In der Zeitschrift„Soziale Systeme“ erschien 2004 ein bemerkenswerter Beitrag von Harald Wasser, Autor zahlreicher Publikationen u.a. zu den Themen Medientheorie, Systemtheorie, Psychologie, Hirnforschung und Psychoanalyse, der sich mit der Problematik des Ausschlusses des Unbewussten aus der Luhmannschen Systemtheorie beschäftigt, für die das psychische System mit Bewusstsein zusammenfällt. Der Artikel ist auch im Internet zu lesen. In der Zusammenfassung heißt es:„Durch aktuelle Forschungen veranlasst gehen zunehmend auch psychologische Strömungen, die teilweise über Jahrzehnte konträr zu Freuds Ansichten gestanden hatten, davon aus, dass die Psyche nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst operieren kann. Nun lässt sich, wenn man Luhmann beim Wort nimmt, systemtheoretisch kein Unbewusstes konstruieren. Damit ist für die Systemtheorie die Möglichkeit, an derartige Forschungen bzw. Forschungsrichtungen anzuschließen, verbaut. Entgegen des transdisziplinären Versprechens, das Luhmann gegeben hatte, können somit aber nur bewusstseinsphilosophisch-kognitivistische Psychologien von Systemtheoretikern berücksichtigt werden. Das wäre – so bedauerlich es ist – vertretbar, wenn es sich konsequent aus der systemtheoretischen Theoriearchitektur ableiten ließe. Der Artikel versucht nachzuweisen, dass genau dies aber nicht der Fall ist. Ganz im Gegenteil ergibt sich die Rejektion der Annahme, die Psyche könne auch unbewusst operieren, aus einem einzigen Postulat, das nicht nur revidierbar ist, sondern aus ganz verschiedenen Gründen revidiert werden sollte. Es handelt sich dabei um das Postulat von der Identität von Psyche und Bewusstsein. Dieses Identitätspostulat lässt sich aber nur aus einer subjekt- bzw. bewusstseinsphilosophischen Tradition heraus rechtfertigen, aus einer Tradition also, mit der die Systemtheorie bekanntlich gerade brechen möchte. Interessant ist nun, dass, sobald man auf dieses Postulat verzichtet, die Konstruktion eines Unbewussten systemtheoretisch keinerlei Schwierigkeiten mehr macht. Der Artikel versucht darzulegen, dass mit dem Entfallen des Identitätspostulats neben der konsequenten Darstellung der Systemtheorie als einer transdisziplinären Theorie einige weitere Vorteile entspringen sowie eine Reihe von Widersprüchen aufgelöst werden können. Selbstverständlich sind umgekehrt bewusstseinsphilosophisch orientierte Psychologien mit der Verabschiedung vom Identitätspostulat keineswegs gezwungen, nun ebenfalls ein Unbewusstes zu postulieren: Die Annahme eines Unbewussten wird ja nicht zwingend, aber sie wird zu einer tragfähigen Option. In jedem Fall kann die Systemtheorie auf diese Weise deutlich Abstand zur Bewusstseinsphilosophie gewinnen, womit zugleich ihre Distanz zur Subjektphilosophie mehr Substanz erhielte“
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Die Systemtheorie und das Unbewusste
6. September 2008 | Keine Kommentare