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Die Freunde der Liebe

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Auf die Frage, weshalb Paare trotz Wind und Wetter jahrzehntelang gut und angeregt miteinander leben können, fällt mir unsere Begegnung mit Angela und Cyril in Schottland ein. Wir trafen Cyril auf dem Friedhof, wo er seit einem Jahr begraben ist, in einem Park voll blühender Osterglocken und Rhododendren unter alten Bäumen. Cyrils Grab ist ein Stück Wiese mit einer kleinen Tafel vor bemoostem altem Mauerwerk. Darin zeigt uns Angela, seine Frau seit 35 Jahren und nun seine Witwe, ein Nest mit Rotkehlchen. Tröstlich, dieses Symbol von Weiterleben, meint Angela, während wir uns an den Händen halten.
Angela und Cyril gehörten zu unseren liebsten Freunden, als wir 1968 und danach im Mittleren Westen der USA studierten. Unsere noch kleinen Kinder, je ein Mädchen und ein Junge im selben Alter, liebten und fetzten sich und spielten mit Wonne. Wir waren füreinander Wahlverwandte und Familienersatz. Die Männer arbeiteten zusammen an der Uni, und gemeinsam mit einer grossen Freundesgruppe feierten wir Geburtstage und sinnliche Tanzfeste – so sinnlich, dass es herrlich funkte zwischen Frauen und Männern. Das machte Leben und Lieben für uns so bewegt und leidenschaftlich, dass wir leichten Herzens und ohne Liebesverrat als Paare zusammenblieben. Bis zum heutigen Tag habe ich Mühe zu verstehen, warum diese Art von amiti ́e amoureuse im Rahmen verbindlicher Zweierbeziehungen so oft zum Drama wird.
Dann kam die Zeit unserer Rückkehr in die Schweiz, herzzerbrechende Abschiede, Besuche hin und her über den Atlantik; der Nährboden unserer Freundschaft trocknete nie aus. Vor einigen Jahren haben Angela und Cyril die Lebensform des Living Apart Together gewählt: Angela bekam ein Angebot als Künstlerin in ihrer Heimat, Cyril wollte seine Professur in Amerika zu Ende führen. Täglich telefonierten die beiden oder verschickten E-Mails, besuchten sich und ihre erwachsenen Kinder oft und machten miteinander Reisen in Europa. Ganz verstanden haben auch die nächsten Freunde ihr Arrangement nicht. Wir kamen uns mit unserer eigenen Routine des alltäglichen Zusammenlebens etwas spiessig vor und suchten nach versteckten Konflikten bei dem unkonventionellen Paar.
Dann kam die Nachricht von Cyrils schwerer Erkrankung. Angela und die Kinder blieben Tag und Nacht an seinem Krankenbett. Die Blicke in den Abgrund von Abschied und Tod haben die Liebe dieses Paares so vertieft, dass sie auch auf uns zurückstrahlt. Eine Liebe, genährt von ihrer persönlichen Freundschaft und eingebettet in Freundschaften, die über Cyrils Tod hinaus bleiben.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

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