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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Kommentar zur „Lehrbuch“-Diskussion

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Nachdem am Sonntag eine weitere kritische Rezension zu Schweitzers und Schlippes„Lehrbuch II“ im systemagazin erschienen ist, gibt es nun einen Kommentar zur Stellungnahme von Michael Schlicksbier-Hepp, der nicht im Kommentarfensterchen verschmoren sollte. Vielleicht wird damit ja eine Diskussion angestoßen, die das Buch zum Anlass nimmt, über Sinn oder Unsinn der Störungsorientierung in der Systemischen Therapie öffentlich nachzudenken. Das systemagazin bietet sich gerne als Forum für eine solche Diskussion an. Lothar Eder aus Mannheim schreibt:„Als einer der im Beitrag des Kollegen Schlicksbier-Hepp apostrophierten ‚Mitautoren‘ und damit durchaus auch„Mitträger“ der Ideen und Intentionen des Buches von Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer verfolge ich in den letzten Wochen aufmerksam die Rezensionen und bin teilweise doch sehr erstaunt über die Heftigkeit der Reaktionen. Scheinbar stellt das Buch für manche einen ‚Sündenfall‘ dar, einen Bruch mit der systemischen Tradition.
Eines vorweg: ich sehe das nicht so, vielmehr erkennt das Buch an, was schon lange der Fall ist – daß nämlich systemische Psychotherapeuten in der Regelversorgung arbeiten und dies nolens volens entlang der Leitlinien u.a. des ICD 10.
Schlicksbier-Hepp schreibt, es sei eine Grundannahme systemischen Denkens, keine Expertenwertung von außen einzunehmen. Ich möchte an dieser Stelle fragen: geht das überhaupt? Wenn ja, hätte der Kollege den Status fortgeschrittener buddhistischer Praxis erreicht, nämlich nur noch wahrzunehmen und nicht mehr zu werten. Ist es in Wahrheit nicht so: wir werten fortwährend und Aufgabe des Therapeuten ist es (dies wiederum in systemischer Manier) diese Wertungen kommunikativ-polylogisch mit den Kunden zu dialogisieren und zu verhandeln?
Auch die soziologischen Unterscheidungen sind durchaus kritikwürdig: hic die ‚Traditionalisten‘ (Psa, TP, VT), hic fortschrittliche (?) Systemiker. Das klingt doch sehr nach Null-eins-Logik.
Es ist ein gutes Ziel, systemisches Denken und Handeln in den Chor der Psychotherapieverfahren einzubringen. Wenn wir allerdings mitsingen wollen, müssen wir die Aufnahme in den Chor beantragen. Was Schlicksbier-Hepp und alle anderen Rezensionen, die mir bislang bekannt
sind (Tom Levold, Wolfgang Loth) m.E. zu wenig berücksichtigen, ist die (lösungsorientierte) Frage, inwieweit der ICD, de-ontologisch aufgefaßt, ein guter Leitfaden sein kann, Störungen (wiederum im
de-ontologischen Sinn) zu verstehen und zu kategorisieren. Meine These: er kann. Allerdings mit deutlichen Einschränkungen. Ein systemisches Verständnis z.B. von Angst, das sich auf die Organisationsformen der ‚Störung‘ bezieht, kann gegenüber dem ICD hermeneutische Türen aufstoßen, die geradezu revolutionär sind.
Treffend finde ich den Vergleich mit der Leitunterscheidung Allopathie / Homöopathie. Die ST, auch wenn die systemische Community diese Sichtweise im Mainstream nicht schätzt, weist mit ihren Denkfiguren von Selbstorganisation und Selbstregulation erstaunliche Parallelen zu traditionellen antiken Medizin- und Anthropologiekonzepten (z.B: den chinesischen) auf (u.a. Capra hat darauf hingewiesen).
Lothar Eder

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