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„Exklusion” in der Armutsforschung und der Systemtheorie. Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung

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„Die Forschung über Armut und Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und die Systemtheorie auf der anderen sind späte und recht unwahrscheinliche Bundesgenossen. Noch bis Mitte der 90er Jahre widmete die Systemtheorie weder der Armut noch marginalisierten Lebenslagen im allgemeinen besondere Aufmerksamkeit. Umgekehrt sind mir auch keine empirischen Forschungen auf diesen Gebieten bekannt, die sich auf die Systemtheorie gestützt hätten. Die Dinge änderten sich 1994/5, als Niklas Luhmann mehrere Aufsätze veröffentlichte, in denen er sich vor allem mit Erfahrungen in Lateinamerika auseinandersetzte. In diesen Aufsätzen bedient er sich an prominenter Stelle des Begriffs„Exklusion”, unter Hinweis auf die Favellas in lateinamerikanischen Großstädten, aber auch auf Bergarbeitergemeinden in Wales, die von den Bergwerksunternehmen aufgegeben wurden. Allerdings steckt in seiner Verwendung des Begriffs in diesem Zusammenhang ein kleines Rätsel. Luhmann stellt ihn als eine Art Entdeckung vor, zwar nicht unbedingt eine Entdeckung für ihn selbst, aber zumindest für eine Gruppe von Leuten, die er merkwürdigerweise die„Wohlgesinnten” nennt.„Zur Überraschung aller Wohlgesinnten muß man feststellen, daß es doch Exklusionen gibt, und zwar massenhaft und in einer Art von Elend, die sich der Beschreibung entzieht” (Luhmann 1995a, S. 147). Wer sind diese„Wohlgesinnten”, die von Luhmanns Entdeckung überrascht wurden? Tatsächlich war der Begriff„Exklusion” zu diesem Zeitpunkt in der europäischen Forschung über Arbeitslosigkeit und Armut bereits weit verbreitet. Dies gilt besonders für Frankreich, wo er weit über die akademischen Kreise hinaus von den Medien und der politischen Debatte aufgegriffen wurde. Unter dem Einfluß der französischen Diskussion hatte auch die Europäische Gemeinschaft den Exklusionsbegriff in ihren offiziellen Sprachgebrauch aufgenommen und seit 1989 sowohl ihre politischen Programme zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut als auch einen Teil ihrer Forschungsförderung unter das Motto„combat social exclusion” gestellt. Selbst in Deutschland, wo der Begriff sehr viel weniger Resonanz gefunden hat als in Frankreich, wurden während der 80er und frühen 90er Jahre mehrere Studien zur„neuen Armut” und den neuen Formen der Arbeitslosigkeit veröffentlicht, die das deutsche begriffliche Äquivalent für Exklusion, Ausgrenzung, einführten. Offenbar ist es also nicht so einfach, die wohlgesinnten Ignoranten bei denjenigen zu finden, die sich in der einen oder anderen Weise empirisch mit Armut und Arbeitslosigkeit beschäftigten. Auf der anderen Seite hatte die Systemtheorie ihrerseits bereits lange vor 1994 ein eigenes, ausgearbeitetes Konzept des Dualismus von Inklusion und Exklusion vorgelegt. Worin besteht dann aber die Entdeckung?“ So beginnt Martin Kronauers (Foto: ipe-berlin.org) lesenswerter Text eines Beitrag für den internationalen Workshop„Exclusion. ­ Theoretical and Empirical Problems”, der in Bielefeld am 17. April 1998 stattfand.
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