systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

28. Juni 2011
von Tom Levold
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Systemische Therapie 2020?

Im aktuellen Heft des„Kontext“ beantworten 13 Autorinnen und Autoren„quick and dirty“ die Frage, wie sie sich die Systemische Therapie 2020 vorstellen. Im Editorial schreiben die Herausgeber:„Wir erinnerten uns an die Zeit – lange ist’s her –, in der die neuesten Ausgaben der systemischen Zeitschriften mit Spannung erwartet wurden, weil immer wieder mit theoretischen oder methodischen Neuheiten gerechnet werden konnte, die man nicht verpassen wollte, um mitreden zu können. Das hat sich unserem Eindruck nach schon lange gelegt. Der systemische Ansatz, so könnte es den Anschein haben, ist in seine kanonische Phase eingetreten. Auch wenn immer wieder Details neu ausgeleuchtet werden, sind seine Grundzüge doch im Wesentlichen ausbuchstabiert, mit Innovation oder gar Kontroversen ist nicht mehr zu rechnen. Die Zeitschriftenbände füllen das Bücherregal – mehr nicht. Oder? Auf die Frage, ob es denn wirklich nichts mehr zu debattieren gäbe, konnten wir uns relativ schnell auf ein »Nein« einigen. Es mag sicherlich eine Reihe von Gründen für die Diskussionsmüdigkeit im systemischen Feld geben, der Energieverbrauch im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat mag einer davon gewesen sein, dass es nunmehr an theoretischen, praxeologischen oder politischen Herausforderungen mangelt, wollen wir nicht glauben. Unserer Ansicht nach soll der »Kontext« nicht nur das spiegeln, was in der systemischen Szene vorfindbar ist, sondern selbst auch Impulse setzen, die eine Debattenkultur bestärken und einen Beitrag zur Verlebendigung des systemischen Diskurses leisten können. Aus diesem Grund wollen wir in Zukunft verstärkt das Potenzial an Unterschieden und Kontroversen ausloten, das sich unter dem scheinbaren Einklang der Systemiker versteckt hält. Das wird Zeit brauchen, auf die wir schon gespannt sind. Den Anfang machen wir mit dem aktuellen Heft, in dem wir eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen sowohl aus der DGSF als auch der SG unter dem Stichwort »Systemische Therapie 2020?« danach befragt haben, welche Aufgaben und Herausforderungen sie auf das Feld der Systemischen Therapie zukommen sehen – nachdem nun das Etappenziel einer Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat erreicht worden ist. Auf die Einladung zur Diskussion von Tom Levold haben Jürgen Kriz, Jürgen Hargens, Rüdiger Retzlaff, Wolfgang Loth, Kurt Ludewig, Wilhelm Rotthaus, Cornelia Oestereich, Reinert Hanswille, Michaela Herchenhan, Thomas Keller sowie Eugene Epstein und Manfred Wiesner geantwortet. Ihnen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt, weil die Idee und Umsetzung des Heftes äußerst kurzfristig erfolgte und alle Autoren nur wenig Zeit für ihre Antwort hatten. Weil ausdrücklich auch »quick & dirty answers« erlaubt waren, muss man das Ergebnis als eine aktuelle Bestandsaufnahme und nicht als Katalog zeitloser Positionen lesen – gerade das macht es spannend. Wie wir erwartet haben, sind die Antworten alles andere als einheitlich, die Spannweite der Einschätzungen ist immens“ Außer den genannten Beiträgen und den üblichen Rubriken gibt es im neuen Heft noch das Transkriptes eines älteren (2008), aber immer noch höchst aktuellen Streitgespräches zwischen Tom Levold, Wolfgang Loth, Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer zum„Störungsspezifischen Wissen“.
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27. Juni 2011
von Tom Levold
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The Illusions of Psychiatry

Am 7.6. habe ich an dieser Stelle auf eine ausgezeichnete Buchbesprechung von Marcia Angell in der New York Book Review hingewiesen, in der sie der Frage nach den Ursachen der Epidemie„psychischer Krankheiten“ nachging. Seit heute ist der nicht minder spannende zweite Teil ihres Artikels online zu lesen, der vor allem dem problematischen Einsatz von Psychopharmaka durch Psychiater und dem Einfluss der Pharma-Industrie auf die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft, die die nächste Ausgabe des DSM (nämlich DSM-V) vorbereitet, gewidmet ist. Sie beschreibt u.a. eindrucksvoll, wie die Pharmazeutisierung und„Re-Medikalisierung“ der Psychiatrie als eine Strategie der APA auf die zunehmende gesellschaftliche Kritik an der Psychiatrie in den 60er und 70er Jahren vorangetrieben wurde:„In the late 1970s, the psychiatric profession struck back—hard. As Robert Whitaker tells it in Anatomy of an Epidemic, the medical director of the American Psychiatric Association (APA), Melvin Sabshin, declared in 1977 that “a vigorous effort to remedicalize psychiatry should be strongly supported,” and he launched an all-out media and public relations campaign to do exactly that. Psychiatry had a powerful weapon that its competitors lacked. Since psychiatrists must qualify as MDs, they have the legal authority to write prescriptions. By fully embracing the biological model of mental illness and the use of psychoactive drugs to treat it, psychiatry was able to relegate other mental health care providers to ancillary positions and also to identify itself as a scientific discipline along with the rest of the medical profession. Most important, by emphasizing drug treatment, psychiatry became the darling of the pharmaceutical industry, which soon made its gratitude tangible“
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26. Juni 2011
von Tom Levold
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Die gute Stube

Im Haus eines befreundeten Bauernpaares wirkt eine Schmutzschleuse als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen. Sie lädt den Bauern und seine Mitarbeiter ein, auf dem Weg von Acker, Wiese oder Stall die Stiefel abzustellen, zu duschen und die Arbeitskleider an den Nagel zu hängen. Der Übergang in die häusliche Sphäre wird durch dieses kleine Ritual markiert. In den traditionellen Familienverhältnissen bleibt die Hausarbeit zwar Frauensache, aber durch die symbolische Reinigung, bei der auch die grösseren Kinder mitmachen, bekommt die Bäuerin Anerkennung für ihre Arbeit. Die Schmutzschleuse stiftet Ordnung und Entlastung im Alltag, und sie dient der Aufrechterhaltung weiblicher und männlicher Bereiche, ohne dass darüber noch «kommuniziert» werden muss.
Eine ähnliche Funktion hatte im Haus meiner Kindheit die gute Stube. Im Geschäftshaushalt war es selbstverständlich, dass während der Woche die Angestellten mit am Tisch aßen. Es wurde am Werktag für zwölf oder mehr Leute gekocht, und wir Kinder waren froh, wenn unsere Stimmen am Tisch überhaupt gehört wurden. Anders am Sonntag, wenn nur die «Kernfamilie», die Eltern und wir fünf Kinder, in der guten Stube assen – mit Porzellan und Silberbesteck. Auch wenn heute die Einrichtung der guten Stube als bürgerliche Spießigkeit abgetan wird, denke ich mit einem Lächeln an sie zurück. Für uns markierte sie wichtige Grenzen zwischen Arbeit, Familie, Öffentlichkeit und Privatheit.
Wenn ich mit modernen Paaren zusammen bin, kommt mir oft die Weisheit von Schmutzschleuse und guter Stube in den Sinn, die den Übergang von außen nach innen kennzeichnen. Klagen über das Fehlen solcher ritualisierter Übergänge klingen ähnlich. Eine Frau: Mein Mann kommt müde nach Hause, vielleicht von einer Reise – und was tut er? Er läuft durch die Wohnung und schimpft über herumliegende Spielsachen oder meine Arbeitspapiere auf dem Esstisch, oder er rennt zum Handy, bevor er uns begrüßt hat. Ein Mann: Ich gönne doch meiner Frau den Erfolg im Beruf. Aber wenn sie heimkommt und atemlos die Kinder nach ihren Hausaufgaben fragt oder den Geschirrspüler auszuräumen beginnt, ist der Abend im Eimer.
Übergänge ritualisieren: eine halbe Stunde aufs Bett liegen, bevor die Frau sich der Familienarbeit zuwendet; ein vereinbarter Rückzug an den Computer, bevor der Mann als Partner und Vater präsent wird. Oder ein gemeinsames Glas auf dem Balkon. Den Seelen erlauben, den Alltag hinter sich zu lassen und anzukommen.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

25. Juni 2011
von Tom Levold
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Runder Tisch Heimerziehung

Der Runde Tisch Heimerziehung, der die Aufklärung der Zustände in den deutschen Heimen in den 50er und 60er Jahren zur Aufgabe hatte, hat seine Arbeit im Januar 2011 mit der Übergabe seines Abschlussberichtes an den Deutschen Bundestag beendet. Ab März 2011 nahm die Anlaufstelle„Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, die auf Vorschlag des Runden Tisches von Bund und Ländern eingerichtet wurde, ihre Arbeit auf. Sie soll bis zur Umsetzung der Lösungsvorschläge des Runden Tisches als Anlaufstelle zur Verfügung stehen. Der Abschlussbericht steht als PDF zum Download zur Verfügung!
Zum Download geht es hier…

24. Juni 2011
von Tom Levold
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WAS SCHÖNS “REFLECTIVE PRACTITIONER” DURCH DIE KOMMUNIKATION MIT LAIEN LERNEN KÖNNTE

Riklef Rambow, Diplom-Psychologe mit einer Lehrstuhlvertretung für Theorie der Architektur an der TH Cottbus und Rainer Bromme, Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Münster, haben in einem sehr anregenden Text Gedanken zur Erweiterung des Konzeptes des„Reflective Practitioners“ von Donald Schön um die Kommunikation von Experten mit Laien entwickelt und und damit einen spannenden Beitrag zur Frage professioneller Kommunikation geleistet, der in dem 2000 von H. G. Neuweg im Studienverlag Innsbruck herausgegebenen Sammelband„Wissen – Können – Reflexion. Ausgewählte Verhältnisbestimmungen“ erschienen ist:„In vielen Tätigkeitsfeldern, die spezialisiertes Wissen und Können erfordern und in denen daher Experten gefragt sind, gehört auch die Kommunikation mit Laien zu den beruflichen Anforderungen. Diese Verständigung zwischen Fachleuten und Klienten, Kunden, Mandanten, oder – allgemeiner – der Öffentlichkeit wird allerdings von den Beteiligten häufig als subjektiv schwierig erlebt, und sie misslingt auch tatsächlich häufig. Der hierfür bedeutsame Teil beruflicher Expertise bleibt im Rahmen der kognitionswissenschaftlichen Forschung zu Experten meist ausgeblendet und er fehlt auch in vielen wissenschaftssoziologischen Studien über Experten und Expertise. In dem vorliegenden Beitrag werden wir darlegen, weshalb die empirische und theoretische Analyse der Kommunikation zwischen Experten und Laien dazu beitragen kann, die kognitiven Grundlagen des Expertenhandelns insgesamt besser zu verstehen“
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23. Juni 2011
von Tom Levold
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„Gut, dass wir drüber gesprochen haben“?

Mit dem gesellschaftlichen Siegeszug der Psychotherapie geht auch etwas einher, das man die Therapeutisierung der Alltagssprache nennen könnte. Das sehr lesenswerte neue Heft der„Psychotherapie & Sozialwissenschaft“ unter der Herausgeberschaft von Heiko Hausendorf, Sprachwissenschaftler am Deutschen Seminar der Universität Zürich, beschäftigt sich mit diesem Thema. In seinem Editorial schreibt Hausendorf:„Therapeutisierung ist ein spätestens seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts viel besprochenes und vor allem ein viel beklagtes Phänomen, das in diesem Sinne seit Längerem im Gespräch ist. Das Stichwort » Therapeutisierung« steht dabei zumeist dafür, dass sich Erscheinungsformen des Sprechens und Zuhörens, von denen man annimmt, dass sie für den institutionellen Rahmen einer (Psycho)Therapie charakteristisch sind (…), über diesen Rahmen hinaus auf andere und immer weitere Lebensbereiche ausdehnen: auf andere Institutionen, auf den Alltag nicht institutionell gerahmter Begegnungen und Gespräche, auf Sendungen im Fernsehen, auf Internetforen und auf die Spalten der Tageszeitungen und Magazine. In diesem Sinn kann man etwa – ein willkürlich herausgegriffener Beleg – polemisch von einer »Therapeutisierung der Sozialarbeit« sprechen und aus berufspolitischen Erwägungen den Unterschied zwischen »Beratungs-« und »Therapiegesprächen« betonen (…). Therapeutisierung, was immer man dann genau darunter verstehen mag, ist grundsätzlich ein kommunikatives Phänomen bzw. ein kommunikativer Effekt und dabei – fast immer – auf sprachliche Erscheinungsformen angewiesen. Als Phänomen und Effekt von vorrangig sprachlicher Kommunikation jedenfalls wird Therapeutisierung im vorliegenden Heft behandelt. Ob Therapeutisierung etwas Beklagens- oder Begrüßenswertes ist, tritt dabei hinter die Frage zurück, worin sich Erscheinungsformen therapeutischer
Kommunikation kommunikativ manifestieren und wo und wie solche Erscheinungsformen auch außerhalb des Rahmens einer (psycho)therapeutischen
Behandlungssituation auftreten“
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22. Juni 2011
von Tom Levold
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„The Reflective Practitioner“ – Wolfgang Loth zum 60.

Das neue Heft der „systhema“ ist dem Thema „Auf den Spuren hilfreicher Veränderungen – die Suche nach dem Sinn“ gewidmet – und wer den Titel aufmerksam betrachtet, findet sogleich die Spur zu Wolfgang Loth darin, der heute 60 Jahre alt wird. „Auf den Spuren hilfreicher Veränderungen…“ ist der Name seines Buches, das 1998 im verlag modernes lernen in Dortmund erschienen ist.
Eine Vielzahl von hilfreichen Spuren gelegt und hinterlassen hat Wolfgang Loth selbst schon zuvor und seitdem immer wieder. Auch wenn er persönlich die Scheinwerfer der Öffentlichkeit nicht unbedingt sucht, ist er in der systemischen Publikationsöffentlichkeit, sei es in Büchern, Zeitschriften oder im Internet immer präsent und auf der Höhe der Diskurse. Von Anfang an hat er zum Gelingen des systemagazin mit seinen Texten beigetragen.

„Die Suche nach dem Sinn“ trifft in besonderer Weise das Programm, das Wolfgang Loth immer schon umgetrieben hat und für fortwährende Anregungen aus seiner Feder bürgt. Seine Rezensionen sind Legion und bezeugen die unglaubliche Reichweite seines intellektuellen Wahrnehmungshorizontes. In der „splendid isolation“, in der sich unser deutschsprachiger systemischer Diskurs leider – mittlerweile – befindet, gehört er zu den wenigen, die ausländische Bücher nicht nur lesen, sondern auch darüber schreiben. Seine umfangreiche Bibliothek scheint er immer irgendwie im Kopf zu haben und kann daher jederzeit mit überraschenden Literaturempfehlungen aufwarten. Er ist ein großartiger Lektor, dem ich mich jederzeit blind anvertrauen kann, weil er nicht nur über ein außerordentlich kritisch-präzises Auge verfügt, sondern mit seinen Empfehlungen dazu beiträgt, dass aus guten noch bessere Texte werden (und ein Max-Frisch-Motto, über das man an jeder Ecke stolpert, das aber nicht belegt werden kann, fliegt dann eben raus…).
In den wichtigen Debatten des eigentlich viel zu debattenarmen systemischen Diskurses ist seine Stimme unverzichtbar, in seiner Verteidigung des Bewahrenswerten am systemischen Ansatz geht es dabei gerade nicht um die Kanonisierung vermeintlich gesicherter Wissensbestände, sondern um den unermüdlichen Versuch, systemisch-konstruktivistische Denken als eine spezifische Form der Beobachtungs- und Reflexionspraxis lebendig zu halten und zu kultivieren, ohne sie von vorneherein spezifischen (ökonomischen, berufspolitischen, rechtlichen) Verwertungsinteressen zu unterwerfen oder gar zu opfern. Diese Denkpraxis versorgt sich mit Stoff eben nicht nur aus dem – immer häufiger anämischen und oberflächlichen – Fundus aktueller systemischer Neuerscheinungen, sondern greift grenzüberschreitend in jede Richtung aus, in der mit Ideen zu rechnen ist – und landet beispielsweise bei Jaspers.
Wolfgang Loths Beobachtungs- und Reflexionsarbeit gilt dabei aber nicht nur der Theorie, sondern auch einer therapeutischen und beraterischen Praxis (u.a. als Leiter einer Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder), die Hilfe als einen kooperativen Entdeckungs- und Entwicklungszusammenhang und gemeinsame Sinn-Konstruktion von Hilfesuchendem und Helfendem begreift und sich der Vereinnahmung durch ein evidenzbasiertes medizinisches Paradigma widersetzt. Das Beisteuern hilfreicher Perspektiven – mit Wärme und Empathie – im Beratungsprozess und seine Tätigkeit als Ideenbroker im systemischen Diskurs sind nicht zu trennen, weil sie der gleichen Wurzel entspringen, nämlich dem Konzept eines „Reflective Practitioners“ (Donald Schön), der keine wissensbasierten Standardsituationen abarbeitet vulgo „behandelt“, sondern der aufmerksamen Bearbeitung jeweils spezifischer und einzigartiger Problemlagen reflexive Einsichten abgewinnt, die er jederzeit und kostenlos allen zur Verfügung stellt, die es hören und lesen wollen – und das immer „straight from the heart“! Was für ein Gewinn.
Lieber Wolfgang, alter Rock‘n Roller, mögen uns Deine Wanderungen durch Theorie, Literatur und Praxis noch lange erhalten bleiben. Zum Geburtstag alles Gute!
Zum aktuellen Heft für Wolfgang Loth haben unter anderem Kurt Ludewig, Jürgen Hargens, Peter Kaimer, Andreas Manteufel, Jürgen Kriz, Renate Jegodtka, Peter Luitjens, Cornelia Tsirigotis und Haja Molter beigetragen.
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21. Juni 2011
von Tom Levold
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Structural Coupling and Translation – Twitter observed as Communication Medium and Non-Human Actor

In einem interessanten Artikel von Jesper Tække, Associate Professor für Information and Media Studies an der Aarhus Universität, der sich gleichermaßen auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns als auch die Actor-Network-Theorie Bruno Latours stützt, geht dieser der Frage nach, welche Rolle Twitter als Medium und eigenständiger Akteur im öffentlichen Kommunikationsprozess spielt:„In systems theory media can be seen as the mechanisms of structural couplings between psychic and social systems (…). In this way media are seen as a necessary third, making it possible for two different kinds of systems to process, using complexity from one another ‐ leaving out the idea of direct transmission. In actor‐network theory society is described as networks binding bits and pieces together. Humans are also themselves networks of skin, bones, enzymes, cells etc. What homogenize the many heterogeneous entities in networks are processes of translations (…). Translation is never neutral, and is not meant like from Danish to English, but to describe: “displacement, drift, invention, mediation, the creation of a link that did not exist before and that to some degree modifies two elements or agents” (Latour…). I want to thank Kasper Schiølin for many fruitful conversations about Latour and the topic of this article. The paper works with two aims. The first aim is to discuss what kinds of structural couplings and translations the social medium of Twitter opens for. The second, but most prioritized, aim of the paper is to present, compare and discuss the two theories: How do they understand what becomes visible in their different optics, which observations become possible in the one or the other – and is it possible to compare the semantics of their concepts. The paper first provides an analysis and discussion of language as the mechanism of structural coupling between the levels of psychic and social systems. Then the article provides an analysis and discussion of translation as a transformation process between actors creating networks consisting in both humans and non‐humans. Then the two appearing frameworks are used to observe Twitter and discuss which structural couplings and translations are made possible by this medium. In the end of the paper the two theories are discussed and compared“
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20. Juni 2011
von Tom Levold
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Psychotherapie mit komplex traumatisierten Kindern

Im Klett-Cotta-Verlag ist im vergangenen Jahr in der Reihe„Leben lernen“ das zweite Buch von Dorothea Weinberg über die Behandlung von Bindungs- und Gewalttraumata der frühen Kindheit erschienen. Auf der website des Verlages heißt es:„Können früh und schwer traumatisierte Kinder dennoch eine gute Entwicklung nehmen? Die erfahrene Kinderpsychotherapeutin Dorothea Weinberg zeigt an vielen Fallbeispielen: Unter sehr positiven Umständen und mit genauer Kenntnis der erprobten und in jede Kindertherapie integrierbaren »traumabezogenen Spieltherapie« kann dies gelingen“ Die Kindertherapeutin Wiltrud Brächter, die einen systemisch-narrativen Ansatz in der Arbeit mit Kindern verfolgt, hat das Buch gelesen und kritisch rezensiert. Problematisch erscheint ihr vor allem,„dass Weinberg ihre Arbeit im Unterschied zu ihrer früheren Veröffentlichung stärker manualisiert hat. Wurde dort nur die ‚Strukturierte Trauma-Intervention‘ als festes Konzept vorgestellt, präsentiert sie jetzt eine ganze Reihe vorstrukturierter Vorgehensweisen“.
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19. Juni 2011
von Tom Levold
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Von Liebe zu Hass

In einer Welt, die an den rational entscheidenden Menschen glaubt, wäre mein Metier – die Therapie von Paaren und die Beratung von Arbeitsteams – Unsinn. Doch zum Glück gibt es die moderne Hirnforschung. Sie zeigt, wie Vernunft und Verstand in die emotionale Natur des Menschen eingebettet sind und wie sinnlos die Forderung ist, menschliches Verhalten nur sachlich zu begründen.
Der Ausruf «Sei nicht so emotional!», den ich in privaten Beziehungen und in der Arbeitswelt täglich höre, wirkt hilflos banal. Aber er zeitigt oft strafende Wirkung, besonders bei Frauen. Denn die Entwicklung unseres Gehirns wird nachhaltig geprägt von affektiver und formaler Sprache, die uns sogenannt männliche und weibliche Rollen vorschreibt.
Was mich bewegt, ist, wenn Liebe in Hass kippt: Ein Partner in einer Unternehmung, nicht mehr ganz jung, verliert plötzlich seine Kooperationsbereitschaft und verweigert sich. Niemand weiss, warum. Er kommuniziert nur noch über Schuldzuweisungen und hasserfüllte Mails. Die Versuche seiner Umgebung, sein bizarres Verhalten zu verstehen, enden stets in linearen Fragen nach möglichen Ursachen. Frühkindliche Störungen und private Probleme werden vermutet, die zu emotionalem Chaos geführt haben könnten. Schon möglich, denke ich. Aber affektive Kipp-Phänomene sind vernünftig und ursächlich nicht zu fassen, so schmerzlich das ist. Le cœur a des raisons que la raison ne connaît pas.
Ein ähnliches Kipp-Phänomen zeigt sich, wenn eine Ehepartnerin plötzlich davonläuft. «Als ich am Abend nach Hause kam, war meine Frau weg, mitsamt den Kindern. Ich bin schier wahnsinnig geworden, weil ich ihr Verhalten überhaupt nicht verstehe. Wir hatten es doch gut miteinander», berichtet ihr Mann, der sie über Interpol suchte.
Später lerne ich die Frau kennen. Ausziehen sei eine Sache des Überlebens gewesen, erzählt sie mir: «Ich habe schon vor Jahren Abschied genommen, ich bin fast erstickt in dieser Ehe». Warum sie gerade damals und so radikal den Bruch vollzogen hat, weiss sie nicht. Vielleicht hat sie geahnt, dass in ihrer Ablehnung noch ein Funken Liebe war und ist davor geflohen. Kipp-Phänomen!
Dennoch meine ich, ganz altmodisch, schlechte Gefühle seien kein Grund für schlechtes Benehmen, selbst wenn die Gefühle einen Menschen in negative Trance versetzen. Dass viele von uns keine optimalen Bedingungen angetroffen haben, als sie geboren wurden, und die Welt unseren Wünschen oft nicht entsprochen hat, ist Grund für Trauer, nicht für Zerstörung. Aber das Herz hat Gründe, die der Verstand nicht kennt.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

18. Juni 2011
von Tom Levold
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Luhmann-Archiv kann errichtet werden

Am 17. Juni 2011 veröffentlichte die Universität Bielefeld folgende Presseerklärung:
Mit ihren Unterschriften besiegelten Professor Dr. Berthold Beitz (Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung), Dr. Andreas Schlüter (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft) und Rektor Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer (Universität Bielefeld) am Mittwoch (15. Juni) die Vereinbarung zum Kauf des Nachlasses von Niklas Luhmann. An der Universität Bielefeld kann nun ein Luhmann-Archiv errichtet und der Nachlass – darunter auch der legendäre Zettelkasten – systematisch erfasst und ausgewertet werden. Dabei ist auch mit der Publikation von bisher unveröffentlichten Texten aus früheren Schaffensperioden Luhmanns zu rechnen. Der Begründer der Systemtheorie Niklas Luhmann wurde 1969 an die neu gegründete Universität Bielefeld berufen und lehrte und forschte hier bis 1993. Seine Schriften sind heute aus dem wissenschaftstheoretischen Diskurs kaum mehr wegzudenken. Die Universität Bielefeld konnte den Kauf durch die finanzielle Unterstützung der Krupp-Stiftung und des Stifterverbandes realisieren.