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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Einsamkeit systemisch?

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Der„Brückenschlag“ ist eine Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur und Kunst, die im Paranus-Verlag Neumünster erscheint und in der Psychosebetroffene ebenso wie Fachleute zu Wort kommen. Für den Band 29, der im Mai 2013, erscheint, ist das Thema Einsamkeit vorgesehen, zu dem systemagazin folgenden Schreibaufruf der Redaktion veröffentlicht:
„Unsere Gesellschaft verändert sich kontinuierlich. Früher lebten die meisten Menschen in Familien. Heute steigt die Zahl der Single-Haushalte. Früher stand man füreinander ein, bei Krankheit und Krise. Heute muss jeder schauen, dass er selbst zurechtkommt. Ist das der Weg zu (noch) mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung? Neue Freiräume? Oder reisen wir in eine Gesellschaft der Einsamen?    Ist Einsamkeit Grund oder Folge von psychischen Erkrankungen?
Die Erfahrung der Psychose oder der Depression macht einsam. Die Erfahrung, mit niemandem teilen zu können, keine verstehbaren Worte dafür zu finden. Psychisch erkrankte Menschen beklagen oft ihre Einsamkeit. Sie würden gerne mit anderen reden, sich verstanden fühlen. Das zwischenmenschliche Gespräch fehlt. Gerade in dem Moment, in dem man es so sehr braucht.
Gesund werden ist dann häufig wie eine Rückkehr aus dem Exil. Und umgekehrt: Das Alleine-Erleben einer Trennung oder eines Arbeitsplatzverlustes ist eine große Herausforderung, die in eine psychische Krise führen kann. Die dann erlebte Einsamkeit – ohne Zuspruch, ohne Aussprache – kann krank machen.
Einsamkeit hat mit dem Gefühl, anders zu sein, zu tun. Ich habe einen anderen Musikgeschmack als der Rest der Klasse. Ich kleide mich anders, als es in diesem Sommer hipp ist. Ich stehe dazu und riskiere, mich zu isolieren, einsam zu werden. Ich bleibe allein zurück. Ich verstehe die anderen nicht und sie verstehen mich nicht. Ich gehe beiseite. Einsam. In unserer Wahrnehmung haben wir die Alternative: Zu sich zu stehen und sich zu isolieren. Oder bei den anderen zu sein und sich selbst zu verlieren.    Und es müssen nicht die realen Reaktionen der Umwelt sein, die zur Isolation führen, sondern die befürchteten, selbst erwarteten, in der Fantasie vorweggenommenen. Der Säugling kann ohne andere Menschen nicht wachsen. Ist uns Verbundensein näher als Allein-sein? Ist das Allein-sein vieler Menschen nicht eher Ausdruck eines Mangels als einer selbst getroffenen Entscheidung? Wird das Eingehen einer Beziehung, die Gründung einer Familie immer mehr zu einem Karrierehindernis? Ist das Single-Dasein das Modell der Zukunft? Und welche Gesellschaft wird das dann sein?
Aber auch: Bedeutet alleine zu sein zugleich einsam zu sein? Man kann allein sein, ohne einsam zu sein. Wenn man Musik macht, liest, Sprachen lernt. Etwas tut, das einen ausfüllt und bei dem man sich wohl fühlt. Man kann ständig unter Menschen sein, als Vortragsreisender, Musiker, Politiker. Und trotzdem einsam bleiben. Einsam unter vielen.
Man kann sicherlich allein glücklich sein. Allein in der Gartenlaube. Allein beim Gitarrenspiel, beim Lesen. Es gibt Zeiten der Einsamkeit. Zeiten, in denen man am liebsten für sich ist. Gehört der Rückzug, gehört die Einsamkeit nicht zu jedem Leben dazu? Vielleicht ist Einsamkeit ein seelischer Raum, den wir notwendig erfahren müssen, um wachsen zu können?
So weit einige Fragen zum Thema des nächsten Brückenschlags. Vielleicht regen sie Sie an, selbst etwas über Einsamkeit zu Papier zu bringen.
Wir sind gespannt auf Ihre Einsendungen: Bilder und Gedichte, Texte (maximal 10.000 Zeichen incl. Leerzeichen) und Fotos.
Einsendeschluss ist Ende Oktober 2012. Brückenschlag, Paranus Verlag, Postfach 1264, 24502 Neumünster. Bitte Rückporto beilegen.

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