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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Familiendynamik 1979

Heft 1

Duss-von Werdt, Josef & Helm Stierlin (1979): Editorial: Sexualität und Sexualtherapie. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 1-2. 

Abstract: Die zwei Begriffe des Heftthemas, »Sexualität« und »Sexualtherapie«, werden hier in einem weiten Sinne verstanden und von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Gegenstand der ersten drei Beiträge ist die Sexualtherapie. Diese Therapieform ist in den letzten Jahren besonders in den USA stark vorangetrieben worden. Es zeigte sich jedoch mehr und mehr, daß die Behandlung sexueller Störungen nicht von den Lebens- und Familienbeziehungen zu trennen ist. H. Singer Kaplan zeigt dies in ihrem theoretischen und methodischen Überblick auf. S. und H. Stierlin er­weitern das Blickfeld um die vertikale Dimension, indem sie anhand einer Therapie die generationenübergreifende Verflechtung sexueller Probleme belegen. Mit der bisher kaum oder zumindest zuwenig beach­teten Bedeutung homosexueller Gefühle und Phantasien bei der Partner­ wahl befassen sich N. und B. Paul. Die weiteren vier Beiträge berücksichtigen soziologische, pädagogische und psychosomatische Perspektiven.

Singer Kaplan, Helen (1979): Die »neue Sextherapie« – ein Überblick. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 3–22. 

Abstract: Diese Übersicht über die neuen Techniken zur Kurzbehandlung sexueller Störungen, die man als »Sexualtherapie« bezeichnet, be­ faßt sich mit folgenden drei Fragen: 1. Was ist Sexualtherapie? Welches sind ihre charakteristischen Merk­male? Wie unterscheidet sie sich von der Psychoanalyse und inwie­fern — wenn überhaupt — ist sie ihr ähnlich? 2. Wie wirksam ist die Sexualtherapie? Was für Beweise gibt es gegen­wärtig für ihre Wirksamkeit? Ist sie eine vorübergehende Mode oder wird sie sich behaupten und als bedeutender Fortschritt erweisen? 3. Widerlegt der Erfolg der Sexualtherapie die Psychoanalyse? Dieser letzten Frage schließt sich ein Vergleich der mutmaßlichen Wirkungsmechanismen von Psychoanalyse und Sexualtherapie an.

Stierlin, Satuila & Helm Stierlin (1979): Mehrgenerationenaspekte in der Therapie sexueller Störungen. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 23–33. 

Abstract: Sexuelle Störungen und Konflikte sind den Erfahrungen der Autoren zufolge häufig in einer die Generation überspannenden Familiendynamik angelegt. Unbewußte Treueverpflichtungen (I. Boszormenyi-Nagy, 1972), unbewältigte Trauer (N. und B. Paul, 1977) und kon­fliktträchtige Delegationen (H.Stierlin, 1978), wie sie durch das Heidelberger familiendynamische Konzept erfaßt werden, spielen darin eine zentrale Rolle. Die Therapie der sexuellen Störungen der Partner ver­langt daher oft die Einbeziehung der Ursprungsfamilien — in der Regel durch die Aktivierung der Kontakte der Partner mit ihren Eltern außerhalb der therapeutischen Sitzungen. Die folgende Darstellung einer bisher 3½ Jahre — ca. 70 Sitzungen — umfassenden, erst wöchentlich, dann meist vierzehntäglich stattfindenden, ursprünglich wegen sexueller Störungen unternommenen Paartherapie illustriert diesen Mehrgenerationenaspekt. In dieser Therapie führte jeder gelungene Schritt in der Trennung von, und Versöhnung mit, den eigenen Eltern zu einer fort­schreitenden bezogenen Individuation der Partner innerhalb ihrer Ehe sowie zu einer beide Teile immer mehr befriedigenden Sexualität.

Paul, Norman L. & Betty Byfield Paul (1979): Die Bedeutung des verborgenen homosexuellen Phantasiesystems für Partnerwahl und eheliche Disharmonie. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 34–48. 

Abstract: In diesem Aufsatz wird die Auffassung vertreten, daß das homosexuelle Phantasiesystem ein Faktor ist, der in der normalen menschlichen Entwicklung eine hervorragende Rolle spielt. Es wird eine Methode beschrieben, mit der dieses System erforscht werden kann, nämlich die Benutzung von Filmen mit explizit homosexuellem Inhalt. Weitere Erörterungen gelten der Bedeutung des homosexuellen Phantasiesystems für die Entfaltung von Geschlechtsidentität und -empathie, sowie dessen Rolle in Partnerwahl und ehelicher Disharmonie.

Lidz, Ruth W. (1979): Fruchtbarkeit und Selbstverwirklichung der Frau. In: Familiendynamik, 4, S. 49–58. 

Abstract: Infolge der fast völlig zuverlässigen Empfängsnisverhütung durch Pille und Spirale, ferner durch das zunehmende Bewußtsein von einer drohenden weltweiten Übervölkerung und schließlich auch als Folge der »Befreiungsbewegung« der Frauen (Women’s Lib), hat sich das Frauenleben in unserem Jahrhundert tiefgehend verändert. Da die geschlechtlichen Beziehungen mit Sicherheit von der Schwangerschaft getrennt werden können, eine große Kinderzahl nicht mehr so wün­schenswert erscheint, und die Frauen aufgerufen werden, durch außer­häusliche Tätigkeit ihren Wert unter Beweis zu stellen, haben sich die traditionellen Grundlagen des weiblichen Identitäts- und Selbstwertgefühls stark gewandelt. Hier geht es nicht darum, das unerschöpfliche Thema von den veränderten Rollen und Aufgaben der Frau abzuwandeln, sondern lediglich einige wenige Aspekte der Beziehung zwischen weiblicher Identität und der biologischen Aufgabe der Fortpflanzung zu beleuchten. Das vorgelegte Material soll die Diskussion über die vielfältigen Konflikte anregen, in die Frauen geraten können, wenn sie zwischen ihrer Selbstverwirklichung durch ein Kind oder durch eine beruf­liche Laufbahn zu wählen haben.

Ridley, Carl A., Dan J. Peterman & Arthur W. Avery (1979): Unverheiratet zusammenleben – besser für die spätere Ehe? In: Familiendynamik, 4 (1), S. 59–71. 

Abstract: Diese Arbeit versucht eine Antwort zu geben auf die Frage: in welcher Weise wirkt das Zusammenleben als Vorbereitung auf die Ehe? Genauer: Sie beabsichtigt a) die hauptsächlichsten Typen vorehelichen Zusammenlebens festzustellen, b) die persönlichen und partner­schaftlichen Merkmale jedes dieser Typen zu bezeichnen, und c) Nutzen und Schaden für die jeweiligen Beteiligten abzuschätzen. Ferner werden einige Leitlinien für die Beratung von Paaren, die unverheiratet miteinander leben wollen, vorgelegt.

Eickhoff, Louise F.W. (1979): Sexualerziehung und sexuelle Praxis. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 72–86. 

Abstract: Diese Untersuchung straffälliger Mädchen in einer Standardsituation über einen Zeitraum von 18 Jahren, der Vergleich von 65 Fällen in den drei Jahren 1952 bis 1954 mit 75 Fällen, die 1970 untersucht wurden, auf die Überprüfung der britischen Statistik (1939 bis 1973) auf Gonorrhöe und uneheliche Geburten, die der Geschichte der Sexualentwicklung zugeordnet wurden, zeigen einen Zusammenhang zwischen Sexualerziehung und sexueller Praxis bei Unmündigen. Sexu­elle Unberührtheit war unverändert mit jugendlichen Verhaltensmustem und Fehlen von aktiver sexueller Beteiligung verbunden, Sexualerzie­hung hingegen mit Bereitschaft zu und der Suche nach sexueller Aktivität. Obwohl der Prozentsatz von Schulmädchen unter den straffälligen Mädchen von 1952 bis 1954 (52 % ) und 1970 (57 % ) ungefähr gleich war, hatte sich das Verhältnis von Jungfrauen zu Nicht-Jungfrauen umgekehrt: 72 % zu 27 % in den früheren Jahren gegenüber 23 % zu 77 % im Jahr 1970. Anstelle der unschuldigen Opfer jener frühen Jahre hatten wir es 1970 mit voll aufgeklärten sexhungrigen Mädchen zu tun. Offensichtlich hatte noch in den Kriegs- und Nachkriegsjahren eine er­höhte sexuelle Versuchung in der Gesellschaft keinen Einfluß auf die Minderjährigen, wohl aber auf die Erwachsenen. In den untersuchten Fällen erfolgte die sexuelle Aktivität gleichbleibend nach der sexuellen Aufklärung und ging der Fähigkeit voraus, unabhängig zu leben wie normale Erwachsene. Das steht im Gegensatz zum natürlichen Reifungsprogramm. Die Sexualerziehung hat einen Richtmechanismus in Gang gesetzt, der den Unreifen ganz plötzlich Unabhängigkeit von den Eltern verschafft, die ihrem sexuellen Wissensstand entspricht. Diese Befunde waren für die Mädchen in 2.873 Fällen einer umfassenden Studie konsistent. Die britische Statistik zeigt, daß der Beginn der steten Zu­nahme der weiblichen Promiskuität und die Einführung der Sexualerzie­hung als Schulfach zeitlich zusammenfallen, ebenso wie das kontinuierliche Anwachsen unehelicher Empfängnisse, neuer Gonorrhöe-Fälle bei Mädchen unter 16 und die zunehmende Verfügbarkeit von Sexualerziehung für die Unmündigen. Wir kamen zu dem Schluß, daß Sexualerziehung offensichtlich den natürlichen Reifungsprozeß durchkreuzt und zu unwiderruflichen Ver­änderungen und Fehlanpassungen im komplexen Zusammenwirken phy­sischer, persönlicher und sexueller Mechanismen und Umweltbezügen führt. Bei den Aufgeklärten waren Rhythmus und Art der Menstruation verzerrt, und sie konnten weder weinen oder erröten, noch Scham und Reue empfinden, ganz im Gegensatz zu den sexuell Unwissenden. Es werden die wesentlichen Störfaktoren des normalen Reifungsprozesses beschrieben und Rückschlüsse gezogen auf die Mechanismen, durch die die Sexualerziehung möglicherweise Störungen im natürlichen Pro­gramm hervorrufen. Die Vermutung einer Beteiligung der Epiphyse wird nur versuchsweise geäußert, denn die endokrinen Aspekte, die in den untersuchten Fällen beobachtet wurden, sind nicht beweiskräftig und erfordern weitere Forschung und Auswertung.

Grossarth-Maticek, R. (1979): Sexualität, Familie und Krebserkrankung – einige Untersuchungsergebnisse und theoretische Aspekte. In: Familiendynamik, 4 (1), S. 87–93. 

Abstract: Im folgenden fragen wir, ob an Krebs oder einem internistischen Leiden erkrankte Personen sich in ihrem Sexualverhalten und ihrer Familienstruktur schon vor Ausbruch der Krankheit von nicht organisch erkrankten Personen unterscheiden. Die vorliegende Studie zeigt, daß hier wesentliche, sich bereits vor der Erkrankung manifestierende Unterschiede bestehen.

Wiesner, Renate (1979): Rezension – Lucienne Lanson (1977): Von Frau zu Frau. Eine Ärztin sagt Ihnen alles, was Sie über sich und Ihren Körper wissen müssen. München (Piper). In: Familiendynamik, 4 (1), S. 94-94. 

Wiesner, Renate (1979): Rezension – Ulrike Kutzleb, Anneliese Schmidt, Leonhard Walczak & Bertram Weber (1977): Zeit für Zärtlichkeit. Spielerische Übungen für Liebe und Partnerschaft. Ein neuer Zugang zur Sexualpädagogik. Wuppertal (Jugenddienst und J. Pfeiffer). In: Familiendynamik, 4 (1), S. 94-95. 

Buddeberg, Claus (1979): Rezension – Howard Clinebell (1976): Reifezeugnis für die Ehe. Wachstumsorientierte Kom­munikation in Ehe und Partnerschaft. München (Kaiser). In: Familiendynamik, 4 (1), S. 95-96. 

Ockel, Heinz Helmut (1979): Rezension – Vladimir Kahan (1973): Psychische Krankheit im Kindesalter. Eine Studie über Heimbehandlung. Köln (Kiepenheuer & Witsch). In: Familiendynamik, 4 (1), S. 96-96. 

Simeon-Walser, Gion Duno (1979): Rezension – Gerd Biermann(1975): Familie und Kind in der Gesellschaft unserer Zeit. Reihe »Beiträge zur Kinderpsychotherapie«, Band 22. München (Ernst Reinhardt). In: Familiendynamik, 4 (1), S. 97-97. 

Zeitschriftenspiegel.  (1979): In: Familiendynamik, 4 (1), S. 97-101. 


Heft 2

Duss-von Werdt, Josef (1979): Editorial: Familientherapie. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 105-105. 

Abstract: Alle Beiträge der vorliegenden Ausgabe befassen sich mit der Familientherapie. Helm Stierlin eröffnet die Reihe mit einem Aufsatz über den »Status der Gegenseitigkeit«. Die Perspektiven des Heidelberger familientherapeutischen Konzepts, welche vorwiegend den geschichtlichen Längsschnitt von Familienstrukturen zu erfassen suchen, sind in dieser Zeitschrift schon ausführlich dargestellt worden. Hier wird nun eine fünfte Perspektive eingeführt, die den Ist-Zustand eines Systems, die aktuelle Beziehungskonstellation betrifft. — Elisabeth Fivaz berichtet von einem Forschungsprojekt bei psychosegefährdeten Familien. Be­handelt werden der theoretische Bezugsrahmen und die Methode. Die nachfolgenden Beiträge beziehen sich auf die therapeutische Praxis. Mara Selvini Palazzoli und ihre Mitarbeiter stellen eine spezielle Taktik vor, mittels derer sich Verhaltensweisen unterbinden lassen, durch welche der eine Elternteil die Initiativen und Anweisungen des Partners in seinen Beziehungen zu den Kindern immer wieder sabotiert. Daß Familientherapie auch ohne aktive Teilnahme des Indexpatienten Erfolg haben kann, belegt die von Paul Watzlawick und James C. Coyne be­ schriebene Kurzbehandlung einer Depression. Douglas Breunlin und Pam Southgate gehen der Frage nach, was Schweigen und zum Schwei­gen bringen interaktionell für eine Familie bedeuten, und wie man damit therapeutisch umgeht. Den Therapieverlauf bei einer Anorexie schildert Tedy Hubschmid. Gerald Weeks und Luciano L’Abata schließlich haben es unternommen, die, mit wenig Ausnahmen, vorwiegend amerikanische Literatur über paradoxe Methoden in der psychotherapeutischen Be­ handlung von Familiensystemen zu sammeln; ihre neunzig Arbeiten umfassende Bibliographie beschließt die Reihe der Beiträge.

Stierlin, Helm (1979): Status der Gegenseitigkeit: die fünfte Perspektive des Heidelberger familiendynamischen Konzepts. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 106–116. 

Abstract: Den bisherigen vier Hauptperspektiven des Heidelberger familiendynamischen Konzeptes wird im folgenden eine fünfte Perspektive — der Status der Gegenseitigkeit — zugefügt. Wie in den anderen Perspektiven spiegeln sich auch darin eigene wie fremde Erfahrungen und theoretische Überlegungen wider. Insbesondere wurden darin Arbeiten Gregory Batesons, Paul Watzlawicks, J. Haleys und Mara Selvini Palazzolis integriert. Zentral ist hier die Vorstellung eines im »malignen Clinch« erstarrten Systems. Einige sich daraus ergebende therapeutische Konsequenzen werden diskutiert.

Fivaz, Elisabeth (1979): Autonomie und Vorbeugung bei einem System mit hohem Risiko. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 117–137. 

Abstract: Im ersten Abschnitt wird eine Übersicht über die theoretischen Probleme gegeben. Er befaßt sich mit dem systemischen und dem epigenetischen Ansatz der Interaktion. Um den ersten zu definieren, fassen wir kurz die Grundbegriffe der allgemeinen Systemtheorie zusammen, soweit sie die Familie als geregeltes und offenes System betreffen. An­ schließend beschreiben wir die Begriffe der Morphostase und Morphogenese, wie sie von Wertheim gebraucht werden, um eine Familien­typologie aufzustellen, welche sich an der Reaktion auf die therapeutische Intervention orientiert. Schließlich werden wir die Prinzipien einer Analyse der Regelzusammenhänge und der Entscheidungsabläufe skizzieren; diese Elemente werden es dem Leser erlauben, sich zu orientieren über die operationellen Definitionen des morphostatisch-morphogenetischen Ausgleichs. Im zweiten Teil des ersten Abschnittes, über den epigenetischen Ansatz, werden wir wieder auf Wertheim zurückgreifen. Die Entwicklung der Interaktion von Individuum und Umwelt wird begrifflich als optimale Verteilung der Macht zwischen den Partnern beschrieben. Dabei sind zwei Begriffe gegeben: die Autonomie, die sich auf den Bereich der zwischenmenschlichen Interaktionen bezieht, und die Kompetenz, welche den Bereich der Interaktionen mit der physischen Welt und dem eigenen Körper betrifft. Zusammenfassend werden wir einige Elemente der Beschreibung und Analyse der Autonomie nach dem von Wertheim ausgearbeiteten Schema aufgreifen. Im zweiten Kapitel geht es um die Anwendung des Modells der Machtverteilung auf die Prävention. Zunächst werden wir kurz eine Längsschnittuntersuchung von Systemen mit psychotischer Transaktion beschreiben. Dann werden wir unsere Hypothesen aufstellen, welche die Verteilung der Macht im Zusammenhang mit abweichenden Interaktionen und als Folge der klinischen Untersuchung bzw. der therapeutischen Tätigkeit betreffen. Schließlich sollen die Hypothesen formuliert werden, welche sich mit der Machtverteilung in Systemen mit hohem Risiko befasssen, um dann mit den Vorhersagen zu schließen, welche man glaubt machen zu können.

Selvini Palazzoli, Mara, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin & Giuliana Prata (1979): Gerade und ungerade Tage. Eine ritualisierte Verschreibung in der Familientherapie. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 138–147. 

Abstract: Im vorliegenden Beitrag wird eine als ritualisierte Verschreibung bezeichnete therapeutische Taktik vorgestellt. Diese soll jene Verhaltensweisen unterbinden, durch welche jeder Elternteil die Initiativen und Anweisungen des anderen Partners in seinen Beziehungen zu den Kindern disqualifiziert und sabotiert. Ausgehend vom grundlegenden Prinzip des systemischen Modells wird gezeigt, wie diese Verschreibung sogar in Fällen, wo sie nicht befolgt wird, den Therapeuten unvermeidlich wesentliche Informationen für das Verständnis des familiären Funktionssystems liefert. Bei Familien, die die Verschreibung befolgen, können schnelle und befriedigende Änderungen festgestellt werden.

Watzlawick, Paul & J.C. Coyne (1979): Problemzentrierte Kurzbehandlung einer Depression. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 148–157. 

Abstract: Im folgenden wird die problemzentrierte Kurzbehandlung einer Depression beschrieben. Familienangehörige eines 58jährigen Mannes, der an einer sekundären Depression, hervorgerufen durch zwei Schlaganfälle, litt, kamen zur Behandlung. Der identifizierte Patient selber nahm an keiner der fünf Sitzungen teil. Der Therapeut konzentrierte sich darauf, die das Gegenteil bewirkenden Bemühungen der Familie, dem Patienten helfend und ermutigend beizustehen, zu unterbinden. Es wird aufgezeigt, daß erfolgreiches therapeutisches Eingreifen oftmals nicht das Verhalten des Indexpatienten, sondern anderer Personen angehen muß. Dies wird aber bis heute von den nach traditionellen Methoden arbeitenden Therapeuten nicht genügend anerkannt.

Breunlin, Douglas C. & Pam Southgate (1979): Schweigen, verschweigen, zum Schweigen bringen. Ein interaktionaler Ansatz zur Behandlung von dysfunktionalem „silencing“ in der Familientherapie. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 158–171. 

Abstract: Dieser Aufsatz stellt aus interaktionaler Sicht einen Lösungsversuch des Problems des dysfunktionalen >silencing< (d. h. dysfunktionalen Schweigens und Schweigenmachens) in der Familientherapie dar. >Silencing< wird als dysfunktional klassifiziert, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: (a) es kommt wiederholt und inhaltsunabhängig vor, und (b) es wirkt als negatives Feedback, das Veränderungen im Familiensystem Schranken setzt. Dysfunktionales >silencing< ist definiert als jene Anstrengungen eines oder mehrerer Familienmitglieder, Veränderungen zu behindern, indem wiederholt die Kommunikation eines anderen Familienmitglieds blockiert wird, das seinerseits das Spiel mitspielt, indem es insgeheim einwilligt, still zu bleiben. Der hier vorgestellte interaktionale Ansatz arbeitet mit Techniken der Konfliktlösung und Video-Feedback; er wird anhand eines Fallbeispieles illustriert.

Hubschmid, Tedy (1979): Zur strukturellen Familientherapie: Ein Fallbeispiel. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 173–184. 

Abstract: Die vorliegende kurze Arbeit beginnt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Elemente struktureller Familientherapie. Deren konkretes Vorgehen wird dann mit dem Beispiel einer Familie mit einem anorektischen Kind illustriert. Das Thema Anorexie und Familie steht hier also nicht im Zentrum, sondern wird lediglich am Schluß noch kurz gestreift. Das Fallbeispiel stammt aus dem Institut für Ehe und Familie (Leitung Dr. Josef Duss-von Werdt), wo seit 1977 ein Team von drei Familientherapeuten (M. L. Matter, H. Spillmann und der Autor) in folgendem Setting arbeitet: ein Therapeut arbeitet mit seiner Familie im Therapieraum, welcher mittels Einwegspiegel und Tonübertragung mit dem Supervisionsraum verbunden ist, wo die zwei andern Therapeuten die Sitzung verfolgen. In kurzen Zwischenbesprechungen wird jeweils das Vorgehen abgesprochen, zudem können die Kollegen jederzeit mittels Telefon beim Therapeuten intervenieren. Das beschriebene Setting erlaubt eine große Intensität und damit eine erstaunliche Effizienz.

Weeks, Gerald & Luciano L’Abate (1979): Eine Bibliographie über paradoxe Methoden in der psychotherapeutischen Behandlung von Familiensystemen. In: Familiendynamik, 4 (2), S. 185–189. 

Abstract: Seit einigen Jahren steht die paradoxe Psychotherapie als Interventionstechnik besonders in der Familientherapie im Brennpunkt des Interesses. Doch obschon in Fachzeitschriften wie z. B. »Family Process« und anderen recht oft über paradoxe Techniken geschrieben wird, handelt es sich immer noch um ein relativ neues Vorgehen, dem viele mit Skepsis gegenüberstehen. Welches die Gründe für diese Skepsis sind, ist schwer zu sagen. Die Novität der Methode mag einer sein, auch läuft sie dem »gesunden Menschenverstand« zuwider, und in ethischer Hinsicht wird kritisiert, daß sie zu manipulativ vorgehe. Tatsache ist jedenfalls, daß Ehe- und Familientherapeuten viel eher bereit sind, paradoxe Methoden anzuwenden, als dies in der Individualtherapie der Fall ist, obwohl sie dort genauso nutzbringend sein könnten (Haley, 1974). Zweck der vorliegenden Bibliographie ist es, den Leser mit der über paradoxe Interventionen vorhandenen Literatur bekannt zu machen und zugleich zur Förderung von Theorie, Praxis und Forschung auf dem Gebiet beizutragen. Das Verzeichnis wurde so umfassend wie möglich angelegt und sollte dadurch auch dem Therapeuten mit einem vielschichtigen Klientenkreis dienen können.

Krähenbühl, Verena (1979): Rezension – Mieke Crolla-Baggen, Pieter van de Ven & Ton Staps (Hrsg.)(1978): Partner- und Familienberatung auf der Basis der System- und Kommunikationstheorie. Freiburg (Lambertus). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 190-191. 

Welter-Enderlin, Rosmarie (1979): Rezension – Jay Haley (1977): Gemeinsamer Nenner Interaktion. Strategien der Psychotherapie. München (Pfeiffer). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 191-192. 

Sperling, Eckard (1979): Rezension – Walter Kempler (1975): Grundzüge der Gestalt-Familientherapie. Stuttgart (Ernst Klett). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 192-193. 

Rücker-Embden, Ingeborg (1979): Rezension – Robin A. C. Skynner (1978): Die Familie — Schicksal und Chance. Handbuch der Familientherapie. Olten (Walter). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 193-194. 

Wetzel, Norbert (1979): Rezension – Horst E. Richter, Hans Strotzka u. Jürg Willi (Hrsg.)(1976): Familie und seelische Krankheit. Eine neue Perspektive der Psychologischen Medizin und der Sozialtherapie. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 194-195. 

Watzlawick, Paul (1979): Rezension – Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Gian Franco Cecchin u. Giuliana Prata (1977): Paradoxon und Gegenparadoxon. Ein neues Therapiemodell für die Familie mit schizophrener Störung.­ Stuttgart (Klett). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 195-196. 

Middendorp, Vreni (1979): Rezension – William H. Masters, Virginia E. Johnson & Robert C. Kolodny (Hrsg.)(1977): Ethical Issues in Sex Therapy and Research. (Reproductive Bilogy Research Foundation Conference.) Boston (Little, Brown). In: Familiendynamik, 4 (2), S. 197-197. 

Zeitschriftenspiegel.  (1979): In: Familiendynamik, 4 (2), S. 198-199. 


Heft 3

Stierlin, Helm (1979): Editorial: Die heutige Situation der Frau. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 205-205. 

Abstract: Das Thema dieses Heftes — die heutige Situation der Frau — hat uns bereits mehrfach in der »Familiendynamik« beschäftigt (insbesondere in Heft 1, 2. Jahrgang, 1977). Inzwischen hat sich die Diskussion des Themas »Frau« noch eher intensiviert. Vieles spielt hier mit: Technische Entwicklungen, die viele hausfrauliche Routinearbeit reduzieren oder erleichtern, die Fragwürdigkeit der Mutterschaft in einer Welt, die in einzelnen Teilen eine Übervölkerung, in ande­ren einen Geburtenrückgang aufweist, unsere Sensibilisierung für unfaire, die Frau benachteiligende und ausbeutende Machtstrukturen und Rollenzwänge, die für die Frau rascher spürbaren Auswirkungen wirtschaftlicher Auf- und Abbewegungen, das neue, großenteils aus der feministischen Be­wegung erwachsene Selbstbewußtsein vieler moderner Frauen, der von immer mehr Frauen erbrachte Beweis, daß sie praktisch alle bisher Männern vorbehaltenen Berufe oder Verantwortungen auszufüllen vermögen — wenn ihnen nur eine echte Chance gegeben wird.

Hare-Mustin, Rachel T. (1979): Ein feministischer Ansatz in der Familientherapie. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 206–229. 

Abstract: Obgleich die Familientherapie die Bedeutung des sozialen Kontextes als einer Determinanten des Verhaltens anerkennt, haben Familientherapeuten bislang versäumt, sich die Konsequenzen traditioneller Sozialisationspraktiken näher anzusehen, die sich in erster Linie für Frauen nachteilig auswirken. Nicht selten werden in Familientherapien stereotype Geschlechtsrollen fraglos verstärkt. Teil familientherapeutischer Praxis sollte aber eine Orientierung am Ansatz feministischer Therapie sein, der die Folgen in Betracht zieht, welche durch stereotype Geschlechtsrollen und die durch die Gesellschaft Männern und Frauen zugewiesenen Positionen entstehen. Dieser Artikel zeigt Wege auf, wie Familientherapeuten, die sich ihrer eigenen Voreinge­ nommenheit und derer der Familien bewußt sind, sexistische Muster verändern können, indem sie feministische Prinzipien auf wichtige Aspekte der Familientherapie anwenden, wie das Aushandeln von Verträgen, die Veränderung der Zuständigkeiten in der Familie, die Kommunikation, die Grenzen zwischen den Generationen, die Neubenennung abweichenden Verhaltens, das Anbieten von Modellverhalten und die therapeutischen Bündnisse.

Moulton, Ruth (1979): Einige Auswirkungen des neuen Feminismus. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 230–245. 

Abstract: Die Autorin vergleicht die Probleme von Patientinnen, die in den fünfziger Jahren bei ihr in Behandlung waren — das waren Frigidität, Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Ehemann und Probleme bei der Kindererziehung — mit den Problemen ihrer Patientinnen heute in den siebziger Jahren: hier geht es um den Konflikt zwischen Beruf und Familie, um Probleme im Zusammenhang mit Scheidung und außerehelichen Beziehungen. Dieser Gruppe von Frauen erleben die Ehe auch oft als Falle, die sie zu vermeiden suchen. Frauen erschließen sich neue Arbeitsfelder, leiden aber dabei unter Leistungsängsten und haben Schwierigkeiten, sich in einer männlich bestimmten Welt durchzusetzen. Die sexuellen Forderungen von »emanzipierten« Frauen rufen bei Männern Ängste hervor, die zu Impotenz und anderen Symptomen im sexuellen Bereich führen können. So bringt die neue Freiheit in allen Bereichen — in Beruf, Familie und Sexualität — neue Chancen, aber auch neue Probleme mit sich, und ein stabileres Gleichgewicht wird wohl erst dann erreicht werden können, wenn die Auswirkungen dieses rapiden kulturellen Wandels, den wir zur Zeit erleben, sowohl individuell als auch von der ganzen Gesellschaft verarbeitet worden sind.

Lidz, Ruth (1979): Motivationen und Konflikte der Empfängnisverhütung. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 246–254. 

Abstract: Aus langer Erfahrung in der Familienplanung sind der Verfasserin zwei Dinge klar geworden: 1. Viele Komplikationen bei der Empfängnisverhütung mittels Pille und Intrauterinpessare sind gleich und lassen sich nur psychologisch erklären. 2. Die Bereitschaft vieler Frauen zu aktiver Empfängnisverhütung hängt mit der Einstellung ihrer Partner zusammen. Anhand dieser Situation werden im einzelnen Probleme von Frauen (Schuld- und Angstgefühle, Enttäuschung und sexuell/eheliche) und von Männern (Angst, Impotenz, Rollenkonflikte in der Ehe) besprochen. Beiden Geschlechtern scheint die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung Schwierigkeiten zu bereiten.

Petersen, Peter (1979): Fruchtbarkeit und die Freiheit des Kindes. Tiefenstrukturelle Aspekte der Familienplanung. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 255–267. 

Abstract: Widersprüche und Sackgassen der heutigen Familienplanung in den Industrieländern finden ihr Gegenstück in der Verwirrung theoretischer Konzepte zu diesem Thema. Ansätze der Tiefenpsychologie für eine Theorie menschlicher Fruchtbarkeit verharren in fragwürdiger Ein­seitigkeit: dem Theorem vom individualistischen Kinderwunsch und dem begrifflichen Rationalismus. Befruchtet durch Konzepte der Familien­therapie ergeben sich neue Ansätze für eine Anthropologie der Familienplanung; dazu gehört eine Vertiefung des Loyalitäts- und Systembegriffs im Hinblick auf noch nicht wirkliches Leben. Die Erschwernis, sich in der Wirklichkeit zukünftigen Lebens zu orientieren, liegt in der Paradoxie der Sache: das rationale Planungskalkül der Familienpla­nung entpuppt sich als Illusion, weil das kommende Kind weder quali­tativ noch terminlich planbar ist, sondern nur der Freiheit gehorcht. Es geht hier nicht um handfeste Begriffe, mit denen sich nach alltägli­chen Vorstellungen hantieren läßt.

Pross, Helge (1979): Geschlechtsrollen. Zur Situation der Frau in Beruf, Familie und Politik. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 268–281. 

Abstract: Die Wandlungen in der Beziehung der Geschlechter zueinander sind bis heute vor allem Wandlungen in der Situation der Frau. Auf einige davon wird hier am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland eingegangen: In der Arbeitswelt ist die Berufstätigkeit der Frau selbst­ verständlich geworden, auch wenn viele Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen fortbestehen. Die Hausfrauen- und Mutterrolle ist problematisch geworden, da die meisten Frauen Familie und Beruf wol­len. Daher ist es notwendig, Möglichkeiten für die Verbindung beider in einem Leben ohne einseitige Belastung der Frau zu finden. Im Bereich der Politik vollzieht sich ebenfalls, wenn auch langsam, eine Wandlung. Die volle Gleichberechtigung ist allerdings noch fern.

Forster, Jürg (1979): Körperliche Beschwerden bei Ehepaaren. In: Familiendynamik, 4 (3), S. 282–291. 

Abstract: Das Institut für Ehe und Familie führte 1975 bei 220 Ehepaaren in Zürich eine Umfrage durch, die die Sozialisationsbedingungen in jungen Kernfamilien zum Gegenstand hatte. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf dieses Datenmaterial und prüft die Frage, ob sich ein Zusammenhang feststellen läßt zwischen den körperlichen Beschwerden der Ehepartner, gemessen mit einer standardisierten Beschwerdeliste, und einigen soziologischen und psychologischen Dimensionen: der Rollenverteilung, dem gemeinsamen Einkommen, den Aktivitäten sowie den Problemen, die die Eheleute in einem Fragebogen angeben. Diese paarbezogenen Dimensionen werden in einer Varianzanalyse den Körperbeschwerden der Ehepartner gegenübergestellt. Es zeigt sich, daß eine signifikante Beziehung zwischen Beschwerden und Paardimensionen besteht. Insbesondere leiden Frauen unter mehr Beschwerden, je weniger flexibel die Rollen zwischen den Partnern verteilt sind, je mehr Probleme die Paare angeben und je niedriger das gemeinsame Einkommen ist. Es wird die Frage diskutiert, weshalb das körperliche Befinden von verheirateten Frauen stärker als dasjenige von Männern mit den ehelichen Verhältnissen im Zusammenhang steht.

Wiesner, Renate (1979): Rezension – Karen Horney (1977): Die Psychologie der Frau. München (Kindler). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 292-293. 

Franke, Klaus (1979): Rezension – Charlotte H. Clinebell (1975): Befreite Partnerschaft. Über die Emanzipation von Frau und Mann. München (Pfeiffer). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 293-294. 

Schütt, Angela (1979): Rezension – Magda Denes (1976): In Necessity and Sorrow. Life and Death in an Abortion Hospital. New York (Basic Books). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 294-294. 

Wiesner, Renate (1979): Rezension – Bruno Bettelheim (1975): Die symbolischen Wunden. Pubertätsriten und der Neid des Mannes. München (Kindler). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 295-296. 

Massing, Almut (1979): Rezension – Michael Mitterauer & Reinhard Sieder (1977): Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie. Beck’sche Schwarze Reihe, Bd. 158. München (C. H. Beck). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 296-296. 

Sperling, Eckard (1979): Rezension – Karl H. Mandel, Anita Mandel & Hans Rosenthal (1975): Einübung der Liebesfähigkeit. Praxis der Kommunikationstherapie für Paare. Reihe »Leben lernen«. München (Pfeiffer). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 297-298. 

Krüll, Marianne (1979): Rezension – Gail Sheehy (1976): In der Mitte des Lebens. Die Bewältigung vorhersehbarer Kri­sen. München (Kindler). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 298-298. 

Hegnauer, Cyril (1979): Rezension – Wolfgang Schütz (1977): 100 Jahre Standesämter in Deutschland. Kleine Geschichte der bürgerlichen Eheschließung und der Buchführung des Personenbestandes. Frankfurt a.M. (Verlag für Standesamtswesen). In: Familiendynamik, 4 (3), S. 299-299. 


Heft 4

Duss-von Werdt, Josef & Helm Stierlin (1979): Editorial: Ein Heft zum internationalen Jahr des Kindes. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 301-302. 

Abstract: Der Konflikt zwischen Nord und Süd — zwischen reichen und armen Ländern — spiegelt sich auch in den Problemen der Kinder hier und dort wider. In den Entwicklungsländern gibt es zu viele Kinder: Schätzungsweise 400 Millionen sind unterernährt, unzählige verwahrlost, auf der Flucht — menschlicher Überschuß ohne tiefere Bindung an Familie oder Gemeinschaft, ohne Funktion, Zukunft, Hoffnung. In den Industrienationen gibt es dagegen, so hören wir immer häufi­ger, zu wenig Kinder. Diese Kinder werden überwiegend wichtig genommen und erfüllen zentrale Funktionen — für ihre Eltern, ihre Familie und die Gesellschaft. Aber das überfordert sie oft und verwickelt sie in Auftrags- und Loyalitätskonflikte. Solche Überforderung und Konfliktbelastung kann, so meinen wir, verständlicher machen, warum auch in kinderbezogenen Familien die Probleme der Kinder — wie Leistungsabfall, Konzentrationsschwierigkeiten, Verhaltensstö­rungen, neurotische und psychotische Leiden, möglicherweise aber auch Süchte und Jugendkriminalität — zunehmen.

Pelton, Leroy H. (1979): Kindesmisshandlung und -vernachlässigung: der Mythos der Schichtunabhängigkeit. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 303–317. 

Abstract: In zunehmendem Ausmaß wird in Fachzeitschriften und den Medien die Auffassung propagiert, daß die Probleme der Kindesmißhandlung und -Vernachlässigung überall in der Gesellschaft weit­ verbreitet sind. Dadurch entsteht der Eindruck, als ob Häufigkeit und Schweregrad dieser Probleme schichtunabhängig wären. Im folgenden Beitrag soll gezeigt werden, daß diese Auffassung von den vorhandenen Daten nicht gestützt wird und ihre weitere Propagierung dazu führt, daß den wesentlichen Aspekten dieser Probleme nicht mehr genügend Beachtung geschenkt wird.

Coulborn Faller, Kathleen & A. Arbor (1979): Die Machtdimension in der Familie und ihre Verwendung in der Therapie. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 318–332. 

Abstract: Es wird eine Methode erläutert, Macht als eine Dimension des Familiengeschehens zu untersuchen. Die Verfasserin schlägt vor, daß Ehe- oder Familientherapeuten sie in Verbindung mit anderen Interventionsstrategien anwenden sollten. Der Therapeut schätzt ein, welche verschiedenen Machtquellen den Familienmitgliedern zur Verfügung stehen, wie sich Macht in intrafamiliären Entscheidungsprozes­ sen äußert, sowie in verbalen Verhaltensformen, die auf Macht schlie­ßen lassen und die in Therapiesitzungen auftreten. Nachdem die Einschätzung erfolgt ist, plant der Therapeut eine oder mehrere Interventionen. Strategien können entweder darauf aufbauen, wie der Therapeut die Machtstruktur definiert, oder sie können versuchen, die Struktur zu verändern. Am Beispiel eines Falles von Kindesmißhandlung wird die Brauchbarkeit des Machtkonzepts dargestellt.

Newberger, Eli H. & Richard Bourne (1979): Kindesmisshandlung in Medizin und Recht. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 333–354. 

Abstract: Bestimmte Symptome von Familienkrisen und traumatischen Kindheitserlebnissen werden ärztlich und rechtlich erfaßt und »Kindes­ mißhandlung« genannt, um dann von einer Reihe von Fachleuten behandelt zu werden, die ihre Legitimität aus dem Verlauf eben dieser Behand­lung ableiten. Es werden fachliche Konflikte und die Auswirkungen eines ganzen Behandlungssystems erörtert und Vorschläge zur Verminderung des Machtmißbrauchs dieser Fachleute gemacht.

Cotroneo, Margaret & Barbara R. Krasner (1979): Familie und Rechtsprechung – Die Überschneidung zweier Systeme in familienbezogenen Gutachten. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 355–375. 

Abstract: In der vorliegenden Arbeit wird versucht, Leitlinien für eine familienbezogene Begutachtung aufzuzeichnen, deren Grundlage die familienorientierte Betrachtungsweise darstellt. Die hier angestrebte Form der Begutachtung macht sich nicht automatisch zum Anwalt des Kindes und stellt nicht ausschließlich das Kindeswohl ins Zentrum der Überlegungen, sondern versucht zu einer Entscheidung zu kommen, die sowohl das Wohl des Kindes als auch das Wohl der Eltern und übrigen Familienmitglieder im Auge hat und in Rechnung stellt. Die ausgearbeiteten Leitlinien ergeben sich aus der grundlegenden Ansicht, daß das Kind das Recht auf beide Eltern habe. Es wird speziell die Begutachtung bei rechtlichen Regelungen der Eltern-Kind-Beziehung behandelt, wenn ge­richtliche Entscheidungen mit im Spiele sind.

Kranz, Walter (1979): Kindesmisshandlung: Die Abhängigkeit der Daten von Standpunkt und Zielen des Beobachters. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 362–375. 

Abstract: Zuerst wird aufgrund offizieller Statistiken und Schätzungen zu klären versucht, wie verbreitet Kindesmißhandlungen wirklich sind. Die diesbezüglichen offiziellen Statistiken und Schätzungen weichen extrem voneinander ab. Dafür lassen sich im wesentlichen weit auseinan­dergehende Definitionen des Gegenstandes verantwortlich machen. Dies zeigt eine Gegenüberstellung einer breiten (eher für Schätzungen typischen) Definition und den rechtlichen Gegebenheiten (in der Schweiz). Es folgt eine Betrachtung der möglichen Motive, den Gegenstand so oder anders zu definieren, und eine Überlegung über Gründe für geringe Melderaten. Im weiteren wird über die Ansätze zur Erklärung von Kindesmißhandlung referiert und ein »psychopathologisches« und »sozio- ökonomisches« Modell werden miteinander verglichen. Der Schluß faßt Vorschläge zur Prävention von Kindesmißhandlung zusammen.

Stober, Bernt (1979): Familie und Kindesmisshandlung – Eine Literaturübersicht. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 376–388. 

Abstract: Anhand einer umfangreichen Literaturübersicht werden Häufigkeit und Begleitumstände im Zusammenhang mit Kindesmißhandlun­gen aufgezeigt. Hierbei wird ausführlich die Rolle der Eltern, der Beitrag des betroffenen Kindes sowie der gesamten sozioökonomischen Situation bespro­chen und es werden psychodynamische Erklärungsmodelle dargestellt. Es zeigt sich, daß bestimmte Merkmale sowohl bei denen, die mißhandeln, als auch bei den mißhandelten Kindern vorhanden sein müssen und daß zusätzliche Streßsituationen in der Familie als Auslöser wirk­sam werden. Mit Hilfe familientheoretischer Erklärungsmodelle wird versucht, einen neuen Zugang zur therapeutischen Arbeit mit diesen Fa­milien zu finden. Die Familientherapie erweist sich als Möglichkeit, positive Elemente in den betroffenen Familien wahrzunehmen und im Sinne einer Allpar­teilichkeit therapeutisch zu nutzen. Darauf aufbauend sollen den betrof­fenen Kindern neue Zukunftsperspektiven eröffnet werden, indem ein familiäres, sich ständig reproduzierendes Kontinuum unterbrochen wird. Es schließt sich zur weiterführenden Orientierung ein umfangreiches Literaturverzeichnis an.

Roth, Jürgen W. & Günter L. Huber (1979): Kinetic Family Drawings. Ein zeichnerisches Gestaltungsverfahren zur Analyse familialer Bedingungen von Schulschwierigkeiten. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 389–396. 

Abstract: Die Autoren stellen hier den von Burns und Kaufman aus­ gearbeiteten projektiven Test »Kinetic Family Drawings« dar, wie sie ihn selber in ihrer Erziehungsberatung benützen. Sie gehen davon aus, daß Schulschwierigkeiten von verschiedenen Bedingungen abhängen, un­ter andern auch von familiären. Der Test hat sich als hilfreich bei der Ermittlung gerade dieser letzten Bedingungen erwiesen.

Krüll, Marianne (1979): Rezension – Philippe Aries (1976): Geschichte der Kindheit. München/Wien (Hanser); Lloyd deMause (Hrsg.)(1977): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit. Frankfurt (Suhrkamp). In: Familiendynamik, 4 (4), S. 396-398. 

Neraal, Terje (1979): Rezension – Reihe »Beiträge zur Psychologie und Soziologie des kranken Menschen«. München (Ernst Reinhardt). Band 1: James Robertson (1974): Kinder im Krankenhaus; Band 2: Emma N. Plank (1973): Hilfen für Kinder im Krankenhaus. Eine Anleitung für das Klinikteam; Band 3: Jürgen von Troschke (1974): Das Kind als Patient im Krankenhaus. Eine Auswertung der Literatur zum psychischen Hospitalismus. In: Familiendynamik, 4 (4), S. 398-400.