systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

16. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: „Boh wie schön!“

Wiltrud Brächter setzt sich seit langen Jahren (aktuell als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, früher als Mitarbeiterin eines Frauenhauses und einer Frauenberatungsstelle) therapeutisch mit Betroffenen von Gewalt in Familie und Partnerschaft auseinander. Im heutigen Adventskalendertürchen erzählt sie eine Geschichte von einer Klientin, bei der ein vermeintlicher faux pas erst die Türen öffnete:„Als Kind vor der Gewalt ihrer Eltern geflüchtet, hatte sie zunächst auf der Straße gelebt, war in die Zwangsprostitution geraten, hatte in einer Drückerkolonne gearbeitet und anschließend eine Zeitlang mit ihrem Freund in einem Zelt am Waldrand gewohnt. An dieser Stelle ging meine Urlaubsromantik mit mir durch – für mich gehört es zu den schönsten Dingen, bei Kanutouren unterwegs in der Natur zu übernachten. Völlig unbedacht sagte ich: „Boh, wie schön!“. Irritiert sah mich Frau F. an. Ich versuchte, zurückzurudern und meine Bemerkung zu relativieren. Gerade wollte ich erklären, dass es ja einen Unterschied macht, ob man freiwillig und bei schönem Wetter im Freien übernachtet oder ob man keine Alternative dazu hat – da unterbrach mich Frau F. mit den Worten: „Es war auch schön!“
Zum heutigen Adventskalender…

16. Dezember 2010
von Tom Levold
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Bücher lesen?

systemagazin habe ich ja gegründet, um die Leselust zu fördern (oder zumindest: wachzuhalten). Als eingefleischter Bücherliebhaber habe ich damit zunächst das Lesen von Büchern (auch: Zeitschriften) gemeint, wohl wissend, dass das systemagazin zunehmend auf Texte verweist, die im Internet, also online zu lesen sind. Daran möchte ich auch weiterhin festhalten. Im neuen Merkur hat die Journalistin Kathrin Passig (Foto: Wikipedia) einen fulminanten, gleichermaßen nüchtern-desillusionierenden wie hellsichtigen Beitrag zum Thema Bücherlesen verfasst, an dem man sich nicht vorbeimogeln kann: jeder Satz ein Treffer. Gottlob (und argumentationstreu) auch für Leser zu lesen, die nicht die Print-Version des Merkur abonniert haben. Da würden mich Kommentare interessieren…
Zum vollständigen Text…

15. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Nein, Du sollst nicht fragen!

Hinter dem heutigen Adventskalendertürchen verbirgt sich eine Geschichte von systemagazin-Leser Sascha Kuhlmann, Sozialpädagoge, Familien- und Erziehungsberater und Supervisor und Coach aus Düren, der von seiner Arbeit mit einer Gruppe für Trennungs- und Scheidungskinder berichtet:„Das Mädchen, von dem ich gelernt habe, heißt Lisa, sie war 11 Jahre und nahm gemeinsam mit sechs weiteren Kindern an dieser Gruppe teil. Es gab zwölf wöchentliche Termine, daneben einen Elternabend und am Ende ein Auswertungsgespräch mit den Eltern und dem zuständigen Berater, der parallel die Elternberatung übernommen hat. Schnell wurde klar, dass jedes Kind im Rahmen der Trennungsgeschichte seiner Eltern wie üblich sein Päckchen zu tragen hatte. Bei Lisa sah dieses Päckchen so aus, dass sie seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zum Vater hatte. Dieser war vor zweieinhalb Jahren in eine andere Stadt gezogen und nach einem halben Jahr hatte er den Kontakt für Lisa ohne ersichtlichen Grund abgebrochen“
Zum heutigen Adventskalender…
PS: Ein paar Geschichten für den Kalender werden noch gebraucht, bitte melden! (Soviel zum Thema: Nein, Du sollst nicht fragen :-))

14. Dezember 2010
von Tom Levold
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Triumphaler Sieg für Berlusconi!

In eindrucksvoller Weise konnte sich der italienische Ministerpräsident heute gegen das Misstrauensvotum der Opposition im Parlament durchsetzen und die Führung der Landesregierung verteidigen. Wieder einmal gelang es ihm, auch Abgeordnete, die noch vor kurzem Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit geäußert hatten, von der Notwendigkeit seiner alternativlosen Politik zu überzeugen. Aus aller Welt trafen Glückwünsche für den strahlenden Sieger ein, der kurz nach der Abstimmung seiner Zuversicht Ausdruck gab, dass er auch den infamen Verleumdungskampagnen der italienischen Justiz bald ein Ende bereiten werde. Auf den Straßen aller italienischen Großstädte kam es zu Jubelbekundungen und Triumphaufmärschen. Besonders auffällig war dabei die Beteiligung vieler sehr junger und für die Jahreszeit ausgesprochen leicht bekleideter Mädchen, die den Sieg Berlusconis feierten. Viele westliche Industriestaaten blicken mit Neid auf Italien, wo das Vertrauen in die politische Führung nach wie vor ungebrochen erscheint. Auch systemagazin gratuliert begeistert zu diesem Triumph
(und bedankt sich bei Herrn Berlusconi herzlich für die Ablösung des lästigen Hypothekenkredits!)

14. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Freundlich angelächelt

Dass ein gewichtiger Teil des therapeutischen Erfolges sich eher schulenunspezifischen Wirkfaktoren verdankt, hat sich mittlerweile herumgesprochen, allerdings ist das auch nicht so leicht zu akzeptieren, wenn man recht stolz auf seine therapeutische Ausbildung in einer bestimmen Psychotherapie-Schule ist. Peter Kaimer hat das mit einer schönen Geschichte illustriert, die sein Beitrag zum diesjährigen Adventskalender darstellt. Also: Bitte recht freundlich!
Zum heutigen Adventskalender…

13. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Kultur?

Katrin Richter, die schon zu Anfang ein Kalendertürchen für uns aufgemacht hat, steuert heute einen zweiten kurzen Beitrag bei, der auf schöne Weise zeigt, dass sich ein Zugang zu Klienten über die Kulturgrenzen hinweg manchmal ganz anders hergestellt als man geahnt hat. Dabei können womöglich auch Dinge wie„gegrilltes Hirn“,„geröstete Ameisen ohne Salz“ oder eingelegte Weinblätter eine Rolle spielen…
Zum heutigen Adventskalender…

13. Dezember 2010
von Tom Levold
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Ernst von Glasersfeld – ein Nachruf von Fritz B. Simon

Ernst von Glasersfeld, der am 12.11.2010 im Alter von 93 Jahren gestorben ist, hat den Begriff des„Radikalen Konstruktivismus“ geprägt. Fritz B. Simon hat für systemagazin einen Nachruf verfasst:„Unter den Vordenkern des Konstruktivismus, wie er heute die Diskussion in „systemisch“ und/oder „konstruktivistisch“ bezeichneten Praxisfeldern – von der Therapie und Sozialarbeit über die Organisationsberatung bis hin zum Management – bestimmt, ist er wahrscheinlich der unbekannteste. Dies mag verwunderlich erscheinen, denn nicht nur der Begriff „Radikaler Konstruktivismus“, sondern auch einige seiner Schlüsselkonzepte sind Ernst von Glasersfeld zu verdanken. Dass dies so ist, dürfte auch an den von ihm (mit-)gestalteten Theorieentwürfen liegen, oder anders gesagt: Er hat seine Theorien, die jeden absoluten Wahrheitsanspruch in Frage stellen, auch personifiziert. So hat er weder für seine Ansätze missioniert noch andere Modelle aggressiv bekämpft. Argumentationen und rationaler Auseinandersetzung hat er sich immer gern gestellt, aber er war nie ein Eiferer, der Jünger um sich schart und Fangemeinden pflegt, kein Schulengründer. Diese persönliche Bescheidenheit und Zurückhaltung hat ihn als „Erfinder“ eines von ihm selbst als „radikal“ bezeichneten Konstruktivismus nicht vor vielen Gegnern bewahrt, die diesen Konstruktivismus als „zu radikal“ erlebten“
Zum vollständigen Nachruf…

12. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender: Die Verstärkung

Peter Fuchs ist einer der prominentesten Systemtheoretiker hierzulande, der in der Praxis (u.a. als Erzieher) seit langem immer wieder mit behinderten Menschen zu tun gehabt hat. Für den Adventskalender erzählt er heute von einer Begebenheit, die dazu führte, dass seine„diffuse Voreingenommenheit für Behinderte geradezu schlagartig umkippte in eine Normalität des Ernstnehmens, durch die der pathetische Unterton jenes Engagements dauerhaft unmöglich wurde“
Zum Adventskalender…

11. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin Adventskalender:11 Dimensionen

Heute steuert Dominik M. Rosenauer, Psychotherapeut aus Wien und derzeit Vorsitzender der ÖAS, einen kleinen Text zum Adventskalender bei. Auf seiner Internetseite schreibt er:„bereits am beginn meines studiums war für mich klar, dass ich mit menschen arbeiten möchte und entsprechend früh (1998) habe ich begonnen, in kliniken und institutionen erfahrung zu sammeln. ich bin überzeugt, dass die klientInnen in dieser zeit zu meinen wichtigsten lehrerInnen gehörten“ Einen davon
stellt er hier vor…

10. Dezember 2010
von Tom Levold
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systemagazin: „Entgegen meiner Erwartungen…“

Das heutige Adventskalendertürchen stammt von systemagazin-Leserin Doreen Lupprian, die von einer Erfahrung aus einem ganz anderen Kontext berichtet:„Als Sozialpädagogin arbeite ich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Bereich der Jugendberufshilfe. So entstand auch der Kontakt zu einer Teilnehmerin, die später zu einem und zwar „meinem Fall“ werden sollte. Sie wurde von einem Mitarbeiter des örtlichen SGB II-Trägers aufgrund ihrer „desorientiert beruflichen Situation“ unserem Träger zugewiesen. Zu dieser Zeit befand ich mich „in den ersten Zügen“ einer systemischen Weiterbildung. Die Arbeit mit der jungen Frau gestaltete sich nach Auftrag des Amtes „wie gehabt“, mit dem Fokus auf Optimierung ihrer Bewerbungsunterlagen, Trainieren der Kommunikationsfähigkeiten und mit dem Ziel sie zu vermitteln. Egal wohin. Hauptsache raus aus dem Leistungsbezug und rein in eine andere Statistik. Wir arbeiteten so gut wie es eben die damalige Arbeitsmarktlage hergab und sie schickte pflichtbewusst immer die geforderte Anzahl von Bewerbungen an Firmen, welche sich jedoch mit ihren Einladungen zu vorstellenden Gesprächen vornehm zurückhielten. Wir waren uns – auch ohne Worte – darüber im klaren, dass es so nicht funktionierte. Irgendetwas funktionierte nicht. Die Zeit verging und innerhalb der Weiterbildung erfuhr ich von einer Hand voll systemischer Methoden. „Alles schön und gut“ – dachte ich mir. Theoretisch. Aber was ist mit der Praxis? Ich konnte all die reizvollen Ansätze in meinem Arbeitsalltag, mal ausgenommen der grundsätzlich respektvollen Haltung gegenüber eines Menschen, nicht anwenden. Innerlich war ich voller Tatendrang, doch endlich auch mal die Wirkung zu erleben, zu sehen, dass es funktioniert. Genogrammarbeit, zirkuläre Fragetechniken, Reframing waren nur einige Stichworte, die in meinem Kopf herum geisterten. Doch dann sollte ich meine – beziehungsweise – wir sollten unsere Chance bekommen“
Zum Adventskalender…

10. Dezember 2010
von Tom Levold
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Zitat des Tages: Erich Kästner

Der Hinweis auf das heutige Zitat des Tages stammt von systemagazin-Autor Andreas Manteufel (herzlichen Dank dafür):
„Der folgende kleine Ausschnitt aus den Lebenserinnerungen von Erich Kästner (1899-1974) zeigt: Die Erkenntnisse der modernen Neurobiologie, hier der Unterschied zwischen dem sogenannten „deklarativen“ und dem sogenannten „autobiographischen Gedächtnis“, lassen sich auch ohne Fachterminologie präzise und nachvollziehbar beschreiben. Und: gewisse Unterscheidungen sind einfach so wahr, dass sie die Menschheit schon immer begriffen hat, auch vor der Zeit der bildgebenden Verfahren.
Beachten Sie, mit welch feiner Ironie der geistige Vater von Emil und die Detektive die Möbelmetaphorik der traditionellen Gedächtnisforschung aufgreift. Sicher, der moderne Hirnforscher wird sagen, dass alles, was hier über Gedächtnis und Erinnerung gesagt ist, im Gehirn repräsentiert ist. Aber das wissen wir ja, und verwechseln nicht Kästners Rede vom „Kopf“ mit dem biologischen Faktum Gehirn. Denken Sie nach diesen Zeilen auch an das, was man Traumagedächtnis oder Körpergedächtnis nennt?
‚Gedächtnis und Erinnerung sind geheimnisvolle Kräfte. Und die Erinnerung ist die geheimnisvollere und rätselhaftere von beiden. Denn das Gedächtnis hat nur mit unserem Kopf zu schaffen. Wie viel ist 7 mal 15? Und schon ruft Paulchen: „105!“ Er hat es gelernt. Der Kopf hat es behalten. Oder er hat es vergessen. Oder Paulchen ruft begeistert: „115!“ Ob wir dergleichen falsch oder richtig wissen oder ob wir es vergessen haben und von neuem ausrechnen müssen, – das gute Gedächtnis und das schlechte wohnen im Kopf. Hier sind die Fächer für alles, was wir gelernt haben. Sie ähneln, glaub ich, Schrank- oder Kommodenfächern. Manchmal klemmen sie beim Aufziehen. manchmal liegt nichts drin und manchmal etwas Verkehrtes. Und manchmal gehen sie überhaupt nicht auf. Dann sind sie und wir „wie vernagelt“. Es gibt große und klein Gedächtniskommoden. Die Kommode in meinem eignen Kopf ist, zum Beispiel, ziemlich klein. Die Fächer sind nur halbvoll, aber einigermaßen aufgeräumt. Als ich ein kleiner Junge war, sah das ganz anders aus. Damals war mein Oberstübchen das reinste Schrankzimmer!
Die Erinnerungen liegen nicht in Fächern, nicht in Möbeln und nicht im Kopf. Sie wohnen mitten in uns. Meistens schlummern sie, aber sie leben und atmen, und zuweilen schlagen sie die Augen auf. Sie wohnen, leben, atmen und schlummern überall. In den Handflächen, in den Fußsohlen, in der Nase, im Herzen und im Hosenboden. Was wir früher einmal erlebt haben, kehrt nach Jahren und Jahrzehnten plötzlich zurück und blickt uns an. Und wir fühlen: Es war ja gar nicht fort. Es hat nur geschlafen. Und wenn die eine Erinnerung aufwacht und sich den Schlaf aus den Augen reibt, kann es geschehen, dass dadurch auch andere Erinnerungen geweckt werden. Dann geht es zu wie morgens im Schlafsaal!“ (In: Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war, München: dtv, 14. Auflage 2010, S. 63-64)