systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

1. Dezember 2012
von Tom Levold
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Stell Dir vor, es herrscht kulturelle Vielfalt – und keiner geht hin…


Liebe Leserinnen und Leser,

der diesjährige Adventskalender ist eröffnet. Nach anfänglicher Skepsis, ob das mit dem Kalender überhaupt etwas werden würde, bin ich jetzt zuversichtlich, dass wir die 24 Türchen zusammenbekommen. Zwei Drittel der Beiträge sind da, lassen Sie sich ermutigen, auch selbst noch etwas beizusteuern, das Thema„Interkultureller Dialog“ ist interessant genug, auch über den 24.12. hinaus weitergeführt zu werden. Die gesammtelten Texte werden zum Schluss in einem gemeinsamen PDF noch zum Download bereitstehen. Den Anfang macht heute der Psychologe und Ethnologe Clemens Metzmacher, der sein„Atelier für systemische Beratung und Supervision“ in Dresden betreibt. Lesen Sie, was er uns zu erzählen hat:

1. Stell Dir vor, es herrscht kulturelle Vielfalt – und keiner geht hin…
Gerade lese ich die wiederholte Einladung von Tom Levold zur Einsendung von Geschichten aus interkulturellen Begengungen für diesen Adventskalender mit der verwundert klingenden Frage, ob denn keine interkulturellen Begegnungen stattfänden, da fast keine Einsendungen eingetroffen seien. Ich fühle mich erinnert, denn das ist mir schon oft so ergangen: Wie oft habe ich gehört, dass das „Problem“ der interkulturellen Verständigung wirklich drängend sei. Da müsse man unbedingt mal z.B. „ein Seminar zu machen“. Und wenn dann eines angeboten wird – kommt niemand.
Mit warmem Gefühl denke ich an einen Einrichtungsleiter einer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung, der sich in eine „Schnupper-Veranstaltung“ zu diesem Thema verirrt hatte. In einer kleinen Übung fand er sich plötzlich in einer Minderheitengruppe wieder und erlebte, wie es sich anfühlt, nicht mehr Teil der normgebenden Gruppe zu sein. „Ich habe mich in dieser kurzen Situation richtig ausgestoßen gefühlt, richtig anders. Und ich hatte das Gefühl, dass den anderen das eigentlich egal ist. Das war hart.“ Er ging mit dem Gefühl aus der Veranstaltung, dass das Thema „Umgang mit Andersartigkeit“, in das er das Thema Interkulturalität umbenannte, doch auch sein eigenes Thema ist, denn er hatte einmal „auf eine andere Seite geschaut“.

2. Zugang zum „System“ von „ganz woanders“
Meinen ganz individuellen Zugang zur systemischen (Familien-)Therapie habe ich vor etlichen Jahren in KwaZulu/Südafrika gefunden: Während einer längeren Mitarbeit in einem Selbsthilfeprojekt von Behinderten in weit abgelegenen Bergtälern hat es mich irritiert zu erleben, wie viel mehr sich die Menschen als Teil einer Familie oder Gruppe erleben, denn als Individuum. Das war ein völlig anderes „Selbst-“Erleben, als ich mir das bisher vorstellen konnte. Und das hatte auch im Umgang mit fast allen Lebensbereichen tiefgreifende Konsequenzen, angefangen beim Umgang mit Leiden („Therapien“) bis hin zur Eigentumsverteilung. Als Philosophie formuliert steht dahinter: Umuntu ubuntu xabantu („Der Mensch ist Mensch durch andere Menschen“). Bei genauerem Hinschauen, fing ich an, diese Anteile bei mir selbst zu entdecken. Als systemischer Familientherapeut ist das mittlerweile nicht mehr überraschend, aber dennoch sind mir die genannten Erlebnisse immer wieder eine Hilfe, die Tiefgründigkeit dieses Gedankens wach zu halten. Für mich steht die Wiege der Familientherapie in Südafrika.
Ein weiterer frappierender Aspekt dieses Arbeitsaufenthalts war der allgegenwärtige Rassismus, ein gelebter „Diskurs“, an dem ich teilnehmen musste, ob ich wollte oder nicht. Und natürlich wollte ich nicht. Auf der späteren Suche, dieses Phänomen für mich auch theoretisch „fassbar“ zu machen, bin ich bei der Systemtheorie luhmann’scher Prägung gelandet: Gesellschaft als Kommunikation.
Ein drittes Mal überwältigt war ich viel später bei einem anderen Arbeitsaufenthalt in der Elfenbeinküste: Die Menschen verhielten sich mir als Weißem gegenüber lange nicht so „unterwürfig“, wie ich es oft in Südafrika erlebt hatte. Mir wurde schlagartig deutlich, wie stark ich bestimmte Erlebnisse als Persönlickeitszuschreibung mit Hautfarbe bzw. einem europäisch generalisierenden Begriff „Afrika“ verknüpft hatte und wie wenig ich den Kontext einbezogen hatte. Kurz: Wie rassistisch ich bin! Ich bin jetzt etwas vorsichtiger geworden. Deutlicher hätte ich für mich die Lektion vielleicht nicht lernen können, die ich später in der Kybernetik zweiter Ordnung fand: Als „Beobachter“ erschaffe ich das System immer mit. Vor allem aber versuche ich heute immer wieder, mich als „Beobachter“ zu beobachten. Denn da stecken noch viele „Rassismen“.
Das Erlebnis, als „Weißer“ in verschiedenen Kontexten in Afrika zu leben, stößt mich immer auf einen Punkt, der mir im systemtheoretischen Diskurs bislang etwas fehlt: Das Wissen darum, dass ich „Weißer“ bin. Das ist mir sonst ja so selbstverständlich, dass ich es gar nicht zu thematisieren brauche. Vor allem aber prägt es mich so, dass ich das gar nicht merke. Es geht mir um das Benennen und das Hinterfragen des „Selbstverständlichen“. Etwas weiter sind wir vielleicht in der Geschlechterdebatte. Ich wünsche mir, dass auch im systemtheoretischen Diskurs die Frage nach der Verortung von uns als „Beobachtern“ genauer beleuchtet wird. Als Frage formuliert: Von welchen Positionen aus gesehen bin ich „anders“ – und was ist die Konsequenz?

3. Häusliche Gewalt – auf Englisch…
Sie hatte sich mit ihrem Mann angemeldet als „Täterin bei häuslicher Gewalt“. Ihr Mann sollte mitkommen, weil „er natürlich auch was damit zu tun hat“. Sie, resolute und Kompetenz ausstrahlende Mitteleuropäerin, er aus Zentralasien stammend. Als Beratungsteam arbeiten wir bei Paaren gemischtgeschlechtlich, um eine Balance herzustellen. Angefragt war Beratung in Englisch, da er kein Deutsch könne.
Sie sind beide gekommen. Die Situation ist komplex, da meine Kollegin nur wenig Englisch spricht. Auch er spricht so wenig Englisch, dass selbst seine Frau ihn oft nicht versteht. Ihre Beziehungssprache sei Englisch, er lerne Deutsch, sie könne seine Sprache nicht sprechen. Es geht bisher nur um den Beratungsrahmen. Alles ist zäh, dauert ewig. Er zeigt sich als „Besucher“, es wird jedoch immer deutlicher, dass er massive körperliche Gewalt ausübt. Mehr und mehr gibt sie sich als Opfer zu erkennen. Die aufenthaltsrechtlichen Fragen sind recht komplex. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist das gemeinsame Kind und die unterschiedlichen Ansprüche an die Elternschaft…
…Beratungsalltag in meiner Beratungsstelle. Ich habe den Eindruck, dass man an jedem Eckchen anfangen könnte und müsste, dass überall Fallstricke lauern. Um so mehr bin ich überrascht, dass er wiederkommen will. Und beim nächsten Termin bin ich gerührt, als er beginnt, sich zu öffnen und plötzlich etwas von Herzlichkeit spürbar wird: Er ist angekommen. Sie auch. Aber jeweils einzeln. Eine Lösung haben wir als Beratende nicht, können wir auch nicht haben. Und das ist vielleicht das Entlastende, niemand verlangt, dass wir die Expertenlösung für diese Komplexität haben. Wir gestalten den Prozess und den Rahmen, mir kommt der Satz einer Lehrtherapeutin in den Sinn: Wenn Du schnell sein willst, sei langsam…

30. November 2012
von Tom Levold
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„re-source“ in Zagora: 8.-15. Februar 2014

Vom 8.-15. Februar wird eine ganz besondere Tagungswoche in Zagora (Marokko) für Professionelle aus Therapie, Beratung, Supervision und Coaching unter dem Thema„re-source“ stattfinden, veranstaltet von Liane Stephan, Mohammed El Hachimi und Tom Levold. Die dahinterliegende Idee geht davon aus, dass eine tragfähige Beziehung zwischen Professionellen und Kunden den entscheidenden Faktor für einen erfolgreichen Beratungsprozess darstellt. Die Persönlichkeit des Professionellen ist daher eine wesentliche Ressource in der Beratungspraxis. Neben dem expliziten Wissen um Theorien, Konzepte und Methoden, also allem, was gelernt und wiedergegeben werden kann, kommt es im Beratungsprozess ganz wesentlich auf das implizite Wissen der Professionellen an, d.h. auf ihre Erfahrung und Könnerschaft, ihre Präsenz, ihre Intuition und ihre Fähigkeit, unterschiedliche Wissensbestände situativ zu einer guten Gestalt zu verbinden.Dieses implizite und intuitive Wissen ist im Unterschied zum (meist schulenspezifischen) Lehrbuchwissen nicht ohne weiteres vermittelbar, sondern im eigenen Stil und der eigenen Vorgehensweise„embodied“, d.h.„verkörperlicht“. Die Tage in Zagora sollen einen Zugang zur Mobilisierung vorhandenen und Entwicklung neuen impliziten und intuitiven Wissens eröffnen. Routinen und volle Terminkalender legen nahe, Gewohntes abzurufen anstatt Neues zu wagen, Sicherheit zu suchen, anstatt sich neuen Erfahrungen auszusetzen. Verengung statt Erweiterung. Meist fehlt es an Zeit, sich zu überprüfen, zu spüren und die Sinnespotenziale zuzulassen. Um den  Zugang zu diesen besonderen Re-Sourcen zu aktivieren und Selbsterweiterung zu ermöglichen, sind reflexive Zugänge weniger hilfreich. Wir schaffen mit einem Angebot an kreativ-expressiven Methoden wie Gestaltung, Malerei, Tanz, Theater, Musik usw. einen Rahmen, in dem die Teilnehmenden mit ihren Potentialen in Kontakt kommen können. Da Menschen von- und miteinander lernen, schaffen wir darüber hinaus Raum für die Vernetzung kollektiven Wissens und den Transfer in den professionellen Arbeitskontext der Beteiligten.
An der Tagung beteiligt sind Maria Amon (Malerei), Steve Clorfeine (Theater), Thomas Hecking (Musik), Matthias Ohler (Denken und Schreiben), Ulrich Schlingensiepen (Fotografie), Anke Böttcher (Rhythm) und Jürgen Kriz (Reflexion). Ort ist das Riad Lamane in Zagora, die Kosten betragen für Tagungsgebühren inkl. Unterkunft und Vollpension 989,00 €. Da die Anzahl der Plätze begrenzt ist, empfiehlt sich eine baldige Buchung.
Alle Informationen zur Tagung gibt es hier…

29. November 2012
von Tom Levold
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Dieser lebende Tod – dieses sterbende Leben

Von Kurt Buchinger, bestens bekannt für seine Beiträge zur systemischen Supervision und Organisationsberatung, sind schon einige Texte in der Systemischen Bibliothek des systemagazin zu lesen. Heute geht es um einen außergewöhnlichen und sehr persönlichen Text, der auf einem Vortrag basiert, in dem Kurt Buchinger sich mit seiner eigenen Erkrankung, dem Tod und dem Lebenswillen auf eine berührende und herausfordernde Weise auseinandersetzt, die Mut machen kann und soll. Dabei geht es ihm nicht um den 100sten Bericht über eine Spontan-oder ‚Wunderheilung‘, sondern um riskante Entscheidungen und die Überwindung oder Aufhebung der damit verbundenen„anthropologischen Widersprüche“. Der unbedingt lesenswerte Text schließt folgendermaßen ab:„Das Lebendige Allgemeine, das ich im Besonderen mehr erleben als begreifen durfte, lautet: Dieses Leben ist in seiner Fülle nur als sterbendes Leben, als lebender Tod zu haben. Und das ist etwas anderes als das viel strapazierte wunderbare ‚Stirb und Werde‘. Denn es ist keine Aufeinanderfolge von Tod und Leben in der Achterbahn des Lebens, es ist deren ruhige immer währende Gleichzeitigkeit, echte Gegenwart. Nur so, als sterbendes Leben, als lebender Tod lässt uns das Leben seinen gesegneten Reichtum erahnen, zu dem der Tod die Türe öffnet. Das alles auf eigenes Risiko, natürlich“.
Zum vollständigen Text…
    

28. November 2012
von Tom Levold
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Virtual Issue Solution-Focused Brief Therapy

Auf der Online-Seite des Verlagshauses Wiley ist seit heute eine„virtuelle Ausgabe“ von Artikeln zum lösungsfokussierten Ansatz aud dem Journal of Marital and Family Therapy zu finden. Enthalten sind 15 Beiträge der vergangenen Jahre u.a. aus der Feder von Steve de Shazer, Alex Molnar, Eve Lipchik, Terry S. Trepper, Yvonne Dolan u.v.a. Alle Beiträge sind bis zum 15. Februar kostenfrei erhältlich,
und zwar hier… 

27. November 2012
von Tom Levold
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Jimi Hendrix (27.11.1942-18.9.1970)

23. November 2012
von Wolfgang Loth
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„Ressourcenorientierte und reflexive Beratung“

Schule ist mittlerweile von einem Lehr- und Lern- zu einer Art Lebensort geworden. Ganztagsschulen werden zur Regel. Das ist nicht nur eine Zeit- und Organisationsfrage. Vielmehr ent- und verwickeln sich in diesem Rahmen Lebensthemen, die weit über das mehr oder weniger erfolgreiche Erlernen von„Stoff“ hinausgehen. Die Menschen, die diese Lebensthemen am eigenen Leib erfahren und zur sozialen Realität werden lassen, zu begleiten, ihnen Orientierung zu geben, womöglich Halt, ist zu einer besonderen Herausforderung für Schulen und ihre LehrerInnen geworden. Zwar mag ein erfolgreicher„Abschluss“ immer noch im Vordergrund stehen. Doch dürfte es einer der tragischen Irrtümer sein, dies für bare Münze zu nehmen. Was ist gemeint, wenn es von Schulen heißt, sie seien„weiterführend“? Wohin? Und auf welcher Basis? Unerschöpfliche Themen. Um so notwendiger dürften Anregungen und Orientierungshilfen sein, die über die Grenzen sogenannter Sachzwänge hinausweisen. Hierzu scheint mir eine Arbeit interessant, die Birgit Jäpelt (Foto: Universität Erfurt) im Jahr 2004 unter dem Titel „Ressourcenorientierte und reflexive Beratung – Erfurter Moderations Modell – Prozess eines Curriculums zur systemisch – konstruktivistischen Beratung und Moderation“ als Dissertation an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt vorlegte. Die Autorin skizziert, es solle mit dieser Arbeit „ein Versuch unternommen werden, systemisch – konstruktivistische Theorien zum Ausgangspunkt für Veränderungen vertrauter Konzepte vom Lehren, Lernen, Beraten und Forschen zu nehmen. Damit soll ein Fortbildungskonzept in ressourcenorientierter und reflexiver Beratung und Moderation begründet werden. Der hier dokumentierte Kurs nimmt eine Fortbildung von (Sonder-)PädagogInnen in systemisch – konstruktivistischer Beratung und Moderation (8 x 3 Tage) zum Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Ausbildungscurriculums“ (S.5f.). Kontextdekonstruktion und Kooperation erweisen sich dabei als Schlüsselwörter. Das Curriculum spiegelt eine vertiefte und sinnstiftende Auseinandersetzung mit Prämissen und Begrifflichkeiten der „Postmoderne“ wieder, und basiert auf Ressourcen und Partizipation als Leitmotiven. „Die Inszenierung konkreter Lehr- und Lernprozesse beginnt und endet in ihrem je spezifischen Kontext“, schreibt Jäpelt, „Lehrende sind dabei Begleitung für eine Etappe auf dem Weg der Lernenden zu einer erwünschten Kompetenz, die mit einem relativen Anteil in der Zukunft liegen kann. Ein solches Denken entspricht dem Anspruch von lebenslangem Lernen. Es geschieht ein Übergang von der einen in eine andere (Lern-)Umgebung. Diesen Prozess explizit zum Thema zu machen, ist aus meiner Sicht die eigentliche Konsequenz der hier vertretenen theoretischen Anbindung. Dabei scheint es mir besonders bedeutsam, über weitere Möglichkeiten der Kooperation nachzudenken und dafür genügend Raum und Zeit einzuplanen“ (S.265). An letzterem geht kein Weg vorbei – auch das vorliegende Konzept geriert sich nicht als Zaubermittel – doch dürfte das als Hürde oft schon zu hoch sein. Da jedoch über das jetzt forcierte Thema der Inklusion eine engere Kooperation von Regel- und Sonderpädaogik notwendig werden wird, könnte das in dieser Arbeit vorgestellte, auf SonderpädagogInnen zugeschnittene Curriculum, eine „weiterführende“ Chance haben: „Veränderungen beginnen „im Kopf“. Diese Annahme sollte dazu führen, im schulischen Kontext mehr als bisher üblich, die eigenen Vorannahmen in Frage stellen zu können und neugierig zu sein auf andere(s). Damit würde der Beitrag der SonderpädagogInnen für die Institution Schule darin bestehen, den PädagogInnen der Grund- und Regelschulen „ein Werkzeug“ / eine Idee anzubieten, mit den als anders erlebten SchülerInnen umzugehen und Aussonderungsprozesse zu reduzieren“.
Zum Volltext der Dissertation geht es hier…

21. November 2012
von Tom Levold
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wissenschaftlicher Förderpreis der Systemischen Gesellschaft 2013

Im kommenden Jahr schreibt die Systemische Gesellschaft (SG) – im Wechsel mit der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) – wieder einen wissenschaftlichen Förderpreis vor allem für jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. Die Ausschreibung verfolgt das Ziel, die Relevanz Systemischen Denkens für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen und die Forschung in diesem Bereich anzuregen. Ausgezeichnet wird eine Diplomarbeit, Dissertation, Habilitation oder ein anderes (auch außeruniversitäres) Projekt, das empirische Forschungsdesigns entwickelt, das eine mit Systemischen Modellen kompatible und innovative Methodik aufweist und das sich auf praxisrelevante Bereiche aus der Therapie, Gesundheitsversorgung,
Supervision, Beratung und auf institutionelle Innovationsprozesse bezieht. 
Der wissenschaftliche Förderpreis ist mit 3.000,- Euro dotiert. 
Ein unabhängiges fünfköpfiges Gutachtergremium entscheidet über die Vergabe des Preises. Die Preisvergabe erfolgt im Rahmen der SG-Mitgliederversammlung im April 2013 in Berlin. Bitte reichen Sie Ihre Arbeit bis zum 14. Dezember 2012 in dreifacher Ausführung ein an: Systemische Gesellschaft e.V.„Wissenschaftlicher Förderpreis“ Brandenburgische Straße 22, D-10707 Berlin.
Weitere Informationen hier…

20. November 2012
von Tom Levold
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Systemrelevanz

Die aktuelle Ausgabe von systeme spießt das gegenwärtige (Krisen-)Gerede von der Systemrelevanz auf, das ja nicht bedeutet, dass die Krise mal systemisch in ihren Kontexten und in ihrer Bedeutung für die globale Zukunft gedacht wird, sondern eher Systemrelevanz an der Größe einer Bank festmacht, die es erlaubt, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu vergesellschaften. Es geht also auch die Suche nach Gerechtigkeit und Solidarität. Ein Thema für die systemische Fachöffentlichkeit? Die Herausgeber schreiben in ihrem Editorial:„Was soll uns das sagen? Vielleicht, dass Systemrelevanz etwas mit Institutionen zu tun hat, die per Masse, Netzwerk und Ent­scheidungsmacht ihre Dinge am Laufen halten und den Ein­druck erwecken, dass es sich nicht nur um ihre, sondern um„die“ Dinge handelt, die sie am Laufen halten.„Die“ Dinge, sind dann wiederum vielleicht Menschen, die nicht mehr wissen, wohin vor Not. Und die sich dann – vielleicht – an Systemische BeraterInnen, TherapeutInnen oder Coaches wenden in der Hoffnung, im Wirren des Großen Ganzen ein irgendwie brauch­bares Wirken herausfinden zu können, notfalls überzeugend er­finden – tatsächlich? Auf wen treffen sie dann da? Wahrschein­lich auf solche, die den Folgen der Claimdiskussion ebenfalls ausgesetzt sind und die vermutlich versuchen, mit ihren eige­nen Interessen nicht den Anschluss zu verlieren. Ihre Arbeit wird zunehmend ökonomistisch evaluiert und reglementiert. Das was viele von ihnen seinerzeit motivierte, sich auf diese (besondere) Weise für ihre Arbeit zu engagieren, wird als Sozial­romantik abgetan, man muss sich halt nach der Decke strecken, times are a’­changing, time is money, pecunia non olet, nolens volens und„systemisch“ hat nicht mehr das Ganze im Blick, sondern das den Systemrelevanten nützende Ziel. Ok, noch nicht ganz, noch gibt es Stimmen, die von anderem zeugen, von unerschrockenem Respektieren und sozialem Feingefühl. Vikky Reynolds ist jemand, die dafür steht. Ihr Aufsatz verdeut­licht in exemplarischer Weise die praktischen Konsequenzen einer Haltung, die sich an den Ideen von Gerechtigkeit und So­lidarität orientiert. Reynolds setzt sich kritisch mit Indi­vidualismus und Neutralität in Bezug auf Burnout auseinander und bietet einen Ansatz zur Überwindung von Burnout an, der sich an der Idee einer kollektiven Zukunftsfähigkeit orientiert und dabei die Idee der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Das vorliegende Heft enthält des Weiteren zwei Beiträge, die sich auf unterschiedliche Weise mit Forschungsfragen be­schäftigen. In ihrem Beitrag„Langfristige Wirkungen system­ therapeutisch erweiterter stationärer Psychiatrie im Erleben von PatientInnen, MitarbeiterInnen und externen KooperationspartnerInnen“ untersuchen Markus Haun, Henrike Kordy, Matthias Ochs, Julika Zwack und Jochen Schweitzer, was pas­siert, wenn in der Arbeit von Akutstationen allgemeinpsychia­trischer Kliniken ein strukturiertes systemtherapeutisch erwei­ tertes Behandlungskonzept eingeführt wird. Ein im Vergleich dazu umgrenzteres Thema loten Uwe Altmann, Thomas Simmich und Lutz ­Michael Alisch in ihrem Beitrag„Prozessdynamik stationär behandelter PatientInnen mit und ohne Behandlungskrise“ aus. Sie schildern dazu die Ergebnisse einer zeitreihenanalytischen Studie und geben dabei gleichzei­tig einen Einblick in Möglichkeiten systemtheoretischer For­schung, die sich auf nichtlinear dynamische Prozesse ausrichtet. Last but not least nehmen wir den 70. Geburtstag von Kurt Ludewig im Dezember d. J. zum Anlass, ihm nicht nur zu gratu­lieren, sondern in 15 Short Cuts Lust darauf zu machen, sich seinen grundlegenden Arbeiten zu systemischen Leitmotiven immer wieder zuzuwenden. Kurt Ludewig gehört zu denjeni­gen, die zur Frage, was mit„systemisch“ los ist, profunde An­regungen für Antworten geben können, die sowohl die Möglichkeiten wie den Preis systemischer Perspektiven im Blick haben“
Zu den vollständigen abstracts…

17. November 2012
von Tom Levold
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Reduktionistische und Systemische Medizin

In zwei Beiträgen aus dem Jahre 2006 setzen sich Andrew C. Ahn, Muneesh Tewari, Chi-Sang Poon und Russell S. Phillips mit der Frage auseinander, was die klinische Medizin, die im wesentlichen reduktionistisch ausgelegt ist,  von einer systemisch orientierten Biologie lernen kann. Die Texte sind in PLoS Med erschienen und als Open Access verfügbar. In der Einleitung zum ersten Text heißt es:„Since Descartes and the Renaissance, science, including medicine, has taken a distinct path in its analytical evaluation of the natural world. This approach can be described as one of “divide and conquer,” and it is rooted in the assumption that complex problems are solvable by dividing them into smaller, simpler, and thus more tractable units. Because the processes are “reduced” into more basic units, this approach has been termed “reductionism” and has been the predominant paradigm of science over the past two centuries. Reductionism pervades the medical sciences and affects the way we diagnose, treat, and prevent diseases. While it has been responsible for tremendous successes in modern medicine, there are limits to reductionism, and an alternative explanation must be sought to complement it. The alternative explanation that has received much recent attention, due to systems biology, is the systems perspective. Rather than dividing a complex problem into its component parts, the systems perspective appreciates the holistic and composite characteristics of a problem and evaluates the problem with the use of computational and mathematical tools. The systems perspective is rooted in the assumption that the forest cannot be explained by studying the trees individually. In order for a systems perspective to be fully appreciated, however, we must first recognize the reductionist nature of medical science and understand its limitations. For this reason, the first article in this series is dedicated to examining the reductionist approach that pervades medicine and to explaining how a systems approach (as advocated by systems biology) may complement it. In the second article, we aim to provide a more practical discussion of how a systems approach would affect clinical medicine. We hope that these discussions can stimulate further inquiry into the clinical implications of systems principles“
Zum ersten Teil („The Limits of Reductionism in Medicine: Could Systems Biology Offer an Alternative?“) geht es hier, zum zweiten („The Clinical Applications of a Systems Approach“) hier entlang…

15. November 2012
von Tom Levold
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Systemtheorie und empirische Forschung

Zu diesem Thema gab es 2007 ein Sonderheft der Zeitschrift„Soziale Welt“, das vollständig im Netz zu lesen ist. Enthalten sind Beiträge über 2.„Participant Observation and Systems Theory: Theorizing the Ground“ (Daniel B. Lee & Achim Brosziewski),„Formalität, Informalität und Illegalität in der Organisationsberatung“ (Von Stefan Kühl),„Empirie oder Theorie? Systemtheoretische Forschung jenseits einer vermeintlichen Alternative“ (Werner Vogd),„Rationalität und Plausibilität in klinischen Ethikkomitees. Die Echtzeitlichkeit von Kommunikation als Empirie der Systemtheorie“ (W. Mayr), kritisch kommentiert von Hartmut Esser (Handlungstheorie) und Hubert Knoblauch (Subjektivität) und eingeleitet von Irmhild Saake und Armin Nassehi – das Ganze sehr lesenswert und erkenntnisreich.
Zum vollständigen Text…

14. November 2012
von Tom Levold
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Psychiatrische Soziologie als Klinische Soziologie

In einem Arbeitspapier, das im Netz veröffentlicht ist, setzt sich der Soziologe und Systemische Therapeut Bruno Hildenbrand, der gemeinsam mit Rosmarie Welter-Enderlin und dem Team des Meilener Instituts das Meilener Konzept„Systemische Therapie als Begegnung“ entwickelt hat, mit den Konzepten und Perspektiven einer klinischen Soziologie auseinander:„(Ich werde) meine eigenen Erfahrungen als Soziologe in einem Handlungsfeld schildern, das klassischerweise ein professionelles ist: in der Psychiatrie. Diese Erfahrungen haben im Laufe der Zeit zu einer theoretischen Konzeption einer Klinischen Soziologie geführt, die hier in ihren Möglichkeiten, aber auch in ihren Grenzen vorgestellt werden soll. Zunächst skizziere ich den aktuellen Stand der Psychiatrischen Soziologie als Teil der Medizinischen Soziologie. Danach beschreibe ich die aktuelle zentrale Problematik, mit der die Psychiatrische Soziologie – nicht nur als Klinische Soziologie – konfrontiert ist: In dem Maße, wie sich die Sozialpsychiatrie im psychiatrischen Versorgungssystem behauptet, löst sich die ursprüngliche Koalition zwischen Sozialpsychiatrie als Psychiatriekritik und Soziologie als naturgemäß kritischer Wissenschaft auf. Für die Chancen der Verankerung Klinischer Soziologie im psychiatrischen Handlungssystem hat dies Folgen, die ich im folgenden darstellen werde. Sodann bespreche ich drei Konzepte einer Klinischen Soziologie, um danach meinen eigenen Ansatz vorzustellen und meine Erfahrung mit diesem Ansatz in der Praxis darzulegen“
Zum vollständigen Text