Heute jährt sich Gregory Batesons Todestag zum 40. Mal, eine gute Gelegenheit, noch einmal sein Werk in Erinnerung zu rufen. Die meisten seiner Veröffentlichungen waren keine Monografien, sondern Aufsätze, von denen viele im Sammelband Steps to an Ecology of Mind erschienen sind, der 1972 von Ballantine Books veröffentlicht wurde. 1981 erschien die von Hans Günter Holl übersetzte deutsche Ausgabe unter dem Titel Ökologie des Geistes im Suhrkamp-Verlag.
In Heft 2/2008 der Zeitschrift Kontext erschien in der Rubrik Klassiker wieder gelesen eine Doppelrezension von Kurt Ludewig und Tom Levold, die hier gelesen und heruntergeladen werden kann…
Das Vorwort zur Originalausgabe 1981 von Helm Stierlin:
„Ich halte Gregory Bateson für einen der wichtigsten Denker unseres Jahrhunderts. Deutschsprachige Leser kennen ihn in erster Linie als Schöpfer des Begriffes ‚double bind‘, den ich mit ‚Beziehungsfalle‘ übersetzt habe. Ein ‚double bind‘ ist Folge und Ausdruck einer zwischenmenschlichen Verstrickung, die durch eine widersprüchliche – aber in ihrer Widersprüchlichkeit schwer durchschaubare – Kommunikation ermöglicht wird. Mit der Beschreibung dieser Verstrickung ermöglichte Bateson ein neues Verständnis der gemeinhin als Schizophrenie bezeichneten psychiatrischen Störung – obschon (oder weil) Bateson seither deutlich gemacht hat, dass double binds nicht spezifisch für solche Störungen sind, sie vielmehr auch bei künstlerischer Kreativität, beim Humor, ja selbst beim Vorgehen vieler erfolgreicher Psychotherapeuten eine Rolle spielen. Dabei ist der ‚double bind‘ nur ein – wenn auch wichtiger – Teil seines Beitrages zu einem neuen psychiatrischen und psychotherapeutischen Verständnis. Die familientherapeutische Arbeit unseres Heidelberger Teams wie die vieler anderer Kollegen im Inland und westlichen Ausland wäre undenkbar ohne die Ideen und Anstöße, die Gregory Bateson seit etwa 40 Jahren gegeben hat.
Aber Batesons Denken reicht weit über den engeren psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich hinaus: Er darf als Mitbegründer und -entwickler der ökologischen oder besser: ökosystemischen Sicht der Lebensprozesse gelten. Heute ist es schon fast ein Gemeinplatz zu sagen: das Überleben der Menschheit wird davon abhängen, ob, wie weit und wann sie sich solche Sicht zu eigen macht. Bateson verdeutlicht wie wohl kaum ein anderer Autor, was ein solches ‚Sich-zu-eigen-Machen‘ alles bedeutet – vor allem die Korrektur vieler eingeschliffener Verstehensansätze, Denkgewohnheiten, Wahrnehmungsweisen und Beziehungsmuster. Das schließt für Bateson auch die Korrektur jener beiden Verstehensansätze ein, die das geistige Klima unserer heutigen Welt überwiegend zu bestimmen scheinen – des psychoanalytischen und marxistischen Ansatzes.
Wie Margaret Mead, die über längere Zeit seine Lebensgefährtin war, ist Bateson von Haus aus Anthropologe. Schon seine frühen Arbeiten weisen ihn als einen sorgfältig beobachtenden Feldforscher aus, der seine Daten häufig unter einem ungewohnten Blickwinkel betrachtet und sie mit Daten aus verschiedensten Wissens- und Erfahrungsbereichen wie Biologie, Soziologie, Kybernetik, Linguistik, Geschichte, Psychologie und Kunst vergleicht. Ich kann mir keinen Autor vorstellen, der wie er in der Form eines Baumblattes, dem Körper eines Krebses und der Grammatik unserer Sprache vergleichbare Organisationsprinzipien hätte entdecken können.
Dass ihm dies so überzeugend gelingt, hat meines Erachtens viel mit seiner Befolgung einer Maxime zu tun, die er in dem vorliegenden Band wiederholt vertritt: Man müsse als wissenschaftlicher Forscher stets sowohl ein strenges wie ein lockeres Denken (strict and loose thinking) zum Zuge bringen können. Eine Mischung (oder wenn man will: Dialektik) von lockerem und strengem Denken kennzeichnet, so scheint mir, alle seine Arbeiten. Dabei scheinen sich neue Einsichten, provokative Aussagen ständig gleichsam wie auf leisen Sohlen einzuschleichen. Wir lesen etwa in seinen Schriften: ‚Das Lebewesen, das im Kampf gegen seine Umwelt siegt, zerstört sich selbst‘; ‚Wissenschaft beweist niemals etwas‘; ‚Es gibt keine objektive Erfahrung‘; ‚Logik ist ein karges Modell von Ursache und Wirkung‘ oder ‚Kausalität wirkt nicht zurück‘. Man muss Bateson langsam und mehrmals lesen, sich immer wieder mit ihm auseinandersetzen, um nachvollziehen zu können, wie revolutionär und zugleich einleuchtend er ist.
Bateson legt wiederholt den Vergleich mt philosophischen Autoren nahe, die deutschsprachigen Lesern vertrauter sind als er selbst – z.B. mit Hegel, der ihm in Hinblick auf die Weite der Interessen und die Faszination durch Widerspruch und Paradox verwandt scheint, oder, in neuerer Zeit, mit Victor von Weizsäcker, der hierzulande vielleicht mehr als jeder andere Denker ökosystemische psychosoziale Zusammenhänge bzw. eine Ökologie des Geistes erschaut oder erahnt hat. Doch mir ist kein deutschsprachiger Autor bekannt, der wie Bateson in seiner Person eine so weitgespannte wissenschaftliche Phantasie, den Blick für das Wesentliche, Witz, Wärme und, last not least, die Fähigkeit zum Understatement vereint.
Abgesehen von mehreren getrennt veröffentlichten Büchern enthält dieser Band die wesentlichen Arbeiten, die Bateson bisher geschrieben hat.“
Aus dem Inhalt (Zusammengestellt von Beats Biblionetz)
Metalog: Warum kommen Sachen durcheinander ? (Seite 32 – 38)
Metalog: Warum fuchteln die Franzosen ? (Seite 39 – 44) (1951)
Metalog: Über Spiele und Ernst (Seite 45 – 52)
Metalog: Wieviel weisst Du ? (Seite 53 – 59) (1953)
Metalog: Warum haben Dinge Konturen ? (Seite 60 – 66)
Metalog: Warum ein Schwan ? (Seite 67 – 72) (1954)
Metalog: Was ist ein Instinkt ? (Seite 73 – 96)
Kulturberührung und Schismogenese (Seite 99 – 114)
Spekulationen über ethnologisches Beobachtungsmaterial (Seite 114 – 132)
Moral und Nationalcharakter (Seite 133 – 155)
Bali: Das Wertsystem in einem Zustand des Fliessgleichgewichts (Seite 156 – 181)
Stil, Grazie und Information in der primitiven Kunst (Seite 182
Eine Theorie des Spiels und der Phantasie (Seite 241 – 261)
Epidemologie einer Schizophrenie (Seite 262 – 269)
Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie (Seite 270 – 301) (Gregory Bateson, J. Haley, Don D. Jackson, John H. Weakland) (1956)
Die Gruppendynamik der Schizophrenie (Seite 302 – 320) (1960)
Minimalforderungen für eine Theorie der Schizophrenie (Seite 321 – 352) (1959)
Double bind (Seite 353 – 361) (1969)
Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation (Seite 362 – 399) (1971)
Die Kybernetik des „Selbst“: (Seite 400 – 435)
Über Hirnlosigkeit bei Biologen und Erziehungsministerien (Seite 441 – 444) (1970)
Die Rolle der somatischen Veränderung in der Evolution (Seite 445 – 467)
Probleme in der Kommunikation von Delphinen und anderen Säugetieren (Seite 468 – 485)
Eine Überprüfung von „Batesons Regel“ (Seite 486)
Kybernetische Erklärung (Seite 515 – 529) (1967)
Redundanz und Codierung (Seite 530 – 548)
Bewusste Zwecksetzung versus Natur (Seite 549 – 565) (1968)
Krankheiten der Erkenntnistheorie (Seite 614 – 626) (1969)