systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Kontext 2025

Heft 1

Marcus Schönherr ( 2025): Neurodiversität und Systemische Therapie. Wie hilfreich kann das Teilleistungskonzept in Beratung und Therapie sein? In: Kontext  56 (01), S. 5-21.

abstract:  Dieser Beitrag thematisiert mögliche Auswirkungen von unterschiedlichsten kognitiven Teilleistungsschwächen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Der Autor ist der Ansicht, dass kognitive Besonderheiten zum Verständnis und zur Erklärung von Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Problemen und Beziehungsdynamiken noch zu wenig in Betracht gezogen werden. Eine Erweiterung des Konzepts der Teilleistungen wird für sinnvoll erachtet: von den Aspekten der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung hin zu den Komponenten der Selbstorganisation und Selbstregulation, auch exekutive Funktionen genannt. Es wird herausgearbeitet, wie sinnvoll und bedeutsam es für die Betro!enen sein kann, mithilfe von Beratung und Therapie eigene Teilleistungsunterschiede zu erkennen, um durch ein differenziertes Selbstverständnis einen aktiven und selbstbewussten Umgang mit der eigenen Befähigungs- und Persönlichkeitsstruktur zu entwickeln.

Julia Reeder, Clara Müller, Fabian Hezel, Stefan Scherbaum et al. (2025): Systemisch im Kassensystem: Dilemmata und Ansätze eines konstruktiven Umgangs aus der Praxis. In: Kontext  56 (01), S. 22-33.

abstract:  Die Systemische !erapie zeigt seit jeher eine reflektiert-kritische Haltung gegenüber der Vergabe von Diagnosen psychischer Störungen. Diese Haltung wird durch die sozialrechtliche Anerkennung der systemischen !erapie als Richtlinienverfahren herausgefordert, da für die Abrechnung als ambulante Psychotherapie mit den gesetzlichen Krankenversicherungen das Stellen von Diagnosen nach dem Internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD) erforderlich ist. Dadurch geraten systemische Psychotherapeutinnen in verschiedene Dilemmata, wenn sie versuchen, die Pflicht zur Diagnosevergabe und eine systemische Haltung zu integrieren. In dieser Arbeit präsentieren wir Ergebnisse aus Interviews mit systemische Therapeutinnen, welche vier zentrale Dilemmata untersucht: Kassenärztliche Verpflichtung vs. Systemische Haltung, Handlungsspielräume einschränken vs. erweitern, Diagnose (fest-)stellen vs. verflüssigen, und Problemverständnis vs. Ressourcenorientierung. Die synthetisierte Analyse der Interviewdaten zeigt auf, wie !erapeutinnen im Praxisalltag Strategien entwickeln, um diese Dilemmata mit systemischer Komplexitätserweiterung konstruktiv zu bewältigen. Zentrale Erkenntnis dabei ist, dass etablierte systemische Elemente wie Transparenz in der Kommunikation über Diagnosen, Externalisierung von Diagnosen und Ressourcenorientierung auch beim Umgang mit den aufgezeigten Dilemmata Unterstützung bieten.

Mariel Renz (2025): Über die Schwelle gehen: Das transformative Potenzial von Performancekunst für die systemische Beratung. In: Kontext  56 (01), S. 34-50.

abstract:  Der Beitrag untersucht das transformative Potenzial der Performancekunst in der systemischen Beratung. Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Kunst und Beratung als performative Praktiken, die durch gezielte Unterbrechung tradierter Ordnungsmuster sowie durch Kommunikation und Interaktion neue Perspektiven erö!nen. Besonders hervorgehoben wird dabei die Fähigkeit von Performances, liminale Räume zu scha!en. In diesen Übergangsräumen können festgefahrene Denk- und Handlungsmuster hinterfragt und kreative Lösungen angeregt werden.

Wilhelm Rotthaus (2025): Bezogene Bewältigung der Entwicklungsaufgaben von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und ihren Eltern. In: Kontext  56 (01), S. 51-63.

abstract:  Aus systemischer Sicht erfolgt die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einerseits und Eltern andererseits in einem wechselseitig eng aufeinander bezogenen Prozess. Beide Seiten müssen persönliche Entwicklungsschritte in Beziehung zueinander vollziehen. Diese Betrachtung des Geschehens als Koevolution unterscheidet sich deutlich von der in der Literatur dominanten Sichtweise, nach der elterliches Handeln als mehr oder weniger gezielte Förderung der Entwicklungsaufgaben der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen angesehen wird. Aus der systemischen Betrachtung des Geschehens als miteinander korrespondierende Entwicklung erö!nen sich mannigfache therapeutische Möglichkeiten, wie an einigen Fallbeispielen dargestellt wird.

Barbara Kuchler (2025): Stich-Wort: Entweder – Oder. In: Kontext  56 (01), S. 65-69.

abstract:  Das Entweder-Oder hat keine gute Presse unter Systemikern. Wir sind eher für das Sowohl-als-auch, oder auch das Weder-Noch, oder das Ganz-und-gar-aus-der-Box-Gedachte. Die harte, klare Alternative des Ja-oder-Nein, So-oder-so, und der Zwang, sich für eine Seite zu entscheiden, gilt als verengend: als blickverengend, möglichkeitsverengend, auf der Ebene des Individuums als unglücksfördernd und auf der Ebene des sozialen Systems als konfliktfördernd. So ist etwa die Sichtweise »Entweder ich gewinne oder du!« als Schnellstraße zu eskalierenden Konflikten bekannt. Besser wäre es, Sichtweisen zu finden, wonach wir beide zusammen etwas gewinnen können. Ebenso ist die Idee, dass ein Familienmitglied der Familie entweder ganz oder gar nicht angehört, entweder volle Loyalität beweist oder autonom ist und Eigeninteressen verfolgt, ein Rezept für dysfunktionale Familienstrukturen. Besser wäre es, Wege zu finden, wie man zugehörig und autonom zugleich sein kann, oder bezogen und individuiert zugleich.

Barbara Bräutigam (2025): Genogrammatische Lektüren: »Mein drittes Leben« oder ein Blick in den Abgrund – ein Roman von Daniela Krien (2024). In: Kontext  56 (01), S. 70-71.

Wolf Ritscher (2025): Rezension – Susanne Altmeyer (2024): EMDR-Intensivtherapie. Systemisch – fokussiert – effektiv. Stuttgart (Klett-Cotta). In: Kontext  56 (01), S. 72-75.

Marie-Luise Conen (2025): Rezension – Martin Schröder (2023): Wann sind Frauen wirklich zufrieden? München (C. Bertelsmann). In: Kontext  56 (01), S. 75-77.

Hans-Jürgen Balz (2025): Rezension – Anna Dollinger & Katharina Fehse (2023): Systemische Interventionen. Methoden und Möglichkeiten für mehr Selbstwirksamkeit im Team. Bonn (managerSeminare). In: Kontext  56 (01), S. 78-79.

Cathérine Pechner (2025): Rezension – Hanna Kreuz (2023): Worte in Bildern. Ein Kartenset für Beratung, Therapie und Selbstreflexion. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Kontext  56 (01), S. 79-81.

Susie Reinhardt (2025): Rezension – Barbara Couvert (2024): Vererbte Geschichte. Wie psychische Erfahrungen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Heidelberg (Carl-Auer). In: Kontext  56 (01), S. 81-82.

Annett Kupfer (2025): Rezension – Christian Paulick & Sandra Wesenberg (2024): Beratung lehren im Studium Sozialer Arbeit. Stuttgart (Kohlhammer). In: Kontext  56 (01), S. 82-84.

Ilke Crone (2025): Rezension – Klaus Eidenschenk (2023): Es gibt keine Narzissten! Nur Menschen in narzisstischen Nöten – Eine Handreichung für alle und jede(n). Heidelberg (Carl-Auer). In: Kontext  56 (01), S. 84-86.

Frank Alibegovic (2025): Rezension – Kathrin u. Leonie Ripper (2023). Supervision. Weinheim (Beltz) 75 Therapiekarten. In: Kontext  56 (01), S. 86-87.


Heft 2

Barbara Kuchler, Maren Bösel, Wiebke Gronemeyer, Barbara Bräutigam et al. (2025): Vorbemerkung in eigener Sache. In: Kontext  56 (02), S. 119-120.

Stefan Beher ( 2025): Editorial: Depression und Traurigkeit. In: Kontext 56 ( 02), S. 121-124.

Thorsten Padberg & Martin Plöderl ( 2025): Die Geschichte des medizinischen Modells der Depression – mit (fast) all ihren Vor- und Nachteilen. In: Kontext 56 ( 02), S. 125-137.

abstract:  Im Folgenden soll das medizinische Modell der Depression dargestellt werden. Dabei werden die folgenden Fragen beantwortet: Wie sieht das medizinische Modell der Depression aus? Wie gut ist es belegt? Wer vertritt das medizinische Modell der Depression? Welche Vorteile hat das medizinische Modell der Depression für Behandler und Behandelte? Und welche Nachteile bringt es mit sich? Es wird dargestellt, wie das medizinische Modell trotz unzureichender empirischer Unterstützung das Bild von Depressionen, ihre Behandlung und das Selbstbild der Behandelten prägt.

Claus Normann (2025): Eine persönliche Erwiderung auf den Artikel »Die Geschichte des medizinischen Modells der Depression – mit (fast) allen ihren Vor- und Nachteilen«. In: Kontext  56 (02), S. 138-143.

abstract:  »Geläu!g ist die Formulierung ›der Schnupfen der Seele‹, die auf die körperliche Natur und die weite Verbreitung der Depression hinweisen soll«. Abgesehen davon, dass ich diese Bezeichnung in meinen nunmehr fast dreißig Jahren Psychiatrie noch nie gehört habe – ich behandle also Menschen mit »Schnupfen der Seele«. Schon dieser eine Satz zeigt den ganzen Zynismus des psycho-populistischen Artikels von Padberg und Plöderl. Gibt es ein »medizinisches Modell« der Depression? Die Depression ist eine Erkrankung des Menschen. Um sie, in Abwesenheit objektiver Biomarker, diagnostizieren und in der Folge auch behandeln zu können, müssen diagnostische Kriterien festgelegt werden, die sich in der ICD und dem DSM !nden. Dies gilt für alle Erkrankungen, die Leiden verursachen, und die eine Behandlung erfordern, für die das Gesundheitssystem und die Gesellschaft Mittel bereitstellen sollen und müssen.

Thorsten Padberg & Martin Plöderl (2025): Replik auf Claus Normann. In: Kontext  56 (02), S. 143-150.

Jerome C. Wakefield (2025): Der Verlust der Traurigkeit: Ein frischer Blick auf unser Buch »The Loss of Sadness« (2007) über die fortlaufende Schwierigkeit, gewöhnliche Belastungen von depressiven Störungen zu unterscheiden. In: Kontext  56 (02), S. 151-167.

abstract:  Der Artikel blickt zurück auf das vom Autoren gemeinsam mit Allan Horwitz verfasste Buch »The Loss of Sadness«, stellt dessen zentrale Thesen dar und ergänzt diese mit neuerer Evidenz aus der empirischen Forschung. Der Beitrag schließt mit Fallbeispielen zur Illustration.

Isabella Heuser (2025): Eine Polemik zum Artikel von Jerome C. Wakefield. In: Kontext  56 (02), S. 168-171.

Jerome C. Wakefield (2025): Die Unterscheidung zwischen normaler und gestörter Traurigkeit wird zum Nachteil der Patienten und der Psychiatrie ignoriert: Eine Antwort an Dr. Isabella Heuser. In: Kontext  56 (02), S. 172-175.

Stefan Beher (2025): Nachbemerkungen. In: Kontext  56 (02), S. 176-177.

Stefan Beher (2025): Blue genes, therapeutic means: Zur Bedeutung der Passung von Erklärungsmodell und Behandlungskonzept. In: Kontext  56 (02), S. 178-182.

abstract:  Vorstellungen psychischer Probleme als »Erkrankungen« des Geistes, die sich analog zu körperlichen Erkrankungen aus somatischen Markern, mindestens über veränderten Sto!wechsel im Hirn erklären lassen, verbreiten sich zunehmend. Wir haben in diesem Heft die Vor- und Nachteile eines »medizinischen Modells« der Depression wie auch darauf bezogene Schwierigkeiten in der Abgrenzung pathologischer und gewöhnlicher Traurigkeit ausführlich diskutiert. Wie immer man die Symptome von Klienten erklärt – die Erklärung kann aus deren Perspektive kaum als bloß neutraler Akt der Informationsübermittlung verstanden werden. Körperliche Erkrankung verbinden wir etwa mit einer Vorstellung der Schuldlosigkeit und Nicht-Verantwortlichkeit – auch wenn in der Geschichte der Menschheit die religiöse Idee von Krankheit als göttlicher Strafe dominiert. Das kann eine entlastende Funktion haben, für Patienten wie auch für Angehörige. Es macht einen Unterschied, ob man den Suizid des eigenen Kindes als Folge einer bewussten Entscheidung oder als Konsequenz einer unverschuldet erlittenen Erkrankung des Körpers versteht, möglicherweise gar als Folge von dessen unveränderlicher Konstitution auf genetischer Ebene. Eine höhere Entlastung kann aber andererseits auch Hoffnungslosigkeit und Pessimismus befördern. Wenn rein körperliche Ebenen über Wohl und Wehe der Psyche entscheiden, was bringen dann noch Psychotherapien?

Helmut Kuntz (2025): Stich-Wort: Hilfsbereitschaft. In: Kontext  56 (02), S. 184-189.

Silvia Beckmann (2025): Rezension – Georg Endres & Gerhard Bergmann (2024): Existenzieller Stress: Impulse für die systemische Praxis. Grundlagen, Haltungen und Handlungsräume. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Kontext  56 (02), S. 190-191.

Nicole Quasten (2025): Rezension – Andreas Kollar (2024): Einführung in Brainspotting. Heidelberg (Carl-Auer). In: Kontext  56 (02), S. 191-193.

Anne Polchau (2025): Rezension – Verein für psychoanalytische Sozialarbeit Rottenburg und Tübingen (Hrsg.): (2023). Vom Körper und seinen Beseelungen. Lustvolle und schmerzliche Umschreibungen von Körperlichkeit. Frankfurt a. M. (Brandes & Apsel). In: Kontext  56 (02), S. 193-194.

Anja Senger (2025): Rezension – Kirsten Böök & Ulrich Sachsse (2024): Trauma und Justiz. Juristische Grundlagen für Psychotherapeuten – psychotherapeutische Grundlagen für Juristen. Stuttgart (Schattauer). In: Kontext  56 (02), S. 194-196.

Kay Niebank (2025): Rezension – Bernhard A. Sabel (2024): Fake-Mafia in der Wissenschaft. KI, Gier und Betrug in der Forschung. Stuttgart (Kohlhammer). In: Kontext  56 (02), S. 196-197.

Andrea Lilge-Hartmann (2025): Rezension – Arbeitskreis Kritische Umweltpsychologie der Initiative Psychologie im Umweltschutz e. V., Psychologists/Psychotherapists for Future e. V. (Hrsg.) (2024). Kritische Umweltpsychologie. Gießen (Psychosozial-Verlag). In: Kontext  56 (02), S. 198-199.

Jan Bleckwedel (2025): Rezension – Fritz B. Simon (2024): Die kommenden Diktaturen. Ein Worst-Case-Szenario. Heidelberg (Carl-Auer). In: Kontext  56 (02), S. 199-201.

Sabine Salzmann (2025): Rezension – Jens Förster (2024): Black-Box-Methoden. Mit systemischer Haltung therapieren, coachen und beraten, ohne das Problem zu kennen. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Kontext  56 (02), S. 201-203.

Saskia Kiehling (2025): Rezension – Claus Roeske (2024): Mit Fantasie zur Kooperation. Ein kreativ-systemisches Tool für Beratung, Coaching, Therapie und Supervision. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Kontext  56 (02), S. 203-203.