Darf man Kindern Texte vorsetzen, die nichts von Gott halten? Familienministerin Ursula von der Leyen hat beantragt, ein Kinderbuch als Jugendgefährdende Schrift auf den Index setzen zu lassen. In diesem Buch geht es nicht um Sex oder Gewalt, sondern um Religion. Ein Ferkel möchte wissen, was es denn mit Gott auf sich hat und besucht einige Repräsentanten der Weltreligionen. Die Wellen um dieses Buch und den Indizierungsantrag schlagen hoch.
Michael Schlicksbier-Hepp aus Wilhelmshaven hat einen Beitrag über dieses Buch und den Versuch seiner Verfolgung verfasst, der hier im systemagazin in voller Länge zu lesen ist:
Am 6.3.08 soll über einen Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums wegen angeblicher jugendgefährdender Religionsfeindlichkeit entschieden werden, wie die taz Ende Januar online berichtete. Es geht um Folgendes: Ein freches, kleines Ferkel und sein Kumpan, der Igel, erkundigen sich in einem respektlosen Kinderbuch nach den letzten Fragen, nach Gott. Die Antworten geben ein paar durchschnittliche Vertreter dreier monotheistischer Weltreligionen: Christentum, Islam, Judentum. Sie wirken auf mich ein wenig dümmlich und dämlich und geben sich mit ihren religionsfolkloristischen Antworten mitsamt der von ihnen vorgestellten Religion der Lächerlichkeit preis. So kommt das Ferkel zu dem Schluss:„Und die Moral von der Geschicht‘ Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!“ Es mag sein, dass manche ernsthafte, gläubige Menschen sich über diese Karikaturen und den respektlos-frechen Text ärgern und glauben, dass die kritischen Autoren mit ihrer Satire die Grundaussagen der Religion verfehlen. Aber um diese Grundaussagen, die auch der Humanismus der Aufklärung kennt und übernommen hat, geht es überhaupt nicht. Diese dümmlichen, bornierten Religionsvertreter, die in ihrer ganzen arroganten Beschränktheit und mit missionarischem Eifer den Alleinvertretungsanspruch für die letzten Wahrheiten über das Leben und alles, was danach kommt, reklamieren, gibt es wirklich und sie wirkten und wirken schädlich auf die Menschenseele.
Und was den Kindern alles schon an Unsäglichem beigebracht wurde und wird, von Gottes Zorn, Rache, Vergeltung, Sündenpein und Höllenqual! Es ist eine furchtbare Phantasmagorie von durch Gewissensnöte in ein krankes Denken gestürzten, eingeschüchterten Menschen, die sich krampfhaft an ungerechtfertigte geistige Autoritäten klammern. Aber die Wahrheit ist ein pfadloses Land, wie uns der religionskritische spirituelle Lehrer Jiddu Krishnamurti lehrte und der Anspruch von Religionsgemeinschaften, die einzige Wahrheit zu besitzen, vor allen anderen, ist eine Lüge, die Hass und Kriege bis auf den heutigen Tag schürt. Und jeder dieser Gotteskrieger ist letztlich ein wahrer Feind Gottes, des Gottes der Liebe und der Toleranz! Jeder Glaubenssatz ist eine Einschränkung des menschlichen Geistes und das kann in keines Gottes Sinne sein, wenn die Menschen sein Ebenbild sein sollen. Kann also das satirische Kinderbuch die seelische Entwicklung der Kinder schädigen, wie die CDU-Familienministerin und Ärztin Dr. Ursula von der Leyen argumentiert? Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Peter Riedesser, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, meint dazu im Gegenteil, das Buch sei als Gegengift zu religiöser Indoktrination von Kindern pädagogisch besonders wertvoll“.
Karikaturen können immer problematisch sein. Die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitungen beispielsweise, die vor einiger Zeit zu einem Amoklauf einiger fanatisierter islamistischer Schreier und ihrer religiösen Einpeitscher führte und damit Menschenleben forderten, waren zum Teil geschmacklos und dümmlich und zeugten fürwahr nicht vom Wissen über den Propheten und dessen Religion. Aber sie zeugten von den widerlichen Gedankenkurzschlüssen, die eine unreflektierte schiitisch oder sunnitisch-islamische Staatsreligion in den jetzigen unaufgeklärten und nicht säkularisierten Gesellschaften mit einem politisierten Islam erzeugt und karikierte gerade dieses Denken. Und es war ein Gebot der Pressefreiheit und der Demokratie, sich dem islamistischen Mob und seiner unredlich hetzenden, denkfaulen theologischen Intellektuellen nicht zu beugen. Die Imperialismus- und Kolonialismuskritik in den arabischen Gesellschaften ist berechtigt, jedoch nicht als religiöse Verdammung, sondern als aufgeklärte, demokratische Agitation gegen Machtmissbrauch und Unterdrückung.
Ob das vorliegende Buch von den Fragen des Ferkels nach Gott nun den Geschmack des hiesigen Lesers trifft, des schmunzelndcen Erwachsenen, der die Wohltaten der Aufklärung verinnerlicht hat oder des staunenden Kindes, das sich dem autoritätsheischenden Raunen der Religionslehrer und Priester nur schwer entziehen kann, wenn ihm letztlich mit Gottes Strafgericht und Liebesentzug gedroht wird, mag dahin gestellt sein. Aber sollte das heißen, dass prinzipielle Kritik nicht sein darf, wenn das Geschmacksempfinden verletzt wird? Ein Ferkel ist ein Ferkel ist ein Ferkel. So ist das eben. Und die Autoren und der Verlag sind ja durchaus dafür bekannt, dass sie Religionskritik notfalls auf die Spitze treiben. Sie bekennen sich selbst in ihrer Aktion „Rettet das kleine Ferkel“ unumwunden zu ihrer religionskritischen, aufklärerischen Absicht. Aber der Autor Michael Schmidt-Salomon ist kein„Religionshasser“, wie ihm zum Vorwurf gemacht wurde. Er sagte im Gegenteil:„Ich„hasse“ Religionen nicht, ich halte sie vielmehr, wie ich auch im Nachwort zur zweiten Auflage des„Manifest des evolutionären Humanismus“ geschrieben habe, für„kulturelle Schatzkammern der Menschheit“, die sowohl Sinnvolles, Humanes, als auch Sinnloses, Inhumanes, enthalten“
Also: Es geht um konsequente Religionskritik in einfachen, kindlich nachvollziehbaren Worten. Sie trifft das Bild, dass sich die Religionen von ihrem jeweiligen Gott gemacht haben, den sie auf Erden zu vertreten vorgeben. Na und? Ist die Religion so schwach, dass sie durch ein Kinderbuch einstürzt? Dann hat sie es nicht besser verdient. Fühlt sich die Gesellschaft, der Staat bedroht? Dann ist die Aufklärung und die Trennung von Staat und Kirche auch fast 220 Jahre nach der Französischen Revolution noch nicht weit gekommen. Darf man den Kindern nicht erzählen, dass niemand einfach so den Anspruch auf die alleinige Wahrheit erheben und dafür Glaubwürdigkeit einfordern darf, nur weil eine zweitausendjährige Organisation dahinter steckt, eine noch immer funktionierende Inquisition und ein Herr Namens Gott? Dann dürfen Kinder nicht erwachsen werden und sollen auch als Erwachsene nicht zu eigenen Überzeugungen und einem selbst gewählten Glauben finden dürfen. Kinder werden indoktriniert, meistens einseitig von Eltern, Lehrern, Priestern in der jeweiligen Glaubensströmung der Eltern, die die„Erziehungsgewalt“ ausüben und dann im Rahmen der kulturellen und religiösen Voreingenommenheit der jeweiligen gesellschaftlichen Oberströmung.
Da darf doch ein wenig religionskritische, ja atheistische Skepsis in einem demokratischen Bürgerstaat mit freiheitlicher Rechtsordnung toleriert werden, um die Übermacht der Sittenwächter und Glaubenshüter im Ansatz zu korrigieren, dem Ansatz nämlich, dass sie die allein seligmachenden Erklärungen für das Gehen der Welt besäßen. Die Gedanken sind frei, die der Gläubigen wie der Ungläubigen. Oder sind wir in einem iranischen Gottesstaat. Der Himmel möge uns davor bewahren, notfalls mit der Hilfe des Teufels! Nein, im Ernst: Der Verbotsantrag des Bundesfamilienministerium und der Kirchen mit dem hierzulande wohlfeilen Antisemitismusvorwurf – den selbst der Zentralrat der Juden oder der jüdische Schriftsteller Henryk M. Broder zurückweisen – als politisches Totschlagargument ist eine Schande für unsere aufgeklärte, demokratische, laizistische Gesellschaftsordnung und verdient im Interesse der Meinungsfreiheit unsere schärfste Zurückweisung, egal welcher Religion wir angehören oder nicht angehören. Ein wirklich religiöser, ein spiritueller Mensch wird das verstehen. Er wird wie die Mystiker aller Religionen, die auch schon von allen Religionen verketzert wurden, wissen, dass es hinderlich auf dem Weg zur Erleuchtung ist, sich ein Bild von Gott zu machen:„Erschlag‘ den Buddha, wenn Du ihn triffst“,„töte Gott“ – diese Aufrufe sollen uns warnen, durch Festlegung auf Glaubenssätze den Kern der Herzenswahrheit zu verfehlen. Wer den Zweifel tötet, tötet Gott und umgekehrt. Wer es versteht, ist dem Paradies schon nahe, wer nicht, begnügt sich noch mit Opium. Nur wer die Freiheit des Geistes verteidigt, wird am Ende noch eine Religion haben.
Die Autoren Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke und der Alibri Verlag, Aschaffenburg haben für ihr Buch„Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel – Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen“ eine Informationsseite in das Internet gestellt, um sich gegen den Indizierungsantrag zur Wehr zu setzen. Auf dieser Seite kann man sich als Unterstützer der Meinungsfreiheit eintragen lassen und an einem Forum zum Meinungsaustausch beitragen. Ausserdem kann man das Buch in englischer Sprache aus dem Internet herunter laden.
Michael M. Schlicksbier-Hepp, Wilhelmshaven
Die Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg hat, wie heute nachmittag bekannt wurde (kreuz.net) die Ermittlungen eingestellt. Der leitende Oberstaatsanwalt Wich-Knoten bezeichnete das zur Indizierung stehende Buch zwar als „perfides Machwerk“, sah aber keine rechtliche Handhabe, gegen das Buch wegen „Volksverhetzung“ vorzugehen. Es enthalte keine strafbaren Inhalte.
Na also. Recht muss in einem demokratischen Rechtsstaat Recht bleiben und Zensur gehört in das Repertoir von Unrechtsstaaten, auch wenn das der Kirche und den Religionshütern nicht passt. Die Frage, ob das Buch als „jugendgefährdend“ indiziert wird, ist durch diese Entscheidung aber meines Wissens noch nicht geklärt.
Michael M. Schlicksbier-Hepp