Auf der Website von Siegfried J. Schmidt ist ein Beitrag von Ernst von Glasersfeld zu lesen, der sich mit dem Gesellschaftsbegriff befasst. von Glasersfeld wendet sich hier insbesondere gegen die Position des Sozialen Konstruktionismus von Kenneth Gergen, dass sich die Festlegung von Bedeutung primär erst in der sprachlichen Interaktion vollzieht:„Was Gergen übergeht, ist der Begriff der Viabilität, der in meinem Kognitionsmodell nicht nur die Konstruktion von Begriffen einschränkt, sondern auch die Bedeutungen von Wörtern. Die ersten Assoziationen von Wortlauten und Erfahrungsgegenständen, die das Kleinkind bildet, sind vom Standpunkt der Erwachsenen oft fehlerhaft oder ungenau. Erst im Lauf der Verwendung lernt es, sie an den gängigen Sprachgebrauch anzupassen – nicht durch Vereinbarung, sondern dadurch, daß idiosynkratische Wörter den erwarteten Dienst nicht leisten und eben nicht »viabel« sind“. Zum Begriff der Gesellschaft schreibt er:„An dieser Stelle möchte ich wiederholen, daß der radikale Konstruktivismus nicht eine reale Welt zu beschreiben vorgibt, sondern lediglich ein Modell vorschlägt, wie man sich den Aufbau von Wissen vorstellen kann. Zu diesem Aufbau gehört nun selbstverständlich auch der Begriff der Gesellschaft. Ebenso wie Wortbedeutungen von Heranwachsenden nur aus ihren eigenen Erfahrungen und der Interpretation gehörter und gelesener Wörter abstrahiert werden können, muß der Begriff »Gesellschaft« von jedem Einzelnen auf Grund eigener Erfahrungen und Verallgemeinerungen gebildet werden. Dabei ist es gleichgültig, ob man glaubt, die Gesellschaft existiere als solche oder nicht – ein Wissen von ihr kann man nur aus eigenem Erleben bilden. Das gilt nicht nur für Kinder und unbelastete Erwachsene, sondern auch für Soziologen. Vereinfacht – und darum zweifellos etwas naiv betrachtet – ist das, was als wissenschaftliche Soziologie geschrieben und verkündet wird, die Summe dessen, was ein aufmerksamer Beobachter mit Hilfe von mehr oder weniger anerkannten Methoden aus seinen Erlebnissen, Experimenten, statistischen Untersuchungen, usw., herauskristallisiert und so formuliert, daß eine Anzahl von Berufskollegen es auf eine sie befriedigenden Weise interpretieren können. Gleichgültig, wie groß die Zahl der Zustimmenden auch sein mag, das Begriffsgebäude, das ihnen gemeinsamer Besitz zu sein scheint, ist nicht die Beschreibung einer »objektiven« Sachlage, sondern ein Komplex von individuellen Interpretationen, der im Laufe von Diskussionen, gegenseitiger Kritik und anderen Unterhandlungen schließlich für alle Beteiligten eine gewisse Viabilität gewonnen hat“
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Gesellschaft als subjektive Erfahrung
30. März 2007 | Keine Kommentare