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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Die Ermordung des Widerstands

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(Foto: Kurt Ludewig)

Heute würde Steve de Shazer, der im September 2005 in Wien an  den Folgen einer Lungenentzündung in Wien starb, 80 Jahre alt werden.

1984 veröffentlichte er in der Zeitschrift Family Process einen Artikel mit der Überschrift The Death of Resistance, in dem er sich kritisch und auf einer sehr theoretischen Weise mit dem Widerstandskonzept in der Psychotherapie auseinandersetzte und statt dessen das Konzept der Kooperation als Alternative vorschlug. Wie er 1989 in einem weiteren Text Resistance Revisited erzählt, ist sein Text jahrelang von allen in Frage kommenden Zeitschriften abgelehnt worden, bis es 1984 zur Veröffentlichung der mittlerweile 6. Revision in der Family Process kam. Ein schönes Beispiel für Widerstand in der Zunft: „Of course, in order to get it published, I put my thesis in rather theoretical terms: I could not say ,I confess: I murdered it because it had out-lived its usefulness.“

In diesem Text von 1989, der in Contemporary Family Therapy 11(4) erschien, erklärt er noch einmal auf kurze und bündige Weise die Entstehung der Idee vom Tod des Widerstands gegen Veränderung und der Entwicklung von Kooperation entlang der Frage nach den bereits ausnahmsweise oder imaginierten Veränderungen, die wie viele andere seiner Konzepte auch über seinen 80. Geburtstag hinaus fortbestehen werden. Den Text schließt er folgendermaßen ab: „It seems that therapists and clients alike can go on quite well without the concept of resistance. Theoretically it has proved to be unnecessary and, in fact, pragmatically its absence, or rather the presence of the concept of cooperating, has proved useful. Therapy is much more fun for everyone when the topic of conversation is centered around the times when the complaint is unexpectedly absent, focusing on what it is that the clients are doing that is useful, effective, good for them, and fun.“

3 Kommentare

  1. Lothar Eder sagt:

    Es ist etwa 30 Jahre her, dass ich Steve de Shazer bei einem Workshop begegnet bin. Ich fand seine Art und Weise zu arbeiten faszinierend. Allerdings finde ich, dass die wesentlichen Aspekte seiner Arbeit und seiner WIrkfaktoren weder von anderen noch von ihm selbst ausrechend beschrieben sind. Es geht zwar vordergründig um „Lösungsorientierung“ (was immer das ist). Was aber wirkungsvoll war an ihm (finde ich), ist die Art und Weise, wie er Beziehung mit seinen Klienten gestaltet hat. Dieser zentrale Aspekt der Wirkung von Psychotherapien wird in der Bewertung seines Ansatzes leider gänzlich außer Acht gelassen. Steve de Shazer bot eine stabile Beziehung an, mit viel Wärme, Empathie und Wertschätzung. Andererseits hatte er ein klares Modell, das er seinen Klienten vermittelte und von dem er selbst im Innersten überzeugt war. Beides sind wesentliche Wirkfaktoren in der PT, also auch in den psychodynamischen Verfahren und der VT und allen anderen.
    Und ich vermute, dass bestimmte Patientengruppen, deren Symptomdynamiken den Klienten selbst sprachlich nicht zugänglich sind, unter die Rubrik „Kläger“ fallen und damit gewissermaßen als „nicht behandlungsfähig“ gelten. Darunter fallen u.a. Traumatisierungen und bestimmte somatoforme Dynamiken.

    Töten kann man nur dasjenige, das es auch gibt. Es war de Shazers Auffassung, dass das Konzept „Widerstand“ getötet werden soll. Ich frage mich, warum so eine großangelegte Inszenierung erfolgt, wenn es doch angeblich so unnötig ist. Ich verstehe seinen Widerstand gegen den Widerstand. Denn das Konzept der „Insubordination“, das beispielsweise Mara Selvini noch verfolgte, ist zweifelhaft. Allerdings konstruiert er ein Entweder-oder, das nicht generell für Therapeuten gilt, die mit Widerstand arbeiten. Widerstand und Kooperation schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. Und mir fallen spontan zahlreiche eigene therapeutische Prozesse ein, in denen Widerstand eine Rolle spielte. Manchmal gelang Kooperation, manchmal nicht.
    Es ist interessant, die Aufsätze von Steve de Shazer nach 30 Jahren nochmal zu lesen. In manchem regt sich Zustimmung bei mir, in wiederum anderem nicht.
    Persönlich halte ich es für einen Fehler, das Homöostasemodell aus dem anthropologischen Verständnis einer Therapierichtung auszuschließen, wie de Shazer es in seinem 1. Aufsatz zu Widerstand tut. Überall begegnet uns das Streben nach „Gleichgewicht“, „Ausgleich“ und „Balance“. Und ein grundlegendes Veständnis von seelisch-leiblichen Selbstregulationsprozessen zeigt sehr klar, dass das Streben nach Homöostase die Grundlage all unserer Motivationen ist. Wenn die ST dies in ihrer Anthropologie ausklammert, läßt sie mE einen wesentlichen Punkt außer Acht.

  2. Jürgen Hargens sagt:

    Lieber Tom,

    wunderbar immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Widerstand „verstorben“ ist – wobei ich mich frage, weshalb dieser Begriff – gerade auch im lösungsorientierten Bereich – immer noch benutzt wird ….

    Und ein zweites: der Artikel „Resistance Revisited“ ist unter dem Titel „Noch einmal: Widerstand“ auf deutsch erschienen: Z.system.Ther. 8(2): 76-80, 1990

  3. Markus Haun sagt:

    Lieber Tom, danke für das Tauchen nach dieser Perle!

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