Als Dozent und Lehrtherapeut an unterschiedlichen systemischen Instituten bin ich immer wieder überrascht, dass viele Pioniere der Familientherapie und der Systemischen Therapie allmählich in Vergessenheit geraten oder den TeilnehmerInnen der Weiterbildungen gar unbekannt sind. So wissen viele nichts von Ivan Boszormenyi-Nagy, der seit Ende der 70er Jahre häufig in Deutschland zu Gast war und in vielen Workshops und Tagungen sein Konzept der Kontextuellen Therapie vermittelt hat (siehe auch meinen Nachruf aus dem Jahre 2007 – das Foto zeigt ihn auf einem seiner letzten öffentlichen Auftritte auf der EFTA-Tagung 2004 in Berlin). Er war einer der wesentlichen Vertreter der Mehrgenerationenperspektive und betonte nachdrücklich die Rolle von Gerechtigkeit im Geben und Nehmen, Allparteilichkeit und Loyalität innerhalb familiärer Beziehungen, auch und gerade bei ausgestoßenen und vermeintlich illoyalen Familienmitgliedern. Mit „Parentifizierung“ prägte er einen weiteren wichtigen Begriff, der heute einen festen Platz im therapeutischen Lexikon hat, und der die Übernahme einer Erwachsenen-Rolle durch die Kinder bezeichnet, die aufgrund fehlender oder unklarer Generationengrenzen zu emotionalen und realen Versorgern ihrer Eltern werden. Boszormenyi-Nagy hat dabei immer betont, dass bei aller Problematik dieser Rollenumkehr Parentifizierung nicht ausschließlich negativ betrachtet werden kann, eine einseitige Pathologisierung also nicht sinnvoll ist. Heute würde er 95 Jahre alt. Lisa M. Hooper hat 2008 im „Alabama Counseling Association Journal“ einen zusammenfassenden Bericht über das Konzept der Parentifizierung veröffentlicht, auf den ich heute anlässlich des Geburtstages seines Begründers hinweisen möchte.
Im abstract heißt es: „This article advances a balanced discussion of the extent to which varied outcomes are evidenced in adulthood after one has been parentified in childhood. Recommendations are provided that may help counselors avoid the potential overpathologizing of clients with a history of parentification. Suggestions for clinical practice are put forth for all counselors. Parentification is a ubiquitous phenomenon that most school, community, and family counselors as well as other human helpers face (Byng-Hall, 2002). That is, most counselors are likely to encounter both children and adults who have a history of parentification—a potential form of neglect (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1973; Chase, 1999). What is parentification, and given its relationship with negative outcomes and behaviors, what can counselors do to avoid overpathologizing the client’s signs, symptoms, and behaviors associated with parentification? This paper offers a review of what clinical practitioners and researchers have described in the literature. Subsequent to a brief review of the literature, suggestions regarding practice efforts directed toward clients who have experienced parentification are put forward.“
Bonjour
Je vous informe de la naissance d’un site autour de l’approche thérapeutique familiale transgénérationnelle et l’œuvre de Boszormenyi-Nagy.
Bonnes visites et lectures.
https://www.approche-contextuelle.org;
Pierre Michard