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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Kasuistik

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Die aktuelle Ausgabe von „Kontext“ ist einem Thema gewidmet, das in der Systemischen Therapie nicht besonders entwickelt ist (aus welchen Gründen auch immer), nämlich der Kasuistik. Im Editorial der Herausgeber heißt es: „in Heft 4/2011 haben wir die Leserinnen und Leser des KONTEXT eingeladen, für ein Kasuistik-Heft Fallgeschichten einzusenden. Wir waren der Ansicht, dass im systemischen Feld die Kultur der Falldarstellung bzw. Fallerzählung eher unterentwickelt ist. Fallbeispiele beschränken sich in systemischen Publikationen häufig auf illustrative Vignetten bei der Darstellung von erfolgreichen Interventionen, die Schilderung von Verläufen mit ihrem eigenen dramatischen oder weniger dramatischen Auf und Ab sind dagegen eher selten zu finden. Das erschien uns bedauerlich, denn das Lernen am Fall (im Unterschied zur Theorie- oder Methodenvermittlung) spielt in der Psychotherapie und Beratung seit jeher eine zentrale Rolle.
Mit unserer Einschätzung lagen wir offensichtlich nicht ganz falsch, denn die Resonanz auf unsere Einladung war spärlich. Das wollen wir aber nicht so deuten, dass die Präsentation von Fällen irrelevant oder uninteressant sei, vielmehr könnte es tatsächlich daran liegen, dass sie keine Tradition hat und daher für Interessenten wenig Orientierungsmöglichkeiten existieren, wie man denn eine Fallgeschichte schreibt. Die Veröffentlichung eines Fallberichtes geht schließlich immer auch mit einem Risiko einher, nicht nur was den Umgang mit persönlichen Daten von Klienten und den entsprechenden Anonymisierungsnotwendigkeiten betrifft, sondern auch hinsichtlich der Selbstdarstellung der Therapeutin bzw. des Beraters. Mit einer Fallgeschichte zeigt man mehr von sich als mit einem epistemologischen Text oder einer methodischen Anleitung.
Auch wenn unser Aufruf nicht allzu erfolgreich war, konnten wir in diesem Heft die Kasuistik mit zwei ausführlichen Falldarstellungen zum Schwerpunktthema machen. Götz Egloff ist Psychoanalytiker mit systemischer Ausbildung und schildert – in für „systemische Ohren“ vielleicht zunächst etwas ungewohntem Duktus – eine Einzeltherapie mit einer Klientin, die sich wegen einer sexuellen Funktionsstörung in Therapie begeben hatte. Der Beitrag schildert eine spannende 15monatige Entwicklung „von passiver Opferbereitschaft hin zu aktiver Autonomie“. In seinem Kommentar zum Fall stellt Wolf Ritscher fest, „dass sich objektivierende Diagnostik, hermeneutisch-strukturiertes Verstehen, eine Orientierung am Subjekt, Empathie, der Blick auf Beziehungen bzw. Beziehungsmuster und Lösungsorientierung nicht ausschließen, ja sogar eine gekonnte Verbindung eingehen können. Die Verbindung von psychodynamischer, familientherapeutischer und systemischer Perspektive erweist sich als sehr fruchtbar und widerlegt das gern gepflegte Vorurteil eines nicht überbrückbaren Widerspruchs von Psychoanalyse und systemischer Theorie und Praxis“.
In einem zweiten Fallbericht aus dem Feld der Online-Beratung dokumentiert Mathias Klasen eine email-Korrespondenz mit einer Klientin, die sich wegen ihrer vielfältigen Belastungen als pflegende Angehörige an ein Beratungsforum für diese Zielgruppe wandte. Klasen versucht zu zeigen, „wie sich ein narrativer Ansatz in der schriftbasierten Onlineberatung mit Interventionen aus dem kreativen und therapeutischen Schreiben aus dem Bereich der Poesietherapie verbinden lässt“. Reizvoll an dieser Form der Falldarstellung ist vor allem, dass das gesamte Material schon in der Ausgangsform verschriftlicht ist, wenngleich natürlich der Fallbericht nur eine Auswahl aus den Texten sein kann. So kann man sich ein unmittelbares Bild der beraterischen Kommunikation machen.
Katharina Gold, Dirk Grothues, Hans Gruber und Michael Melter beschreiben ein systemisches familien- und spieltherapeutisches Konzept zur Unterstützung von Kindern, die sich einer Lebertransplantation unterziehen müssen. Auch wenn hier der Einzelfall nicht im Zentrum steht, wird doch anhand eines detaillierteren Fallbeispiels deutlich, welche Bedeutung eine systemische Herangehensweise bei solch massiven körperlichen Eingriffen – zumal für Kinder – hat.“
Zu den vollständigen abstracts und dem Inhaltsverzeichnis geht es hier…  

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