systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

7. Juli 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

Resonanz auf das Virus. Die Corona-Pandemie als die Pandemie einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft

Schon im Mai 2021 hat der Soziologe und Systemtheoretiker Rudolf Stichweh im Rahmen einer digitalen Ringvorlesung der Kieler Universität zum Thema der Coronavirus-Pandemie und ihren Folgen einen Vortrag gehalten, in dem er die Auswirkungen der Pandemie auf die Weltgesellschaft als Kommunikationszusammenhang und ihren Funktionssystemen untersuchte. Die Schriftfassung, die auf diesen Vortrag folgte, ist auch auf academia.edu bzw. bei researchgate.net zu finden. In seiner Einleitung schreibt er: „Zum Titel: ,Resonanz auf das Virus’ ist der erste Teil des Titels. (…) er gefällt mir gut, weil er das trifft, was ich sagen möchte: Resonanz ist eine Beziehung zwischen zwei Systemen. Die Schwingungen des einen Systems lösen Schwingungen im anderen System aus. Wichtig ist beim ersten System die Diskontinuität dieser Schwingungen. Diese sind periodisch oder verändern sich mit der Zeit. Ich will hier nicht versuchen, zu exakt zu sein, weil es mir eher um eine Metapher als um eine exakte Analogie geht. Die sich in der Zeit verändernden Schwingungen des einen Systems lösen die Schwingungen des anderen Systems aus. Die Schwingungen des ersten Systems können durchaus problematisch, womöglich katastrophal, für das andere System sein. Sie können eine ernsthafte Disturbance (Störung) bedeuten. Genau damit haben wir hier offensichtlich zu tun. Das eine System ist das, was mit dem Virus und der viralen Evolution zu tun hat, und das andere System ist das der Gesellschaft. Und von Resonanz kann hier nicht physikalisch exakt, aber in einer vielleicht instruktiven Metapher die Rede sein. Deswegen passt der Titel gut. Der Untertitel ist eine Erläuterung des Titels und eine Hypothese, für die ich im Folgenden argumentieren möchte. Die These lautet ganz einfach: Die Corona-Pandemie ist die Pandemie einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft. Sie ist wohl zum ersten Mal eine Pandemie, die sich in ihren Strukturen sehr genau an die Strukturen einer kommunikationsbasierten Weltgesellschaft anpasst, diese wiederholt und auch dadurch ihre Brisanz und ihre Wirkungsstärke hat. Für diese These werde ich im Folgenden ein paar Argumente zusammentragen.“

6. Juli 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

Die Zeitlinie – eine Möglichkeit zur erlebnisintensiven systemischen Therapie mit Einzelklientinnen

Hans Schindler (Foto: B. Schmidt-Keller)

Heute würde Hans Schindler 70 Jahre alt. Am 8. Oktober 2019 starb er ganz plötzlich in seinem Haus in Italien. Arist von Schlippe und Rudolf Klein mit Barbara Schmidt-Keller haben hier im systemagazin von ihm Abschied genommen. In systhema schrieb Wolfgang Loth: „Wer die Entwicklung der Systemischen Therapie in Deutschland verfolgt hat, wird ermessen können, wie heftig die Erschütterung ist, die diese Nachricht auslöst. Hans Schindler hat die Entwicklung der Systemischen Therapie und der systemischen Perspektiven in Deutschland von Beginn an ungemein wirkungsvoll mitgestaltet. Er war einer der politischen Köpfe dieser Bewegung, hat über 15 Jahre in Vorstandsfunktionen Verantwortung getragen (von 1992 bis 1998 im Mitgliederverein des Instituts für Familientherapie e.V. Weinheim und von 1999 bis 2007 in der Systemischen Gesellschaft). Seit Sommer diesen Jahres war er der erste Systemiker, der als Präsident den Vorsitz einer deutschen Psychotherapeutenkammer (Bremen) innehatte. Er war ein unerschrockener, zielstrebiger und zäher politisch denkender Mensch. Er hatte das Gespür für mögliche Entwicklungen. Doch das allein war es nicht. Was dieses Gespür für mich zu etwas Besonderem machte, waren seine zutiefst humanistisch-politisch fundierte Weltsicht und seine großzügige und menschliche Art, im Kontakt zu sein.”

Hans Schindler hat immer wieder auch Texte veröffentlich, die diese Verantwortung reflektiert haben – zu gesellschaftlichen Themen wie Arbeitslosigkeit, Vergangenheitsbewältigung wie auch therapiepolitische Themen. Er war primär ein „Macher“, der Dinge auf den Weg und Menschen zusammen brachte, organisierte und neben der Arbeit den Genuss verstand. Aber auch zu therapeutischen Fragestellungen hat er sich hier und da geäußert. 1995 erschien in der Zeitschrift systhema, zu deren Redaktion er lange gehörte, ein Artikel über die Technik der Zeitlinie (Time-Line), mit der er gerne arbeitete. Er ist hier zu lesen…

5. Juli 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch (5.7.1942-19.11.2000)

Heute wäre Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch 80 Jahre alt geworden. Sie hat schon in den 1970er Jahren in der familientherapeutischen Szene der Bundesrepublik mitgewirkt, zunächst als Mitarbeiterin von Horst-Eberhard Richter, dann als Gründungsmitglied der Heidelberger Gruppe um Helm Stierlin. Bekannt geworden ist sie durch ihre Co-Autorenschaft des Buches Das erste Familiengespräch bei Klett-Cotta (1976) und später durch ihre gemeinsam mit Andrea Ebbecke-Nohlen herausgegebenes Buch Balanceakte (Carl-Auer-Verlag 1992), in dem erstmals hierzulande die Bedeutung von Geschlechtsrollen in der Familientherapie thematisiert wurde.

Als Therapeutin hat sie 1998 in einem Artikel für den Kontext 1998 zum Thema Qualitätsstandards und therapeutischer Kunst einen schönen Abschnitt geschrieben, den ich hier zu ihrem Andenken gerne wiedergeben möchte:

„In neuerer Zeit ökonomischer Engpässe und gesundheitspolitischen Umdenkens gilt in psychosozialen Kreisen nur derjenige, dessen Verfahren den Qualitätsstandards besonders der Geldgeber (z.B. Krankenkassen, KV) genügen. Der Kampf um die auch hier immer geringer werdenden Ressourcen ist längst eingeläutet und führt zu höchst widersprüchlichen Aussagen. (…) Deutlich wird, daß bei jeder Form der Qualitätssicherung ein Maß an Qualität vom Untersucher definiert werden muß. Was als Erfolg der Therapie gilt, hängt also nicht nur vom individuellen Wohlbefinden der Partner ab. Auch eine Scheidung mit der dazu gehörenden Trennungs- und Trauerarbeit kann für den/die Einzelne/n als Erfolg gelten, wird aber in den seltensten Fällen als Kriterium mit einbezogen. Noch weniger geht aus den statistischen Untersuchungen hervor, inwieweit die Wirksamkeit der Paartherapie von der ,Kunst’ des/der Therapeut/in mitbestimmt ist.
Wodurch zeichnet sich diese therapeutische ,Kunst’ aus? Daß dem Kunstbegriff ein hohes Maß an Können, an spezifischen Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten innewohnt, ist für alle Bereiche der darstellenden und bildenden Kunst unbestritten. Dies gilt auch für die Paartherapie. Hier sind in den je unterschiedlichen Konzeptionen (psychoanalytischen, verhaltenstherapeutischen, systemischen) in den letzten Jahren sehr spezifische Verhaltenskataloge entwickelt worden, so daß diese Verfahren lern- und lehrbar sind. Bestimmte Frage-, Aufgaben- und Interventionsformen, aber auch Hilfstechniken wie etwa Fragebogen, Rollenspiele, Skulpturarbeit, Familienbrett, Trauminterpretationen, Genogrammarbeit oder Familienaufstellungen sind bereits hinlänglich entwickelt und beschrieben worden (…). Aber gutes Können macht noch nicht Kunst aus. Es muß eingebettet und geprägt sein von einer wohlwollend-zugeneigten therapeutischen Haltung. Begriffe wie Allparteilichkeit (BOSZORMENYI-NAGY), Neutralität (REITER-THEIL), Neugier (CECCHIN), Respekt (HARGENS) und interessiertes, selbstreferentielles Beobachten (LUDEWIG) sind zwar notwendige Zutaten, fassen aber meines Erachtens immer noch zu kurz. Dazu kommt eine persönliche Ausstrahlung, geprägt von eigener Lebenserfahrung und Reife, die ein intuitives Maß an Mitschwingen und ,affektiver Bezogenheit’ (WELTER-ENDERLN) ermöglichen. Dieses Schwingen wird gerne mit der Musik verglichen, etwa mit ,dem blinden Tanz zur lautlosen Musik’ (GUNTERN), ,als gemeinsames Improvisieren von Solisten, die durch immer neue Variationen und Modulationen (schließlich) gemeinsam zu einer verbindlichen Melodie (finden)’ (LUDEWIG). Das intuitive, aber auch reflektierte Zusammenwirken der Geschichten des Paares mit der therapeutischen Wahrnehmung dieses ,Paartanzes’ und der Verknüpfung mit dem eigenen Standpunkt kann dann zu einem ebenso wirkungsvollen wie kunst- und ästhetisch genußvollen Ganzen führen, so daß die Worte des alten Römers Falvius auch für die Paartherapie gelten mögen: ,Die gemeinsamen Schritte durchs Leben sind nicht leicht, jeder hört die Musik anders. Aber der gemeinsame Tanz ist wunderbar.’“
(aus: Rücker-Embden-Jonasch, Ingeborg (1998): Am Anfang war das Paar – und dann? Zum Stand der Kunst in der Paartherapie. In: Kontext, 29 (2), S. 129–136).

4. Juli 2022
von Tom Levold
1 Kommentar

Systemischer Forschungspreis 2022 von SG und DGSF für Sontje Nordholt

(Berlin/Köln, Juni 2022) Der gemeinsame Forschungspreis 2022 von Systemischer Gesellschaft (SG) und Deutscher Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) wird an Sontje Nordholt verliehen. Sie erhält die Auszeichnung für ihre Forschung über das subjektive Erleben von Selbstorganisationsprozessen bei Patienten mit Depression. Die Systemische Gesellschaft (SG) und die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) haben gemeinsam den Forschungspreis 2022 an Sontje Nordholt vergeben. Der Titel ihrer Masterarbeit lautet „Idiografische Nachzeichnung von Selbstorganisationsprozessen im Therapieverlauf bei Patienten mit Depression“. Sontje Nordholt hat durch die systematische Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Therapieprozessdaten Prozesse der Selbstorganisation im Therapieverlauf identifiziert und auf subjektiver Erlebensebene mit Bedeutung angereichert. Die Datengrundlage der Arbeit stellen dabei Selbsteinschätzungen von Patienten mit Depression dar, die in Form von Zeitreihen und Tagebucheinträgen mit dem synergetischen Navigationssystem erhoben worden sind. Mit einem innovativen Mixed-Methods-Design ist es der Autorin gelungen, inhaltsunabhängige Transformationsphasen aus dem Tagebuchmaterial zu extrahieren und mit Phasen der Stabilität und Instabilität in den Zeitreihendaten in Beziehung zu setzen.

Psychotherapieprozessforschung auf Basis komplexer Systeme gewinnt auch über den systemischen Diskurs hinaus an Popularität, da sie eine theoriebasierte, individuenzentrierte Anwendungsforschung ermöglicht. Sontje Nordholt ist es gelungen, dabei die qualitative Perspektive mit einzubeziehen. So konnte sie in ihrer Arbeit einen toten Winkel der quantitativen Betrachtung beleuchten, indem sie den Effekt von Selbstorganisationsprozessen auf der subjektiven Erlebensebene abgebildet hat. Durch den systematischen Einbezug der persönlichen Perspektive von Patient*innen hat Nordholt einen wichtigen Beitrag geleistet, um das Paradigma der Selbstorganisation für den psychotherapeutischen Praxiskontext nutzbar zu machen.
Mit ihrem wissenschaftlichen Forschungspreis verfolgen die systemischen Verbände das Ziel, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, die Weiterentwicklung der Forschungs- und Praxismethoden im Kontext des systemischen Denkens anzuregen und die Bedeutung des systemischen Ansatzes für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen. Der Preis ist mit 3.000 Euro dotiert.
Sontje Nordholt, Psychologin (M.Sc.) und Kognitionswissenschaftlerin (B.Sc.), befindet sich in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin (Sytemische Therapie, IFW) und arbeitet zurzeit in einer psychosomatischen Klinik in Eckenhagen.
(Quelle: u.a. idw.online)

2. Juli 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

Jochen Schweitzer im Gespräch

Schon am 31.5. hat der Carl-Auer-Verlag ein von Rüdiger Retzlaff geführtes Interview mit Jochen Schweitzer veröffentlicht, das als Audiofassung in der SoundCloud zu hören, aber auf der Verlags-Website auch als Transkript zu lesen ist. In der Einleitung heißt es: „Jochen Schweitzer gehört zu den maßgeblichen Persönlichkeiten in der Entwicklung systemischer Therapie und Beratung der letzten Jahrzehnte, unter anderem als Autor und Herausgeber einflussreicher Bücher und weiterer Publikationen, Organisator der Heidelberger Tagungen zu systemischer Forschung, langjähriger 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Organisator von eigenen Forschungsprojekten, Mitgründer des Helm-Stierlin-Instituts, Professor und Leiter der Abteilung Medizinische Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Im April 2022 trat Jochen Schweitzer in den Ruhestand. Rüdiger Retzlaff lädt Jochen Schweitzer zu einem spannenden Gespräch über erste Erfahrungen mit Familientherapie in Baltimore (USA), seine Zeit am Institut für psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie der Universität Heidelberg, zu einem kritischen Blick auf Konzepte und Praxis– wie die paradoxe Intervention der Mailänder Schule – die Neuausrichtung der Weiterbildungsorganisation am Helm-Stierlin-Institut und die Einschätzung anstehender Entwicklungen im systemischen Feld“.

Das Interview ist hier zu hören und zu lesen…

29. Juni 2022
von Tom Levold
1 Kommentar

Gregory Bateson über den Atomkrieg, die Wettrüstung und die Idee der Abschreckung

Vor kurzem habe ich in alten Exemplaren der Zeitschrift für systemische Therapie geblättert und bin auf das Heft 3/1986 gestoßen, in dem es schwerpunktmäßig um das Thema Frieden ging. In den 1980er Jahren erfolgte der NATO-Doppelbeschluss, es war auch das Jahrzehnt der Friedensbewegung. Jürgen Hargens veröffentlichte in dieser Ausgabe drei Briefe von Gregory Bateson, die er an die Verwaltung der kalifornischen Universität schrieb. Als Mitglied des Verwaltungsrates der Universität und eines Sonderforschungsausschusses wendet er sich gegen die Rüstungsforschung, die an der Universität betrieben wurde und begründet in diesen Briefen seinen Austritt aus dem Ausschuss. Die Briefe wurden erstmals im Sommer 1980 im Lomi School Bulletin veröffentlicht und richten sich an den Verwaltungsrat (I), an das VR-Mitglied Vilma S. Martinez (II) und an das VR-Mitglied und Vorsitzender des Sonderforschungsausschusses William A. Wilson (III).

Ich finde die Briefe vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krieges Russlands gegen die Ukraine und des Konfliktes zwischen der NATO und Russland, der auf dem Boden der Ukraine ausgetragen wird, nachdenkenswert und möchte hier einige Zitate aus den Briefen wiedergeben. Sie betreffen nicht die beteiligten Personen, sondern sind eher allgemeine Überlegungen zur Rüstungsspirale und ihren Folgen.

Weiterlesen →

28. Juni 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

Klinische Ethik systemisch betrachtet

Katharina Woellert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Vorstandsbeauftragte für Klinische Ethik am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf. In der Zeitschrift Ethik in der Medizin ist ein aktueller Artikel von ihr mit dem Titel Klinische Ethik systemisch betrachtet – Vom Einfluss systemischer Grundannahmen und Methoden auf die Gestaltung einer effektiven Ethikberatung erschienen, in dem sie die Vorteile, aber auch Probleme einer systemischen Perspektive auf ethische Dilemmata im klinischen Kontext anhand von zwei Fallbeispielen diskutiert und für eine systemische Vorgehensweise plädiert.

Im Abstract heißt es: „Krankenhäuser müssen sich an der ethischen Qualität ihrer Versorgung messen lassen. Es geht dabei um einen Zustand, in dem allgemein anerkannte moralische Normen in der Patient:innenversorgung konsequent berücksichtigt werden. Damit sind zwei Ebenen angesprochen: die der ethisch-normativen Deutung und die der Gestaltung intra- und interpersonaler Prozesse. Die Klinische Ethik ist die Disziplin, die in der Verbindung beider ihre zentrale Aufgabe sieht. Um sie zu erfüllen, muss Ethikarbeit auf der Basis komplexer Kompetenzen erfolgen. Neben fundiertem Ethikwissen ist das Beherrschen von geeigneten Methoden für die Steuerung solcher Prozesse eine unabdingbare Voraussetzung. Dazu aber ist die Studienlage vergleichsweise dünn. Die vorliegende Arbeit greift dieses Desiderat auf und geht dabei von der Hypothese aus, dass die Systemik einen wichtigen Beitrag zu einer im obigen Sinne effektiven Ethikarbeit leisten kann. Die Darstellung gibt einen Einblick in das systemische Denken und diskutiert die Möglichkeiten, die systemisches Handwerkszeug für die Herausforderungen der Klinischen Ethik bereithält. Die Ausführungen laden dazu ein, über den Einfluss systemischer Grundannahmen und Methoden auf die Gestaltung einer effektiven Ethikarbeit nachzudenken. Darüber hinaus ruft dieser Beitrag dazu auf, die Beratungsmethodik als solche mehr in den Fokus zu rücken.“

Der Text ist unter diesem Link im Open Access frei verfügbar.

27. Juni 2022
von Tom Levold
18 Kommentare

Fritz B. Simon und Friedrich Glasl über den Ukrainekonflikt

Am 24. Juni 2022 sprachen Friedrich Glasl und Fritz B. Simon in einer Zoom-Sitzung moderiert von Andreas Winheller (Verhandlungsperformance Consulting) und Gesine Otto (Sozialagentur kommstruktiv.de) über ihre Perspektive auf den Konflikt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Vorschläge für eine Konfliktlösung. Während Fritz Simon dafür plädiert, die Ukraine mit allen erforderlichen schweren Waffen zu beliefern, damit den Russen die Idee des Sieges auszutreiben, wendet sich Friedrich Glasl gegen die weitere Eskalation in der Affektlogik, die mit jeder Waffenlieferung verbunden ist und plädiert für deeskalierende Maßnahmen.

Eine spannende Diskussion, die über zwei Stunden dauert, aber – wie Fritz Simon in Abgrenzung zu den Drei-Satz-Statements in den üblichen Talkshows anmerkt – Zeit bietet, um Argumentationen zu entfalten. Das Ansehen lohnt sich also.

23. Juni 2022
von Tom Levold
1 Kommentar

Emotionale Sicherheit

Am 6.6. habe ich an dieser Stelle das Buch von Don R. Catherall über Emotionale Sicherheit. Affektive Kommunikation in Paarbeziehung und Paartherapie vorgestellt. Gestern ist auf der Website des Carl-Auer-Verlages ein Interview erschienen, das Matthias Ohler mit mir über dieses Buch geführt hat. Dabei geht es um die Bedeutung der Affekttheorie für das Verständnis von Kommunikation in Beziehungen und sozialen Systemen, um den Unterschied von Affekten, Gefühlen und Emotioen, und vor allem um den häufig übersehenen Affekt der Scham und die Schamemotion, die eine große Rolle bei (nicht nur) Paarkonflikten spielen und auch die professionelle Kommunikation im therapeutischen und beraterischen Setting vielfach beeinflussen.

Zum Podcast, der auch als Transkript gelesen werden kann, geht es hier…

19. Juni 2022
von Tom Levold
Kommentare deaktiviert für Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe. Streitschrift für eine liberale Soziale Arbeit

Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe. Streitschrift für eine liberale Soziale Arbeit

Unter diesem Titel hat Heiko Kleve 2020 im Carl-Auer-Verlag seine Streitschrift veröffentlicht, in der er dafür plädiert, die sozialstaatliche Regulierung sozialer Arbeit durch eine marktliberale Politik von Angebot und Nachfrage zu ersetzen. Dabei bezieht er sich wesentlich auf Autoren wie den Theoretiker des Neoliberalismus Friedrich Hayek und den Systemtheoretiker Niklas Luhmann, deren Ansätze für ihn im Wesentlichen übereinstimmen: „Während der Neoliberalismus insbesondere Wirtschaftsfragen thematisiert, und ein Wirtschaftsliberalismus ist, kann die Systemtheorie weiter gefasst werden: Wir könnten sie als Systemliberalismus bezeichnen“ (S. 86). Dieses Etikett nimmt er auch für seine eigene Position in Anspruch.

Seine Begeisterung für den Neoliberalismus hat Kleve schon seit 2010 in verschiedenen Zeitschriftenaufsätzen publiziert, die ausschnittweise und überarbeitet auch in dieses Buch eingegangen sind, so z.B. auch der Artikel Systemische Sozialarbeit und Liberalismus. Plädoyer für soziale Selbstorganisation und individuelle Autonomie – eine Diskussionsanregung, der 2016 in der Familiendynamik erschien, ohne aber eine nennenswerte Diskussion auszulösen. Im sozialarbeiterischen Diskurs sind seine Texte durchaus auf Widerspruch gestoßen, anerkennenswerter Weise hat er einen kritischen Dialog mit Markus Eckl über seine Thesen auch als Kapitel in dieses Buch aufgenommen. Im systemischen Feld haben seine Überlegungen, die ja hohen politischen Sprengstoff bieten, dagegen bislang keine sonderliche Aufmerksamkeit bekommen, entsprechend fiel auch die Resonanz auf seine „Streitschrift“ bislang eher mager aus.

Vor diesem Hintergrund bietet die nachfolgende ausführliche Rezension Reinhart Wolffs, der die Promotion Heiko Kleves betreut hat, vielleicht doch die Möglichkeit, in eine kritische Debatte von Kleves Thesen einzusteigen.

Reinhart Wolff, Berlin: Kein Leuchtturm mehr – Kritische Lektüre einer Streitschrift für eine liberale Soziale Arbeit

1.
Als mich vor einigen Monaten Tom Levold fragte, ob ich bereit wäre, eine 2020 publizierte, allerdings schnell in der Fachöffentlichkeit heftig umstrittene Aufsatzsammlung von Heiko Kleve: Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe. Streitschrift für eine liberale Soziale Arbeit zu rezensieren, zögerte ich und fragte mich, ob ich das tatsächlich tun sollte, war Heiko Kleve doch einer meiner besten Doktoranden in den 1990er Jahren gewesen, dessen weitere Arbeit ich immer mit Interesse verfolgt hatte. Heiko Kleve hatte an meinem Promotionscolloquium „Theorie und Praxis sozialer Hilfesysteme“ teilgenommen und dann 1998 eine rasante Dissertation „Postmoderne Sozialarbeit. Ein systemtheoreti-sche-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft“ vorgelegt (in 1. Auflage 1999 in Aachen in Heinz Kerstings Wiss. Verlag des Instituts für Beratung und Supervision und 2007 als 2. Auflage in Wiesbaden im VS Verlag für Sozialwissenschaften erschienen), die ich selbst und Dietmar Kamper als Gutachter wie auch viele Leser danach (wie beispielsweise auch Herbert Effinger in seiner Rezension der Zweitauflage vom 08. Okt. 2007 im socialnet; Zugriff: 08.06.2022) als eine wichtige, ja, herausragende Leistung einschätzten. Ich hatte damals im Vorwort zur Erstveröffentlichung geschrieben:
„Wer wissen will, wie man Sozialarbeit als modernes Berufssystem mit all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit verstehen und beschreiben kann, wird diese Arbeit eines Fachhochschulabsolventen, der damit seine Promotion im direkten Zugang von der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin zur Freien Universität Berlin mit Auszeichnung abschloß, mit Gewinn lesen.
Die Arbeit ist ein Glücksfall einer eigenständigen Weiterentwicklung systemisch-konstruktivistischen Denkens. Wie ein Leuchtturm, dessen bin ich mir sicher, wird sie der Theorie wie der Praxis moderner Sozialer Arbeit Richtung und Orientierung geben.“ (S.11)

Weiterlesen →

13. Juni 2022
von Tom Levold
Keine Kommentare

DGSF-Forschungsförderung 2022

Die DGSF hat auf ihrer Mitgliederversammlung im Juni 2021 einen Etat von 25.000 Euro zur Forschungsförderung aufgesetzt, wobei die Förderung pro Projekt auf maximal 5.000 Euro festgelegt ist und vor allem als Anschubfinanzierung dienen soll. Anträge auf Forschungsförderung können jeweils bis zum 30. Juni des in Betracht kommenden Jahres bei der DGSF-Geschäftsstelle eingereicht werden. Für 2022 bleiben deshalb noch gut zwei Wochen Zeit für die Einreichung eines Antrages.

Gefördert werden Projekte aus allen Bereichen des systemischen Arbeitens. Erwünscht sind insbesondere Studien aus bisher wenig beforschten Bereichen wie der Sozialen Arbeit. Der systemische Charakter des Projekts soll im Antrag deutlich werden.
Mit dieser Förderung möchte die DGSF auch Praktiker*innen und Forschungsneulinge zu eigenen Forschungen ermutigen. Diese sollen in Fragestellung, Methoden und zu erwartendem Nutzen praxisnah und anwendungsorientiert sein. Gerne vermitteln die Mitglieder der Forschungsjury Forschungspaten zur Unterstützung und Beratung bei der Planung solcher Projekte.

Nicht gefördert werden

  • Projekte, die bereits begonnen haben
  • Personalkosten (Honorare/Ausfallzeiten) oder
  • Lebenshaltungskosten der Antragsteller*innen (es werden nur Personalkosten von Dritten gefördert)

Nach Abschluss des Projekts wird ein Abschlussbericht erwartet, der auf der DGSF-Website veröffentlicht wird. Darüber hinaus ist die Publikation eines Aufsatzes in einer systemischen Fachzeitschrift oder eine Präsentation/Vorstellung auf einer DGSF-Tagung bzw. in einer DGSF-Fachgruppe erwünscht.

Über die Vergabe entscheidet eine Jury aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und vom Vorstand beauftragten DGSF-Mitgliedern.

Hinweise zur Bewerbung

Anträge auf Forschungsförderung sollen in einer einzigen, max. 15 Seiten umfassenden PDF-Datei dargelegt werden, und wie folgt gegliedert sein:

  1. Anschreiben
  2. Übersichtliche Darstellung der Projektbeteiligten und Institutionen mit allen
    Kontaktdaten
  3. Angaben zum beruflichen/wissenschaftlichen Hintergrund sowie den bisherigen
    Forschungserfahrungen der Antragsteller*innen
  4. Titel des Vorhabens
  5. Zielsetzung und Fragestellung
  6. Aktueller Forschungsstand
  7. Wissenschaftliche Hypothesen, die dieses Projekt verfolgt
  8. Beschreibung des Forschungsvorgehens
  9. Deutliche Darstellung des systemischen Charakters des Projekts
  10. Erwarteter Nutzen und mögliche Folgen der Projektergebnisse
  11. Vorgesehene Art der Darstellung der Ergebnisse
  12. Zeitplan
  13. Kostenplan, aufgeschlüsselt nach
    a) DGSF-beantragt, Eigenanteil, ggf. andernorts beantragt b) Personalkosten / Sachkosten