Die Entwicklung und Verfolgung von Zielen und deren Aushandeln in der Auftragsklärung halten viele Vertreter des systemischen Ansatzes für das A&O einer erfolgreichen Praxis. „Das Werkzeug ,Ziele setzen’ ist so allgegenwärtig und so anerkannt, dass man fast ein Sakrileg begeht, wenn man es in Frage stellt oder sich selbst der Nicht-Seriosität verdächtig macht, wenn man es nicht in jeder Hinsicht und überall sinnvoll und hilfreich findet. Management by Objectivs gilt als professionell und state of the art. Kein Wunder also, wenn auch die HR-Abteilungen, die sowieso immer unter dem Druck stehen, ihre Arbeit als umsatzrelevant und nicht nur als Kostenfaktor zu erweisen, diese Orientierung an Zielen und Zielerreichung auf Coaching anwenden“. Dass die Zielmetapher, in der Coaching, Beratung und Therapie dann der Weg zur Zielerreichung darstellen, nur eine mögliche Weise ist, einen gewünschten Zustand abzubilden, wird dabei eher ausgeblendet.
In einem sehr schönen Text nicht nur über die Problematik einer übersteigerten Zielorientierung, sondern auch über andere Mängel einer kommerzialisierten Coaching-Ideologie, die die ursprüngliche Aufgabe von Reflexion des (auch eigenen) Handelns zugunsten einer Anwendung von Tools aus den Augen verliert und sich an die Weltsicht und den Handlungsdruck der Coaching-Klientel anpasst, setzt sich Klaus Eidenschink mit diesen Fehlentwicklungen auseinander. Er schreibt unter anderem: „Üblicherweise wird die Bedeutung von Werten (im Coaching) betont und hervorgehoben. Dass Werte aber nie zum Nulltarif zu haben sind, dass es einen Preis hat, sie ernst zu nehmen und dass sie am allermeisten in Gefahr sind, wenn das an die Werte gekoppelte Gut (in unserem Fall Coaching) von der Erfolgswelle getragen wird, gerät nur all zu schnell aus dem Blick. Schon der christliche Glaube verlor viele seiner Wesenskerne als er durch Kaiser Konstantin zur Staatsreligion im römischen Reich wurde. Da könnte Coaching im Hinblick auf Identitätsverlust am prominenten Beispiel lernen. Gerade der Erfolg führt zu Anpassungsformen, die unter Druck nie zustande gekommen wären. Deshalb braucht es in der Coachingbranche dringend einen Diskurs, welche Werte sich aus welchem Selbstverständnis heraus entwickeln, begründen und leben lassen. Das „Anything goes“ einer Vielfalt, die eine verkappte Beliebigkeit ist, hat den gewaltigen Nachteil, dass die Kunden das, was der eine Coach als unseriös, unsinnig und unprofessionell ablehnt, er bei einem anderen Coach ohne Wimperzucken bekommen kann. Dies kann man hinnehmen, wenn man auch hinnimmt, dass es die Kunden sind, die dann aus ihrem Schaden klug werden müssen. Den Preis dieser nicht geführten Diskussion im Coaching, zahlen die Kunden. Auch eine Strategie.“ Der vollständige Text ist hier zu lesen…
Vielen Dank Herr Eidenschink! Sie packen einige wichtige Themen an, wie die Finanzierung von Coaching, der Druck in den HR-Abteilungen und besonders der Umgang mit den Zielen. Die Zielorientierung im Vordergrund, verhindert das Wahrnehmen der Blumen und Besonderheiten jenseits des „Zielkorridors. So braucht der Coachee einen Raum, in dem er sich entwickeln kann. Wir sprechen von daher in unserer Ausbildung vom „Coachingraum“. Der Coach stellt diesen zur Verfügung und hilft dem Coachee, sich dort mit seinen Themen einzubringen. Das bedeutet natürlich, dass der Coach sich zurück halten muß mit seinen Themen, aber auch Vorgehensweisen. Das bedeutet weiterhin, dass der Coach „bescheiden „ bleibt. Das bedeutet der Verzicht auf (im schlimmsten Fall) Größenwahn oder dessen Vorstufen.
So bin ich auch an diesem Punkt mit Ihnen einer Meinung, dass die HALTUNG des Coachs eine sehr große Rolle spielt. Also Wertschätzung gelebt und weiter gegeben.
Dies beißt sich oft genug mit den von Ihnen so toll beschriebenen Marktsituation. Wie laut muß ich sein, um Kunden zu bekommen. Und wie passt dies zur Zurückhaltung?
In meinem Fall (Einmannbetrieb mit Netzwerk, aber auch ca 40 Jahre am Markt) habe ich 80% meiner Kunden über Mundpropaganda. Und, Herr Eidenschink, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie schreiben, dass man sich mit Coaching allein zu abhängig machen würde. In meinem Fall habe ich meine Psychotherapiepraxis immer weiter betrieben. Die Mischung war gut, um unabhängig zu bleiben. Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, wie Workshops oder Seminare anzubieten.
Vielen Dank für für diesen Artikel
Clemens Lücke (67 Jahre alt)
Coach, Lehrcoach und Psychotherapeut