Einer der wichtigsten Bücher für die beginnende Familientherapiebewegung hierzulande war zweifellos der 1969 in der von Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Niklas Luhmann besorgten Reihe„Theorie“ bei Suhrkamp erschienene Reader „Schizophrenie und Familie“, der auch heute noch in der stw-Reihe erhältlich ist. Hier waren bahnbrechende Arbeiten von Bateson, Haley, Weakland, Wynne u.a. zum ersten Mal in deutscher Übersetzung zu lesen. Einer meiner Lieblingstexte war während meines Studiums der Aufsatz „Mystifikation, Konfusion und Konflikt“ des schottischen Psychiaters Ronald D. Laing (Foto: Wikipedia) über die Verwirrung erzeugenden Kommunikationsmuster, die er (u.a.) in Familien mit psychotischen Angehörigen aufgefunden hat. Er ist erstmals in dem Band„Intensive Family Therapy“ erschienen, der von Ivan Boszormenyi-Nagy und James Framo 1965 bei Harper & Row in New York herausgegeben wurde und erst später (1975) bei Rowohlt in einer deutschen Fassung erschien.
Dieser Aufsatz ist auch heute noch, wie ich finde, lesenswert. Im Kontext der kritischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte könnte man die Arbeit von Laing im Zusammenhang mit einer Kritik des„Mother-Blaming“ lesen – sie bedient sich natürlich nicht einer konstruktivistischen Terminologie oder Denkweise. Andererseits macht er aber auch deutlich, dass Familienmitglieder nicht nur unterschiedliche Realitäten erzeugen, sondern auch entsprechend unterschiedliche Interessen verfolgen:„Jede Familie hat ihre Differenzen (die von leichten Meinungsverschiedenheiten bis zu gänzlich unvereinbaren und widersprüchlichen Interessen und Standpunkten reichen), und jede Familie verfügt über bestimmte Mittel zu ihrer Handhabung. Eine Art, solche Widersprüche zu behandeln, soll hier unter dem Stichwort Mystifizierung dargestellt werden“
Gleichzeitig wendet er sich dagegen, das Konzept der Mystifizierung als Pathologie-Konzept zu verstehen:„Leider neigen wir dazu, diese besondere Mystifikation zu zementieren, wenn wir den Begriff der »Pathologie« der Familie oder Gruppe benutzen. Der Begriff der individuellen Psychopathologie ist schon problematisch genug, da man ohne Spaltung und Verdinglichung von Erleben und Verhalten, um zur Vorstellung von einer »Psyche« zu kommen, dieser Fiktion keine Pathologie oder Physiologie zuschreiben kann. Von der »Pathologie« der Familie zu sprechen, ist aber noch problematischer. Die Prozesse, die sich in einer Gruppe abspielen, werden durch die Praxis ihrer einzelnen Mitglieder erzeugt. Mystifizierung ist eine Form der Praxis; sie ist kein pathologischer Prozess“
Der Text ist im Internet nachzulesen, wenn Sie diesem Link folgen
Mystifikation, Konfusion und Konflikt
14. Januar 2007 | Keine Kommentare