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Fritz B. Simon: Man muss Büchern ja generell ihre Autoren verzeihen

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Es gab natürlich viele Bücher, die einen Weichen stellenden Einfluss auf mich und mein Denken hatten, ja, mein Leben verändert haben. Da wäre „Lösungen“ von Paul Watzlawick und seinen Kollegen in Palo Alto zu nennen, das ich als junger, von keinerlei Erfahrung beleckter Arzt in der Psychiatrie gelesen habe. Nach der Hälfte des Buches wusste ich, dass dies mein Ansatz ist und sein wird, und ich habe begonnen so auf die Welt zu schauen und zu arbeiten. Ein Buch, das mir Orientierung in meinem Stationsalltag im Umgang mit Patienten, die sich vollkommen uneinfühlbar verhielten, gab, aber auch mit der Organisation Psychiatrische Anstalt, die mindestens so merkwürdig war, wie die Patienten, vor allem aber mit meiner Rolle als jemand, der von einem Moment zum anderen über eine formale Macht verfügte, die ihm ab und zu Schwindel verursachte… Vielleicht das wichtigste Buch in meiner professionellen Anfangsphase (zumal andere Lektüre daraus folgte).
Wahrscheinlich ebenso wichtig, wenn auch auf ganz andere Weise, waren dann die „Laws of Form“ von George Spencer-Brown. Es wurde mir von Paul Watzlawick, als er einmal in Hannover, wo er einen Vortrag hielt und ich damals lebte und arbeite, empfohlen. Wir trafen uns nach der Veranstaltung, da wir schon eine lange brieflich aufrecht erhaltene Beziehung hatten. Ich hatte ein Buchmanuskript verfasst, in dem ich versucht hatte, psychoanalytische und kommunikationstheoretische Konzepte zusammen zu führen. Dabei hatte ich viele Ideen aus der Logik übernommen, um die Entwicklung psychischer Strukturen in ihrer Gesetzmäßigkeit (und in der Folge dann in ihrer Verwirrung im Fall der Psychose) zu analysieren. Paul, der schon mal einen Artikel von mir ins Englische übersetzt hatte – noch heute bin ich stolz darauf und kann mir nicht verkneifen, damit anzugeben (ich war damals kleiner Assistent und mein Buch war schon von gefühlten 100 Verlagen abgelehnt worden, so dass Paul wichtig zur Aufrechterhaltung meines Eigensinns war) – hatte das Manuskript gesehen und wies mich auf die Ähnlichkeiten meiner Modelle mit dem, was George Spencer-Brown in den Laws of Form geschrieben hatte, hin.
Als ich ein paar Jahre später in Heidelberg arbeitete, fuhren Gunthard Weber und ich (1984) nach New York, um eine Woche später mit Gunther Schmidt und Helm Stierlin in Yale an einer Schizophrenie-Tagung teilzunehmen. Wir wohnten bei Don Bloch, einem Freund von Helm, und ich fragte ihn, wo ich denn am ehesten nach diesem Buch suchen könnte. Barnes & Noble. Dort marschierten wir hin. Im Katalog war das Buch auch zu finden, nur wusste keiner, wo es steht. Gunthard und ich machten uns auf die Suche, und wir fanden es.
Ab da wurde alles anders. Denn GSB hatte formal dargelegt, was ich vorher auch schon – wenn auch in simplerer Weise – geschrieben hatte. Mein Buch („Prozess der Individuation“) war zwar inzwischen schon erschienen (mein ewiger Dank der damaligen Lektorin von Vandenhoeck & Ruprecht), aber ich saß gerade daran, meine Habilarbeit zu schreiben, so dass ich mich nun an den Laws orientieren konnte. Ich machte sie zur Grundlage der Analyse schizophrenen Denkens wie der Kommunikationsmuster in Familien („Unterschiede, die Unterschiede machen“). LoF ist das von mir am häufigsten gelesene Buch (8 oder 9 mal, immer wieder). Ich verstehe zwar nicht alles, aber was ich verstehe, ist sehr hilfreich. Meine Habilarbeit erschien 1987, und ich wurde zu einem der Propheten des George Spencer-Brown (was der allerdings nicht so recht zu würdigen weiß, denn er ist ein unmöglicher Mensch).
Aber man muss Büchern ja generell ihre Autoren verzeihen.

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