systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

13. Januar 2010
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Josef Mitterer

„62. In den verschiedenen Relativismen werden die universalen Wahr-Falsch-Unterscheidungen entweder relativiert zu »wahr/falsch für …« oder ersetzt durch Unterscheidungen wie: »hinlänglich gerechtfertigt« vs. »nicht hinlänglich gerechtfertigt«, »viabel/nicht viabel«, »passend/nicht passend« oder »angemessen/unangemessen«.
63. Jeder relativistische Bezugrahmen muss zumindest soweit gefasst werden, dass in ihm Platz für Meinungsverschiedenheiten bleibt: dass also ein X für den Einen so sein kann und für den Anderen anders.
Es ist trivial, dass jeder relativistische Bezugrahmen Raum lassen muss für die Gedanken, die in ihm auftreten.
64. Ein Problem, das die Relativisten/Konstruktivisten nicht lösen: Wie geschieht der Übergang von der Konstruktion einer Welt-1 zu ihrer Interpretation?
Die Unbestimmtheit des Übergangs ermöglicht es im Konfliktfall, etwaige Gegenauffassungen entweder als falsch, aber zum Framework gehörig, zu diskreditieren – das hätte die unliebsame Konsequenz, dass das Framework wahre und falsche Auffassungen vereint – oder die Gegenposition als falsch in ein anderes Framework zu verweisen, womit sie aufhört, Gegenposition zu sein.
Die erste Möglichkeit führt zur Frage, wie überhaupt vom Framework aus noch zwischen wahren und falschen Beschreibungen unterschieden werden kann. Die zweite Möglichkeit kann nicht uneingeschränkt realisiert werden, sonst verliert der Relativismus/die relativistische Welt-1 jeden Halt: Wenn in einer Welt-1 nur konsensuelle Auffassungen möglich sind, dann entspricht jede konfligierende Auffassung einer anderen Welt und für Konflikte ist kein Platz.
65. Auch der radikalste Relativismus/Konstruktivismus macht Halt vor einer extremen Vorgangsweise derart, dass durch unser Reden ständig »parallel« dazu Objekte oder gar Welten hervorgebracht werden.
Eine solche halt-lose Position, in der jeder Zungenschlag und Augenblick ein neues Versum hervorbringt, würde sogar den Homo-mensura-Satz (und jeden Solipsismus) überbieten.
Eine Vorgangsweise, die weder die Resistenz eines »Ich« noch anderer Objekte gegen Beschreibungen anerkennen würde, hätte kein Maß und kein Ziel.
66. Der Homo-mensura-Satz bestimmt den Menschen zum Kriterium für die Dinge – wenn schon nicht, dass sie sind, so doch zumindest, wie sie sind.
Der Mensch als Kriterium und Instanz ist dem Relativismus entzogen.
Um als Instanz über das Sein oder zumindest das So-Sein der Dinge urteilen zu können, muss der Mensch eine Identität über den momentanen Zustand hinaus besitzen, in dem sein Urteil fällt.
Er muss mehr sein als nur der Mensch-zum-Zeitpunkt-eines-Urteils.
Sein Urteil muss für ihn eine Gültigkeit über den Urteilsspruch hinaus haben, sonst könnte von einer Identität des Menschen nicht die Rede sein“ (In: Die Flucht aus der Beliebigkeit. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2001, 58ff)

12. Januar 2010
von Tom Levold
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Entwicklungsförderung mit Video-Unterstützung

Im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht haben Peter Bünder, Annegret Sirringhaus-Bünder und Angela Helfer ein„Lehrbuch der Marte-Meo-Methode“ herausgebracht, das auf 410 Seiten dem sonst eher recht theoriearm präsentierten Ansatz der videounterstützten Entwicklungsförderung von Maria Aartz ein theoretisches Rüstzeug zur Seite stellt, darüber hinaus und vor allem aber die praktischen Einsatzmöglichkeiten differenziert darstellt. Rainer Schwing hat es rezensiert:„Das Buch ist gewichtig und wichtig: 392 Textseiten plus DVD, es wirft ein starkes Pfund (genauer 800 g) in die Waagschale der Verbreitung und weiteren Entwicklung von Marte Meo. Der Begriff »Lehrbuch« suggeriert allerdings etwas abgeschlossenes, die Darstellung der »reinen Lehre«; dieser Konnotation des Titels entspricht das Buch nicht: Es ist durchdrungen von der experimentellen Grundhaltung, die die Entwicklung von Marte Meo immer ausgezeichnet hat. Arist von Schlippe hat dies in seinem Vorwort schön ausgedrückt: »Und wenn die Theorie die Praxis nicht unterstützt, sondern ihr Vorschriften macht, dann taugt sie nicht.« Derselbe Satz könnte übertragen auch für Marte-Meo-Beratungen gelten, und diese Grundhaltung durchzieht das Buch. Es ist praxisnah, anschaulich und lebendig geschrieben, bringt unzählige Fallbeispiele. Für Marte-Meo-Lernende bietet es gute Struktur und Hinführung, für Marte-Meo-Therapeuten ist es eine Fundgrube, für alle anderen Berater bietet es wertvolle Anregungen, die direkt in die eigene Praxis übernommen werden können“
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11. Januar 2010
von Tom Levold
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Positives Altern – Betrachtungen aus der klinischen Praxis

Thomas Friedrich-Hett ist seit 20 Jahren in psychiatrischen Kliniken tätig und arbeitet seit langem in der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie im Westfälischen Zentrum Herten (mit dem Schwerpunkt Depressionsbehandlung und Memoryklinik). Darüber hinaus ist er freiberuflicher Referent, Moderator, Berater und Supervisor und Lehrtherapeut (SG) am ViISA-Institut in Marburg. In der Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung hat er einen Aufsatz über klinische Perspektiven des Alterns geschrieben, der jetzt auch in der Systemischen Bibliothek zu lesen ist:„Weit verbreitete negative Altersbilder scheinen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung Fähigkeitsverluste zu begünstigen und ältere Menschen an der Entwicklung ihrer Potentiale zu behindern. Die existierende Unterversorgung Älterer im psychotherapeutischen Versorgungsbereich scheint u.a. darin begründet, dass Therapeuten die unangemessenen gesellschaftlichen Altersmythen übernehmen, und ältere Menschen entgegen wissenschaftlichen Befunden für untherapierbar halten. Anhand von Erfahrungen des Autors in der psychotherapeutischen Arbeit mit über 50jährigen Menschen in einer spezialisierten Tagesklinik sollen aus einer systemischen Perspektive wichtige Bestandteile für eine erfolgreiche Behandlung älterer Menschen reflektiert werden. Psychotherapeuten könnten und sollten bei der Verwirklichung positiverer Altersbilder Beiträge leisten. Systemische Therapie kann hierzu wichtige Haltungen und Methoden anbieten“
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10. Januar 2010
von Tom Levold
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systeme 2/09

Das zweite Heft des vergangenen Jahrgangs der systeme hat Vermischtes im Angebot. Stefan Braun macht Vorschläge für eine„Schule 2.0″, Elisabeth Wagner und Elfriede Waas steuern einen Beitrag zur„Choreographie systemischer Gruppenselbsterfahrung“ bei und Werner Walisch betrachtet„Adipositas aus einer mehrperspektivischen Sicht“. Zusätzlich gibt es einen Lagebericht über die Anerkennung der Systemischen Psychotherapie in Österreich sowie ein Tagungsbericht von Peter Luitjens über die Jahrestagung der SG in Bochum – garniert von vielen Rezensionen.
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9. Januar 2010
von Tom Levold
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Zur Einkommenssituation niedergelassener Psychologischer Psychotherapeuten

In der Zeitschrift für Medizinische Psychologie 18(2009) erschien ein Aufsatz von Aike Hessel, Elmar Brähler, Michael Geyer und Christiane Eichenberg zur Einkommensituation niedergelassener PsychotherapeutInnen, der auch online zugänglich ist. Im Abstract schreiben sie:„Zwischen dem hohen Maß der durch niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten erbrachten Leistungen auf der einen Seite und der geringen finanziellen Honorierung derselben auf der anderen Seite besteht ein auffälliges Missverhältnis. Im Jahr 2004 berichtet fast die Hälfte (47.2 %) aller an einer Befragung teilnehmenden Psychotherapeuten aus mehreren Bundesländern in Ost- und Westdeutschland ein Nettoeinkommen von lediglich maximal 30 000 Euro pro Jahr (entspricht maximal 2500 Euro/Monat) und mehr als ein Drittel der befragten Psychotherapeuten (36.6 %) gibt an, sich (und die eigene Familie) mit dem Einkommen nicht ausreichend unterhalten zu können. Besonders stark betroffen sind 11.5 % der teilnehmenden Psychotherapeuten, die mit einem Einkommen von maximal 30 000 Euro/Jahr Haupt- oder Alleinverdiener ihrer Familie sind und Kinder im Haushalt zu versorgen haben. 53 % dieser Kollegen können nach ihren eigenen Aussagen ihre Familie nicht ausreichend versorgen“
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9. Januar 2010
von Tom Levold
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Piano-Treppen


Wie man Gewohnheiten von Menschen verändern kann, wenn man die Sache so anlegt, dass es Spaß macht (und Danke an Katalin Hankovszky für den Hinweis in der systemischen Mailingliste)

8. Januar 2010
von Tom Levold
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Über die Kunst, Fragen zu entwickeln

Im August 2009 hat Stefan Seydel Gesa Ziemer für rebell-tv interviewt, die als Professorin in den Bereichen Kulturtheorie, Philosophie und Ästhetik an der Zürcher Hochschule der Künste lehrt und zudem Studiendekanin an der HafenCity Universität Hamburg im Studiengang„Kultur der Metropole“ ist und auf angenehm unaufgeregte Weise über ihre Ansichten zu Wissen, Forschen, Kritik und Beraten spricht, sehr anregend und interessant.
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8. Januar 2010
von Tom Levold
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Noch einmal Family Process

Mittlerweile ist im Zeitschriftenarchiv des systemagazins auch der komplette Jahrgang der „Family Process“ 2000 erfasst. Als kleiner Service für die LeserInnen bietet systemagazin zudem ein Gesamtverzeichnis der Beiträge in Family Process von 2000-2009 an (bibliografische Angaben und abstracts), nach Autoren sortiert und als PDF in der Systemischen Bibliothek herunterzuladen (144 S.).
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7. Januar 2010
von Tom Levold
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Family Process 4-09

Das letzte Heft der„Family Process“ legt einen thematischen Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier – und wird ganz von Froma Walsh bestritten, die gleich zwei Beiträge zum Thema liefert. Der erste befasst sich etwas allgemeiner mit der Bindung zwischen Menschen und Tieren und geht auch auf die zunehmende Bedeutung des Einsatzes von Tieren in Kliniken, Altenheimen, Schulen und sogar Gefängnissen ein. Ihr zweiter Beitrag nimmt die Rolle von Haustieren in Familien und in der Familientherapie in Augenschein. Weitere Arbeiten präsentieren Forschungsergebnisse. Hier ist eine neue – und wie immer: interessante – Arbeit von Elisabeth Fivaz-Depeursinge und ihrer Forschungsgruppe über das Vermögen von Kleinkindern zu finden, unterschiedlich mit den beiden Eltern umzugehen und deren Beziehung zu regulieren. Weitere Forschungsarbeiten sind dem Triple-P-Programm, ehelichen Konfliktstilen und PTBS gewidmet. Eine interessante Studie wertet die familientherapeutischen Publikationen in China von 1978 bis 2006 aus und kommt zu dem Ergebnis, dass systemische Konzepte den größten Teil aller Veröffentlichungen dominieren, originär chinesische Konzepte aber kaum zu finden sind – vieles ist nach wie vor Importware, ohne dass eine Transformation hinsichtlich der kulturellen Bedingungen in China vorgenommen worden wäre.
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6. Januar 2010
von Tom Levold
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Implizites Wissen um Schuld


Basierend auf ihrer Untersuchung der Erzählungen von Sexualstraftätern, die die Autoren auch als Buch veröffentlicht haben (systemagazin veröffentlichte einen Vorabdruck), haben die Autoren Michael B. Buchholz, Franziska Lamott, Kathrin Mörtl in Heft 1 der Zeitschrift„Recht & Psychiatrie“ einen Beitrag veröffentlicht, der sich mit der Frage des Umgangs mit der eigenen Schuld bei Sexualstraftätern befasst.„Die Therapie wurde in der sozialtherapeutischen Abteilung eines Gefängnisses durchgeführt, die videografierten Sitzungen wurden transkribiert und im Anschluss daran analysiert. Dabei richtete sich das Erkenntnisinteresse auf die Frage, inwieweit die Täter über ein Bewusstsein ihrer Schuld verfügen. Am Material kann gezeigt werden, wie die Gruppenteilnehmer ihr Wissen um die Schuld und das Unrecht ihrer Tat auf rhetorisch kunstvolle Weise verbergen. In Verbindung mit dem Konzept des »impliziten Wissens«, werden Folgerungen für die therapeutische Praxis angeregt“
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5. Januar 2010
von Tom Levold
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Ankunft Konjunktiv

Einen Ort, nicht zu nah,
nicht zu weit.
Ein Paar Schuhe, die halten
gegen jene, die
die Freiheit verwalten.
Etwas Schnaps für die Ewigkeit.
Eine Liebe, die dazugehört,
indem sie stört.
Einen Mond, der blöd vor sich hin stiert.
Ein Gefühl, als wär ich
in Reykjavík, das
mich neu gebiert.
Einen Schutzengel, der mich
nicht belästigt.
Die Erinnerung: das Nichts
hat meine Überzeugung gefestigt.
Ein Abendmahl, daß der Tisch
sich biegt.
Und eine Wahrheit, die mich
zum Ort hinüberlügt.

(Ankunft Konjunktiv. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 1997; © Franz Hodjak)

4. Januar 2010
von Tom Levold
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Klinische Soziologie

„Von einer Klinischen Soziologie ist die Rede, seit Louis Wirth einen entsprechenden Aufsatz im American Journal of Sociology 1931 veröffentlicht hat. Seither taucht dieser Begriff immer wieder einmal auf: bei Ulrich Oevermann und Bernd Dewe in den 1980er Jahren, bei Pierre Bourdieu in den 1990er Jahren. Die Klinische Soziologie stellt einen Spezialfall des Transfers soziologischen Wissens in die alltägliche Lebenspraxis dar. Die Spielräume dieses Transfers weisen eine große Bandbreite auf. Auf der einen Seite des Pols beobachten wir eine vollständige Distanz zu der Vorstellung, sozialwissenschaftliches Wissen könnte zu gesellschaftlichen oder individuellen Problemlösungen beitragen. Am anderen Pol finden wir die Klinische Soziologie. Sie wird verstanden als eine soziologische Perspektive, die nicht nur in einem engen Kontakt zur gesellschaftlichen Praxis steht (das kann auch bei der radikalen Gesellschaftskritik der Fall sein), sondern ihr auch zuarbeitet.“. So beginnt das Editorial des aktuellen Heftes von„Psychotherapie & Sozialwissenschaften“, dass Bruno Hildenbrand als Gastherausgeber zum Thema Klinische Soziologie gestaltet hat. Neben seinem Beitrag über„die Stellung des Klinischen Soziologen zwischen Wissenschaft und Lebenspraxis“ gibt es noch drei weitere Beispiele, die die Anwendungsmöglichkeiten klinischer Soziologie präzisieren können.
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3. Januar 2010
von Tom Levold
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Die Welt als Vorhersagekräftige Theoretische Fiktion

Hans Christoph Micko ist emeritierter Professor für Psychologie an der Universität Marburg sowie an der Technischen Universität Braunschweig. Sein Lehrgebiet ist die Sozialpsychologie und Mathematische Psychologie. Für die aktuelle Ausgabe des„e-Journal Philosophie der Psychologie“ (Nr. 13) hat er ein Plädoyer für einen„Gemässigten Konstruktivismus“ verfasst:„Der naive Realist hält die Welt jenseits des Bewusstseins für eine Tatsache, der radikale Konstruktivist für eine Einbildung. Dazwischen stehen der kritische Realist, der die Welt für eine notwendige Einbildung hält, die es rechtfertigt, sie als Tatsache zu betrachten, und der gemäßigte Konstruktivist, der die Welt für eine Einbildung hält, welche praktischen Zwecken dienlich, jedoch Erkenntniszwecken abträglich ist und daher je nach Zielsetzung als Tatsache oder Einbildung betrachtet werden sollte“ Micko zufolge„sollte die Psychologie in der Lage sein, effektive Methoden zu entwickeln, das sachgemäße Erleben der Wahrnehmungsgegenstände als Bewusstseinsinhalte einzuüben. Damit würde sie den Menschen Zugang zu einem Bereich der empirischen Wirklichkeit des Bewusstseins eröffnen, der ihnen, anders als der Bereich der Erinnerungs- und Fantasievorstellungen oder Gedanken, wegen der schon präattentiven Interpretation von Perzepten als Objekte einer Außenwelt gewöhnlich verschlossen ist“ Diese Überlegungen führen ähnlich wie bei Francisco Varela zu meditativen bzw. buddhistischen Konzepten der Wahrnehmung von Wahrnehmungsgegenständen (percepts) als Bewusstseinsinhalte statt als„Gegenstände der Welt“.
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