Wie vor kurzem zu lesen war, ist Stephan Jansen, der immer noch junge (43) und sowohl als Wissenschaftler wie als Unternehmer überzeugende Gründungspräsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, vorzeitig zurückgetreten. Obwohl er dafür in der Öffentlichkeit persönliche Gründe geltend gemacht hat, stehen Vorwürfe im Raum, die etwas mit der Verwendung von Sponsorengeldern und Bonuszahlungen an Professoren bei der Einwerbung von Drittmitteln zu tun haben (hier und hier) . Ohne zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen, hat Dirk Baecker, seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse, in seinem Blog ein leidenschaftliches und sehr lesenswertes Plädoyer für die Idee der Zeppelin-Universität gehalten, die sich eben mit der Zersplitterung von Disziplinen nicht zufrieden gibt, sondern einen Komplexitätsbegriff verfolgt, der sich nachhaltig von traditionellen Vorstellungen von Wissenschaft unterscheidet: „Die Zeppelin Universität denkt den Zusammenhang der Disziplinen jedoch nicht nur universitär und interdisziplinär, sondern auch praktisch. Das ist der Grund, warum ich 2007 den Ruf auf den Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an dieser Universität angenommen habe. Jede einzelne der genannten Disziplinen wird aus einer Praxisperspektive auf ihre Managementtauglichkeit hin regelrecht gegen den Strich gelesen. So die Idee. Und dabei geht es nicht nur um einen betriebswirtschaftlichen, auf technische Effektivität und wirtschaftliche Effizienz konzentrierten Managementgedanken, sondern darüber hinaus um ein Management, das von der Komplexität sowohl der Organisation als auch ihrer gesellschaftlichen sowie psychischen und physischen Umwelt ausgeht. Was also, das ist die Frage, tragen nicht nur die Wirtschafts-, sondern auch die Politik-, Verwaltungs-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften zu einem Verständnis der Managementprobleme in Unternehmen, Behörden, Parteien und kulturellen Einrichtungen bei? Wie verschränkt man Personal, Märkte, Organisationsstruktur, Recht und Refinanzierung, wenn jeder dieser Faktoren komplex ist und kein Einheitsgedanke sich länger als einen Moment aufrechterhalten lässt?
Die Idee ist ebenso schlicht wie bahnbrechend. Sie würde, könnte man sie einlösen, unsere Managementphilosophie revolutionieren und bei dieser Gelegenheit die alten Fachwissenschaften sowohl ernst nehmen als auch mit neuen Problemen versorgen, mit neuen Fragen konfrontieren und auf die Leistungsfähigkeit ihrer Theorien und Methoden hin überprüfen. In der Differenz zu ihren eventuellen Beiträgen zu einem Verständnis der Aufgaben und Möglichkeiten eines komplexen Managements könnte dann auch deutlich werden, was in diesen Disziplinen außerhalb einer solchen Rückfrage liegt und dennoch wichtige und richtige Forschungsperspektiven aufwirft. Nicht die Verbetriebswirtschaftlichung der Fachwissenschaften ist das Ziel dieses Unterfangens, sondern die behutsame Heranführung von Fachwissenschaften, die sich zum Teil ganz anderen Traditionen verdanken, an die Problemstellungen einer komplexen Gesellschaft. Wenn die Betriebswirtschaftslehre als adhokratische Handlungslehre (Richard Whitley) dabei auch einmal den einen oder anderen paradigmatischen Wert erhält, ist das kein Einwand gegen die Sache, sondern ein Beitrag zur Sache. Haben sich nicht auch die Medizin und die Juristerei in ganz ähnlicher Weise handelnd und reflektierend, sicherlich auch brutal und rücksichtslos den Phänomenen der Komplexität genähert? Ist Komplexität überhaupt ohne Reduktionen zu denken, die gnadenlos in die Irre gehen können? Wie blendet man diese Möglichkeit in die Behutsamkeit wieder ein? Was heißt Reflexion, wenn man weiß, dass diese fast immer zu spät kommt und fast nie etwas verhindern kann? Ist das Grund genug, sich in Reduktionen zu verbunkern, so lange es eben geht?
Vielleicht haben wir etwas übersehen. Komplexe Probleme sind nicht im Handumdrehen zu bewältigen, ja noch nicht einmal zu verstehen. Wie sagt Heinz von Foerster: “Wenn jemand so ignorant ist, sich mit Komplexität auseinandersetzen zu wollen, bleibt er auch so” (Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen, Berlin 2002, S. 34). Immerhin sind komplexe Phänomene definiert als Phänomene, die weder aus so wenigen (maximal drei bis vier) Faktoren bestehen, dass sie kausal, noch aus so vielen, aber homogenen Elementen bestehen, dass sie statistisch beschrieben werden können. Das heißt, sie sind als Phänomene definiert, die wir mit den beiden erfolgreichsten Methoden wissenschaftlichen Denkens nicht verstehen können (Warren Weaver). Unglücklicherweise gilt dies für Phänomene, die für uns die interessantesten sind, etwa Atome, Moleküle, Organismen, Gehirne, Bewußtsein und Gesellschaft. Sie überfordern den Beobachter prinzipiell, auch wenn sich dann Magier, Mystiker, Esoteriker und andere Geisterseher finden, die qua “Schau” immer noch den Durchblick haben.
Wir dürfen uns den Gedanken der Komplexität weder von denen verderben lassen, die jenseits von Kausalität und Statistik nichts anerkennen wollen, noch von denen, die den geheimnisvollen Kontakt bereits gefunden haben. Es geht auch angesichts komplexer Phänomene um nüchterne Wissenschaft am Leitfaden von Theorie und Methode. Es geht darum, Theorien und Methoden zu entwickeln, die von der Fähigkeit zur Selbstorganisation dieser Phänomene ausgehen. Die für die traditionelle Wissenschaft inakzeptable Zumutung liegt darin, dass diese Phänomene nicht als Objekte behandelt werden können, denen ein wie immer irrtumsanfälliges Subjekt gegenübertreten kann, ohne nicht bereits dadurch in die Phänomene einzugreifen. Komplexe Phänomene können nicht objektivistisch erforscht werden, sie müssen interaktiv erforscht werden, mit der Konsequenz, dass sich dabei auch das Subjekt verändert. Komplexe Phänomene sind als Black Boxes zu behandeln, zu denen man ein Verhältnis, eine Beziehung suchen kann, das auch dann lebbar und ergiebig sein kann, wenn es nicht mit einem Verständnis der jeweiligen Phänomene identisch ist.“
Finde den Artikel bereichernd! Danke dafür.
M.E. bilden Beziehungen ohnehin das Fundament für jede Erkenntnis und die Kommunikation derselben. Beziehungsqualität beeinflusst somit auch die Erkenntnisqualiät.
Wenn uns der Umgang mit Komplexität prinzipiell überfordert, erfordert deren Reduktion Beziehungsfähigkeit.
Komplexität wäre somit ein Synonym für Überforderung. Wir fühlen uns existenziell bedroht und erkennen unsere Abhängigkeit von etwas/jemand das „größer ist, als wir selbst“. Überleben erfordert eine Beziehung einzugehen mit Komplexitäten als etwas/jemand, was prinzipiell nicht zu kontrollieren, zu beherrschen, zu erfassen ist. Das dies funktioniert bringt mich immer wieder erneut zum staunen.
Es ist dieses „Erlebnis des Staunens“ welches alles Erkennen, Wissen, und auch bisherige Erfahrungen jedes mal übersteigt. Daraus entsteht allmählich eine „Sicherheit des Vertrauens“, welche im Wortsinn „religiös“, d.h. „rückgebunden“, also als „in Beziehung seiend“ erkannt wird.
Komplexität lehrt uns, dass empirische Kausalitäten wie sie auf den Universitäten gelehrt werden, nie der „Weisheit letzter Schluss“ sind, sondern auf singulären und existentiellen Korrelationen (=Beziehungen) beruhen, welche somit Univers(al)ität beanspruchen können.