systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Cybernetics of Cybernetics

| 12 Kommentare

Heinz von Foerster

Heute vor 20 Jahren starb Heinz von Foerster, der Begründer der Kybernetik 2. Ordnung, an seinem Wohnort in Pescadero, Kalifornien, im Alter von 90 Jahren. Im von Klaus Krippendorff herausgegebenen Band „Communication and Control in Society“ (New York; Gordon and Breach) wurde ein kurzer Vortrag von ihm veröffentlicht, den er 1979 auf der Konferenz der American Society for Cybernetics (ASC) hielt. Darin fasste er noch einmal seine Grundgedanken zur „Kybernetik der Kybernetik“ zusammen: »Earlier I proposed that a therapy of the second order has to be invented in order to deal with dysfunctions of the second order. I submit that the cybernetics of observed systems we may consider to be first-order cybernetics; while second-order cybernetics is the cybernetics of observing systems. This is in agreement with another formulation that has been given by Gordon Pask. He, too, distinguishes two orders of analysis. The one in which the observer enters the system by stipulating the system’s purpose. We may call this a “first-order stipulation”. In a “second-order stipulation” the observer enters the system by stipulating his own purpose. From this it appears to be clear that social cybernetics must be a second order cybernetics—a cybernetics of cybernetics—in order that the observer who enters the system shall be allowed to stipulate his own purpose: he is autonomous. If we fail to do so somebody else will determine a purpose for us. Moreover, if we fail to do so, we shall provide the excuses for those who want to transfer the responsibility for their own actions to somebody else: “I am not responsible for my actions; I just obey orders.” Finally, if we fail to recognize autonomy of each, we may turn into a society that attempts to honor commitments and forgets about its responsibilities.«

Der vollständige Text ist hier zu lesen…

12 Kommentare

  1. Peter Müssen sagt:

    Lieber Lothar, eine sehr spannende und informative Diskussion, die Du mit Wolfgang und Tom geführt hast oder noch führst.
    Ich möchte auf einen ganz anderen Aspekt als die historischen Hintergründe hinweisen: Aus wissenschaftstheoretischer Sicht ist es wichtig, nicht den sogen. ‚Genetischen Fehlschluss‘ zu begehen. Wie Du sicher weißt, handelt es sich dabei um einen präsumtiven Fehlschluss, der von der Herkunft oder Genese – auch von der moralischen Qualität eines Autors – auf die sachlich-fachliche Validität, Wahrheit oder Begründbarkeit des Werkes (Konstruktivismus / reflexive Kybernetik) schließt.
    Ich erinnere an die Reaktionen auf das Werk von Bruno Bettelheim, als nach seinem Suizid 1990 ethisch-moralische Vorwürfe gegen ihn laut wurden. Selbst wenn diese berechtigt gewesen wären, sagt das nichts über die Qualität seiner Bücher aus, z.B. „Kinder brauchen Märchen“, das ich sehr schätze.
    Auf die weitere Unterscheidung zwischen Entdeckungs- und Rechtfertigungszusammenhang will ich hier jetzt nicht näher eingehen, wollte aber die Gefahr eines genetischen Fehlschlusses im Umgang mit HvF hinweisen.
    Herzliche Grüße, Peter Müssen

  2. Lothar Eder sagt:

    Im Zusammenhang mit HvF ist immer auch Kritik zu lesen. Die Macy Konferenzen, an denen er beteiligt war, seien vom CIA angestoßen und mitfinanziert worden, und auch das Biological Computer Laboratory, dessen Leiter v. Foerster war, sei vom Pentagon finanziert worden. Der Konstruktivismus, so lautet ein Vorwurf, sei letztlich Kind des militärisch-industriellen Komplexes.
    Meine Frage lautet: wie wird innerhalb der systemischen „Szene“ mit derlei Vorwürfen und Einwänden umgegangen, wie lautet die entsprechene Argumentation?

    • Lieber Lothar,
      ist das Dein einziger Einwand gegen Konstruktivismus? Dass auch hilfreiche Ideen von Interessenten gekapert werden (können), die diesen Ideen eher entgegenstehen, ist doch kein seltenes Phänomen, will mir scheinen, heutzutage wie menschheitsgeschichtlich. Daher mache ich mir im Moment eher Sorgen darum, dass und wie konstruktivistisches Denken von solchen vereinnahmt werden kann, die mit Fake News, alternative facts, Werbungsgeschwurbel, etc., ihre Geschäfte machen oder Einfluss nehmen wollen. Im Übrigen war die Gruppe der Leute, die ab Mitte der 1940er Jahre über Rückkoppelungsprozesse forschte, kein erratischer Block. Da gab es offensichtlich ebenso Konflikte und sich widersprechende Interessen, wie (sagen wir mal) im Bereich des Systemischen heutzutage (zu Recht setzt Du „Szene“ in Anführungszeichen, denn es sind viele mittlerweile). Norbert Wiener, der den Begriff „Kybernetik“ prägte, warnte gar vor einem maschinengenerierten „neuen Faschismus“. In meinem Rezensionsessay zu Lina Nagels Buch über Batesons Konflikttheorie habe ich das angesprochen (Kontext 4/2021, siehe: https://www.academia.edu/83609241/Rezensionsessay_zu_Lina_Nagel_2021_Kybernetik_Kommunikation_und_Konflikt_Nachrichten_von_Unterschieden_und_Muster_die_verbinden_ ). Und den seinerzeitigen Kontext dieser Entwicklung, inklusive Macy-Konferenzen spricht auch Tom Levold in seinem Lehrbuch-Beitrag „Zirkularität und Feedback: Kybernetisches Denken“ (2014) an.
      Mehr als die seinerzeitigen Förderumstände und Interessen des Militärs und anderer Lobbyisten interessiert mich allerdings, was weiter damit geschah. Und letztlich komme ich dann wieder einmal auf die Jaspers’sche Unterscheidung von Schuld und Verantwortung. Wenn ich mich kritisch an einem konstruktivistischen Denken orientiere (also weder radikal noch anbetend), bin ich nicht schuld an möglicher Vereinnahmung dieses Denkens durch Usurpatoren, aber verantwortlich dafür, aufmerksam zu sein, wenn dieses Denken unkritisch benutzt und wenn in seinem Namen Unheil angerichtet wird. Und dann bin ich wieder bei HvF und seinen Überlegungen zu einer Kybernetik 2. Ordnung, die Lutterer besser als „Reflexive Kybernetik“ bezeichnet. Ich stimme dem unbedingt zu, wenn HvF wie in dem hier vorgestellten Beitrag vor gesellschaftlichen Entwicklungen warnt, die das Herausreden auf Befehl und Gehorsam fördern und eher ein Gegeneinander als ein Miteinander unterstreichen. Das dürfte der CIA sicher nicht gefallen haben…

      • Lothar Eder sagt:

        Lieber Wolfgang,
        danke für Deine Antwort. Ich habe mit meinem Kommentar keinen Einwand gegen „den“ Konstruktivismus formuliert, sondern Einwände, von denen ich Kenntnis habe und die mich nachdenklich gestimmt haben, berichtet.
        Meine Einwände oder Kritikpunkte am Konstruktivismus habe ich an anderer Stelle formuliert und die sind Dir sicherlich bekannt.
        Darum geht es mir hier aber nicht. Falls die Behauptungen stimmen, dass HvF finanziert und im Auftrag von CIA und Pentagon tätig war, wirft dies mE ein anderes Licht auf diese Theorie und ihre Wirkungen.
        Die amerikanischen Geheimdienste haben seit dem Krieg sehr viele psychologische Forschungsprojekte angestoßen und finanziert, die sich allesamt mit den Methoden verdeckter Verhaltensmanipulation beschäftigen, die täglich in den Medien und von Regierungen ihre Anwendung finden. Das muss einem – finde ich – erheblich zu denken geben.
        Und ist es nicht ein Unterschied, ob jemandes Erkenntnisse „falsch“ verwendet werden oder ob der von derartigen Geldgebern bezahlt wird?
        herzliche Grüße, Lothar

        • Lieber Lothar,
          Deine Frage klingt einfach und auf den ersten Blick lädt sie zu einer einfachen, eindeutigen, gewissensfrohen Antwort ein. Auf den zweiten Blick wird klar, dass es nicht so einfach ist, wenn der Kontext mitberücksichtigt wird. Und der Kontext der frühen Phase der modernen Kybernetik ist eben der 2. Weltkrieg. Und dieser Hinweis entschuldigt nichts, lässt für mich jedoch einiges nachvollziehbarer erscheinen, verständlicher – auch wenn ich nach wie vor „make love, not war“ bevorzuge. Dass im Verlauf dieses WK II auch die Quantenphysik ihre Unschuld verlor, kostete Hunderttausende ihr Leben. Und doch würden wir ohne (wie auch immer finanziell auf den Weg gebrachte) Erkenntnisse der Quantenphysik heutzutage kaum noch zurechtkommen (auch ohne die mathematischen Formalismen zu kennen), so sehr ist unser technischer Alltag davon beeinflusst (ob mir das gefällt oder nicht). Und HvF kam etwa um diese Zeit in die USA und musste sehen, wie er zurechtkam. Da orientiere ich mich erst einmal an die von ihm selbst erzählte Lebensgeschichte (hier: In HvF & Monika Bröcker: Teil der Welt – Fraktale einer Ethik, z.B. S.152ff. oder S.196ff.) Da kommt mir dann eher ein Mensch in den Blick, der, mit Witz und Wissen ausgestattet, die Gelegenheiten ergriff, in denen seine Qualitäten gefragt waren. Mag sein, dass auch die Macy-Konferenzen vom militärisch-industriellen Komplex ausgenutzt wurden, doch scheint mir die Historie eher für ein persönliches (familiär bedingtes) Interesse der Familie Macy zu sprechen (S.165f.), die den Treffen den Namen und die Finanzierung gab.
          Es gibt im Übrigen eine sehr informative Übersicht zur Entwicklung der Kybernetik: https://asc-cybernetics.org/foundations/timeline.htm Und da findet sich inmitten von fachspezifischen Entwicklungsinfos auch unvermittelt der Satz: „Carl Rogers establishes his patient-centered approach to therapy (circa 1942).“ Auch Rogers vom CIA gekauft? Der erste Blick auf die Notwendigkeit, das therapeutische Geschehen per KlientInnen-Feedback zu optimieren, eine Idee des Militärs? Ich fürchte, so einfach ist das alles nicht. Auch die Geschichte des „Biological Computer Lab“, das HvF gegründet hat, kommt nicht ohne Finanzierung des „Office of Naval Research“ aus, HvF beschreibt das selbst (S.212). Das kann man alles anrüchig finden, ja, aber letztlich komme ich immer wieder auf die Unterscheidung zwischen Schuld und Verantwortung. Als ethisches Übungsfeld und grundlegendes Thema sollte das lebendig bleiben, aber nicht als ausgrenzender Vorwurf.
          Und auf was wolltest Du eigentlich hinaus?

          • Lothar Eder sagt:

            Lieber Wolfgang,
            wenn ein Wissenschaftler sich von Organisationen, die sich bekanntermaßen durch die Welt foltern und morden und ebenso bekanntermaßen die Foltermethoden aus Dachau dokumentiert und ihre „Anwendung“ „verfeinert“ haben (s. das Projekt „Kubark“), finanzieren lässt, dann finde ich das nicht „anrüchig“, sondern schlichtweg indiskutabel.
            Mir geht es aber im wesentlichen nicht um die Person HvF und Urteile über oder gegen ihn.
            Mir geht es um die Frage, welche Zwecksetzungen die CIA und das Pentagon verfolgt haben, eben diese Theoriebildung zu fördern. Während zeitgleich z.B. Wilhelm Reich verfolgt wurde, seine Bücher verbrannt wurden und er in Haft genommen wurde, in der er unter nicht geklärten Umständen verstarb (eine Obduktion des Leichnams wurde verweigert).
            Mich interessiert die Frage, welchen Vorteil Geheimdienste sich von einer Theorie wie den Konstruktivismus versprechen, während sie in Reichs Ansatz eine Gefahr sahen.
            Was ist am Konstruktivismus aus Sicht des poitischen Systems dienlich und was an der Vegetotherapie dem System gefährlich?
            Diese Frage beschäftigt mich, ohne dass ich abschließende Antworten darauf habe.

    • Tom Levold sagt:

      Lieber Lothar,
      ich habe mal ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass die Kritik, die du ansprichst, doch eher aus dubiosen Quellen stammt (christian science o.ä.). Falls das anders sein sollte, wäre ich an der Offenlegung deiner Quellen interessiert.
      Natürlich hatte die Beschäftigung mit Kybernetik einen politischen und militärischen Hintergrund. Im zweiten Weltkrieg gab es ein Wettrennen bei der Entwicklung von Waffen bzw. Raketen, die in der Lage waren, ihre Flugbahn beim Abschuss auf bewegliche Ziele eigenständig zu verändern – ein Projekt, das nicht nur in den USA betrieben wurde, sondern auch auf deutscher Seite (deren Akteure aufgrund des verlorenen Krieges nicht in die Geschichte eingegangen sind). Die dafür notwendige Grundlagenforschung wurde von der US-Regierung und dem Pentagon bis in die 60er Jahre hinein finanziert, zumal man wusste, dass auch die Sowjetunion sich viel von der Kybernetik als Steuerungswissenschaft versprach. Da Grundlagenforschung sehr teuer ist (und keine prognostizierbaren Erfolge garantieren kann), sind natürlich Staaten (oder andere potente Akteure mit eigenen Interessen) immer als Finanziers an Bord.
      Die Macy-Konferenzen sind allerdings weder vom CIA (den es erst seit 1947 gibt, die Konferenzen schon viel länger) angestoßen noch finanziert worden. Macy war ein Kaufhaus-Mogul mit einer kranken Tochter und hat eine Stiftung gegründet, die sich zunächst primär mit medizinischen Themen beschäftigte. Frank Fremont-Smith, der die Programme der Stiftung leitete, war an Kybernetik interessiert und mit Gregory Bateson und Margaret Mead befreundet – sie waren nachhaltig daran beteiligt, dass Gelder der Stiftung für die folgenden Macy-Conferences über Kybernetik ausgegeben wurden.
      Allerdings gab es kurzzeitig eine mögliche Verbindung zur CIA, als Fremont-Smith Harold Abramson als Gast zur Sechsten Kybernetik-Konferenz eingeladen hatte. Abramsons Arbeit verdeutlicht die vielfältigen – verdeckten und offenen – Zwecke, die mit Konferenzen verfolgt werden können. Steven Heims zitiert Abramson wie folgt: »“Die Macy Foundation hat mir persönlich durch den Einfluss von Dr. Fremont-Smith in ihrem Vorstand geholfen, ein Forschungsprojekt zu organisieren, das die Wirkung von LSD auf Menschen und Fische wissenschaftlich untersucht. . . LSD war damals (1950) eine sehr bedrohliche Substanz, weil man nicht wusste, wie es sich bei wiederholter Einnahme auf das menschliche Gehirn auswirken würde. Um ein derartiges Projekt in einer Institution zu starten, musste man eine offizielle Genehmigung einholen. Man brauchte eine besondere Genehmigung von Leuten, die sich in der Forschung auskannten und deren Urteilsvermögen als einwandfrei galt. Ich bat daher Dr. Fremont-Smith, sich an das Krankenhaus zu wenden, in dem ich diese Experimente durchführen wollte …. So wurde ein multidisziplinäres Projekt ins Leben gerufen. Ohne Dr. Fremont-Smiths Einsicht in multidisziplinäre Probleme, bei denen es um Mensch und Chemie geht, hätte sich das Projekt meiner Meinung nach nicht so entwickeln können“. Abramsom, der mit der Columbia University und dem Mt. Sinai Hospital in Verbindung stand, vergisst dabei zu erwähnen, dass er auch für die U.S. Central Intelligence Agency (CIA) arbeitete, die nach „Bewusstseinskontrolldrogen“ suchte, um „das Verhalten eines Individuums mit verdeckten Mitteln zu verändern“, nach wahrheitsfördernden Drogen für Verhöre von Gefangenen, nach Drogen, die man in das Trinkwasser einer Stadt geben könnte, um die Bevölkerung passiv zu machen, und nach Drogen für andere militärische und bösartige Zwecke. Die CIA interessierte sich besonders für das Halluzinogen LSD, und Abramson war maßgeblich daran beteiligt, die LSD-Forschung in ihrem Namen voranzutreiben und die neuesten Erkenntnisse an den Geheimdienst weiterzuleiten“«. (Übersetzt mit Deepl aus: Heims, The Cybernetics Group, S. 168). Ansonsten findet sich bei Heims, dem besten Kenner der Macy-Konferenz-Geschichte, kein Hinweis auf die Involvierung der CIA. Abramson war aber offensichtlich am MK-Ultra-Projekt der CIA aktiv beteiligt, mit dem die Beeinflussung von Menschen durch heimliche Verabreichung von Drogen untersucht wurde und das nach Bekanntwerden in der Öffentlichkeit Ende der 70er Jahre abgebrochen wurde. Eine Verbindung von Abramson mit Heinz von Foerster über die bloße Teilnahme an dieser Konferenz ist nicht bekannt.
      Was Heinz von Foerster betrifft, so wurde seine Arbeit übrigens nicht von der CIA, sondern vom Office of Naval Research und der Air Force, also von Luftwaffe und Marine gefördert, bis sie nach Aussagen von Heinz von Foerster erkannten, dass seine Forschung für sie in militärischer Hinsicht völlig wertlos sei.
      Dass es im kalten Krieg ein Interesse an den kybernetischen Forschungen seitens der Regierungen in den USA und in der Sowjetunion gab, ist belegt – und trivial. Die Frage ist ja eher, ob die geförderten Forscher sich haben für die Ziele ihrer Geldgeber einspannen lassen oder nicht. Heinz von Foerster hat immer klargestellt, dass dies nicht der Fall war – und Gegenbehauptungen müssten in irgend einer Weise substantiiert werden können. Alle seine Arbeiten machen vielmehr seine allen einseitigen Machtinteressen entgegengesetzte Grundhaltung deutlich.
      Laut Stuart A. Umpleby (A Short History of Cybernetics in the United States, ÖZG 19.2008.4) traf sich in den 1960er Jahren, also viel später (die letzte Macy-Konferenz zur Kybernetik fand 1953 statt) ein Kybernetik-Club in Washington DC, zu deren Teilnehmern u.a. Paul Henshaw (Atomic Energy Commission), Carl Hammer (Univac) Jack Ford (CIA), und Douglas Knight (IBM) gehörten. Diese Gruppe gründete die Amerikanische Gesellschaft für Kybernetik (ASC). Hier ist eine klare Einflussnahme der CIA durch John Ford belegt, der seit den 1950er Jahren die sowjetische Kybernetik studierte und auch ein Executive Director der ASC wurde. Eine Konferenz über die sozialen Auswirkungen der Kybernetik fand 1964 an der Georgetown University statt . Die erste von der ASC organisierte Konferenz wurde 1967 im National Bureau of Standards in Gaithersburg, MD, abgehalten. Die ASC scheiterte jedoch schnell mangels Initiativen und Potential in den 1970er Jahren und wurde erst in den 1980er Jahren wiederbelebt (Stuart Umpleby: Reviving the American Society for Cybernetics, 1980-1982, Cybernetics and Human Knowing. Vol. 23 (2016), no. 1), u.a. durch die intellektuelle Richtungsgebung durch Heinz von Foerster, der die Gesellschaft mit seiner Idee der Kybernetik zweiter Ordnung inspirierte. Während sich andere Gesellschaften auf die technischen Aspekte der Kybernetik konzentrierten, legte die ASC den Schwerpunkt nunmehr auf die Theorie und die Philosophie in den Bio- und Sozialwissenschaften, hatte aber auch nicht mehr viel mit der Gründungsgruppe gemein.
      Dass die amerikanischen Geheimdienste, wie du schreibst, sehr viele psychologische Forschungsprojekte angestoßen und finanziert haben, die sich mit den Methoden verdeckter Verhaltensmanipulation beschäftigen und die aktuell in den Medien und von Regierungen ihre Anwendung finden, ist richtig und belegt, eine Beteiligung oder Mitverantwortung daran Heinz von Foerster in die Schuhe zu schieben, ohne dafür Belege zu liefern, finde ich meinerseits nicht akzeptabel.
      Aber vielleicht weißt du da ja mehr als ich? Dann würde ich mich über die Offenlegung deiner Qellen freuen.
      Herzliche Grüße, Tom

      • Lothar Eder sagt:

        Lieber Tom,
        danke für Deine Reaktion und wie immer bin ich beeindruckt von Deinem Kenntnisreichtum.
        Um in Deinem Bild zu bleiben: ich will HvF nichts in die Schuhe schieben. Vielmehr interessiert mich, was sich in seinen Schuhen befindet, ob es ihm bewußt war oder nicht.
        Und ich habe versucht, klarzustellen, dass es mir im Wesentlichen nicht um die Person HvF geht. Da es mir nicht immer gegeben ist, mich diplomatisch auszudrücken, war mein voriger Kommentar vielleicht zu pointiert formuliert. Andererseits ist es für mich schwer vorstellbar, dass das Militär Forschung zahlt, von der es sich nichts verspricht. Und wer hat das Labor von HvF bezahlt, nachdem dem Militär klargeworden ist, dass sie davon nichts haben? Hat er andere Finanziers gefunden?
        Die Vorstellung, dass man sich „einspannen“ läßt für Auftraggeber oder eben nicht, ist mE zu einfach. Das passt für plumpe totalitäre Systeme wie die NS oder die Sowjets.
        Die Verhaltens- und –Bewusstseinsmanipulation der Geheimdienste und mit dem Staat assoziierten Organisationen – manche „Verschwörungstheoretiker“ behaupten gar, diese seien die eigentlichen Lenker des Geschehens – haben spätestens seit den 10er Jahren des 20. Jh. Techniken angewandt, das öffentliche Bewußtsein iS ihrer Zwecke zu manipulieren. Der erste „Lieferant“ dieses Wissens war der Neffe von Sigmund Freud, Edward Bernays. Er machte klar, dass Demokratien gelenkt werden müssen und es dafür Technologien braucht, die er engineering of consent nannte. Im Gegensatz zu Einschüchterung durch Gewalt (z.B. bei den NS) geht es hier um soft power: Bewußtsein und Verhalten von Menschen in Richtungen zu lenken mithilfe von guten Gefühlen und attraktiven Zielen und Begriffen. Aktuelles sehr einfaches Beispiel: die aktuelle Regierung nennt ihre Schulden in Milliardenhöhe neuerdings „Sondervermögen“. „Vermögen“ klingt einfach besser als „Schulden“. Dem kann ich besser zustimmen, als wenn die Regierung Schulden macht, die ich bezahlten muss. Und alles was „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ etc. heißt, dem kann man doch nur zustimmen. Wir werden mit derlei Begrifflichkeiten manipuliert. Rainer Mausfeld hat hierzu viel Erleuchtendes veröffentlicht.
        Nach dem Krieg wurden viele Wissenschaftler und wissenschaftliche Aktivitäten von Militär und Geheimdienst bezahlt. Wer Geld erhält und seine Existenz davon bestreiten kann, fragt vielleicht nicht nach den Interessen des Zahlers, hinterfragt sie nicht, sondern ist einvernommen. Es ist ja auch nichts Böses, es schadet vordergründig nicht, wenn man z.B. soziale Anpassungsprozesse erforscht.

        Nun komme ich nocheinmal zu der Frage, die mich beschäftigt, und ich dachte, ich stelle sie hier einmal, vielleicht bin ich ja nicht der einzige, den das interessiert. Wie kommt es (so denn die Behauptung stimmt), dass in dem Fall das Militär als Organ eines Staates ein Interesse an dieser Art des Denkens und entsprechender Erkenntnisse hat? Während es an anderen Formen des Forschens über menschliche Veränderung kein Interesse hat bzw. es bekämpft. Das Paradebeispiel für mich ist Wilhelm Reich. Beide Vorgänge spielten sich zeitgleich ab. Der deutsch-amerikanische Kulturanthropologe Wolf-Dieter Storl berichtet, dass er Mitte der 60er Jahre an der Kent State Universität in ein Eliteprogramm eingeladen wurde, in dem es darum ging, wie die USA die Kultur und das Denken von Gesellschaften rund um die Welt beeinflussen können. „wenn wir erst in jedes Dorf in Indien einen Fernseher gebracht haben, haben wir sie“, so das Motto. Das Programm nannte sich Green Revolution. Er ist nach kurzer Zeit wieder ausgestiegen. Er berichtet auch über Margret Mead, die damals nach seinen Beobachtungen für eine Aufhebung aller nationalen und ethnischen Grenzen plädiert hat und wie selbstverständlich für Englisch als weltweite Einheitssprache eingetreten ist. Auch hier legt er nahe, dass die damaligen Forschungsergebnisse für manipulative Zwecke verwendet wurden. Wen ich besser verstehe, den kann ich besser manipulieren. Hier gibt es eine mE bestechende Parallelität zu den Ideen aus den US-amerikanischen Thinktanks (z.B. Strauss, Neocons, Breszinski), die für eine Welt unter US-amerikanischer Prädominanz eintraten.
        Es könnte also sein, ich formuliere es vorsichtig, dass vordergründig liberale und humanistische Bestrebungen vorne in der Auslage liegen und die Erkenntnisse und Haltungen dieser Bewegungen im Hinterzimmer für ganz andere Zwecke utilisiert werden.
        Das aber, muss man sich, das ist meine Meinung, sehr genau anschauen.
        Also nochmal in aller Kürze: was interessiert Militär (CIA, FBI etc.) am Konstruktivismus und was missfällt ihnen an der Reichianischen Körpertherapie?
        sei herzlich gegrüßt von Lothar

        • Lieber Lothar,
          aus Deiner Antwort an Tom entnehme ich, dass es Dir nicht um die Entwicklungsgeschichte konstruktivistischer Theorien und entsprechenden Denkens geht. Auch nicht darum, ob das „an sich“ vernünftig, brauchbar oder nachvollziehbar ist. Du hast, woran Du erinnerst, Deine Kritik daran ja schon an anderen Stellen veröffentlicht. Wir können also, wenn ich das recht verstehe, Darlegungen zu einer konstruktivistischen Sicht der Dinge, zu kybernetischen Theoremen und deren Herleitung, sowie zur Person HvF zur Seite stellen. Wenn ich Dich recht verstehe, geht es Dir um Grundsätzlicheres, zusammengefasst in Deiner Vermutung: „Es könnte also sein, ich formuliere es vorsichtig, dass vordergründig liberale und humanistische Bestrebungen vorne in der Auslage liegen und die Erkenntnisse und Haltungen dieser Bewegungen im Hinterzimmer für ganz andere Zwecke utilisiert werden.“ Ich kann dem folgen, jedenfalls im Prinzip (ich stolpere über die Zuschreibung „vordergründig“ und frage mich, welche Vorannahme Dich da geleitet hat. Wird (bspw.) die Bergpredigt „vordergründig“, wenn sie vordergründig, also missbräuchlich verwendet wird? Aus meiner Sicht bleibt sie selbst auch in diesem Fall zentral). Ich vermute auch, dass es manchmal oder oft so ist. Und ich denke auch, dass es vermutlich leichter ist, die hier unterstellten Zwecke mit Hilfe eines konstruktivistischen und kybernetischen Vokabulars zu verfolgen als mit (sagen wir) dem Vokabular Poppers. Unabhängig davon halte ich es (vermutlich wie Du) für notwendig, die verfälschende Verwendung von humanistischen Werten kritisch im Blick zu haben und sich dagegen zu wehren (zu den Arbeiten von Herrn Mausfeld gab es ja auch schon im systemagazin zu lesen: https://systemagazin.com/foltern-fuer-das-vaterland/ ; oder zu Kybernetik als staatlich genutzte Kontrollvariante: https://systemagazin.com/stafford-beer-salvador-allende-und-das-schicksal-der-kybernetik-in-chile/ ).
          Ich verstehe Deine Argumentation jedoch so, dass Du diesen Aspekt nicht als eine globale und generelle Angelegenheit betrachtest, die aufmerksam zu verfolgen ist, recherchiert und belegt, und als Beobachtung rückgekoppelt in die öffentliche Aufmerksamkeit. Das wäre jedenfalls das, was ich für notwendig halte. Nicht folgen möchte ich jedoch einem einseitigen Fokus auf irgendeinen Geheimdienst, bzw. auf die eines einzigen Staates. Das schürt eher Ressentiments als das es zu einer verbündeten Aufmerksamkeit beiträgt. Fragen ließe sich ja auch, wieso die Mittelsteuerung durch US-amerikanische Geheimdienste leichter nachverfolgt werden kann als die von Geheimdiensten in anderen Regionen der Erde? Könnte das nicht auch an einem humanistischeren Kontext eben dort in den USA liegen?
          Deine Frage schließlich: „was interessiert Militär (CIA, FBI etc.) am Konstruktivismus und was missfällt ihnen an der Reichianischen Körpertherapie?“ lässt sich wohl nur als eine Form von Vermutung, Meinung oder Vorwurf beantworten, außer mit: Wer von uns kann das wissen?! Wer kennt Militärs oder MitarbeiterInnen US-amerikanischer Geheimdienste, die dazu etwas sagen könnten, wenn sie wollten? Solange keine Antwort aus diesen Kreisen bekannt ist, bleibt es bei Mutmaßungen, sofern keine anderweitige faktenbasierter Recherche eine begründete Überlegung stützt.
          Ich danke Dir jedenfalls für diesen Anstoß. Und bin jetzt raus.

        • Tom Levold sagt:

          Lieber Lothar,
          zur Frage der Finanzierung des Labors von Heinz von Foerster steht in der Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Biological_Computer_Laboratory): „Das BCL finanzierte sich vor allem über Drittmittel. Insbesondere die militärischen Organisationen US Air Force und US Navy verfügten in den 50er und 60er Jahren über große Etats für Grundlagenforschung, die auch für nicht-militärische Bereiche zur Verfügung standen. Weitere Geldgeber waren: Department of Health; Education and Welfare; Public Health Service; National Institutes of Health; National Science Foundation, Washington, Wenner-Gren Foundation for Anthropological Research, New York; National Aeronautics and Space Administration, Electronics Research Center, Boston, Massachusetts; Office of Education, Bureau of Research, Washington, D.C. und POINT, San Francisco, California. Mit Beginn der 1970er Jahre musste die Vergabe militärischer Forschungsgelder aufgrund des Mansfield-Amendments auf Projekte beschränkt werden, die militärisch nutzbare Ergebnisse lieferten. Es gelang Heinz v. Foerster nicht, gleichwertige Sponsoren zu finden.“ Und: „Schwerpunkt der Forschung am BCL waren die Systemtheorie und speziell der Bereich selbstorganisierender Systeme und der Bionik, dem Versuch biologische Prozesse zu analysieren, zu formalisieren und auf Rechnern zu implementieren. Damit knüpfte das BCL sowohl an die Ideen von Warren McCulloch als auch an die Macy-Konferenzen an.“
          Was sich das Militär davon erhoffte, ist eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann.
          Allerdings ist es eher normal als ungewöhnlich, dass das Militär in Forschung investiert (auch wir haben ja Bundeswehrhochschulen, an denen auch Wissen generiert und gelehrt wird, das keinen unmittelbar militärischen Gewinn abwirft). Aber wie gesagt, war die Förderung des BCL durch die Armee vorbei, als Geld nur noch für militärische Zwecke ausgegeben werden durfte.
          Geheimdienste haben nicht zu den Geldgebern von Heinz von Foerster gehört und ich halte das für eine bedeutsame Unterscheidung.
          Allerdings haben viele Wissenschaftler durchaus für die Geheimdienste gearbeitet. Die Nutzung von Wissenschaftlern durch den amerikanischen Staat, sein Militär und seine Geheimdienste war anfangs eng mit dem Krieg gegen Nazi-Deutschland verbunden. Der Vorläufer der CIA, das OSS (Office of Strategic Services) wurde nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor zur operativen Beschaffung von Informationen, Desinformation, psychologische Kriegsführung, Partisanen-Unterstützung, asymmetrische Kriegsführung, Sabotage und Spionageabwehr gegründet und existierte von 1942 bis 1945. Es ging u.a. darum, verfügbare Informationen über den Feind, die Mentalität und Stimmung im deutschen Volk etc. auszuwerten. Zu diesem Zweck wurden in kurzer Zeit zahlreiche Wissenschaftler (viele davon Emigranten) rekrutiert. Der Chef der amerikanischen Geheimdienste, William Donovan zeigte „ein besonderes Interesse an der Rekrutierung von Wissenschaftlern und Gelehrten unterschiedlichster akademischer Disziplinen, wie z.B. den Wirtschaftswissenschaften, der Geschichte, Publizistik, Dramaturgie, Politikwissenschaft, Sprachwissenschaft, Soziologie, Anthropologie, Geografie, Psychiatrie, Psychologie und – nicht zuletzt – der Psychoanalyse. Nicht nur Spezialisten, die in großer Zahl Universitätsprofessuren innehatten, wurden für die geheimdienstliche R&A-Arbeit [Research & Analysis] rekrutiert, sondern auch ihre Studenten, Assistenten und/oder Protegés“ (Knuth Müller: Im Auftrag der Firma. Geschichte und Folgen einer unerwarteten Liaison zwischen Psychoanalyse und militärisch-geheimdienstlichen Netzwerken der USA seit 1940, S. 54). Seit 1982 sind auch viele Namen dieser Wissenschaftler bekannt, darunter Gregory Bateson, Abram Bergson, Crane Brinton, Norman O. Brown, Ralph Bunche, Gordon A. Craig, John K. Fairbank, Franklin Ford, Felix Gilbert, Arkadi Gurland, John Herz, Hajo Holborn, Max Horkheimer, H. Stuart Hughes, Alex Inkeles, Morris Janowitz, Carl Kaysen, Sherman Kent, Otto Kirchheimer, Wassily Leontief, Franz Leopold, Kurt Lewin, Leo Löwenthal, Charles Kindleberger, Leonard Krieger, Herbert Marcuse, Paul Massing, Margaret Mead, Barrington Moore, Franz Neumann, Walt Rostow, Arthur Schlesinger, Carl Schorske, Edward Shils, Hans Speier, Paul Sweezy, Edward C. Tolman oder Carl Zuckmayer (ebd. S. 57). Gregory Bateson fertigte z.B. Studien über deutsche Propaganda-Filme für das OSS an.
          Ein Untersuchungsbericht für Präsident Roosevelt über das OSS fiel übrigens vernichtend aus, das kommunistische Element sei von gefährlicher Größe und es könne bei weiterer Tätigkeit zu Schäden gegenüber der Bevölkerung, den Geschäftsinteressen und nationalen Interessen der USA führen (ebd. S. 53). Nach dem Sieg über den Faschismus wurde die Sowjetunion der Hauptfeind der USA und die geheimdienstlichen Tätigkeiten erhielten eine neue Stoßrichtung. Dass die CIA neben ihren kriminellen Einsätzen zur Beeinflussung von Wahlen, Beseitigung unliebsamer Politiker Programme zur Verhaltens- und –Bewusstseinsmanipulation der Bevölkerung vieler Länder entwickelte und wohl auch noch bis heute in dieser Richtung arbeitet, ist offenkundig, übrigens von Anfang an unter Benutzung der nationalsozialistischen Praktiken. Dazu schreibt Müller: „Aufgrund der US-amerikanischen Praxis, unmittelbar nach dem Krieg nationalsozialistische Fachkräfte anzuwerben und auf illegale Weise ins Land zu schleusen – eine Praxis, die auch von anderen Ländern (England, UdSSR, Frankreich etc.) geteilt wurde -, gelangten NS-Fachleute sowie ihre Daten, Techniken, Methoden und Erfahrung über psychologisch-psychiatrisch-medizinische KZ-Versuche in die Hand der US-»Intelligence Community«. In einigen Fällen dienten diese NS-Datensätze als Grundlage für US-amerikanische Menschenexperimente der Jahre 1947-1972. Notwendig wurde dieses Kapitel, da Parallelen zwischen den von den Nazis genutzten Folterpraktiken und jenen Methoden und Techniken bestehen, die in Guantánamo Bay erneut experimentell beforscht und angewendet sowie in andere US-Internierungslager exportiert wurden, um dort als »Standard Operating Procedures« (SOP) zu dienen. Die SOPs, darunter einzelne, durch CIA- und Militärpersonal routinemäßig eingesetzte Methoden zur psychischen »Brechung« von Gefangenen, die einzeln oder in Kombination miteinander zu ausgefeilten psychologischen Folterbatterien avancierten, basieren wiederum auf Experimenten jener medizinisch-psychologischen Experten, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg Einblick in die Datensätze nationalsozialistischer Menschenexperimente erhielten“ (ebd., S.34).
          Ich nehme mal an, dass du auf diese Praktiken in deinem ursprünglichen Kommentar zu meinem HvF-Post anspielst. Allerdings geht es hier um Prozesse, mit denen Heinz von Foerster nichts zu tun hatte, wohl aber viele Ärzte, Psychologen und Psychoanalytiker. Dieser Verstrickung ist das überaus materialreiche Buch von Knuth Müller gewidmet (750 Seiten sowie ein Extra-Band als Anhang mit über 5000 Fußnoten). Dabei handelt es sich nicht nur um einzelne Wissenschaftler, die sich in den Dienst der CIA und ihrer Methoden gestellt haben, sondern auch die Amerikanische Psychoanalytische Vereinigung hat als Verband mit der CIA zusammengearbeitet. Gleiches gilt für die Amerikanische Psychologische Vereinigung (siehe hier https://www.systemagazin.de/buecher/neuvorstellungen/2012/05/harris_botticelli_first_do_no_harm.php). Insofern finde ich deine Ausgangsfrage berechtigt, sie richtete sich nur an den falschen Adressaten.
          Ich kann das Buch von Müller nur nachhaltig empfehlen (auch wenn sich einem bei der Lektüre manchmal der Magen umdreht), hier eine Leseprobe: https://www.psychosozial-verlag.de/pdfs/leseprobe/9783837925241.pdf.
          Was deine „Frage in Kürze“ betrifft: Das Militär hat sich wohl kaum für Konstruktivismus interessiert (deswegen wurden HvF wohl auch die Gelder gestrichen). Was sicher von Interesse war, war die Kybernetik als Steuerungs-Technologie (ursprünglich in der Waffenentwicklung, später bis in die 1970er Jahre als Steuerungsphantasie für ganze Gesellschaften – ein Programm, das auch in der Sowjetunion angesagt war). Aber hier ging es um die Kybernetik 1. Ordnung, die HvF ja in seinem Werk massiv kritiert.
          Und die zweite Frage: Ich weiss nicht, ob sich das Militär überhaupt mit Wilhelm Reich beschäftigt hat (wohl eher nicht), allerdings das FBI schon 1939 und später auch die CIA. Ihr Problem war aber wohl nicht die Körpertherapie, sondern dass Reich ein Kommunist war und eine freie Sexualität vertrat, was ihn in den USA der Nachkriegsjahre zum Feind machte (so wie er schon zuvor von der Psychoanalytischen Vereinigung zum Feind erklärt wurde). Ein interessanter Artikel hierzu: Philip Bennett (2010): The persecution of Dr. Wilhelm Reich by the government of the United States. In: Int. Forum of Psychoanalysis, 19 (1), S. 51–65. (Abstract: The case against Wilhelm Reich, brought by the Food and Drug Administration, has been admirably detailed in Wilhelm Reich vs. the U.S.A. by Jerome Greenfield. Less well known are two other intertwined investigations of Reich, the first by the Federal Bureau of Investigation, which led to his imprisonment for nearly a month after the USA declared war on Germany in 1941; and the second by the Immigration and Naturalization Service, in an attempt to remove his naturalized citizenship and deport him. This paper examines in detail these two assaults on Reich, placing them within the historical context of a lifetime of marginalization and denunciation by authorities, from the Communist Party in Germany to the International Psychoanalytic Association to academic biologists in Norway to right-wing Christian moralists in the USA and finally to agencies of the US government.)
          Soweit für heute!
          Herzliche Grüße, Tom

          • Lothar Eder sagt:

            Lieber Tom und Mitlesende,
            jetzt will auch ich ein Ende machen, es hat genug Worte gegeben, danke an alle für die Beteiligung.
            Noch einige Bemerkungen zu Reich: er, der österreichische Jude, ist vor den NS geflohen, wurde von den Psychoanalytikern und den Kommunisten exkommuniziert und zuletzt von den Gralshütern von Freiheit und Demokratie ins Gefängnis gesteckt, was er nicht überlebt hat. Zweimal in seinem Leben wurden seine Bücher verbrannt: erst von den NS, dann von den Gralshütern von Demokratie und Freiheit. Das kann einem zu denken geben.
            Wer so sehr von allen Seiten bekämpft wird bis hin zur existentiellen Vernichtung, der muss einiges richtig gemacht haben. Reich war einer derjenigen, die uns Wege aus dem „cogito ergo sum“ gezeigt haben. Hin zum „spiro“ bzw. „sentio ergo sum“. Das kann, so kann ich selbst berichten, einiges an Befreiung mit sich bringen. Und womöglich ist es für politische/wirtschaftliche Systeme unheimlich oder gar gefährlich, wenn Individuen sich befreien, sie sind weniger manipulier- und steuerbar. Sie glauben nicht mehr alles und lassen sich nicht mehr so leicht Angst machen oder Feinbilder vorgaukeln. Schon garnicht sind sie kriegsbereit, weder aktiv noch passiv. Soweit meine persönlichen Gedanken dazu – nochmal danke für alle Beiträge und Anregungen.

  3. Spannender Text, der sich vermutlich erst recht erschließt beim Vorstellen, wie in echt HvF seine Rede hier vorgetragen hat. Erst dann könnte vielleicht die Spannung zwischen den Worten und ihrem Gebrauch zum Tragen kommen. Beim reinen Lesen bleiben interessante Stolperstellen, z.B. beim Versuch, diesen Satz gegen Ende ins Deutsche zu übersetzen, bei dem ich zu der Version komme: “Und schließlich, wenn es uns nicht gelingt, die Autonomie von jeder und jedem anzuerkennen, könnten wir uns in eine Gesellschaft verwandeln, die versucht, Verpflichtungen einzugehen und ihre Verantwortung zu vergessen“ (wobei allein schon bei der Übersetzung des Originalsatzes eine Reihe interessanter Unschärfen entstehen, zu denken etwa an die unterschiedlichen Färbungen von „recognize“: begreifen, verstehen, erkennen, anerkennen, würdigen. Oder auch von „responsibilties“. Da ließe sich u.a. das Bonmot formulieren: (…) Verpflichtungen einzugehen und die Pflichten zu vergessen…). Was genau könnte das bedeuten? Auf wie vielfältige Weise könnte das Erkenntnis stimulieren, und wenn wir Glück hätten zu konstruktivem und freundlichem Missverstehen anregen.
    Und vielleicht könnte dann auch die Frage weiterführen, ob „autonom“ ein Wort ist, das konstruktiv genug missverstanden werden kann oder eher in die Falle eines abschließenden Verstehens führt. Bedeutet „die Autonomie von jedem und jeder anzuerkennen“, dass die Kontexte, in denen sich das autonome (eigen-sinnige) Agieren zeigt, keine Rolle spielen? Keine wesentliche Rolle? Bedeutet „autonom“ hier: frei, unbedingt, oder eher: begabt dazu, der relevanten Umwelt probeweise eigen-sinnig zu begegnen, um dann Entscheidungentreffen zu können und Verantwortung für das eigene Auswählen aus Möglichkeiten zu übernehmen? Und wie äußerte sich dann: Verantwortung? Wäre das etwas Privates oder auch Soziales?
    Ob „systemische“ Praxis offen bleiben kann für ein eher eröffnendes Denken (und das damit verbundene Üben, sich im Ungewissen zu orientieren) oder eher ein beschließendes, kanonisierendes Denken bevorzugt? Mir scheint, dass HvF immer noch gut ist für konstruktives und unterstützendes Missverstehen. Gerade jetzt.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.