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Michel Foucault (15.10.1926 – 25.6.1984)

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Heute würde Michael Foucault 90 Jahre alt. In seinen Abschiedsvorlesungen kurz vor seinem Tod hat er sich noch einmal intensiv mit den klassischen Philosophen der Antike beschäftigt. In seiner Rezension in der ZEIT von April 2010 schreibt Thomas Assheuer:

„All diese Verfinsterungen muss man vor Augen haben, um die intellektuelle Souveränität zu ermessen, mit der Foucault in den Jahren vor seinem Tod versucht, gegen den suggestiven Sog seiner Prämissen doch noch einen Ort der Wahrheit und des Menschen ausfindig zu machen – den Ort eines „freimütigen“ und eigensinnigen Daseins, das mehr ist als das Abziehbild „liberaler“ Herrschaftstechniken und das dumpfe Double des medialen Geplappers. Wie viele Denker, die glauben, die Gegenwart sei mit ihrem Latein am Ende und metaphysisch erschöpft, sucht Foucault den rettenden Ausweg in der Antike, in den sokratischen Ouvertüren des Ich-Sagens, des „Wahrsprechens“ und der „Sorge um sich“. Anfang der achtziger Jahre beginnt er im Collège de France Sokrates und Plato zu lesen, später die Kyniker und die frühen christlichen Denker. Diese Vorlesungen, deren zweiten Teil der Suhrkamp Verlag unter dem Titel Der Mut zur Wahrheit veröffentlicht, sind erstaunliche Dokumente. Foucault, den nahen Tod vor Augen, nimmt sich darin alle Zeit der Welt, er ist von schier unendlicher Geduld mit seinen Gegenständen, seine Deutung ist liebevoll pedantisch und bis an die Grenze der Redundanz erschöpfend. Der von Studenten aus aller Welt umlagerte Star der philosophischen Szene macht die antiken Texte gegenwärtig, ohne sie brachial zu aktualisieren, sein Ton hat etwas Inständiges, seine Exegesen sind auf trügerische Weise verständlich (und überdies geschmeidig übersetzt). Im Zentrum steht die Idee der Parrhesia, des freimütigen „Wahrsprechens“, und das ist für Foucault die Angel, um die sich alles dreht. Politisch gesehen, ist Parrhesia der „Freimut“ vor der Macht; ethisch betrachtet, ist es der „Freimut“ vor sich selbst, die Selbstbindung des Einzelnen und die Anstrengung, dem Leben eine Bestimmung zu geben – so wie Sokrates, der genau die Lehre lebt, die er öffentlich verkündet.

Man sieht, Parrhesia ist ein zweipoliger Begriff. Mal meint das „Wahrsprechen“ eine Form von Selbstbeglaubigung und zielt auf eine „Ästhetik der Existenz“, die nicht nur ästhetisch, sondern auch moralisch ist, weil sie die anderen Polis-Bewohner gleich mit verändern soll. Dann wiederum meint Parrhesia den Mut des Bürgers, sich öffentlich ins Spiel zu bringen und etwas aufs Spiel zu setzen. In beiden Fällen ist das „Wahrsprechen“ eine demonstrative Distanz zum Allgemeinen und markiert einen heilsamen Abstand zu gesellschaftlichen Denkroutinen, zu Üblichkeiten, Opportunitäten und Mehrheitsmeinungen. Das „Wahrsprechen“ stört das Konzert der Lüge und der Heuchelei, es bekämpft die Pest der Anpassung und die Epidemie des Vorurteils.“

In diesem Sinne seien hier die Foucaultschen Vorlesungen „Der Mut zur Wahrheit“ zur Lektüre empfohlen.

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