Björn Enno Hermans, Leiter und Geschäftsführer eines Trägerverbundes der Jugend-, Familien- und Gefährdetenhilfe in Essen, Systemischer Supervisor und Therapeut in freier Praxis und stellvertretender DGSF-Vorsitzender macht heute den Adventskalender auf:
Im Jahr 2007 hatte ich die Leitung der Tagesklinik der Elisabeth-Klinik (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie) in Dortmund übernommen und nach einigen Monaten gemeinsam dort mit dem Team ein Multifamilientherapie-Angebot eingeführt.
Begeistert und fast ein wenig beseelt von diversen Workshops und Tagungen mit Eia Asen und anderen war ich überzeugt, dass genau ein solches Angebot das richtige für die jeweils 10 Familien der 7-13 jährigen Kinder der Tagesklinik sei. Also starteten wir zunächst mit monatlichen Nachmittagen in einem benachbarten Theater, wo auch schon die Gruppentherapie stattfand, da die Tagesklinik für solche Veranstaltungen deutlich zu klein geraten war.
Die ersten Termine verliefen auch toll; die Stimmung war lösungs- und ressourcenorientiert, die Bedenken der Skeptiker im Team sanken und auch bei den Familien stieg die Solidarität und damit Aktivität bei der Mitarbeit.
Aufgrund der Lage der Tagesklinik mitten in der Stadt, kamen die Familien häufig aus vielen verschiedenen Herkunftsländern und Kulturen, manchmal bis zu 7 verschiedene Herkunftsländer bei 10 Kindern und ihren Familien.
Nach den ersten Monaten dieses Angebots, gab es dann einen Multifamilientherapie-Termin, an dem nur noch zwei Familien teilnahmen, denen dieses Angebot schon vertraut war und insgesamt 8 neue Familien.
Fast alle dieser Familien waren zu diesem Zeitpunkt sehr resigniert über die Symptomatik ihrer Kinder, die häufig in der Zuschreibung ADHS zusammengefasst war. Viele waren von der Schule oder anderen Instanzen geschickt und hatten aufgrund der bisherigen Erfahrungen und des bisherigen Verlaufs wenig Hoffnung auf Veränderung.
Das machten sie auch gleich in der Anfangsrunde der Multifamiliengruppe deutlich und so sollte es auch in den folgenden beiden Stunden bleiben.
Es schien fast so, als ob das auch so sein müsste und jedes Mehr an Lösungsorientierung geradezu eine Zumutung wäre.
Einer der beiden Väter, die das Multifamilientherapie-Angebot nun schon länger kannten, erinnerte sich schnell an seinen ersten Termin in diesem Setting. Die aus der Türkei stammende Familie hatte sich mit ihrem 11-jährigen Sohn in eben einer solchen hilflosen und scheinbar ausweglosen Situation befunden und der Idee, nun mit vielen anderen Familien gemeinsam an Themen zu arbeiten, zunächst sehr wenig abgewinnen können. Mittlerweile hatte dieser türkische Vater jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich in der Familie viele Themen hatten ansprechen und zum Teil auch klären lassen und sich die Symptomatik des Sohnes deutlich verändert und damit die gesamte Situation entspannt hatte.
Dabei hatte er besonders auch die Multifamilientherapie als hilfreich und wirksam erlebt.
So versuchte er in der besagten Sitzung nahezu alles, ja es glich einem Werbefeldzug die anderen neuen Familien vom Sinn und den Möglichkeiten der Multifamilientherapie zu überzeugen. Dabei machte er viele Angebote, berichtete detailliert von den eigenen Erfahrungen usw.
Zunächst leider ohne Erfolg, denn die versammelte Familienschar verharrte in ihrer Überzeugung, dass es für sie sicher kein hilfreiches Setting sei.
Etwas enttäuscht ging dann also jener Vater nach Ende des Treffens neben mir zurück in Richtung Tagesklinik, wo anschließend immer ein Familien-Kaffeetrinken angeboten wurde. Nach einigem Schweigen, wandte er sich dann zu mir und sagte einen Satz auf türkisch, den ich nicht verstand, um ihn dann aber gleich zu übersetzen:
Ach, Herr Hermans, man müsste für die Anderen die Hoffnung erfinden.
Über diesen wunderbaren Satz sind wir dann nicht nur lange ins Gespräch gekommen und haben fast die gesamte nächste Multifamilientherapie zu diesem Thema gearbeitet; ich nutze ihn und diese schöne kleine Geschichte bis heute gerne als Titel und Auftakt für Vorträge und Workshops über Multifamilienarbeit. Besser und authentischer kann ich das Wirkprinzip nicht beschreiben.