Auf der Jahrestagung 2008 der DGSF in Essen (s. Bericht) hat der DSGF-Vorsitzende und Co-Autor des kontrovers diskutierten sogenannten„Lehrbuch II. Das Störungsspezifische Wissen“ Jochen Schweitzer einige Thesen zur Zukunft der Systemischen Therapie formuliert, die systemagazin heute mit einer Einladung zur Debatte veröffentlicht. Worum geht es? Jochen Schweitzer nennt einige theoretische und praktische Beiträge, auf die eine kassenfinanzierte psychotherapeutische Versorgung seines Erachtens langfristig nicht verzichten kann, betont aber gleichzeitig, dass Systemiker auch von anderen Therapieschulen hinzulernen können. Im Kern geht es ihm um die Formulierung einer„schulenübergreifenden Psychotherapie mit starker systemischer Grundierung“, die sich als leistungsfähiger als die jetzigen Richtlinienverfahren erwiese, allerdings einige Veränderungen in der Organisation psychotherapeutischer Versorgung sowie ein schulenübergreifendes Curriculum zur Voraussetzung hätte. Zudem bedürfe es einer schulenübergreifenden Besetzung von Lehrstühlen und einen fairen Wettbewerb von universitären und nicht-universitären Ausbildungstellen. Zu jeder seiner Thesen formuliert er eine Reihe von Argumenten und Gesichtspunkten, die gut in der Lage sind, eine kontroverse Debatte in Gang zu bringen. systemagazin freut sich auf Kommentare, Widerspruch, Zustimmung oder alternative Positionen, die allesamt gemeinsam mit Jochen Schweitzers Text an dieser Stelle veröffentlicht werden.
Zu den Thesen
Debatte: Systemisch integrativ kassenfinanziert: Welche psychotherapeutische Versorgung wollen wir?
24. Oktober 2008 | 2 Kommentare
Die Perspektiven für die Versorgung ohnehin, insbesondere aber auch die Möglichkeiten für die Ausbildung wären so unglaublich erweitert. Als Arzt in Weiterbildung ist die Situation geradezu skurril: Hochschulen und Berufsverbände tragen politische Kämpfe mit schulentheoretischen Argumenten aus. An einem externen Institut für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie lasse ich mir von Psychoanalytikern erzählen, was man mit dem „reduzierten“ Setting alles *nicht* machen kann und wozu einem die Zeit fehlt. Wenn ich dann ein Minimum an erkenntnistheoretischer Neugier und Offenheit aufbringe, kann ich die Attraktivität systemischer Arbeitsweisen überhaupt nicht übersehen – integriert sie doch all jene Aspekte, welche die „traditionellen“ Schulen nach und nach für sich entdecken und implementieren (Ressourcenorientierung, Auftragsklärung, Sensibilität für Kontexte, Zirkularität [OPD-Beziehungsachse anyone?]…) und kann dabei sogar als veritable Metatheorie genutzt werden. Aber halt! Ich muss ja berücksichtigen, wovon ich einmal meine Familie ernähren möchte. Also muss ich mich klinisch und wissenschaftlich (an der Uni) zunächst an „anerkannte“ Verfahren halten (Stichwort: Facharztanerkennung und Richtlinienpsychotherapie) – auch wenn ich erkenne, dass das möglicherweise nicht der Weg ist um meinen Patienten bestmögliche Voraussetzung zum Entwickeln neuer Lösungen zu bieten.
Eine „schulenübergreifende Psychotherapie mit starker systemischer Grundierung“ muss ich mir heute selbst zusammenbasteln und dabei aufpassen, dass niemand „Eklektizismus!“ schimpft. Das Erweitern der eigenen therapeutischen Wirklichkeitskonstruktionen und des technischen Repertoires muss schließlich auch eine Resonanz in Ausbildung, Supervision und Forschungstätigkeit finden können (was paradoxerweise gerade an den Universitäten und Ausbildungsinstituten nicht ohne weiteres gegeben ist – ich fühle mich diesbezüglich dank aufgeschlossener Lehrer und Vorgesetzter persönlich noch einigermaßen im Luxus).
Wo kann ich unterzeichnen? Wen muss ich in welches Gremium wählen? Ich glaube, dass ich nicht nur für mich spreche, wenn ich in Prof. Schweitzers Postulat nicht zuletzt eine potentielle Antwort auf die Identitätskrise der jüngsten Generation von Psychotherapeuten (in Ausbildung) sehen kann, insbesondere derer, die den „klassischen“ therapeutischen Berufsgruppen (Psychologen, Ärzte) angehören.
Aha, Herr Schweitzer hat sich die „Wunderfrage“ gestellt. Ja, so ähnlich würde ich sie wohl auch beantworten.
Und wenn sich alle Beteiligten unseres Gesundheitssystems wirklich an dem Wohle der Klient/inn/en orientieren würden, dann müsste es wohl auch so aussehen. Aber die Hochschulpolitik verfolgt ganz andere Interessen, die Ausbildungsinstitute verfolgen ihre eigenen Ziele, die Krankenkassen, die geneigte Ärzteschaft …
So bleibt mir als geborener Österreicher nur ein: Wunderbar, aber sie spielen’s halt nicht!!!
Freundliche Grüße – peter.kaimer