Eric Pfeifer (2025): Systemische Psychotherapie, Natur, Klimakrise und Eco-Anxiety: Walk and Talk als Beispiel für eine Erweiterung des Behandlungsspektrums in ökopsychologisch herausfordernden Zeiten. In: systeme 39 (1), S. 6-23.
abstract: Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Themenfeld Psychotherapie – Natur auf vielschichtige Art und Weise an. So werden u. a. aktuelle Statements der Psychotherapeutenkammern/-therapiegremien berücksichtigt, die eine verstärkte Fokussierung auf ökologische Themen (z. B. Klimawandel und Folgen für die psychische Gesundheit) und konkrete Handlungsempfehlungen für die psychotherapeutische Profession fordern. Parallel dazu werden Studien zur Wirkung von Natur(-erfahrung) auf die menschliche, psychische und physische Gesundheit erläutert, um in weiterer Folge einen Blick in die Geschichte der Psychotherapie zu werfen. Die Pionier:innen der modernen Psychotherapie, z. B. Freud, Jung oder Frankl, verwiesen bereits auf Zusammenhänge zwischen Psychotherapie (im Gehen), Natur und psychische Gesundheit. Im Anschluss werden Aspekte einer Psychotherapie im Gehen in und mit der Natur sowie, mit besonderem Fokus, systemische bzw. systemisch-therapeutische Perspektiven und Ansätze diesbezüglich erhellt. Der Beitrag enthält zudem eine Fallvignette aus der psychotherapeutischen Praxis (Walk and Talk) und soll insgesamt als Anregung verstanden werden, sich intensiver mit dem Themenfeld Psychotherapie (im Gehen) und Natur auseinanderzusetzen.
Anna Grabek-Eder (2025): Wiedererwachtes Trauma als Narrativ im Alter – eine systemische Betrachtung. In: systeme 39 (1), S. 24-41.
abstract: Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den Überlegungen zu systemischen Interventionen für eine besondere Zielgruppe der therapeutischen Arbeit: Menschen im höheren Alter mit einem wiedererwachten Trauma-Narrativ. Zu diesem Zweck werden der internationale Stand der Forschung und Praxis zu den relevanten Themen bereichen sowie zwei Fallvignetten vorgestellt. Ausgehend von der Relevanz der Trauma-Arbeit und den Besonderheiten der Symptomatik-Verläufe im Alter, wird der Typus der im Alter verzögert auftretenden Posttraumatischen Belastungsstörung, die auf früheren Traumata beruht, näher erläutert. Dem folgt eine systemische Betrachtung der Ansätze und Methoden für die Psychotherapie mit dieser Zielgruppe sowie die Darstellung der narrativen Therapieform der Lebensrückblicktherapie. Abschließend wird die Vorgehensweise des narrativen Umdeutens mit dieser Interventionsform im Kontext der vorgestellten Fälle vorgestellt.
Isabella Kösner (2025): Therapieende und Abschied in Systemischer Therapie. Ein praxisorientierter Zugang zu Therapieabschlüssen. In: systeme 39 (1), S. 42-59.
abstract: Der Beginn einer Psychotherapie, Erstgespräche sowie der Aufbau der therapeutischen Beziehung werden sehr häufig als zentrale Elemente in psychotherapeutischen Prozessen betrachtet. Während sich in der Literatur – unabhängig von der therapeutischen Richtung – sehr vieles dazu findet, scheinen die Abschluss- und Endphase bisher weniger Beachtung erfahren zu haben. Das Ziel meines Artikels ist es daher, den Abschieds- und Abschlussprozess in Systemischer Psychotherapie zu thematisieren und dabei ein Stück weit sichtbarer zu machen, inwieweit auch das Ende eines therapeutischen Prozesses bewusst gestaltet werden kann. Neben der Auseinandersetzung mit systemischen Haltungen und Interventionen wird ein integratives Modell zur schrittweisen Beendigung von Therapieprozessen (CMRA) vorstellt. An ausgewählten Passagen soll eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis hergestellt und auf die Therapie mit einer meiner Klient:innen Bezug genommen werden.
Holger Lindemann & Silke Trumpa (2025): Systemische Hochschullehre? Eine kritische Bestandsaufnahme. In: systeme 39 (1), S. 60-76.
abstract: Im vorliegenden Beitrag wird kritisch hinterfragt, inwiefern sich systemische Prinzipien in der Hochschullehre anwenden lassen und welcher Mehrwert, aber auch welche Grenzen, wohlmöglich in einer „systemischen Lehre“ liegen. Dafür werden zunächst die Entstehung und Etablierung systemtheoretischer und konstruktivistischer Theorien in Beziehung zu methodisch-didaktischen Strömungen gesetzt. Es offenbart sich, dass bedeutsame Bezugsgrößen, wie bspw. Subjekt- und Handlungsorientierung, Partizipation, Emanzipation, Pluralismus, Sozialraumorientierung, Postmoderne u. a. – anders als Beratung und Therapie – bereits sehr früh in didaktische Konzeptionen einflossen. Während die Grundideen von Konstruktivismus und Systemtheorie in Beratung und Therapie seit den 1950er Jahren neue Handlungsperspektiven eröffnet haben, trafen sie in der Didaktik und Methodik der Erziehungswissenschaften auf eine andere Ausgangssituation. Hier wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts – vor allem durch reformpädagogische Ansätze – entsprechende lerntheoretische und handlungspraktische Impulse gesetzt. Zudem zeigen sich Grenzen des systemisch-konstruktivistischen Denkens für die Hochschullehre, die nicht zuletzt auf strukturimmanente Widersprüche zwischen Formen der Beratungs- bzw. Therapiepraxis einerseits und Formen der Lehre und Didaktik andererseits zurückzuführen sind. Es schließen sich fünf Impulse an, wie systemische Anteile in der Hochschullehre dennoch perspektiven- und handlungserweiternd eingesetzt werden können. Dazu zählen Methodenvielfalt, die Auseinandersetzung mit Rollen, die Betrachtung des Kontextes, der Einbezug einer Auftragsklärung, die Problematik der Neutralität sowie die Bedeutung einer Beobachtung zweiter Ordnung. Hierbei wird ganz konkret verdeutlicht, welcher Spielraum entsteht, aber auch wo der Handlungsspielraum endet. Der Beitrag schließt mit dem Plädoyer, genau zu prüfen, was als „systemisch“ bezeichnet werden sollte und was nicht, um einer inflationären Etikettierung entgegenzuwirken oder dieser zumindest keinen Vorschub zu leisten.
Johanna Ziemes (2025): Rezension – Michael Ebmeyer (2023): Nonbinär ist die Rettung. Ein Plädoyer für subversives Denken. Heidelberg (Carl-Auer). In: systeme 39 (1), S. 77-79.
Claus Trauernicht (2025): Rezension – Claude-Hélène Mayer, Elisabeth Vanderheiden (2021): In Worten Konflikt. Kartenset mit 99 Aussagen für Psychotherapie und Beratung. Weinheim/Basel (Beltz Verlag). In: systeme 39 (1), S. 79-81.
Corina Ahlers (2025): Rezension – Wilhelm Rotthaus (2025): Beziehungsgeschöpf Mensch. Übergänge zu einem neuen Selbstbild. Heidelberg (Carl-Auer). In: systeme 39 (1), S. 81-82.
Christopher Krech (2025): Rezension – Fritz B. Simon (2024): Die kommenden Diktaturen. Ein Worst-Case-Szenario. Heidelberg (Carl-Auer). In: systeme 39 (1), S. 82-84.
Heft 2
N.N. ( 2025): Editorial. In: systeme 39 ( 2), S. 95-96.
Vorstände der SG und ÖAS ( 2025): Danksagung zur Verabschiedung von Regina Bieker. In: systeme 39 ( 2), S. 97.
Michaela Mühl & Sascha Kuhlmann ( 2025): Mitteilung der Herausgeberinnen ÖAS und SG. In: systeme 39 ( 2), S. 98-99.
Corina Ahlers & Sarah Rabl ( 2025): Aus Zuwenig wird Viel: Beforschung therapeutischer Briefe als didaktisches Instrument. In: systeme 39 ( 2), S. 101-121.
abstract: Eine Pilotstudie an der ÖAS2 Ambulanz (Wien) analysiert, wie an die Klient:innen gerichtete Briefe nach therapeutischen Sitzungen wirken. Das Textmaterial wird von Studierenden prospektiv und Klient:innen retrospektiv interpretiert. Es wird die Vorhersage der Wirkung seitens Studierender mit den Aussagen der Klient:innen verglichen. In mehreren zirkulären Prozessschleifen werden didaktische, lerntheoretische und therapietheoretische Inhalte erhoben.
Denyse Eitner, Denis Köhler & Joachim Kosfelder ( 2025): Die Nützlichkeit und Nutzbarkeit der systemischen Paarberatungsapp „myndpaar“. In: systeme 39 ( 2), S. 122-140.
abstract: Die vorliegende Studie befasst sich mit der Nützlichkeit (Usefulness) und Nutzbarkeit (Usability) der systemischen Paarberatungsapp myndpaar, die auf KI-basierten Algorithmen aufbaut. Es wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von schriftlichen Expert:innen-Beurteilungen von Masterstudierenden mit Schwerpunkt Psychosoziale Beratung durchgeführt. Hierfür wurde die App in untergeordneten Dimensionen auf ihre Nützlichkeit (Validität und Akkuratheit, Reliabilität und Zuverlässigkeit, Effektivität) und ihre Nutzbarkeit (Belohnung und Zufriedenheit, Nutzbarkeit) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die myndpaar-App auf Basis der systemischen Grundhaltung und mit Anwendung systemischer Fragetechniken und Methoden effektive Beratung auf Paar- und individueller Ebene anbietet. Dabei kam es vereinzelt zu technischen Störungen und Verzerrungen des inhaltlichen Beratungsprozesses durch eingeschränkte Antwortmöglichkeiten und unausgereifte Verarbeitung offener Textantworten. Dennoch wurde die App als benutzungsfreundlich, modern und gut strukturiert beschrieben, Inhalte wurden verständlich vermittelt. Zudem bot die Durchführung den Expert:innen Inspiration für die eigene Beratungspraxis, was eine zukünftige Implementierung der App in die beraterische Ausbildung nahelegt. Diese Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsevaluation digitaler Beratungsangebote.
Jonathan Czollek & Eva-Maria Messner ( 2025): Systemische Anträge für die Krankenkassen – Ein Modell zur fundierten und präzisen Fallkonzeption. In: systeme 39 ( 2), S. 141-156.
abstract: Die Zulassung Systemischer Psychotherapie als Richtlinienverfahren in der Bundesrepublik Deutschland hat dazu geführt, dass systemische Fallkonzeptionen in normierten Berichten dargestellt werden müssen. Der vorliegende Artikel zeigt eine Möglichkeit auf, diese Berichte systemisch-fundiert und zeiteffizient gestalten zu können. Dazu werden die 6-K-Prinzipien der Berichtserstellung definiert, die die Erstellung von präzisen und hilfreichen Berichten erleichtern sollen: Komplexitätsreduktion, Kontrolle des Datenflusses, Kohärenz/Konnektivität, Konstruktivität, Klient:innen- und Ressourcenorientierung sowie Kooperation. Jedes Prinzip wird mit einer Leitfrage für den Schreibprozess konkretisiert. Im Anschluss daran wird diskutiert, was in den vorgegebenen Abschnitten der Fallkonzeption bei der Berichtserstellung beachtet werden sollte. Ein Beispielbericht wird vorgestellt und eine Vorlage mit Formulierungshilfen findet sich im Online-Supplement zum Artikel. So leistet dieser einen Beitrag zur laufenden Diskussion über systemische Fallkonzeptionen im Kontext des deutschen Gesundheitswesens und gibt eine Orientierung für die Erstellung systemischer Berichte.
Theresia Gabriel & L. K. ( 2025): Intrapersonelle Betroffenheit und interpersonelle therapeutische Kompetenz. Reflexionen einer systemischen Psychotherapeutin und einer Klientin. In: systeme 39 ( 2), S. 158-182.
abstract: Genesungsbegleitung ist trotz ihres ca. 10-jährigen Bestehens immer noch Pionier:innen-Arbeit. Es dominieren etikettierende, stigmatisierende, abwertende Diskurse bzgl. psychischer bzw. psychiatrischer Leidenszustände. In der Therapie thematisierte Abwertungen psychischer Problematiken der Klientin am Arbeitsplatz erzeugen sowohl bei der erzählenden Klientin als auch bei der zuhörenden Psychotherapeutin Gefühle, Körpersensationen und Impulse. Dieser Aufsatz stellt einen Versuch dar, das Geflecht aus Betroffenheit/en, Gefühlen, Körpersensationen und Verhaltensimpulsen als Resonanzphänomen in therapeutischen Prozessen vor einem systemtheoretischen Hintergrund zu erfassen und reflektieren. Weiters werden Voraussetzungen für Nicht-Abstinenz als interpersonelle Kompetenz analysiert: Unter welchen Voraussetzungen ist es therapeutisch sinnvoll, als Psychotherapeut:in die Betroffenheit aus der eigenen Erfahrungswelt gezielt zur Verfügung zu stellen, und welche Wirkung konnte im konkret beschriebenen Fall dadurch erzielt werden? Der Artikel stellt eine autoethnographische Analyse dar, die von der Autorin als Forscherin und gleichzeitig Beforschte mit Unterstützung der Klientin erarbeitet wurde. Es geht dabei dezidiert nicht um einen Versuch, das Erlebte zu objektivieren und zu generalisieren, sondern darum, Anschlüsse und Plausibilitäten zu beschreiben.
Trung Hoàng Lê ( 2025): Scham erzählen – eine machtkritische Selbstermächtigung. In: systeme 39 ( 2), S. 183-197.
abstract: Der Artikel reflektiert die Rolle von Scham als relationales und sozial eingebettetes Phänomen innerhalb der Ssystemischen Therapie. Anhand eines Fallbeispiels von Evan Imber-Black sowie der autosoziobiografischen Arbeiten von Didier Eribon wird herausgearbeitet, dass Scham nicht nur kommunikativen Dynamiken folgt, sondern Ausdruck sozialer Machtverhältnisse ist. Die ausschließliche Fokussierung auf Zirkularität und Interaktionsmuster greift zu kurz, wenn strukturelle Bedingungen wie Sexualmoral, Klassismus oder Rassifizierungen unreflektiert bleiben. Der Artikel plädiert für eine machtkritisch informierte systemische Praxis, in der auch der spezifische Inhalt schambesetzter Geheimnisse thematisiert wird. Das autobiografische Schreiben wird als methodischer Zugang vorgestellt, um Scham nicht nur sichtbar zu machen, sondern therapeutisch wirksam in Selbstermächtigung zu transformieren. Dadurch entstehen erweiterte Möglichkeitsräume im Sinne einer ethisch sensiblen und sozial kontextualisierten systemischen Praxis.