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Diskriminierung und Rassissmus

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Heute schreibt Gerti Saxer, Einzel-, Paar- und Familientherapeutin mit einem Schwerpunkt auf der Beratung binationaler Paare in Rorschach in der Schweiz für den systemagazin-Adventskalender:

Als ich vor drei Wochen mit Berufskollegen in einem Restaurant sass, betraten zwei Frauen das Lokal, wobei die eine, mit indischer Herkunft, mich freundlich anschaute und während dem Essen immer wieder nach mir hinüberblickte. Mir kam sie auch bekannt vor, da ich aber mit vielen ausländischen Menschen zu tun habe, konnte ich sie nirgendwo einordnen. Als ich das Restaurant verlassen wollte, stand sie auf und sprach mich an: Grüezi Frau Saxer, wie geht es ihnen? Erst als ich nach ihren Familiennamen fragte, habe ich sie wiedererkannt. Vor gut 10 Jahre waren sie und ihr Mann bei mir in Beratung. Der Grund, er legte ihr kurz von der Hochzeit einen Ehevertrag vor, der sie sehr verletzte und sie sich deshalb weigerte, diesen zu unterschreiben. Er, Ingenieur und Lehrer an einer Berufsschule, lernte die wunderschöne Frau während seinen Ferien in einer diesen herrlichen Inseln im indischen Ozean kennen. Sie arbeitete dort im Hotel an der Rezeption, konnte deshalb bereits einige Fremdsprachen sprechen. Nach einer kurzen Zeit, während sie die Beziehung via Telefongespräche weiterführten, lud der Mann sie in die Schweiz zu einem Besuch ein. Sie entschieden sich zu heiraten, was zur Folge hatte, dass sie nicht mehr zurückreisen würde. Das war die Ausgangssituation. Ich bin selber Migrantin und war geübt in der Beratung mit Menschen aus Südamerika, dessen Kultur ich gut kannte. Hier war ich herausgefordert und meine interkulturellen Kompetenzen in der Beratung auf der Probe gestellt.
So konnten zwei wichtige Themen gut bearbeitet werden und ich dazu etwas ganz wichtiges gelernt. Als ich nachfragte, wer für und wer gegen diese Heirat war, kam da einiges zum Vorschein. Die Eltern des Bräutigams, sehr konservative Menschen aus der Innenschweiz, glaubten nicht, dass so eine Verbindung gelingen könnte. Der Vater der Braut, der muslimischen Religion zugehörend, fühlte sich in seiner Ehre verletzt, dass ein Fremder seine Tochter „geraubt“ hatte. Dann haben wir darüber gesprochen, wie er wieder zu seiner Ehre und Würde zurückfinden könnte, damit die Tochter nicht von der Familie ausgeschlossen würde. So haben wir einen Text eingeübt, wobei der Mann den Vater am Telefon um die Hand der Tochter beten sollte, was ihm zuerst sehr widerstrebte. Es tat es mit gutem Erfolg und wurde so von der Familie aufgenommen.
Dann gingen wir die Gründe nach, weshalb es der Frau so Mühe machte, den Vertrag zu unterschreiben, der sie von jeglichen finanziellen Vorteilen ausschloss. Das Paar konnte sich dann darauf einigen, dass der Mann ihr eine in ihrer Kultur üblichen „Brautgabe“ in Form eines Geldbetrages, entsprechend einer Ferienreise in der Heimat, auf ihr eigenes Konto überweisen würde. Das wäre für sie eine Garantie, dass wenn es mit der Beziehung nicht klappen würde oder sie starkes Heimweh bekäme, nach Hause reisen könnte.
Dann fragte ich der Frau, ob sie hier Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus gemacht hätte, was sie verneinte. Wunderte mir auch nicht, denn nebst ihre Schönheit besass sie ein bezauberndes Lächeln und ausgezeichnete soziale Kompetenzen. Intuitiv frage ich den Mann, ob er irgendwelche Erfahrung der gleichen Art gemacht hätte. Er bekam gleich Tränen in den Augen und berichtete, ein Kollege, der die Frau gar nicht kannte, habe ihm im Lehrerzimmer vor alle anderen gefragt, aus welchem „Katalog“ er seine Braut gekauft hätte. Seither gebe ich sehr darauf Acht, auch der einheimischer Partner oder Partnerin über Erfahrungen mit Diskriminierung anzusprechen.
Beim Abschied im Restaurant fragte ich der Frau, wie es ihnen gehe und ob sie Kinder hätten. Sie erzählte, sie hätte gleich im ersten Jahr hier eine Arbeit auf einer Bank bekommen und war immer noch dort. Die Ehe habe nur vier Jahre gedauert, sie seien geschieden, sie habe nicht wieder geheiratet. Von ihren Wurzeln hatte sie sich freiwillig getrennt, ihre Flügel wollte sie sich jedoch nicht stutzen lassen.

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