Brückenschlag (2014). Leben in Nischen. Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst Bd. 30. Neumünster: Paranus. 200 S., 18,- Euro.
Band 30 des Brückenschlags ist der letzte. Seit 1985 erscheinen diese Hefte im Buchformat einmal jährlich. In ihnen finden kurze Texte, Gedichte, Berichte und auch immer bestens reproduzierte Bilder oder Photographien Platz, vereint um ein Rahmenthema, zuletzt z.B. Süchte, gesund werden gesund bleiben, Abschiede oder Wahn Sinn Wirklichkeit. Autoren sind Menschen, die psychische Krankheit selbst erlebten oder noch erleben, oder in der Rolle als Angehörige, professionelle Behandler, Forscher, Wissenschaftler, Künstler, Literat oder einfach interessierter Mensch begleiten. Es geht immer um die subjektive Perspektive psychiatrisch relevanter Themen. Und es geht um den Stellenwert von Psychiatrie in all ihren Facetten in der Gesellschaft, also um Sozialpsychiatrie. Sicher haben die Herausgeber Fritz Bremer, Hartwig Hansen und Jürgen Blume mit der Einschätzung Recht, dass in den 30 Jahren seit Erscheinen des ersten Brückenschlags der Stellenwert von Psychiatrieerfahrenen und ihren Angehörigen auch in der offiziellen Psychiatrie stark gewachsen ist. So stark, dass wohl viele Brücken inzwischen zum Betreten frei gegeben sind. Nicht verhehlen kann man, dass das natürlich häufig auch im Sinne einer political correctness zum guten Ton gehört und die Hegemonialansprüche selbsternannter akademischer Experten in Sachen Krankheit und Gesundheit nicht im Geringsten antastet. Bequemlichkeit ist auch nicht zu erwarten, lässt man sich ernsthaft darauf ein, dass man alles in der Psychiatrie auch von einer anderen Seite her betrachten kann. Dass diese Sichtweise im Brückenschlag nie in einer kämpferischen oder protesthaften Art vermittelt wurde, sondern einfach und selbstbewusst daher kam, ist den Herausgebern (Henning Poersel als Gründungsherausgeber darf da übrigens nicht vergessen werden) hoch an zu rechnen.
So können die Brückenbauer des Paranus-Verlags mit Stolz auf ihre Arbeit zurückblicken und das Projekt Brückenschlag wie ein erwachsen gewordenes Kind los lassen. Unmissverständlich machen sie aber klar, dass es letztlich ökonomische Gründe sind, die keine weiteren Ausgaben mehr zulassen.
Ich selbst habe seit vielen Jahren Brückenschläge gelesen, verschenkt, rezensiert und zwei Mal darin auch einen eigenen Text veröffentlicht. Der Geist dieser Zeitschrift lebt in der Arbeit des Paranus-Verlags natürlich weiter. Und wer nun denkt: Ja wenn ich davon gewusst hätte
, der kann bei www.paranus.de selbstverständlich noch neue und alte Ausgaben erwerben. Der Blick über den eigenen Tellerrand, das Interesse an der subjektiven Seite, der Sinn für das Kreative und Künstlerische, das Skurrile und Verfremdete, das sind auch angemessene Leitmotive für ein systemisches Selbstverständnis. Eindeutigkeit gibt es schon genug auf der Welt.
Deshalb ist es mir eine Randnotiz wert, dass der Büchermarkt um eine Perle ärmer wird.
Andreas Manteufel, Bonn