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Fehler in der Psychotherapie

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Brigitte Schigl

Brigitte Schigl

Im Frühjahr 2014 hielt Brigitte Schigl (Foto: www.psyweb.at/schigl) auf dem ÖAS-Kongress „Fremdgehen“ in Wien einen ausgezeichneten Vortrag über Fehler, die in der Psychotherapie begangen werden, der mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Sie skizzierte eine Typologie von Fehlern, die von Alltagsfehlern über Fehler in schwierigen Situationen (inkl. AnfängerInnen-Fehler) bis hin zu Kunstfehlern und ethischen Fehlhandlungen reicht. Gemeinsam mit Birgitta Gahleitner hat sie für das Online-Journal Psychotherapie-Wissenschaft 2013 einen Text zum gleichen Thema veröffentlicht, der frei zugänglich ist. In ihrem Fazit schreiben die Autorinnen:

„Die Haltung gegenüber Fehlern kann generell unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden: Einer davon ist technisch und versucht, Fehler zu vermeiden, da sie als Störquellen und Abweichungen optimalen Funktionierens betrachtet werden. Eine andere Einstellung zu Fehlern entspricht mehr der menschlichen Verfasstheit – nämlich, Fehler als Input zu sehen, an dem wir wachsen können; eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit oder zumindest Fehlertoleranz öffnet ein Lernfeld, in dem PsychotherapeutInnen wagen, ihre Mängel zu sehen (ohne sich zu verdammen) und die Erkenntnisse daraus nützen, besser zu werden – in unserem Falle proaktiv mit Fehlern umzugehen (…). Eine solche Haltung einzunehmen, ist die wohl breiteste und wichtigste Forderung für alle psychotherapeutisch Arbeitenden (…). Dazu sind die Akzeptanz eigener (menschlicher) Unvollkommenheit, Offenheit und Lernbereitschaft nötig, wie sie in einer fehlerfreundlichen Haltung wachsen können.

Systematische therapeutische Fehler wie Kunstfehler oder ethische Verfehlungen müssen in der Psychotherapie selbstredend hintangehalten werden. Dazu sind mehrere Wege möglich: Der erste fokussiert auf die Persönlichkeit der PsychotherapeutInnen (…): Hier sollen schon in der Auswahl der KandidatInnen deren mögliche Persönlichkeitsdefizite erkannt, in der Ausbildung persönliche blinde Flecken bearbeitet und genügend personale wie methodische Kompetenz erworben werden. Weiters sind unter dem Schlagwort Selbstfürsorge jene Praktiken zu nennen, die PsychotherapeutInnen für ihre eigene Arbeitsfähigkeit und ihr Wohlergehen kultivieren sollten. Ausgeglichene PsychotherapeutInnen, die in guten sozialen Bezügen leben und sich von ihrem anstrengenden Job auch angemessen erholen können, werden weniger dazu tendieren, aus Überbelastung abzustumpfen, zynisch zu werden oder PatientInnen zu benützen. Eine ausreichende finanzielle Absicherung wirkt präventiv gegen unnötig lange Therapien, mangelnde Überweisung an geeignetere Stellen o. Ä. um des Honorars willen.

Der zweite Weg fokussiert auf die Verpflichtung zur Weiterbildung und berufsbegleitenden Supervision bzw. Intervision für PsychotherapeutInnen – ein auch im österreichischen Psychotherapiegesetz und dessen Verordnungen verankerter Gedanke (z. B. Supervisionsrichtlinie, 2009). Durch die dort mögliche Kompetenzentwicklung und systematische Selbstreflexion, durch Vergleich mit dem Tun anderer KollegInnen, durch Feedback in der Intervision können weitere Fehler und gröbere Schäden verhindert werden. In Fortbildung und Supervision können TherapeutInnen angeleitet werden, Fehlentwicklungen zu erkennen, sich Fehlern zu stellen, neue Perspektiven einzunehmen, alternative Handlungen zu entwerfen und sie in den therapeutischen Prozess zu integrieren. Diese Forderung ist auch ein wesentlicher Bestandteil des Qualitätsmanagements psychotherapeutischer Praxis (…).

Der dritte Weg bringt PatientInnen ins Spiel: Sie sollen gezielte Information zum üblichen Ablauf und Aufklärung über mögliche Risiken von Psychotherapie erhalten. Es gilt, sie zu stärken, damit sie ihre Wahrnehmungen in den therapeutischen Prozess einbringen und den TherapeutInnen auf diese Weise wertvolle Rückmeldungen geben (…). Auch hier jedoch ist Voraussetzung, dass sie mit ihren Rückmeldungen auf TherapeutInnen stoßen, die dies annehmen können. Der Ausbau von Feedbackschleifen in der eigenen therapeutischen Praxis (Zwischenziele, Symptom-Checklisten, prozessuale Diagnostik etc.) kann hierbei formal helfen und sollte vermehrt angedacht werden. Weiters könnten die Auskunftsstellen und Beratungen der Berufsverbände für unzufriedene PatientInnen Beschwerden im Vorfeld abfangen und PatientInnen unterstützen, diese mit ihren TherapeutInnen zu besprechen. Die AutorInnen der RISK-Studie haben dazu auch einen „Beipackzettel“ für Psychotherapie entwickelt.

Generell gilt für alle drei Wege, dass eine Entwicklung hin zur Fehlerfreundlichkeit, zur Offenheit gegenüber fallweiser eigener Unzulänglichkeit und eine Freude an der Auseinandersetzung mit dem Prozess und seinen Dynamiken nötig sind. Hier sind wir TherapeutInnen alle gefordert, uns freundlich zu beobachten und daran mitzuwirken.“

Zum vollständigen Text geht es hier…

 

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