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Niklas Luhmann über 68er, Theorieprobleme und Politik

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In einem längeren Interview von 1993, das der Publizist Rudolf Maresch (Foto) mit ihm führte, äußert sich Niklas Luhmann über Fragen, die die praktische und politische Relevanz seiner Theorie für die Probleme der Gegenwart betreffen. Auf die abschließende Frage nach der zukünftigen Rolle der Intellektuellen antwortet er:„Meine Polemik richtet sich gegen die Identifikation des Intellektuellen mit Ideen. Er unterliegt dann immer dem Problem, die Fahnen wechseln zu müssen, wenn diese Ideen aus der Mode kommen wie jetzt die 68er. Als Identität haben sie jetzt nur noch den Protest, den sie über mehr als 20 Jahre konserviert haben. Wenn man die logische, mathematische und philosophische Entwicklung auf Paradoxie oder paradoxe Formen der Begründung hin anstelle eines Prinzips oder einer Einheitsbeschreibung akzeptiert, gibt es nur noch kreative und keine logischen Lösungen mehr. Aus Paradoxien kommt man durch richtiges Argumentieren nicht hinaus. Man muß sich demnach fragen: Gibt es eine Konstruktion, die uns momentan erträglicher erscheint? Der Staat etwa ist ein Paradox, insofern jede Kommunikation, die er macht, das Recht, so zu kommunizieren, zerstört. Mit Paul de Man könnte man formulieren: die performative Seite der Textproduktion widerspricht der konstativen. Was wäre dann eine plausible Staatsform, wenn es sowohl der Wohlfahrtsstaat als auch der Verfassungsstaat nicht mehr bringen? Reizvoller und logisch ungesicherter ist es zu sagen, das Problem scheint sich jetzt auf Weltgesellschaft und auf Risiko zu verlagern. Der Staat muß jedoch eine gute Adresse bleiben. Er muß die Betroffenen von der zeitweisen Annahme von Risiko überzeugen, er muß politische Konflikte ethnischer oder religiöser Art zivilisieren und nicht mehr als Wohlfahrtsstaat bloß distributive Funktionen erfüllen. Ein solches Umdenken erfordert Phantasie, Unbefangenheit und Neugier, also gewisse Eigenschaften, die gemeinhin dem Intellektuellen zugeschrieben werden. Das ständige Rückführen auf Paradoxien und Auflösung von Paradoxien wäre folglich eine zukünftige Aufgabe, die den Intellektuellen nicht auf eine fachspezifische oder rein ökonomische und politische Rolle und auch nicht auf Ideen festlegen würde“
Zum vollständigen Interview…

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