Sie haben recht. Ich finde auch: das ist eine bescheuerte Frage! Ich hörte sie gestern im Autoradio auf dem Weg zur Arbeit. Es folgte die Ankündigung des Moderators mit sonorer Stimme: Das klären wir in ein paar Minuten. (Wie bescheuert ich auch diesen zweiten Satz finde, klären wir in ein paar Minuten.)
Nach der Werbepause mit Alltours-Frühbucherrabatt und Auf alles 20%! Außer Tiernahrung wurde dann referiert, dass nicht nur die Süßigkeitenindustrie bemüht sei, das Osterfest zu einem ähnlichen Umsatzkracher wie Weihnachten zu machen, mit speziellen Hasen- und Eierkreationen und der suggestiven Frage: Warum nicht auch mal das neueste Handy ins Moosnest legen?
Ein pfiffiger Versandhandel böte einen zusammensteckbaren, wieder verwendbaren Osterbaum inklusive 20 formschönen Farbeiern an für lächerliche 198,- Euro, und es läge voll im Trend, dass es jetzt neben dem angestaubten Adventskalender einen Osterhasenkalender mit 30 Türchen gäbe. Von Osterliedern für die Kleinen und glänzenden Osterkerzen ganz zu schweigen.
Das alles ist schon albern genug, aber ich will zurückkommen auf die Einstiegsfrage und damit zum eigentlichen Kern meiner Besorgnis. Sie lautete: Wie viel Weihnachten steckt mittlerweile in Ostern?
Und obwohl ich die Werbepause stoisch abwarte, bekomme ich keine präzise Antwort darauf: Keine Prozentangabe, keine Skala von eins bis zehn, keine Gegenüberstellung: Weihnachten 12, Ostern 6 Punkte. Kein Wie viel denn nun wirklich … Nix nur Larifari und zuckersüßes Drumrumreden.
Dieses Wie viel-Gefrage meine ich. Es grassiert heute allerorten, als ob sämtliche Journalistenschule keine Mikro- oder Schreiblizenz mehr rausgeben würden, wenn nicht die Absolventen vorher dieses Wie viel inhaliert und verinnerlicht haben.
Keine Kerner-, keine Beckmann-Sendung, kein Radiovormittag ohne dieses Wie und Wie viel-Gefrage: Wie groß ist der Unmut der SPD-Parteibasis über Beck und Ypsilanti? Wie gering sind die Chancen auf eine Einigung im Bahntarif-Konfikt? Wie betroffen bist du jetzt, dass du beim Superstar-Casting rausgeflogen bist?
Was für ein Fake, was für ein Schwindel, was für eine fortgesetzte Verarschung des Publikums! Auf solche Fragen kann man gar nicht antworten, weil die Maßeinheit fehlt, die Skala zum Vergleich Emotionen und Chancen können gar nicht ge- oder bemessen werden.
Das ist also schon mal ein grober Unfug heutzutage aus unerfindlichen Gründen weit verbreitet.
Doch, ein Grund fällt mir ein: Das ist die Pseudoemotionalisierung in den bzw. durch die Medien, die Voyeurismus und Werbebotschaften miteinander koppeln: Wie verrückt ist Britney Spears wirklich? Kaufen Sie Ihre letzte CD! Wie unverschämt sind deutsche Top-Manager Marke Postwinkel? Entscheiden Sie sich für festverzinsliche Immobilienfonds! Wie sehr leidet Ottfried Fischer an seinem Parkinson? Mit den neuen Diät-Tabletten garantiert zum Erfolg!
Und dann: Das klären wir in ein paar Minuten. Von wegen wieso klären? Unter klären verstehe ich etwas anderes, so was wie Missverständnisse ausräumen, Einigkeit herstellen, Konflikte lösen …
Diese Pseudo-Ankündigung soll Neugierde wecken, damit man am Lautsprecher bleibt, die Werbeminuten absitzt, und spricht das Urbedürfnis nach Antwort an, das im Zeitalter der offen bleibenden Fragen nicht tot zu kriegen ist.
Je mehr Undurchsichtigkeiten und Fremdbestimmtes, desto größer der Wunsch nach Antwort, Klärung und Gemeintsein.
Abgesehen von der leeren Versprechung Das klären wir gleich passiert parallel etwas Auffälliges mit den Zeiteinheiten und den entsprechenden Begriffen.
War in grauer Vorzeit die Zeitangabe Bitte zur Tagesschau nicht stören die feste Größe im Fernsehen, radikalisieren sich in einer immer schneller werdenden Zeit auch die Zeitangaben: Selten heißt es noch lapidar: Nach der Werbung …, häufiger schon eher entschuldigend Nach einer ganz kurzen Unterbrechung … Oder: Wir sind gleich wieder für Sie da … in letzter Zeit aber immer auffälliger nur die knappe und zugleich unpräzise Ansage: Gleich!
Den Vogel der Täuschung schießt dann der Sender Pro 7 ab, wo die Moderatorin zu einer Lüge gezwungen wird, wenn sie nach ihrer Ankündigung suggeriert: Jetzt!
Jetzt kommt aber nicht der avisierte Beitrag, auch nicht im nächsten Moment, sondern man ahnte es schon doch wieder der neue Toyota im Crashtest oder die Care free-Binde im Schwimmbad.
Worte bedeuten einfach nicht mehr das, was sie ursprünglich meinten. Sie werden gebeugt unter das Diktat der Werbepsychologie. Die subtilen Folgen dieses Sinn- und Substanzverlustes in der öffentlichen Sprache wären allemal ein paar Untersuchungen und Forschungsgelder wert.
Was zum Beispiel verstehen Sie unter einem Sparabo? Einen Plan für Vermögenswirksame Leistungen? Abo-Sparen für Erstklässler? Nee, das ist Geldabzocke bei Handykids im Tarngewand. Spar Dich satt, wirbt ein neuzeitlicher Pizzabringedienst. Alle reden vom Sparen, dabei meint es wie eh und je: Geld ausgeben.
Die Worte meinen einfach nicht mehr, was sie einmal gemeint haben.
Und darum noch mal zurück auf Anfang, zum Ursprung des Wortes, zur Wurzel meines Gedankenausflugs:
Wie viel Weihnachten steckt denn nun in Ostern?
Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung, ich werde mir aber trotzdem keinen Osterbaum für 198,- Euro bestellen. Fröhliche Feiertage!