2006 fand in Bonn ein Symposium mit dem Titel „Das Unbehagen in der Psychotherapie“ statt, an dem über 100 PsychotherapeutInnen und WissenschaftlerInnen teilnahmen. Die dort verabschiedete „Bonner Erklärung“ postulierte: „Wir beobachten mit großer Sorge in der Psychotherapie eine Verengung des Denkens auf Ansätze, die eine „evidenzbasierte Einheitspsychotherapie“ favorisieren. Sinnverstehende, einem humanistischen Menschenbild verpflichtete psychotherapeutische Traditionen haben in dieser Konzeption keinen Platz: Sie sollen inhaltlich, politisch und ökonomisch verdrängt und ausgegrenzt werden.“ Sie war als Unterschriftensammlung ausgelegt, die ihre Stimme bei der bevorstehenden „Anpassung der Kriterien für die Aufnahme neuer Psychotherapieverfahren“ zur Geltung bringen sollte. Die Resolution unterzeichneten rd. 2.500 Personen, wurde jedoch von den „Gatekeepern“ mit dem Argument diskreditiert und vom Tisch gewischt, dass es sich weitgehend „nur“ um außerakademische Praktiker handle.
Seitdem hat sich die Verengung der Psychotherapie in Deutschland weiter verschärft. Professuren in
„Klinischer Psychologie und Psychotherapie“ sind inzwischen fast ausschließlich mit Vertretern der
Verhaltenstherapie besetzt. Aus diesem Grund haben Michael B. Buchholz und Jürgen Kriz, zwei der herausragendsten Wissenschaftler im Bereich der Psychotherapieforschung einen Weckruf publiziert, der sich – als wissenschaftsinterne Kommunikation – zunächst vor allem an Professorinnen und Professoren richtet. In ihrem Anschreiben schreiben sie: „Aktuell findet ein Diskurs über die Zukunft der Psychotherapie (besonders) in Deutschland statt – nicht zuletzt ausgelöst durch ein neues PsychThG, die sich daraus ergebenden Fragen von Aus- und Weiterbildung, durch ein sog. „Methodenpapier 3.0“ des WBP usw. Obwohl ein offener Diskurs grundsätzlich sehr erfreulich wäre, sehen die Unterzeichner mit Sorge, dass dabei nicht oder zu wenig die Ergebnisse internationaler Psychotherapieforschung berücksichtigt werden, welche eine Veränderung der Perspektive von einem rein biomedizinischen Ansatz hin zu einer bio-psycho-sozialen Betrachtung von Pathologie und Therapie nahelegen.
Der „Weckruf“ richtet sich NICHT GEGEN irgendjemanden, sondern soll jene Positionen im Diskurs
UNTERSTÜTZEN, die sich für den (Wieder-)Anschluss der Psychotherapie(forschung) in unserem Lande
an die internationalen Standards einsetzen und für Methodenpluralität, Forschungsvielfalt und
Evidenzbasierung (inklusive qualitativer Forschung statt Reduktion auf RCTs) einsetzen.“
Der „Weckruf“ ist hier zu finden – wer ihn unterzeichnen möchte, möge sich einfach mit den Autoren unter den angegebenen email-Adressen in Verbindung setzen.
Ich habe den Aufruf großflächig weitergeleitet (AG kritische Pth:innen in Österreich, kritische Pth:innen in Deutschland, Ausbildungsinstitute in Österreich usw.). Leider droht uns hier eine ähnliche Situation und wir strengen uns sehr an, diese zu vermeiden. Kollegiale Grüße Sabine Klar