systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Familiendynamik 2023

Heft 1

Salamon, Gudrun & Christina Hunger-Schoppe (2023): Editorial: Der systemische Blick auf chronische und ­seltene Erkrankungen. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 1-1.

Abstract: Krankheit, und zwar welche auch immer, hat umfassende Auswirkungen auf das Leben der erkrankten Person – und häufig auch auf ihr nahes Umfeld. Handelt es sich darüber hinaus um eine chronische Erkrankung, ist noch dazu unklar, wie lange dieser belastende Zustand andauern wird, inklusive der Frage, wie lange die Mitglieder des betroffenen sozialen Systems ihn mittragen können. Bei seltenen Krankheiten kommt hinzu, dass diese häufig lange nicht richtig diagnostiziert werden und auch bei vorliegender Diagnose nur wenig Information und Expertise für die Behandlung zur Verfügung stehen. Eine Problemtrance? Sicherlich. Dennoch bemühen sich Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen seit langem, Lösungen zu entwickeln und diese anzubieten. Auch die Systemische Therapie gehört dazu: Bereits in den 1990er Jahre taten sich die Pionier:innen der systemischen Familienmedizin in berufsgruppenübergreifenden Klinikteams zusammen. 2013 widmete sich die Familiendynamik in dem Schwerpunktheft »Familienmedizin« der Bestandsaufnahme, was aus diesen frühen Pilotbemühungen geworden war. Zusammen bedauerten die Autor:innen damals die trotz hoher empirischer Evidenz mangelnde Resonanz in der Versorgungslandschaft chronischer Erkrankungen.

Nosek, Nina Marie & Gudrun Salamon (2023): Psychologische und psychotherapeutische Interventionsmethoden bei seltenen und chronischen Erkrankungen. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 4-13.

Abstract: Seltene und chronische Erkrankungen gehen häufig mit physischen Einschränkungen, einem ungewissen Verlauf sowie teilweise unheilbarer Symptomatik einher. Die psychosozialen Auswirkungen sind sowohl für Betroffene wie Angehörige vielschichtig und können Gefühle von Angst, Scham, Schuld, Hilflosigkeit und Verzweiflung bis hin zu Depression oder sozialer Isolation umfassen. Gerade wenn die medizinische Unterstützung an ihre Grenzen stößt, kann psychologische oder psychotherapeutische Unterstützung Entlastung im Hinblick auf psychosoziale Belastungen bieten. In der Forschungsliteratur wurden bisher besonders Interventionsmethoden aus der Kognitiven Verhaltenstherapie und der Einsatz von Entspannungstechniken sowie von Biofeedback als effektiv beschrieben. Dieser Artikel gibt einen Überblick über psychosoziale Auswirkungen von seltenen und chronischen Erkrankungen sowie über bereits bestehende Interventionsmethoden. Außerdem zeigt er Möglichkeiten systemischer Therapie bei seltenen und chronischen Erkrankungen auf.

Reinprecht, Cosima, Gudrun Salamon, Christina Hunger-Schoppe, Armin Klaps, Felicitas Auersperg & Birgit Stetina (2023): Therapie- und Interventionsmöglichkeiten bei Dermatillomanie (Skin Picking). In: Familiendynamik, 48 (1), S. 14-25.

Abstract: Im Zuge der Einführung der elften Version des ICD kann nun die Diagnose Dermatillomanie, auch Exkoriationsstörung genannt, gestellt werden. Diese Klassifizierung stellt sowohl für Betroffene und deren wichtige Bezugspersonen (z. B. Partner:innen, Eltern, Kinder) wie auch für Behandelnde (z. B. Therapeut:innen) eine Erleichterung dar, da nun u. a. auch die Therapiekosten von der Krankenkasse übernommen werden. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das Störungsbild, mögliche Erklärungsmodelle sowie Therapiemöglichkeiten im Sinne systemischer, medizinischer, körper­licher und psychischer »Ent-Störungen«. Dabei werden nicht nur die aktuelle Forschungsliteratur, sondern auch Interviews mit von Dermatillomanie betroffenen Personen und Expert:innen berücksichtigt. Inhaltliche Schwerpunkte umfassen den lebensgeschichtlichen Bezug, psychosoziale Belastungen, das Erscheinungsbild der Diagnose Dermatillomanie, Angebote und Ansätze für die Therapie sowie Möglichkeiten für einen gelingenden Umgang mit der Erkrankung. Abschließend wird ein Blick auf den Verlauf und die mögliche Regeneration gelegt.

Roggendorf, Sigrid, Sven Weise, Patrick Michl, Dirk Vordermark, Anke Steckelberg & Heike Schmidt (2023): Soziale Beziehungen im Verlauf einer Krebserkrankung bei älteren Patient:innen. Eine retrospektive qualitative ­Untersuchung. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 26-37.

Abstract: Soziale Beziehungen gelten als wichtige Ressource für emotionale oder instrumentelle Unterstützung. Studien zeigen Zusammenhänge von sozialen Beziehungen mit Mortalität und Morbidität, Lebensqualität und Krankheitsbewältigung. Wie sich Beziehungen während und nach einer Krebserkrankung, insbesondere bei älteren Menschen, entwickeln, wurde bisher allerdings noch wenig untersucht. Um diesen Aspekt retrospektiv zu erkunden, wurden zehn Betroffene (mittleres Alter: 75 Jahre) mittels teilstrukturierter Einzelinterviews, ergänzt durch Familienbrettaufstellungen, befragt. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse weisen auf die Dynamik der sozialen Beziehungen im Krankheitsverlauf und die Bedeutung der Kernfamilie hin. Neben bleibender Annäherung der Kernfamilie wurden Veränderungen in Anzahl und Nähe außerfamiliärer Kontakte beschrieben, die als wichtige Quellen emotionaler und instrumenteller Unterstützung geschätzt wurden. Enkelkinder schienen die Rückkehr in den Alltag zu fördern. Die Ergebnisse dieser kleinen qualitativen Studie zeigen weiteren Forschungsbedarf und unterstreichen die Bedeutung des wiederholten Erfassens sozialer Beziehungen und sozialer Unterstützung im Krankheitsverlauf.

Kleve, Heiko, Shiva Maria Schneider & Lina Nagel (2023): Wie Unternehmer­familien ihre Lang­lebigkeit erzählen. Typische Narrative im trans­generationalen Unternehmertum. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 38-47.

Abstract: Anlässlich der Corona-Krise wurde am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) Mitgliedern aus deutschen Unternehmerfamilien, die sich durch eine mindestens 100-jährige Geschichte auszeichnen, folgende Frage gestellt: Warum sind ihrer Ansicht nach ihre Unternehmen trotz vieler, womöglich existenzgefährdernder Krisen in der Vergangenheit so alt geworden? Dabei gingen wir von der Vermutung aus, dass die erfolgreiche Bewältigung dieser Krisen die Resilienz der Familien und Unternehmen nachhaltig stärkt. Im Rahmen von Narrativen Interviews haben die befragten Familienmitglieder Geschichten erzählt, die für sie beispielhaft sind hinsichtlich ihrer jeweiligen familiären und unternehmerischen Langlebigkeit. Aus diesen Erzählungen, den so genannten Narrationen, wurden Narrative, also erzählerische Bedeutungsrahmen, extrahiert und systematisiert. In diesem Beitrag werden die gefundenen Narrative der vier ältesten befragten Familien vorgestellt.

Just, Astrid & Stefan Geyerhofer (2023): »Mein Leben leben«. Die Begleitung einer Familie und ihres Sohnes mit der Diagnose »Muskelschwund«. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 48-51.

Gerling-Nörenberg, Thomas (2023): Von Bad Moments zu Change Moments. Die sozialpädagogische Begleitung eines Jungen und seiner Verwandtenpflegefamilie. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 52-55.

Abstract: In meiner über 25-jährigen Tätigkeit in der Beratung von Verwandtenpflegefamilien bei einem Jugendamt habe ich ca. 500 Kinder und Jugendliche bei Großeltern, Tanten und Onkeln oder Schwestern und Brüdern begleiten und unterstützen dürfen. In der Regel wird das Jugendamt von den Verwandtenpflegeeltern erst aufgesucht, wenn das Kind schon bei ihnen wohnt und es Probleme gibt, die sie aus »eigener Kraft« nicht mehr lösen können. Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen über acht Wochen hinaus ist gesetzlich so geregelt, dass das Jugendamt eingeschaltet werden muss, um eine Pflegeerlaubnis einzuholen. Dies gilt nicht für Verwandte bis zum 3. Grad (Ausnahme zur Erlaubnis zur Vollzeitpflege § 44,1 3. SGB VIII: »Erlaubnis braucht nicht, wer ein Kind oder Jugendlichen als Verwandter bis zum 3. Grad über Tag und Nacht aufnimmt«), da der Staat in Artikel 6 des Grundgesetzes den Schutz der Familie im Sinne des Subsidiaritätsprinzips (Hilfe zur Selbsthilfe) über die Erlaubnispflicht stellt. Kinder und Jugendliche werden in den Haushalt der Verwandten aufgenommen, wenn die Eltern erziehungsunfähig werden. Gründe hierfür sind z. B. psychische Erkrankung, Alkoholabhängigkeit, Drogensucht, Kriminalität, starke Verwahrlosung oder der Tod eines erziehenden Elternteiles. Der Tod der Mutter war auch der Grund für die Verwandtenpflege im Fall von Manfred. Der berührende, etwas untypische Entwicklungsverlauf dieses Jungen, den ich vom sechsten Lebensjahr bis zum Erwachsenwerden begleiten durfte, soll nachfolgend geschildert werden.

Baumann, Sebastian (2023): Fünf Mal Nutzen. Einige Ergebnisse der Nutzenbewertung Systemischer Therapie für Kinder und Jugendliche. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 56-58.

Abstract: Am 19. August 2022 waren erst einmal alle ins Lesen vertieft. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) veröffentlichte den mit großer Spannung erwarteten Vorbericht zur Frage der Wirksamkeit von Systemischer Therapie für Kinder und Jugendliche. Auf 676 Seiten wurde dargestellt, welche RCT-Studien gesichtet wurden, welche in die Begutachtung eingeschlossen wurden und welche Ergebnisse sich daraus ableiten lassen. Um als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen zu werden, braucht es den Wirksamkeitsnachweis in mindestens vier Clustern, die nach den gängigen Diagnosebereichen beschrieben sind. Das IQWiG (2022, S. vi) bescheinigt der Systemischen Therapie den Nachweis des Nutzens in diesen fünf Phänomenbereichen: Affektive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, Essstörungen, Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, Gemischte Störungen (wenn also mehr als eine Hauptdiagnose vergeben wurde). Darunter ist mit den beiden erstgenannten Bereichen auch das sog. »Schwellenkriterium« erfüllt; in diesen beiden Diagnosegruppen muss der Nutzen zwingend erbracht werden. Weiter stellt das IQWiG fest: »In keinem Anwendungsbereich war ein geringerer Nutzen oder Schaden der Systemischen Therapie erkennbar. Insbesondere waren keine Nachteile hin- sichtlich der Störungssymptomatik oder des Funktionsniveaus erkennbar« (ebd., S. iv f.).

Fliegel, Steffen & Jochen Schweitzer (2023): DGVT-Interview mit JOCHEN SCHWEITZER. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 60-71.

Abstract: Kurz vor Drucklegung dieses Inter- views ist Jochen Schweitzer am 31. Oktober 2022 zu Hause im Kreis seiner Familie gestorben. Die Fachwelt verliert durch seinen Tod eine herausragende Persönlichkeit. Er setzte sich sehr engagiert für die Psychotherapie und die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland ein.

Schlippe, Arist von (2023): Jochen Schweitzer (23. 01. 1954 – 31. 10. 2022). Ein persönlicher Abschied. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 72-73.

SOPSY Luc Ciompi Preis 2023. (2023): In: Familiendynamik, 48 (1), S. 74-74.

Systemischer Forschungspreis 2023 von DGSF und SG. (2023): In: Familiendynamik, 48 (1), S. 75-75.

Emlein, Günther (2023): Rezension: Hans Rudi Fischer (2021): Sprache, Grammatik und Lebensform. Wittgensteins Beitrag zur Philosophie der Psychologie. Darmstadt (Wiss. Buchgesellschaft). In: Familiendynamik, 48 (1), S. 76-78.

Quistorp, Susanne (2023): Rezension: Arist von Schlippe (2022): Das Karussell der Empörung. Konflikteskalation verstehen und begrenzen. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Familiendynamik, 48 (1), S. 78-80.

Funcke, Dorett (2023): Rezension: Wolfgang Oelsner & Gerd Lehmkuhl (2022): Familienplanung 2.0. Identität in Zeiten sich auf­lösender biologischer Verwandt­schaftsbeziehungen. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). In: Familiendynamik, 48 (1), S. 80-82.

Stach, Anna (2023): Rezension: Dima Zito & Ernest Martin (2021): Selbstfürsorge und Schutz vor eigenen Belastungen für Soziale Berufe. Weinheim (Beltz). In: Familiendynamik, 48 (1), S. 82-84.

Lüscher, Kurt (2023): Abstrakt – konkret. In: Familiendynamik, 48 (1), S. 87-87.


Heft 2

Emlein, Günther & Jörn Borke (2023): Editorial: Vergebung. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 89-89.

Retzer, Arnold (2023): Die Kunst des ­Vergebens. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 92-104.

Abstract: Das vom Autor entwickelte Konzept des Vergebens wird vorgestellt. Schuld, die notwendige Voraussetzung des Vergebens, wird definiert und als nützliche Komplexitätsreduktion bewertet. Es wird gezeigt, dass die Schuld kein Problem ist, sondern es darauf ankommt, was man aus ihr macht. Die historische Veränderung der Bedeutung von Schuld von der Disziplinargesellschaft über die Leistungsgesellschaft zur gegenwärtigen Erfolgsgesellschaft wird dargestellt mit den entsprechenden veränderten Konsequenzen. Es wird gezeigt, was Schuld ermöglicht, insbesondere ihr Einfluss auf soziale Beziehungen und das Zeiterleben. Der begrenzte Anwendungsbereich der Gerechtigkeitsvorstellungen im Rahmen des Funktionssystems Recht wird dargestellt, ebenso wie die Ambivalenz der Gerechtigkeit, deren Schattenseiten und die Geburt der Rache aus dem Geiste der Gerechtigkeit. Die Geschichte der Rache wird als eine historische und aktuelle Geschichte der Faszination des Abstoßenden dargestellt. Die Unterscheidung der sozialen Transaktionen des Tauschens und des Schenkens wird zur Unterscheidung von Rache, Sühne, Strafe und Ausgleich auf der einen Seite und des Vergebens auf der anderen Seite genutzt. Das Vergeben wird als eine Entscheidung und ein Tun erklärt und beschrieben. Es wird auch erklärt, was Vergeben nicht ist, aber oft dafür gehalten wird. Abschließend werden Ängste und Kontextbedingungen aufgeführt, die das Vergeben behindern und erschweren.

Linden, Michael (2023): Vergeben und Vergessen in der Bewältigung individueller und sozialer Traumatisierungen und Konflikte. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 106-114.

Abstract: Jeder Mensch wünscht sich ein gutes Gedächtnis. Das deutsche Wort »erinnern« hat jedoch zwei Konnotationen. Zum einen können damit wissende deklarative Erinnerungen (»Ich kann mich erinnern, wann ich geheiratet habe«) gemeint sein, zum anderen mahnende emphasische Erinnerungen (»Ich erinnere den Partner an den Hochzeitstag«). Wissende wie mahnende Erinnerungen sind weniger Ausdruck der Vergangenheit als Resultat aktueller Emotionslagen, Wünsche und Motive. Werden Erinnerungen geweckt, dann werden auch damit assoziierte Begleitemotionen hervorgerufen. Viele Menschen leiden unter Erinnerungen und den damit assoziierten Emotionen. Emphasische Erinnerungen haben regelhaft einen aggressiven Charakter, weil sie jemandem Vorhaltungen machen, eigene Ansprüche gegenüber anderen legitimieren sollen oder Gruppen gegeneinander abgrenzen. Damit Erinnerungen nicht befindlichkeitsbeeinträchtigend und friedensbedrohend werden und Zukunftsentwicklungen behindern, sollten sie restrukturiert, berichtigt, umbewertet und überwunden werden. Dies kann geschehen durch Entemotionalisierung, Rescripturing und v. a. Vergebung, was nicht mit Rechtfertigung, Duldung oder Versöhnung verwechselt werden darf, sondern innere Freiheit von äußeren Ereignissen verleiht.

Ducommun-Nagy, Catherine (2023): Vergebung und ­Entbürdung. Eine generationsübergreifende therapeutische Ressource. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 116-125.

Abstract: In diesem Artikel soll ein spezifischer Aspekt von Vergebung (forgiveness) und Entbürdung (exoneration) beleuchtet werden, nämlich ihre Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Generationen. Dies geschieht aus der Perspektive der Kontextuellen Therapie, einem Ansatz, der von Ivan Boszormenyi-Nagy, einem der Pioniere der Familientherapie, begründet wurde. Vergebung und Entbürdung sind eng miteinander verwandte Begriffe. Beide beziehen sich auf den Akt des Loslassens eines Anspruchs gegenüber einem Unrechtstäter. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Vergebung keine Neubewertung des Grades der Schuldhaftigkeit (culpability) des Täters erfordert, während Entbürdung per Definition nur als Ergebnis einer solchen Neubewertung geschehen kann. In der Kontextuellen Therapie wird Entbürdung als wichtiger angesehen als Vergebung. In diesem Artikel werde ich mich auf den Prozess der Entbürdung konzentrieren, die erwachsene Kinder betrifft, die versuchen, Eltern und andere Verwandte, die sich ausbeuterisch oder destruktiv verhalten haben, zu entbürden, wobei ich mich besonders auf die Parentifizierung als Quelle von Ungerechtigkeiten konzentriere. Ich werde nicht auf die Frage der Vergebung oder Entbürdung von Personen eingehen, die nicht zur Familie gehören.

Emlein, Günther (2023): Die Zeit des Vergebens. Beobachtungen zu Beobachtungen von Schuld und Vergebung. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 126-134.

Abstract: Will man die Rede von einer »Schuld an sich« vermeiden, landet man unversehens in erkenntnistheoretischen Fragen und benötigt Theorie als Reflexionsinstrument. Was genau geschieht, wenn »Schuld« beobachtet wird, und was genau geschieht, wenn »Schuld« kommuniziert wird? Und wie kommt man auf der Prämisse solcher beobachtungstheoretischen Formulierungen zu einer Definition von Vergebung bzw. Entbürdung? Der Beitrag zieht Überlegungen der Systemtheorie als Differenztheorie und Elemente der Philosophie Derridas hinzu, um Schuld, Vergebung und Entbürdung auf spezifische Weise zu beobachten.

König, Oliver (2023): Beschwörung des ­Imaginären. Zur Gemeinschafts- und Familienrhetorik im Beratungsdiskurs zu »New Work«. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 136-148.

Abstract: In einem ersten Schritt nutze ich die Arbeiten der amerikanischen Soziologin Arlie Hochschild, um aufzuzeigen, wie eine vormals als Besonderheit von Familie definierte Emotionalität Einzug in die Arbeitswelt hält. Aufgegriffen werden in diesem Wandel zugleich gegenkulturelle Entwürfe der 1960er und 70er Jahre, jetzt allerdings unter den politisch konservativen Bedingungen der 1980er Jahre. Gegenkulturelle Entwürfe stellen auch den Entstehungshintergrund der Arbeiten von Fritjof Bergmann dar, der insbesondere in der deutschen Debatte den Begriff des »New Work« prägen wird. Warum dieser so anschlussfähig zu sein scheint, wird mit den Thesen von Luc Boltanski und Ève Chiapello über den »Neuen Geist des Kapitalismus« veranschaulicht. Nach einem Exkurs zur Verwendung der Begriffe Familie und Gemeinschaft wird beispielhaft der Beratungsdiskurs zu »New Work« aufgenommen und als Ausdruck einer sich verändernden gesellschaftlichen Funktion von Beratung interpretiert.

Pfautsch, Bernhild & Matthias Ochs (2023): Antizipation von ­Nebenwirkungen – Ausdruck von Professionalität? Teil 2: Empirische Befunde zu ­Risiken und Nebenwirkungen systemischer Therapie und Beratung: Ergebnisse einer qualitativ-­explorativen Online-Befragung. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 150-160.

Abstract: In diesem zweiten Teil wird von einer qualitativ-explorativen Online-Studie unter systemischen Berater:innen / Therapeut:innen berichtet (Rücklauf 180, davon 50 verwertbare Datensätze). Die Ergebnisse zeigen, dass dieser Thematik im systemischen Feld Bedeutung beigemessen wird. Als Nebenwirkungen wurden beispielsweise die Symptomverschlechterung sowie die Destabilisierung des Umfeldes benannt. Zu den vielfältigen genannten Ursachen zählen u. a. eine inadäquate Ressourcenorientierung mit fehlender Wertschätzung von Problemen und Leid, verwirrende Fragetechniken als auch mangelnde Kompetenz im Hinblick auf intrapsychische Phänomene. Supervision, Intervision und Weiterbildung werden als wichtige Resonanzräume beschrieben, welche genutzt werden sollten, um die Thematik regelhaft und proaktiv zu reflektieren und Kompetenzen sowie Routinen für den Umgang damit im therapeutischen / beraterischen Prozess zu entwickeln.

Emlein, Günther & Arist v Schlippe (2023): »Die Leben sind verschieden, der Schmerz ist ähnlich«. Günther Emlein und Arist v. Schlippe im Gespräch mit Father Michael Lapsley über »Healing of Memories« und Vergebung. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 162-166.

Lellek, Sabine (2023): Rezension: Carmen Osten (2022): Kindeswohlgefährdung – Therapiegeschichten zur Gewalt an Kindern und deren Prävention. Stuttgart (Kohlhammer),. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 168-169.

Averbeck, Birgit (2023): Rezension: Kira Gedik & Reinhart Wolff (2020): Kinderschutz in der Demokratie – Eckpfeiler guter Fachpraxis. Ein Handbuch. Opladen, Berlin, Toronto (Barbara Budrich). In: Familiendynamik, 48 (2), S. 169-171.

Grünberg, Chawwah (2023): Rezension: Ursula Schleiner-Tietze (2022): Der Schwarze Vogel und sein Geheimnis. Münster (agenda). In: Familiendynamik, 48 (2), S. 171-172.

Lüscher, Kurt (2023): Der Wort-Schatz. In: Familiendynamik, 48 (2), S. 175-175.


Heft 3

Oelkers-Ax, Rieke & Mathias Berg (2023): Editorial: Humor ist (nicht) die Lösung! In: Familiendynamik, 48 (3), S. 177-177.

Berg, Mathias (2023): Nur genügend Humor müsst ihr haben! Ein kritischer Überblick über Humor und seine Anwendung in Sozialer Arbeit und Beratung. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 180-187.

Abstract: Humor in psychosozialen und beraterischen Settings einzusetzen ist längst nicht mehr so verpönt wie noch vor einigen Jahrzehnten. Therapeutischer Witz, Lachtrainings und humorvolle Interventionen erfreuen sich seit einiger Zeit auch in der Sozialen Arbeit wachsender Aufmerksamkeit und Beliebtheit. Worin besteht der Nutzen, wenn Humor in Therapie und Beratung eingesetzt wird, und was macht es manchmal schwierig, die beabsichtigte humorvolle Wirkung auch tatsächlich zu erzielen? Der Beitrag geht diesen Fragen nach und plädiert für eine humorvolle Haltung von Beratenden sich selbst und den ratsuchenden Menschen gegenüber. Humor in Beratung und Sozialer Arbeit, verstanden als Form der Beziehungsarbeit, kann so zu einer Ressource werden und dazu einladen, die Perspektive zu weiten.

Cordes, Charlotte & E. Noni Höfner (2023): Humor und Heraus­forderung im ganz normalen Alltagswahnsinn. Der Provokative Ansatz in Coaching und Therapie. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 188-194.

Abstract: Der Provokative Ansatz hat sich aus der Provokativen Therapie von Frank Farrelly entwickelt. Farrelly machte das befreiende Lachen in der Therapie gesellschaftsfähig und bewies, dass effiziente Therapie sowohl kurzweilig als auch kurz sein kann. Im Zentrum der provokativen Arbeit stehen Humor und Herausforderung. Die Beratenden persiflieren auf wertschätzende und humorvolle Weise die selbstschädigenden Glaubenssätze der Klienten, sodass diese darüber lachen können, und provozieren auf diese Weise Denk- und Verhaltensänderungen. Der Provokative Ansatz lässt sich in fast jeden Therapie- oder Beratungsstil einbauen. Er eignet sich besonders bei Denk- und Gefühlsblockaden, die zu einseitigen, eingefahrenen und selbstschädigenden Verhaltensweisen der Klienten führen. Unabdingbare Voraussetzung für den Einsatz provokativer Interventionen ist eine uneingeschränkte Wertschätzung der Klienten und der bedingungslose Glaube an deren Ressourcen und Veränderungsfähigkeiten.

Hirsch, Rolf D. (2023): Humor: ein lebens­langer heiterer und ­salutogenetischer ­Begleiter. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 196-203.

Abstract: Ist auch bekannt, dass man mit Humor das Leben in seinen Höhen und Tiefen leichter bewältigen kann, so bedarf es schon einer lebenslangen Aufmerksamkeit, Motivation und Übung, um Humor als wirkungsvolle Kraft im Alltag und als »Trotzmacht« gegen die Widrigkeiten des Lebens einsetzen zu können. In der Psychotherapie ist Humor ein wichtiger und notwendiger Unterstützer für den Genesungsprozess. Verschiedene Interventionen und Hilfsmittel können den Sinn für Humor verstärken. Entscheidend sind eine patientenorientierte Beziehung und der Einsatz von Humor im richtigen Augenblick. Eine »Humorpille« gibt es nicht! Für alte Menschen ist Humor eine wichtige Ressource. Er erleichtert das Alltagsleben und kann die Bewältigung auftretender Krisen, körperlicher Erkrankungen und Belastungen erheblich unterstützen. Humor hat mit Weisheit und Integrität zu tun und kann Lebensqualität und das Wohlbefinden erheblich verbessern. Es ist ein Lebensmittel: Umgang mit Humor sollte zur täglichen Routine in Beziehungen gehören. Insbesondere ist Humor eine wichtige und nicht zu unterschätzende heitere Kraft bei der Behandlung von alten Menschen mit Depression und Demenz. Diesbezügliche Untersuchungen bestätigen das.

Köhler-Saretzki, Thomas, Dorothea Brilmayer-Riesbeck, Pauline Grill & Mathias Berg (2023): Humor, Bindung und psychische Gesundheit in Familien. Ausgewählte Ergebnisse der HU.PSY-Studie. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 204-212.

Abstract: Humor und dessen Nutzung in schwierigen Situationen kann das psychische Wohlbefinden und die Resilienz von Familienmitgliedern in bedeutsamer Weise beeinflussen. Der Zusammenhang von psychischer Gesundheit und Humor bei ratsuchenden Familien in der Erziehungs- und Familienberatung (§ 28 SGB VIII) wurde erstmals in der Studie zu »Elterlichem Humor und psychischer Gesundheit in der Familie« (HU.PSY-Studie) bei Eltern in Beratung (N = 116) untersucht. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine heitere, humorvolle Lebenshaltung (Trait) mit psychischer Gesundheit in der Familie einhergeht und ob diese Lebenshaltung auch in Zusammenhang mit deren Bindungsstil steht. Des Weiteren wurde untersucht, ob Eltern mit einem sicheren Bindungsstil ihre Kinder als psychisch gesünder erleben. Die Ergebnisse zeigen, dass bindungssichere Eltern eine signifikant humorvollere Lebenshaltung aufweisen und ihre Kinder deutlich verhaltensunauffälliger einschätzen. Zudem konnten schwache Zusammenhänge zwischen der Erheiterbarkeit von Eltern und prosozialem Verhalten von Kindern gefunden werden.

Zwack, Julika & Joanne Dolhanty (2023): Emotionsfokussiertes Skilltraining für Eltern und Familien (EFST). Ein innovativer Ansatz für die Begleitung von Eltern (nicht nur) psychisch kranker Kinder. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 214-224.

Abstract: Der Artikel beschreibt die konzeptionellen Eckpfeiler des Emotionsfokussierten Skilltrainings (EFST) für Eltern. EFST zielt auf die Stärkung elterlicher Selbstwirksamkeit im Umgang mit externalisierendem und internalisierendem kindlichen Problemverhalten. Mithilfe von Psychoedukation und emotionsaktualisierenden Interventionen werden drei Kernkompetenzen vermittelt: die empathische Validierung kindlichen Erlebens, die Fähigkeit, Beziehungsverletzungen durch radikale Verantwortungsübernahme zu heilen, sowie die wirksame Regulation eigener Grenzen. Dabei auftretende Schwierigkeiten und Blockaden werden als Ausdruck konkurrierender emotionaler Motivlagen gewertet und mithilfe emotionsfokussierter Interventionen bearbeitet. Als transdiagnostisches und niedrigschwelliges Verfahren bietet EFST die Möglichkeit, die emotionale Kompetenz der Eltern zu fördern und dadurch einen zentralen protektiven Faktor kindlicher Entwicklung zu stärken.

Roesler, Christian (2023): Was genau ist ­eigentlich systemisch – und was nicht? Ein Plädoyer für Unterscheidungen, die einen Unterschied machen, und gegen theoriefreie Integration. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 226-238.

Abstract: In letzter Zeit wird zunehmend behauptet, Systemische Therapie (ST) lasse sich problemlos mit anderen Methoden nach dem Baukastenprinzip kombinieren. Dabei werden u. a. Methoden wie Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT) sowie Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) unter Systemischer Therapie subsummiert. Im vorliegenden Artikel wird diesem Vorgehen dezidiert widersprochen. Es wird aufgezeigt, dass durch eine solche Integration nicht nur mit den Grundprinzipien eines systemisch-konstruktivistischen Ansatzes gebrochen wird, sondern die genannten Methoden aufgrund des ihnen jeweils zugrundeliegenden Wirkmodells weitestgehend inkompatibel sind. Diese Unvereinbarkeit wird exemplarisch veranschaulicht am Beispiel von Paartherapie sowie dem Versuch, die Arbeit mit Emotionen (auch unter Berücksichtigung neuerer Emotionstheorien) in die Systemische Therapie zu integrieren. Insgesamt wird darauf hingewiesen, dass die epistemologischen und theoretischen Fragen, die durch Methodenintegration aufgeworfen werden, einer dringenden Klärung und offenen Debatte innerhalb der Systemischen Theorie bedürfen.

Oelkers-Ax, Rieke & Thomas Ax (2023): FINAL CUT OF THE DEAD – ein systemisches, überraschendes Film-im-Film-im-Film-­Vergnügen. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 240-243.

Haak-Böser, Romina (2023): Der besondere Fall: Verborgene Stärke. Eine Ressourcenentdeckungsreise (durch die Vergangenheit) mit der Mutter einer vielfältig belasteten Familie. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 244-248.

Abstract: Jeder Mensch trägt Ressourcen in sich. Manche nimmt er wahr, manche kaum, manche zu bestimmten Zeitpunkten oder in manchen Lebenssituationen nicht. Manche will er vielleicht auch nicht sehen. Indem ein Mensch die eigenen Ressourcen findet und erlebt, hat er die Möglichkeit, sein Entwicklungspotenzial auszubauen (Hanswille, 2015). Hier kommen wir als Fachkräfte ins Spiel: Unsere Aufgabe kann es sein, eben jene verschütteten Ressourcen ausfindig zu machen, sie zu fördern und für ein aktives Leben zu nutzen. Der hier geschilderte besondere Fall ist eine Ressourcenentdeckungsreise und zeigt, wie tief verschüttet Ressourcen liegen können. Werden sie entdeckt, können starke positive Kräfte aktiviert werden. Die nachfolgend beschriebene Familie war eine meiner ersten, die ich im Rahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) betreut habe, und allein schon deswegen »besonders« für mich. Die Arbeit mit ihr hat mich auf viele Arten und Weisen berührt und sowohl privat als auch beruflich weitergebracht. Die manchmal dramatischen Entwicklungen haben mich zeitweise an meine Grenzen geführt, doch konnte ich dadurch viel lernen und v. a. auch Ressourcen in mir selbst entdecken.

Born, Simone (2023): Der »Childcheck« in der allgemeinen ­Erwachsenennotaufnahme. Elterliche Risikofaktoren in den Blick nehmen, nach Kindern fragen. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 250-252.

Abstract: Im Jahr 2021 wurden ca. 200.000 Fälle mit Verdacht auf Kindeswohlgefährdung von deutschen Jugendämtern untersucht, in ca. 60.000 Fällen wurde eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. In nur 6 % der Fälle war »Gesundheitspersonal« Hinweisgeber (Destatis, 2022). Zahlreichen Studien zufolge sind häusliche Gewalt, psychische Erkrankung oder Suchterkrankung der Eltern grundlegende Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung (Austin, Lesak & Shanahan, 2022). Schätzungen für Deutschland gehen momentan aber von 3 bis 4 Millionen Kindern und Jugendlichen mit einem psychisch oder suchtkranken Elternteil (Lenz & Wiegand-Grefe, 2017) aus. Die WHO geht für Deutschland von einer Million Kindern aus, die sexuellen Missbrauch bereits erleben mussten oder erleben (ebd.). Psychisch und suchterkrankte Eltern weisen oft reduzierte emotionale Bindungs- und Empathiefähigkeiten auf und ihre Kinder sind – immer wieder auch schon bereits von Beginn der Schwangerschaft an – kumulierenden Risiken ausgesetzt. Die Folgen belastender Kindheitserfahrungen sind seit mehreren Jahrzehnten sehr gut erforscht. Ab vier bestehenden Risikofaktoren spricht man von Hochrisikofamilien (Witt et al., 2019). Die deutsche Traumafolgekostenstudie berechnet die Folgekosten aller Misshandlungsformen in Deutschland auf 10 bis 30 Milliarden Euro jährlich (Habetha et al., 2012). Investitionen in ein noch effektiveres Kinderschutzsystem würden sich somit auch langfristig ökonomisch »lohnen« (Hermann et al., 2022). Mit dem »Childcheck« in Erwachsenennotaufnahmen können Familien mit hohem Risiko für Kindeswohlgefährdung über die elterlichen Risikofaktoren identifiziert werden, so dass ihnen passgenaue, für sie geeignete Hilfe angeboten werden kann.

Oelkers-Ax, Rieke & Frauke Ehlers (2023): »Clown ist nicht lustig. Clown ist intensiv.« Rieke Oelkers-Ax und Frauke Ehlers im Gespräch mit Ann Dargies. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 254-260.

Abstract: Ann Dargies, Bühnenclown, Schauspiel- und Clownlehrerin, Schauspielerin, Regisseurin, Theaterpädagogin, Aktionskünstlerin, Freie Theatermacherin seit 35 Jahren, Lehrende in unterschiedlichen Theaterinstitutionen und in der eigenen Clownsschule, Theater- und Kunstbetrieb mit eigener Probenstätte in der www.wackerfabrik.de, Vorstand der Freien Szene Darmstadt e. V. und des Theaters Moller Haus, Mit-Verantwortliche der interaktiven Ausstellung www.lebenausgestorben.de. Schwerpunkte: Clownstheater, Politisches Theater, Theater im öffentlichen Raum, Orts- bespielungen, Aktionstheater und interaktive Kunstformen, Biografisches Theater, Choreografisches Theater nach Tadeusz Kantor, Theater, was das Herz berührt.

N.N. (2023): Einführung in Ihren eigenen Humor. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 262-263.

Zwack, Julika (2023): Rezension – Jendrich, Christiane: Funkstille. Systemisch arbeiten in Familien mit Kontaktabbrüchen. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 264-265.

Tillner, Ruth (2023): Rezension – Jakob, Peter: Dem Trauma Widerstand leisten. Neue Autorität als familientherapeutischer und traumapädagogischer Ansatz. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 265-267.

Wedekind, Erhard (2023): Rezension – Klaus, Ottomeyer: Angst und Politik. Sozialpsychologische Betrachtungen zum Umgang mit Bedrohungen. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 267-269.

Loth, Wolfgang (2023): Humor kommt vor. In: Familiendynamik, 48 (3), S. 271-271.


Heft 4

Borke, Jörn & Christine Huth-Hildebrandt (2023): Editorial: Auf der Flucht. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 273-273.

Abstract: Im Juni dieses Jahres teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit, dass die Zahl der geflüchteten Menschen Ende 2022 mit weltweit 108,4 Millionen einen neuen Rekordwert erreicht habe. Die seit vielen Jahren hohen Zahlen sind durch den Krieg in der Ukraine noch einmal gestiegen. Nicht zuletzt bedingt durch den Klimawandel ist anzunehmen, dass die Zahl der flüchtenden Menschen in Zukunft noch weiter wachsen wird. Neben der Bekämpfung der Fluchtursachen kommt dabei dem Verständnis für die Situation geflüchteter Menschen und ihre spezifischen Erfahrungen und Hintergründe sowie natürlich ihrer Unterstützung eine wichtige Bedeutung zu. Letztere Aspekte bilden den Fokus dieses Heftes.

Thümmler, Ramona & Katharina Sindlinger (2023): Kinder mit Flucht­erfahrung. Chancen und Herausforderungen in der Begleitung in pädagogischen, psychosozialen und therapeutischen Kontexten. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 276-284.

Abstract: Kinder und Familien mit Fluchterfahrung erleben vielfältige Umbrüche und prägende Ereignisse vor, während und nach der Flucht. Da Kinder und Familien mit diesen Belastungen und daraus resultierenden Verhaltensweisen und Bedürfnissen in die psychosoziale Begleitung und Therapie kommen, benötigen Fachkräfte Wissen und Methoden für eine kompetente Begleitung. Der Text zeigt aktuelle Zahlen und Fakten zu Fluchtbewegungen auf, stellt das Modell der sequentiellen Traumatisierung vor und gibt Ergebnisse von Studien zur psychischen Gesundheit von Kindern mit Fluchterfahrung wieder. Als notwendige Professionalisierungsaspekte für pädagogische und therapeutische Fachkräfte werden Wissen sowie der Umgang mit antinomischen Spannungsverhältnissen aufgezeigt. Ziel ist es, für die Belange von Kindern und Familien mit Fluchterfahrung zu sensibilisieren und kultursensitive Anknüpfungspunkte für praktisches Handeln zu zeigen.

Huth-Hildebrandt, Christine & Nour Hammash (2023): »Dieser verfluchte Krieg!« Familiendynamiken und Resilienz im Flüchtlingscamp Za’atari in ­Jordanien. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 286-295.

Abstract: Jordanien ist eines der am stärksten von der Syrienkrise betroffenen Länder und beherbergt derzeit den weltweit zweithöchsten Anteil an Flüchtlingen pro Kopf der Bevölkerung. Infolge der Syrienkrise gelangten ca. 1,3 Millionen Flüchtlinge nach Jordanien, vor allem aus Syrien, Irak, Jemen, Sudan und Somalia. Im zwölften Jahr der Krise leben viele von ihnen noch immer fern von ihren Heimatorten in den ursprünglich als Notunterkünfte errichteten Flüchtlingscamps. Za’atari ist das größte und bekannteste dieser Camps, es liegt nicht weit entfernt von der syrischen Grenze. Seit seiner Errichtung im Jahr 2012 ist es zum Symbol für die Vertreibung von Syrern im gesamten Nahen Osten geworden und beherbergt heute rund 82 500 Menschen. Wir haben im Rahmen einer Studie Gespräche mit Familien geführt, die seit über zehn Jahren in diesem Camp leben. Die hier vorgestellte polygame Familie von Ali Aymar mit seinen beiden Ehefrauen Lina und Reem ist ein exemplarischer Fall aus dieser Studie. Im Beitrag geht es um die Rekonstruktion ihrer Lebensgeschichten mit ihren familialen Verknüpfungen. Bei den Beratungsgesprächen im Camp sind diese als Wissenshintergrund unabdingbar, um gemeinsam nach realisierbaren Möglichkeiten zu suchen, damit die Zukunftswünsche kein unrealistischer Traum für die Betroffenen bleiben.

Borke, Jörn (2023): Kulturell ­variierende Bedürfnisse nach ­Autonomie und ­Verbundenheit. Familiäre Erlebens- und ­Verhaltensweisen. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 296-304.

Abstract: Alle Familien sind unterschiedlich und einzigartig. Dennoch lassen sich kulturelle Unterschiede zwischen Familien, die von ähnlichen Kontextbedingungen geprägt sind, beschreiben. In diesem Artikel soll ein Modell zur Unterscheidung von kulturellen Gruppen anhand von unterschiedlichen Ausprägungen von Autonomie und Verbundenheit dargestellt werden. Zudem werden daraus ableitbare Implikationen für eine systemische Praxis reflektiert.

Wiebenga, Eliane & Hans Bom (2023): Verbindende Autorität als Beziehungsangebot. Konstruktive Allianzen zwischen Elternberatern und Eltern. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 306-317.

Abstract: Die Methode des Gewaltlosen Widerstandes von Haim Omer hat sich von einer therapeutischen Intervention bei externalisierendem Problemverhalten von Kindern und Jugendlichen zu einer Vision entwickelt, wie Eltern, Lehrer, Gruppenleiter, Führungskräfte und viele andere Autorität mit einer Haltung von Präsenz, Transparenz und Verbundenheit sowie klaren Grenzen und (Gewaltlosem) Widerstand verbinden können. Der Fokus dieses Artikels ist nicht die Eltern-Kind-Beziehung, sondern liegt auf parallelen Prozessen, nämlich der »verbindenden Autorität« als Grundlage für die Beziehung zwischen Therapeuten und Eltern. Durch Abbildungen und Beispiele aus der systemtherapeutischen Praxis veranschaulichen die Autoren den Kern der verbindenden Autorität (Autorität durch Beziehung). Damit Beratende und Therapeuten in verschiedenen Situationen einen klaren Kurs wählen können, haben die Autoren einen »Kompass von Haltungen und Beeinflussungsstrategien« entwickelt, der beschrieben und erläutert wird.

Schorb, Alexander & Günter Schiepek (2023): Psychische Gesundheit und Sport. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 318-329.

Abstract: Psychische Symptome und Belastungen im Sport können sich als sportspezifische und -unspezifische Störungen zeigen. Sie können die Leistung mindern und auch das Risiko für körperliche Verletzungen erhöhen sowie anschließend eine Rehabilitation verlängern. Nicht erkannte oder nicht adäquat behandelte psychische Belastungen und Störungen bei Sportlerinnen und Sportlern können gravierende gesundheitliche und manchmal auch existenzielle Folgen haben. In den letzten Jahren ist der Fachbereich Sportpsychiatrie und -psychotherapie erkennbar gewachsen. Darauf Bezug nehmend erfolgt eine Übersicht zu speziellen Fragen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Wechselwirkungen von psychischer Gesundheit, Belastung, Training, Leistung und Verletzungen im Sport werden dargestellt. Darüber hinaus werden zwei Behandlungen mit dem Synergetischen Navigationssystem (SNS) vorgestellt, bei dem die Wechselwirkungen verschiedener Faktoren im Sport einbezogen werden.

Luger, Martin (2023): Systemische Psycho­therapieforschung. Akademisierung im deutsch­sprachigen Raum – ein erster Überblick. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 330-338.

Abstract: Ziel einer im Frühjahr 2020 als Kooperation der österreichischen Ausbildungsinstitutionen für Systemische Familientherapie durchgeführten und 2021 überarbeiteten Recherche war es, den Austausch zwischen therapeutischer Ausbildung, Praxis und Forschung zu fördern und zu erleichtern. Insbesondere sollte der Zugang zu wissenschaftlichen Quellen und somit die Rezeption rezenter Forschung einer systemischen Psychotherapiewissenschaft vereinfacht werden. Die Recherche hat nicht nur eine umfassende Literaturliste hervorgebracht, sondern gewährt zudem Einblicke in die deutschsprachige Szene dezidiert systemischer Psychotherapieforschung. Jene ist klein, aber durchaus aktiv, gut vernetzt und divers – im Sinne von multimethodisch und -paradigmatisch – aufgestellt. Ein großer Teil der aus ihr hervorgegangenen Publikationen besteht aus Monografien oder Sammelbänden, weniger aus wissenschaftlichen Artikeln in Zeitschriften mit Review-Verfahren. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut sich systemisch ausgerichtete akademische Forscher:innen positionieren, um ihre Ansätze innerhalb einer eigenständigen, allgemeinen Psychotherapiewissenschaft erfolgreich zu etablieren und sich von vereinnahmenden Tendenzen – beispielsweise der Psychologisierung oder Medikalisierung – zu emanzipieren.

Fried, Michaela & Sabine Sommerhuber (2023): Unterstützende Arbeit mit Flüchtlingsfamilien auf Lesbos. Eine Darstellung anhand von drei Fallbeispielen. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 340-345.

Abstract: Wir, zwei Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, meldeten uns im Januar 2021 zusammen mit einer systemischen Familientherapeutin und Flüchtlingshelferinnen aus Österreich als Freiwillige für die NGO »Medical Volunteers International« (MVI) auf Lesbos. Warum Lesbos? Nach dem verheerenden Brand im September 2020 in Moria, Europas größtem Flüchtlingslager mit 12 600 Menschen, wurden 8000 Menschen im Flüchtlingslager Kara Tepe 2 in völlig unzureichenden Zelten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt untergebracht. Das Lager befindet sich direkt am Meer (auf einem ehemaligen Schießplatz), über das die Flüchtlinge aus der Türkei in Schlauchbooten gekommen waren. Die Kinder, die den Brand in Moria erlebt hatten, wurden nachts an ihre Eltern angebunden, da diese befürchteten, ihre Kinder könnten aus Angst vor Feuer ins Meer laufen. Tatsächlich reagierten nicht wenige Kinder nach dem traumatisierenden Brand in Moria auf diese Weise.

Schlippe, Arist von (2023): Reflektierende Positionen – eine Übung zur Einführung. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 346-347.

Abstract: Der Begriff »Reflektierendes Team« ist eng mit dem Namen des norwegischen Psychotherapeuten Tom Andersen verbunden, der diese Art des Vorgehens als Innovation in die systemische Praxis einführte (Andersen, 1990). Bei dem von ihm vorgeschlagenen Vorgehen beobachtet ein Team aus zwei bis vier Beraterinnen bzw. Beratern (die Beobachter sitzen mit im Raum) das geführte Gespräch. Die Beobachter sprechen in ein bis drei Pausen miteinander reflektierend über eigene Gefühle, Gedanken, Vermutungen, die ihnen während des Zuhörens durch den Sinn gegangen sind. Die Ratsuchenden (Einzelpersonen, Paare, Familien, Gruppen) hören dem Reflexionsgespräch zu und haben dabei die Möglichkeit, über sich selbst während der Runde nachzudenken. So erleben sie sich selbst im Spiegel der Reflexion des Teams. Immer schon war es ein Problem dieser Arbeitsform, die hohe Zahl (bezahlter ) Fachleute, die hier nötig ist, zusammenzubekommen. In der Praxis wurde allerdings im Laufe der Zeit vielfach deutlich, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, dass möglichst viele Fachleute als Expertinnen und Experten ihre Einschätzungen abgeben. Es ist vielmehr die veränderte Perspektive, um die es geht. Es geht darum, eine Struktur zu ermöglichen, die eine Selbstbeobachtung aus einer anderen Sicht ermöglicht. So kann ein Gespräch durch Reflexionspausen unterbrochen werden, in denen die Betroffenen selbst als Beobachterinnen und Beobachter eingeladen werden, über das Gespräch zu sprechen – vorzugsweise eingeleitet durch einen Platzwechsel. So entstand der Begriff der »Reflektierenden Positionen«, bei denen nicht die jeweilige Expertise im Vordergrund steht, sondern das Einnehmen einer anderen Perspektive, zu dem eben auch die Betroffenen selbst eingeladen werden können (Drews, Born & v. Schlippe, 2021; v. Schlippe, 2023). In dem Moment, in dem eine Person von einem anderen Platz auf sich selbst zurückschaut, entsteht ein neuer Referenzraum und es werden andere Emotionen und Gedanken möglich. So kann es erstaunlich sein, wie ruhig zwei im heftigen Konflikt liegende Kontrahenten ein Reflexionsgespräch über ihren Konflikt führen können (v. Schlippe, 2023).

Wedekind, Erhard, Kirsten von Sydow & Ulrike Borst (2023): Leserbriefe Zum Beitrag »Was genau ist eigentlich systemisch – und was nicht?«. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 348-351.

Reiners, Bernd (2023): Rezension: Manfred Liebel & Philip Meade (2023): Adultismus. Die Macht der Erwachsenen über die Kinder. Eine kritische Einführung. Berlin (Bertz + Fischer). In: Familiendynamik, 48 (4), S. 352-353.

Berg, Mathias (2023): Rezension: Johannes Jungbauer (2022): Familienpsychologie KOMPAKT. Weinheim, Basel (Beltz). In: Familiendynamik, 48 (4), S. 353-354.

Lüscher, Kurt (2023): Über-Setzen. In: Familiendynamik, 48 (4), S. 359-359.