sinn), je mehr also das Pädagogenherz ergriffen oder aber abgestoßen ist, desto schwerer mag es ihm fallen, den strategischen Gebrauch der Sprache überhaupt noch zu erkennen. Vielmehr meint es dann wahrscheinlich, mit der moralischen Wirklichkeit und Wahrheit in ganz besonders engem Kontakt zu stehen. Daß Überredungsdefinitionen oft unauffällig daherkommen, gehört zu ihrer Variabilität und Stärke. Wenn beispielsweise Alternativ- und Privatschulen dadurch definiert werden, daß in ihnen – scheinbar im Unterschied zu anderen, z.B. öffentlichen Schulen – die »Achtung vor der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler im Zentrum steht«, oder wenn möglichst wenig »extrinsische« Motive, dafür aber um so mehr »intrinsische« Motive gestärkt, gefördert bzw. befriedigt oder wenn Schulen als »embryonale Gesellschaften« verstanden, Kinder schlicht als »anders« begriffen werden sollen (und so weiter und so fort), dann handelt es sich im besten Fall um pädagogische Slogans, die einerseits oft eine hohe Zustimmungsrate erheischen, andererseits aber definitorisch überhaupt nichts bedeuten außer eben, daß sie als Pseudodefinitionen Überredungskraft besitzen“ (In:„Aktiv, offen und ganzheitlich. Überredungsbegriffe – treue Partner des pädagogischen Besserwissens“, parapluie no. 19 (sommer 2004). http://parapluie.de/archiv/worte/paedagogik/
)

17. September 2009
von Tom Levold
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Limits and Possibilities of the Postmodern Narrative Self

Carmel Flaskas (Foto: newspaper.unsw.edu.au) hat vor einiger Zeit (1999) einen interessanten Aufsatz veröffentlicht, in dem sie sich mit der postmodernen und sozialkonstruktionistischen Idee des Selbst als eines relationalen Phänomens, das sich in den sozialen Narrativen offenbart, kritisch auseinandersetzt. Sie plädiert gegen diese Konzeption für eine theoretisch flexiblere Option, nach der das Selbst sowohl als relational als auch als autonom in dem Sinne betrachtet werden kann, dass es auch eine vom sozialen Diskurs unabhängige Basis hat, als„a sense of a physical and emotional being, an embodied self, an experience of the autonomous self“. Im abstract des Aufsatzes, der im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy erschien, heißt es:„The task of theorising the self has been of little interest historically in systemic therapy, yet becomes more interesting in the postmodern turn to the narrative metaphor and social constructionist ideas. Within this frame, the self is theorised as relational, fluid, and existing in narrative. The ‘postmodern narrative self’ counters modernist assumptions of self as an autonomous and fixed ‘internal’ entity, and brings with it theory and practice possibilities. However, any theory also brings limits, and this paper explores the limits of the central ideas of the postmodern narrative self. Through questioning and discussion, an argument is made for holding a dialectic in our thinking about the relational and autonomous self, for acknowledging very real boundaries on the fluidity of self, and for thinking of narrative as one way of knowing self, rather than exclusively constituting the ‘being’ of self“
Der Aufsatz ist online hier zu finden…

15. September 2009
von Wolfgang Loth
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Zitat des Tages: „Gewiss doch, Wittgenstein?“

Ich habe Wittgenstein nie vertieft studiert, und das, was ich – fragmentiert – aus seinen Schriften kennenlernte, nicht wirklich verstanden. Da aber der von mir sehr geschätzte Steve de Shazer immer wieder auf ihn zu sprechen kam, und Matthias Varga von Kibéd, von dem ich viel halte, über Wittgenstein spricht, als sei das so verständlich wie grundlegend, und weil die Idee des Nichtwissens, aus konstruktivistisch-systemischer Sicht so vertraut erscheint wie verstörend, habe ich einmal Vertrauen gefasst in die Möglichkeit, ein Buch von Wittgenstein zu lesen. Das ist natürlich Unsinn. Ich kann kein Buch von Wittgenstein lesen. Aber ich habe die Sätze dieses Buches gelesen, alle, und darüber nachgedacht, und ich war fasziniert und verstört, und hoffte, er habe nicht in allem recht, oder ich möge gescheiter werden, eines Tages, vielleicht. Das Buch, aus dem ich nicht ein, sondern wegen der jeweiligen Kürze, drei Zitate vorstellen möchte, ist:
Ludwig Wittgenstein (1970) Über Gewißheit (hgg. Von G.E.M. Anscome & G.H. von Wright). Frankfurt/M.: Suhrkamp (BS 250)
„321. Ich sage doch: Jeder Erfahrungssatz kann umgewandelt werden in ein Postulat – und wird dann eine Norm der Darstellung. Aber auch dagegen habe ich ein Misstrauen“ […./ S.84]
„356. Mein „Seelenzustand“, das Wissen, steht mir nicht gut für das, was geschehen wird. Er besteht aber darin, dass ich nicht verstünde, wo ein Zweifel ansetzen könnte, wo eine Überprüfung möglich wäre“ [S.94]
„378. Das Wissen gründet sich am Schluß auf der Anerkennung“ [S.99]
Die Zitate habe ich ausgewählt, weil ich jetzt denke, ja, Wittgenstein könnte wirklich etwas bedeuten für das Studieren Systemischer Perspektiven. Aber wohl nicht ohne weiteres. Hatte ich „studieren“ gesagt? Whatyamean?

14. September 2009
von Tom Levold
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Freundschaft. Der dritte Weg zwischen Liebe und Partnerschaft?

Seit langem beschäftigt sich Arnold Retzer mit der Frage, ob die Liebe eine ausreichender Kommunikationscode zur Absicherung dauerhafter Beziehungen darstellt oder ob Beziehungen mit intensiven Liebesanforderungen nicht auf Dauer überfordert sind. 2006 veröffentlichte er in der„Familiendynamik“ einen Aufsatz über Freundschaft, die daraufhin untersucht wird,„ob sie geeignet ist, eine weitere Beziehungsform darzustellen, die in Paarbeziehungen praktizierbar ist. Dazu werden unterscheidende Merkmale von Freundschaft gesammelt und zu einem Kommunikationscode verdichtet. Abschließend werden die nun zur Verfügung stehenden drei Kommunikationscodes Liebe, Partnerschaft und Freundschaft zueinander in Bezug gesetzt“
Der Aufsatz kann hier heruntergeladen werden…

12. September 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Benni Bärman

„Die Natur der digitalen Kopie stellt die zeitgenössischen Gesellschaften vor eine digitale Wahl. Eine Information, die einmal in der Welt ist, ist grundsätzlich nicht mehr rückholbar. Auf diese Situation können die Gesellschaften mit zwei grundsätzlich unterschiedlichen Optionen reagieren: Entweder verstärken sie die Repression bis hin zu einer Marginalisierung von Bürgerrechten um die Natur der digitalen Kopie massiv einzuschränken oder sie leben mit den Folgen dieser neuen Situation, das bedeutet insbesondere: Unmöglichkeit von Zensur und Jugendschutz wie wir ihn heute kennen und Unmöglichkeit der Durchsetzung von Urheber-, Verwertungs- und Persönlichkeitsrechten. Einen Mittelweg gibt es nicht, weil die Repression tendenziell immer stärker werden muss, wenn sie wirksam bleiben soll – eben wegen der Unrückholbarkeit von Kopien. Jeder Repressionsmechanismus kann umgangen werden und es reicht ihn einmal zu umgehen, damit alle etwas davon haben. Das bedeutet, dass jeder Repressionsmechanismus in sich weitere verschärfte Repression trägt. Das gilt auch für die Kulturflatrate, die nur ein Versuch ist das gescheiterte Versöhnungsmodell der industriellen Epoche zu verlängern. Es gibt keine Möglichkeit einer Kulturflatrate ohne Datenschutzkatastrophe und flächendeckende Überwachung“ (5. These aus„14 Thesen zum Urheberrecht“ – in www.keimform.de).

11. September 2009
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Einladung zum Mitmachen

Liebe Leserinnen und Leser,
die Zitate des Tages sollen über die üblichen Kalenderblätter-Sinnsprüche hinausgehen und Anregungen zum Nachdenken und Nachlesen bieten. Ob dies gelingt oder nur zur Ausbreitung der Häppchen-Kultur beiträgt, ist natürlich die Frage. Das war zumindest die Frage von Wolfgang Loth, der sich sogleich die Einladung einhandelte, selbst ein Zitat beizusteuern, verbunden mit ein paar Anmerkungen zur Bedeutung, die dieses Zitat für ihn hat (s.u.). Diese Einladung soll gleichermaßen für Sie gelten. Schicken Sie doch auch ein Zitat ein, das Sie auf besondere Weise beschäftigt hat – mit Anmerkungen oder ohne (aber jedenfalls mit einem Quellenhinweis). Ich freue mich auf kommende Vielfalt!
Herzliche Grüße
Tom Levold

11. September 2009
von Wolfgang Loth
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Zitat des Tages: Spurenreflexion (J. Cremerius)

Vor einigen Jahren ging ich einem Interesse nach und folgte der Spur „1951“. Ein anderes Interesse wanderte latent mit und so fiel mir ein Buch von Johannes Cremerius auf mit dem Titel „Psychotherapie als Kurzbehandlung“. Meine einstmals einäugige Zustimmung zu „Lösungsorientierung“ in Verbindung mit Kurztherapie als therapeutischem Credo hatte zu dieser Zeit mit einer gewissen Ambivalenz bereits eine binokuläre Verstärkung erhalten. Die Ambivalenz bezog sich nicht auf die Würdigung der Lösungsorientierung an sich, sondern auf einen Trend, der sich parasitär damit zu verknüpfen begonnen hatte. Das lösungsorientierte Herz drohte zu einem instrumentellen Popanz zu werden, zu einem lösungsschnittigen Verkaufsschlagersänger, schien mir. Da kam mir Cremerius gerade recht. Langer Rede kurzer Sinn, als ich das Buch las, seine Entstehungszeit bedachte, das Menschenbild auf mich wirken ließ, ich war hingerissen. Natürlich: diese Sprache, das geht heute nicht mehr, wo kämen wir hin….! Das ist nicht kühl genug, nicht überlegen genug, nicht ironisch genug. Keine Reflexion der funktionalen Ausdifferenzierung. Da könnte man gleich noch bekennen, keine Ahnung von PowerPoint zu haben. Das geht nicht. Und doch, als „Geschichte von früher“ möchte ich ein Zitat daraus vorstellen. Es wird aber vermutlich nur die Illusion befördern, es gebe ein friedliches Zusammenwirken von, sagen wir, beispielsweise der Idee der Freiheit, der Idee der Verantwortung für Intentionen und der Idee eines, sagen wir, Latenzen-scannenden Fuchs-Systems. OK, Leben geht weiter …
Das Zitat:
„Die hinter diesem Buch stehende philosophische Gesinnung, die an jenen Stellen sichtbar wird, wo die Frage nach dem Ursächlichen ihr Ende findet und der Patient den Boden betritt, der Entscheidung verlangt, verdankt Verfasser den philosophischen Schriften Oswald Weidenbachs. Vor allem verpflichtet fühlt er sich dem letzten Buch des verehrten Lehrers „Ethos contra Logos“, das den Gedanken der Freiheit konsequent zuende denkt bis zu dem Punkte des Verzichtens auf jede logische Vollendung und Vollendbarkeit der Welt. Ich wüßte keine bessere Form des Dankes, als dieses Buch mit einem Satz Weidenbachs einzuleiten, dessen Wahrheit sich im Verlauf ärztlichen Handelns grundsätzlich bestätigt hat: ‚Der Sinn der Welt liegt darin, daß an jedem ihrer Punkte Tat aus Freiheit möglich ist.’“
(Johannes Cremerius (1951) Psychotherapie als Kurzbehandlung in der Sprechstunde. München: J.F. Lehmanns Verlag; Zitat S.17)

Übrigens, diese Kommentierung des eigenen Auswählens von Zitaten habe ich mir eingehandelt, als ich zu Tom Levold sagte, „Zitat des Tages“, schön und gut, aber wohin führt dieses fragmentarische Goutieren von – zugegeben – nahrhaften Häppchen? Wie wär’s mit einem kleinen Spruch: wozu dieses? Was macht mir dieses Zitat wichtig? Ja gut, sagt Tom, just do it. So nun. Und nu?

11. September 2009
von Tom Levold
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Psychotherapie & Sozialwissenschaft 1/2009

Vor 10 Jahren, 1999, erschien im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht die erste Ausgabe der Zeitschrift„Psychotherapie & Sozialwissenschaft“, die seit 2005 im Psychosozial-Verlag erscheint. Das aktuelle Heft wird mit„einer kurzen Geschichte der Zeitschrift“ von Jörg Frommer und Brigitte Boothe eröffnet, die jedoch – wie Eingeweihte bemerken werden – eine ganze Reihe interessanter, aber womöglich auch konflikthafter Aspekte der„Geschichte der Zeitschrift“ recht beharrlich ausblendet. Ein erstaunliches Beispiel von Geschichtsschreibung. Darüberhinaus finden sich im Heft verschiedene Arbeiten, die sich mit der Ablauforganisation des therapeutischen Gespräches (Streeck), dem Arbeitsbündnis aus gesprächsanalytischer Sicht (Saladin & Grimmer) sowie einer Untersuchung von Narrativen zum Thema Alter, Gesundheit und Religion ((Baumann-Neuhaus & Matthys) beschäftigen. Zwei umfangreiche Rezensionen runden das Heft ab.