systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

systeme 2024

Heft 1

Elisabeth Ritter-Venier (2024): Internationaler Narrativer Kongress in Salzburg: Geschichten, die die Welt bewegen. In: systeme  38 (1), S. 4-8.

Zoe Lefkofridi (2024): Systeme, Geschlechterrollen und ihre Konsequenzen: das (un)politische Wesen. In: systeme  38 (1), S. 9-18.

abstract:  Durch eine Reise in die Athener Antike illustriere ich die Sozialisierung von Frauen und Männern in der allerersten Demokratie, wobei ich die Geschichte des Wortes Idiot in Griechisch und anderen Sprachen erzähle. Ich diskutiere, wie dieses Wort nicht nur mit (Sphären von) Tätigkeiten, sondern auch mit den Normen einer demokratischen Gesellschaft verbunden ist. Nach der Illustration der Abwertung des ­ „Privaten“ als unpolitisch – und somit in einer Demokratie nutzlos – bespreche ich die geschlechtsspezifische Trennung von privaten und öffentlichen Sphären und ihre Konsequenzen. Zum Schluss diskutiere ich Forschungsergebnisse über die Effekte von Frauen auf die Politik und weise auf die Relevanz der Geschlechterforschung für die Praxis der systemischen Psychotherapie in einer demokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts hin.

Marie-Nathalie Beaudoin (2024): Individualismus und sozialer Aktivismus in der Narrativen Therapie: Über das „bevorzugte Selbst“ hinausgehen. In: systeme  38 (1), S. 19-30.

abstract:  Die Narrative Therapie ist dafür bekannt, dass sie den Schwerpunkt auf die Hervorbringung des bevorzugten Selbst der Menschen und die Dekonstruktion des Einflusses marginalisierender dominanter Diskurse legt (White u. Epston 1990). In diesem Artikel werden die Therapeut:innen ermutigt, therapeutische Gespräche über die Konsolidierung des bevorzugten Selbst der Klient:innen hinaus zu führen. Das „Selbst“ wird als ein im Individualismus verortetes Konzept diskutiert, das mit ­ kollektivistischen Kulturen nicht übereinstimmt, die Möglichkeiten des Wohlbefindens einschränkt und nicht vollständig mit der Neigung der Narrativen Therapie zu sozialem Aktivismus über­ einstimmt. Es wird eine Reihe von Fragen vorgeschlagen, um die Entstehung des großmütigen Selbst der Klient:innen (Beaudoin u. Monk 2024) zu unterstützen, und anhand des Beispiels einer Frau veranschaulicht, die mit depressiven Gefühlen im Zusammenhang mit der Pflege ihres alternden Ehemanns zu kämpfen hat.

Jan Olthof (2024): Das nomadische Team: Eine narrative Praxis für multidisziplinare Arbeit. In: systeme  38 (1), S. 31-38.

abstract:  In diesem Beitrag ist die nomadische Vorgehensweise und eine narrative Praxis für multidisziplinare Teamarbeit beschrieben. Nomadisches Denken ist inspiriert von den Philosophen Gilles Deleuze und Rosi Braidotti und von der prismatischen Arbeit von Alfred Drees. Leitlinien und Spielregeln für diese Vorgehensweise sind im Text angeführt. Aspekte und Konzepte wie „das innere Gespräch“, Rhizom, Resonanz, prismatische Arbeit werden in diesem Zusammenhang als wichtig erachtet.

Herta Schindler (2024): Biografiearbeit – oder die Kunst, über das Leben zu erzählen. In: systeme  38 (1), S. 39-54.

abstract:  In diesem Artikel beschreibe ich Aspekte der systemischen Biografiearbeit, wie ich sie in jahrzehntelanger Arbeit entwickelt und 2022 in dem Buch „Sich selbst beheimaten. Grundlagen systemischer Biografiearbeit“ veröffentlicht habe. Der Beitrag bezieht sich auf meinen Workshop während der Tagung. Theoretische Einblicke veranschauliche ich durch methodische Anregungen und Beispiele aus meiner Praxis.

David Denborough (2024): Essay aus der narrativen Praxis: Wie könnte uns ein Dialog zwischen Philosophie und Narrativer Therapie bei der Bewältigung heutiger Krisen helfen? In: systeme  38 (1), S. 55-63.

abstract:  Das Organisationsteam dieser Konferenz hat mich dazu gebracht, mich zu fragen: „Mit welchen Philosophien stehe ich im Dialog?“ Das ist eine sehr interessante ­ Frage. Ich habe das Gefühl, dass es nicht so sehr ein Dialog mit diesen Philosophien ist, sondern dass verschiedene Philosophien mir Fragen stellen, mich herausfordern oder mir sagen, dass ich nicht genug tue. Es gibt vier politische Philosophien, die meine Arbeit besonders prägen: antikoloniale Herausforderung, feministische Philosophie, poststrukturalistisches Denken und die Philosophie von Paulo Freire. Ich werde sie einzeln erwähnen und dann einige Geschichten aus der Praxis erzählen, die durch diesen Dialog mit diesen vier Philosophien möglich geworden sind.

Peter Jakob (2024): Jenseits von neuer Autorität: Das Alltägliche und heroische Narrative gewaltlosen Widerstandes. In: systeme  38 (1), S. 64-73.

abstract:  Dieser Beitrag beleuchtet eine Integration von Narrativer Therapie und dem Ansatz des Nonviolent Resistance (NVR), der im deutschen Sprachgebrauch als „neue ­ Autorität“ bekannt ist. Neue Autorität beschäftigt sich damit, wie Eltern und andere Erziehende mithilfe eines Unterstützungsnetzwerks konstruktiv schädigendem oder selbstschädigendem Verhalten von Kindern, Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen begegnen können, wenn diese keine ausreichende Kooperationsbereitschafft im Veränderungsprozess zeigen. Der konstruktive Widerstand der Erwachsenen soll verbindend wirken und dem jüngeren Menschen zu einem größeren Sicherheitsgefühl verhelfen. Der Beitrag legt jedoch nahe, dass der Autoritätsbegriff den Beobachtungs- und Handlungsrahmen des Ansatzes einschränkt, da er den therapeutischen Fokus ausschließlich auf die Eltern-Kind-Beziehung richtet und wichtige weitere Kontexte, die elterliches Handeln erschweren, außer Acht lässt. Er lässt ­ darüber hinaus noch andere therapeutische Kontexte, in denen die im deutschsprachigen sogenannte neue Autorität Verwendung finden kann, außer Acht. Es handelt sich hierbei um Beziehungen, die keine Autoritätsbeziehungen sind, in denen wir jedoch mit problematischen Auswirkungen ungleicher Machtverteilung zu tun­ haben. Ein Beispiel dazu ist, wenn Fachkräfte in Machtstellungen einseitig die Definitionsmacht über ihre Klient:innen oder Patient:innen ausüben, ihnen keine Definitionsmacht bezüglich ihres Selbstkonzeptes zugestehen und ihnen damit Schaden zufügen. Aus diesem Grunde wird im Weiteren von NVR ­ gesprochen statt von neuer Autorität. In der Integration mit dem narrativen psychotherapeutischen Ansatz kann NVR dahingehend verwendet werden, alltäglichen Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeiten zu heroisieren und mit einer gezielten Widerstandsmethodik zu unterstützen, damit Klient:innen sich als selbstwirksam ­ erfahren und darüber hinaus sich selbst definieren können. Dies wird anhand von Fallbeispielen illustriert, darunter das einer jungen Frau, die sexuellen Missbrauch erlebt hat, und das von Adoptiveltern, die mit Haltungen von Fachkräften konfrontiert gewesen sind, die ihnen und ihren Kindern Schaden zugefügt haben. Schließlich werden Therapeut:innen dazu eingeladen, eine kritische Haltung gegenüber bestehenden schädlichen Machtstrukturen einzunehmen, um ihnen im Rahmen der Therapie aktiv zu begegnen.

Gene Combs & Jill Freedman (2024): Der:die Therapeut:in als zweite:r Autor:in: Würdigung von Entscheidungen jenseits des Tellerrandes. In: systeme  38 (1), S. 74-89.

Magdalena Weiglhofer (2024): Storytelling im öffentlichen Raum als Methode gegen geschlechtsspezifische Gewalt? Ein transdisziplinärer Ansatz. In: systeme  38 (1), S. 90-110.

abstract:  Der Artikel beschäftigt sich mit dem zunehmenden Einsatz von Storytelling auf ­ internationaler Ebene zur Bewältigung von Traumata und zur Sensibilisierung für gesellschaftliche Probleme. Er basiert auf einer Langzeitstudie der Autorin in Nordirland und präsentiert Ergebnisse eines Workshops während einer Fachtagung der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie und systemische Studien (ÖAS). In diesem Workshop wurde die Idee eines Aktionsforschungsprojekts zur geschlechtsspezifischen Gewalt in Österreich diskutiert. Die Ergebnisse­ bestätigen die Wirksamkeit von Storytelling als Instrument zur komplexen Bewusstseinsbildung und betonen die Notwendigkeit einer fundierten Vorbereitung bei der Thematisierung sensibler Themen.

Isabella Kösner (2024): Ein Kongress, der (m)eine Welt bewegt hat. In: systeme  38 (1), S. 111-114.

Isabella Kösner (2024): Hör‘ gut zu, wenn ein Teppich zu dir sprich. In: systeme  38 (1), S. 115-116.

Ulrike Reimann (2024): Rezension – Gisela Klindworth (2021): Leiten mit respektierter Autorität. Mehr als eine Bitte und weniger als ein Befehl. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: systeme  38 (1), S. 117-119.

Corina Ahlers (2024): Rezension – Wilhelm Rotthaus (2023): Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Heidelberg (Carl-Auer). In: systeme  38 (1), S. 120-121.


Heft 2

Lisa Hourmouzis (2024): Das Systembrett als Brücke Beziehungsgestaltung zwischen Jugendlichen mit fremdaggressivem Verhalten und Pädagog:innen (im Übergang vom Familiensystem zu Wohneinrichtung). In: systeme  38 (2), S. 133-152.

abstract:  Der Beitrag reflektiert am Fallbeispiel des 13-jährigen Jonathan, wie das Systembrett als Reflexionsraum in der Beziehungsgestaltung zwischen Jugendlichen mit fremdaggressiven Verhaltensweisen und Pädagog:innen im Übergang Familiensystem und vollstationäre Wohngemeinschaft eingesetzt werden kann. In diesem Kontext ist gezeigt worden, wie mithilfe des Systembretts ein Reflexionsraum­ geschaffen wird, der Jonathan einerseits bei der Entwicklung eines Bewusstseins für die Auswirkungen seiner Handlungen auf die Pädagog:innen unterstützen kann. Andererseits kann Jonathan in einem spielerischen und aktiven Gestaltungsprozess eigene Vorstellungen im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung zu den Pädagog:innen entwickeln und in der Aufstellung eines Idealbilds visualisieren.

Cornelia Windbüchler (2024): Systemische Gruppentherapie mit Jugendlichen bei komplexer Traumafolgestörung. In: systeme  38 (2), S. 153-176.

abstract:  In dieser Arbeit soll die systemisch orientierte psychotherapeutische Tätigkeit mit komplex traumatisierten Jugendlichen behandelt sowie ein mögliches Konzept der Gruppentherapie aus der stationären Praxis vorgestellt werden. Zunächst wird ein theoretischer Input in das Störungsbild der komplexen Traumafolgestörung, die therapeutische Arbeit mit Gruppen sowie wichtige Eckdaten der Psychotherapie mit Jugendlichen gegeben. Der Exkurs zur systemischen Grundhaltung von Therapeut:innen bezieht Beispiele aus der hier vorgestellten Gruppe mit ein. Im Anwendungsteil kommt es vorerst zu einer Beschreibung der Rahmenbedingungen der ausgewählten Gruppe. Anschließend werden exemplarisch einzelne Gruppeneinheiten präsentiert, wobei ein Schwerpunkt auf die methodische Umsetzung gelegt wird. Praktische Übungen sind zum besseren Verständnis grau hinterlegt. Abschließend wird das hier vorgestellte Konzept zur Gruppentherapie kritisch hinterfragt und auf dessen Anwendbarkeit im therapeutischen Alltag geprüft.

Ali Schwartz (2024): Co-Regulation mit Polyrhythmen. Vier Jahre intersektionale Projektarbeit mit queeren Geflüchteten. In: systeme  38 (2), S. 178-196.

abstract:  Das Polyrhythmus Projekt unterstützt queere2 Personen, die Menschenrechtsverletzungen erleben, in Form von monatlicher körperorientierter Einzel- und Gruppenbegleitung mit einem Fokus auf Co-Regulation3 – gegenseitiger emotionaler­ Regulierung. Dabei geben Überlegungen zu einer Politisierung der systemischen therapeutischen Haltung, eine Reflexion über den Einsatz der TaKeTiNa-Rhythmustherapie und ein Erfahrungsbericht einer teilnehmenden trans4 Frau mit Fluchthintergrund Einblicke in die Strukturen selbstorganisierter therapeutischer Praxis.

Marcus Böhmer, Wiltrud Brächter & Hannah Plum (2024): Über Hoffnung – ein Platz für Herz, Huhn und Bär. Sandspieltherapie-Gruppen mit Kindern in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. In: systeme  38 (2), S. 197-217.

abstract:  Vorgestellt werden Sandspieltherapie-Gruppen für geflüchtete Kinder, für die den Autor:innen 2023 der Kristina-Hahn-Preis der Systemischen Gesellschaft verliehen wurde. Eine Besonderheit liegt im aufsuchenden Angebot in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen. Das Gruppenkonzept verknüpft Sandspieltherapie mit systemisch-narrativen Ansätzen, die einen Austausch über die Sandbilder einschließen. Es wird beschrieben, wie Kinder aus der Ukraine und Roma-Kinder aus Balkanländern ihre (traumatischen) Erfahrungen, Sehnsüchte und Wünsche im Sandspiel ausdrücken und in der Gruppe Unterstützung finden.

Wolfgang Loth (2024): Rezensionsessay. Über Zwecklosigkeit – zum neuen Buch von Michael Hampe (2024): Wozu? Eine Philosophie der Zwecklosigkeit. München (Hanser). In: systeme  38 (2), S. 222-238.

Neda Mohagheghi (2024): Rezension – Claude-Hélène Mayer (2023): Systemische Sternstunden: Inspirierende Impulse und Interventionen für die therapeutisch-beraterische Praxis. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: systeme  38 (2), S. 239-240.

Ilke Crone (2024): Rezension – Uwe Michalak (2024): Navigationsinstrumente für gelingende Beratung. Sieben Impulse für die Praxis. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: systeme  38 (2), S. 241-242.

Andrea Brandl-Nebehay (2024): Rezension – Carmen C. Unterholzer, Herbert Gröger (Hrsg.) (2022): Handbuch der systemischen Gruppentherapie. Ansätze, Methoden, Zielgruppen, Störungsbilder. Heidelberg (Carl-Auer). In: systeme  38 (2), S. 243-248.