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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Dirk Baecker wird 70!

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(Foto: Tom Levold 2010)

Heute feiert Dirk Baecker seinen 70. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Er ist einer der prägnantesten Vertreter der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann, die er in zahlreiche Richtungen weiterentwickelt hat, insbesondere zur Organisations- und Managementsoziologie sowie zur Entschlüsselung aktueller gesellschaftlicher Transformationen. Im systemischen Feld sind seine oft sehr anspruchsvollen Arbeiten vor allem im Bereich der Organisationsberatung und -entwicklung rezipiert worden.

Nach seinem Abitur am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln und einem Studium der Soziologie und Nationalökonomie in Köln und Paris wurde Baecker an der Universität Bielefeld bei Niklas Luhmann promoviert und habilitierte sich ebendort im Fach Soziologie. Es folgten Forschungsaufenthalte an der Stanford University, Johns Hopkins University und an der London School of Economics. 1996 erhielt Baecker einen Ruf auf den Reinhard-Mohn-Lehrstuhl für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und gesellschaftlichen Wandel an der Universität Witten/Herdecke. Von 2000 bis 2007 hatte er ebendort den Lehrstuhl für Soziologie inne. Zusammen mit Fritz B. Simon und Rudi Wimmer gründete er im Januar 2000 das Management-Zentrum Witten.

Baecker erhielt im Jahr 2006 den Ruf auf den neuen Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an die Zeppelin Universität, wo er von 2007 bis 2015 forschte und lehrte. 2015 erfolgte der Rückruf an die Universität Witten/Herdecke, wo Baecker dem Lehrstuhl für Kulturtheorie und Management vorstand.

Im Zentrum seiner Diskussion steht seit den 2000er Jahren die Konzeption der „nächsten Gesellschaft“, die Baecker als eine Netzwerkgesellschaft beschreibt, in der Digitalisierung und künstliche Intelligenz zentrale Kommunikationsmedien bilden. Während die Moderne durch den Buchdruck und Rationalität prägnant war, wird die nächste Gesellschaft laut Baecker von einem Überschuss an Komplexität und Kontrolle geprägt: Netzwerke und algorithmische Kontrolle lösen klassische Hierarchien ab und verlangen neue Formen kollektiver Intelligenz, Agilität und ökologisches Zusammenspiel. In seinen Studien analysiert Baecker dabei die Herausforderungen für Organisationen, das Management und die Subjekte in dieser neuen Epoche.

Seine spezifische Position im systemtheoretischen Feld zeichnet sich durch innovative Zugänge wie das Formkalkül (Spencer-Brown) und die konsequente Einbindung von digitalen Transformationen aus. So fordert Baecker die Soziologie heraus, angesichts algorithmischer Steuerungsformen und undurchsichtiger Datenverarbeitung neue Navigationswerkzeuge für Organisation und Gesellschaft zu entwickeln. Seine Denkarbeit bleibt damit wegweisend für die Reflexion und Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft.

20217 erschien ein Interview von David Agert und Holger Schlichting mit ihm aus Anlass des PRAXISFELD Expertenforums 2017, in dem er seine Gedanken zum Themenfeld „Nächste Gesellschaft – Technologien – Rezepte für Zukunftsfähigkeit“ darlegt. Zur Frage nach Titel „Führen und Beraten in der nächsten Gesellschaft – Rezepte für Zukunftsfähigkeit und Innovationen!?“ antwortet er folgendermaßen:

„Da fallen mir sofort zwei Punkte ein. Erstens: das Stichwort der „Nächsten Gesellschaft“ ist nach wir vor ein experimentelles Stichwort, wir wissen noch nicht genau, ob wir tatsächlich in der nächsten Gesellschaft sind oder nicht eventuell eher in einer unruhiger gewordenen Form der modernen Gesellschaft. Andererseits haben wir die Einführung elektronischer Medien und die Instantaneität von kommunikativen Verknüpfungen im globalen Rahmen bereits seit mehr als hundert Jahren, sind da also schon tief drin in der nächsten Gesellschaft.

Das Stichwort der nächsten Gesellschaft ist für mich vor allem deswegen interessant, weil es Fragen aufzuwerfen erlaubt: Nämlich welche Technologien haben welchen Einfluss auf welche Art von sozialen Strukturen? Und es erlaubt diese sozialen Strukturen dann an der Moderne abzulesen. Und man kann fragen, wenn die Moderne bestimmte Dinge in der Politik, Wirtschaft oder Bildung erreicht hat, z.B. Demokratie oder kompetitive Marktwirtschaft, wie sieht all das dann in der nächsten Gesellschaft aus. Welche neuen Lösungen werden für die alten Probleme gefunden, wenn die alten Probleme modern auf diese oder jene Weise gelöst worden sind. Also sozusagen eine Heuristik der scharfen Beobachtung von Übergangsprozessen.

Und das zweite, das mir auffällt, ist nach wie vor die eigentliche Brisanz im Stichwort der Zukunftsfähigkeit. Zukunftsfähig ist man ja nur dann, wenn man tatsächlich in der Lage ist, mit einer unbekannten Zukunft umzugehen. Wie aber geht man mit etwas Unbekanntem um? Man kann sich natürlich sofort an Trendforscher dranhängen und sagen, Zukunft ist für mich als Trend absehbar, dann ist das Problem vom Tisch. Wenn man aber tatsächlich das Problem der unbekannten Zukunft, oder besser das Phänomen der unbekannten Zukunft, ernst nimmt, muss man sich fragen, was von dem, was ich heute tue, wird morgen wohl unter welchen Umständen noch welche Bedeutung haben können? Das heißt, es gibt kaum eine radikalere Frage an sich selbst, als das Eingeständnis, meine Zukunft und die Zukunft meines Unternehmens, meiner Organisation ist prinzipiell unbekannt. Das löst viel aus. Deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, diese Frage muss dosiert werden. Man darf nicht dauernd von Zukunftsfähigkeit sprechen, weil man dann absolut blockiert ist.“

Das vollständige Interview kann hier gelesen werden…

Lieber Dirk, zum 70. Geburtstag herzliche Glückwünsche und alles Gute, verbunden mit dem Wunsch nach vielen weiteren Anregungen und Irritationen von deiner Seite in den systemischen Diskurs hinein!

3 Kommentare

  1. Dr. Franz Josef Witsch-Rothmund sagt:

    Dirk

  2. Dr. Franz Josef Witsch-Rothmund sagt:

    Dirk Baecker hat 2008 im Carl-Auer Verlag unter dem Titel „Nie wieder Vernunft“ „Kleinere Beiträge zur Sozialkunde“ publiziert. Ganz entgegen dem immer wieder vorgebrachten Einwand systemtheoretisches Denken sei viel zu abstrakt, um auch in lebenspraktischen Grenzsituationen Orientierung zu vermitteln, geriet der letzte dieser Beiträge „12. Nähe“ zu einem fulminanten Erweckungserlebnis: Mit einer G. March entlehnten „Fußball-Metapher“ skizzierte Dirk Baecker ein Szenario, mit dem er auf so eindrucksvolle und plastische Weise erläuterte, was „lose Kopplung“ sei und wie sie in ausweglos erscheinenden Situationen wieder Handlungsoptionen bereitstelle, dass mir seine Intervention zum Schlüsselmotto von „Kurz vor Schluss II – Mosaiksteine zur Rekonstruktion und Modellierung von Familiendyamiken“ (Koblenz 2022) geriet. Dirk Baecker schreibt zur erwähnten Metapher – und verwendet doch dabei tatsächlich einen Wirklichkeitsbegriff im Sinne einer „Beobachtung erster Ordnung“, um dieselbe dann sogleich zu transformieren: „In dieser Situation, die die Wirklichkeit selber ist und die so wenig mit der klaren Sachordnung zu tun hat, von der wir alle träumen, hilft nur die lose Kopplung […] Wer in dieser Situation jedoch sagen kann, das ist mir >nahe genug<, entscheidet sich für lose Kopplung, fängt an zu beobachten, verwechselt sich selbst nicht mit den Bedingungen, auf die er sich einlässt, und entdeckt auch bei den anderen Spielräume des Verhaltens, die das Chaos nicht etwa noch größer werden lassen, sondern es für einen Moment so zu ordnen erlauben, dass man Spaß daran bekommt, sich an dem Unsinn zu beteiligen."

    Dirk Baecker soll wissen, wie ungemein hilfreich und wirkmächtig (all) seien Beiträge zur Sozialkunde – selbst bei aufmerksamen Lesern sind, die sogar noch drei Jahre älter als er sind. Ich jedenfalls danke ihm sehr dafür, dass ich über seine klugen Interventionen wieder sehr viel mehr Spaß am Leben gewonnen habe und dass er – nebenbei bemerkt – in den Balkongesprächen mit Wolfgang Loth immer wieder Stichwortgeber und Inspirator ist.

  3. Dirk Baecker sagt:

    Lieber Tom, wie großzügig von dir! Hab Dank für deine freundliche Darstellung und deine guten Wünsche. Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, unter uns Systemikern eine kleine Rolle spielen zu dürfen. Herzlich, Dirk

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