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Darwin und die Schönheit

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in der gestrigen Ausgabe der TAZ ist zum 200. Geburtsttag von Charles Darwin ein interessanter Artikel des Biologen und Philosophen Cord Riechelmann (Foto: Paul Blickle, Flickr) erschienen, der sich damit auseinandersetzt, dass sich die Selektion – und gerade die sexuelle Selektion – im Evolutionsprozess nicht zwangsläufig nach Kriterien der Fitness oder Stärke ausrichtet, sondern einem Wahlprozess verdankt, bei dem auch„ästhetische“ Momente eine Rolle spielen können:„Wenn sich nämlich die sexuellen Ornamente und ihre Träger wie auch ihre Bewerter über die Nachkommen in der Population ausbreiten können, dann liegt darin immer auch die Möglichkeit, dass das als schön Empfundene in„irgendeiner Weise zugleich ,gut‘ sei“. Und genau das ist in der aktuellen Evolutionsbiologie auch geschehen. Das Handikap der langen Federn wird als Qualitätsmerkmal interpretiert. Der Pfau sagt damit, schaut her, ich hab so gute Gene, dass ich mir selbst solche Federn leisten kann, die schwächere Kollegen reihenweise im Fuchsmagen enden lassen. Oder besonders ebenmäßige, symmetrische Gesichtszüge bei Menschen werden mit herausragender Gesundheit und Fruchtbarkeit der Träger assoziiert. Bei Darwin aber findet sich noch nichts dergleichen. Die Wahl ist bei ihm nur eine Wahl, und ein Merkmal breitet sich in der Population dann aus, wenn viele Individuen ein ähnliches Merkmal wählen und Nachkommen zur Welt bringen. Mit Stärke oder Gesundheit sind diese Merkmale bei Darwin nicht konnotiert. Und wenn man sich an seine Bemerkung über die Plan- und Regellosigkeit des Evolutionsprozesses erinnert, dann kann man aus seinen Gedanken nicht einmal schließen, dass Weibchen immer Männchen wählen müssen oder umgekehrt. Möglich bleibt alles, was sich zur Wahl anbietet. Und die Wahl trifft ein Individuum, keine Art, keine Rasse und auch kein Naturgesetz. In Darwins Konzeption kennt das Vermögen zur Wahl im sexuellen Geschehen keine normativen Vorgaben wie das Gute oder Gesunde. Die Natur verfährt ungeregelter, freier in ihrem Evolutionsprozess, als es die Gesetze der menschlichen Gesellschaften tun. Einfach auch deshalb, weil die sexuelle Selektion kein Naturgesetz ist. Sie kann, muss aber nicht stattfinden. Damit kann man auch verstehen, was Darwin für Michel Foucault so interessant machte: Aus der Evolution, wie Darwin sie dachte, lässt sich nichts anderes als eine dauernde Bewegung ableiten, kein Höher und auch kein Ziel. Entwickeln kann sich alles, und nichts bleibt, wie es ist. Das Sein der Lebewesen ist in ein Werden überführt worden, in dem Hermaphroditen genauso agieren wie Hirsche oder Pfauenhennen. Und ob sie gewählt werden oder nicht, hängt einzig vom„Geschmack“ der wählenden Individuen ab“
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