systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Familiendynamik 2000

Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (2000): Editorial: Paar- und Familienforschung. In: Familiendynamik 25 (1): 1-3.

Gottman, John M. & Robert Wayne Levenson (2000): Wie stabil sind Ehebeziehungen über mehrere Jahre? In: Familiendynamik 25 (1): 4-13.

abstract: In der vorliegenden Studie wird untersucht, wie stabil Ehebeziehungen über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg sind. Es ergaben sich eine statistisch signifikante Stabilität der Emotionalität insgesamt sowie der positiven und negativen Affekte besonders bei den Ehefrauen. Die Stabilität spezifischer Affekte war überwiegend geschlechtsspezifisch verteilt. Die Ehefrauen erwiesen sich hinsichtlich der negativen und positiven Affekte und beim Jammern als insgesamt stabiler als Männer, wohingegen sich die Ehemänner stabiler in ihrer Streitlust, Verachtung und Anspannung/Furcht erwiesen.

Gottman, John M. & Robert Wayne Levenson (2000): Wie verändern sich Ehebeziehungen im Laufe der Jahre? Eine Studie über alternative Prognosemodelle. In: Familiendynamik 25 (1): 14-38.

abstract: Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Frage nach Kriterien, mit denen sich eine Verschlechterung von Ehebeziehungen vorhersagen läßt. Folgende vier verschiedene Prognose-Modelle werden auf ihre Fähigkeit geprüft, zutreffende Vorhersagen dysfunktionaler Eheinteraktion zu ermöglichen: 1) die physiologische Grundaktivität zu einem bestimmten Zeitpunkt t1; 2) die interaktionsabhängige physiologische Aktivität zum Zeitpunkt t1; 3) ein Balancemodell, das auf dem Verhältnis von Positivität zu Negativität zum Zeitpunkt t1 beruht; und 4) Kognitionen über die Ehebeziehung, ermittelt durch Kodierung von Interviews zur Beziehungsgeschichte des Paares. Alle vier Modelle erlaubten die verlässliche Vorhersage einer dysfunktionalen Eheinteraktion zum Zeitpunkt t2, wobei sich das Gleichgewichtsmodell als das voraussagestärkste erwies.

Lebow, Jay L. (2000): Ein wichtiger Beitrag zu einer wissenschaftlichen Untersuchung der Paarbeziehungen. Kommentar zu den Arbeiten von John Mordechai Gottman und Robert Wayne Levenson: »Wie verändern sich Ehebeziehungen über längere Zeit?« und »Wie stabil sind Ehebeziehungen über längere Zeit?«. In: Familiendynamik 25 (1): 39-49.

abstract: Wer sich für Familienprozesse und Paartherapie interessiert, kann sich glücklich schätzen, dies in einer Zeit zu tun, in der er Zugang zu den Arbeiten von John Gottman und seinen Kollegen hat. In diesen Arbeiten verbinden sich wie selten theoretische Visionen mit exakten und innovativen Forschungsmethoden. Gerade diese Verbindung hat die Wissenschaft von den Paarprozessen entscheidend vorangebracht. Ich wage die Prognose, daß Gottmans Arbeiten in der Zukunft als wegweisend für einen Paradigmawechsel angesehen werden, da sie das Wesen dessen verändern, was wir betrachten, und was wir sehen, wenn wir etwas betrachten, und damit letztlich auch die Art und Weise, wie wir über Paarbeziehungen denken.

Revenstorf, Dirk (2000): Liebe und die empirische Forschung. Gottmans Versuch, das Unfassbare fassbar zu machen. Kommentar zu den Arbeiten von John Mordechai Gottman und Robert Wayne Levenson: »Wie verändern sich Ehebeziehungen über längere Zeit?« und »Wie stabil sind Ehebeziehungen über längere Zeit?«. In: Familiendynamik 25 (1): 50-54.

abstract: John Gottman ist einer der kompromißlosesten und erfindungsreichsten empirischen Forscher im Bereich sozialer Beziehungen. Er vereinigt eine hochgradige mathematische Expertise mit ungewöhnlicher Kontinuität und Sorgfalt in der Operationalisierung seiner Begriffe. Auf diese Weise hat er Beiträge von grundlegender Bedeutung für die Erforschung der Paarbeziehung geliefert. Er stellte fest, daß es drei Ehekonfigurationen gibt, die auf den ersten Blick eher ungünstig wirken, aber dennoch dem Zahn der Zeit widerstehen. Hätten Sie etwa gedacht, daß es zum Erhalt der Ehe beiträgt, die Konflikte unter den Teppich zu kehren? Oder möchten Sie sich in Beziehungen immer »konstruktiv« verhalten und Ihrem Partner unter allen Umständen zu helfen versuchen und ihn zu verstehen, um die optimale Konfliktlösung anzustreben? Das scheint uns, zumindest aus Sicht der europäischen Tradition für eine Liebesbeziehung unromantisch und langweilig. Schon eher ist der temperamentvolle Ehetyp plausibel, bei dem die negativen Emotionen ihren Platz haben, aber durch Humor, Zärtlichkeit und Versöhnung aufgewogen werden.

Bodenmann, Guy, Kathrin Widmer & Annette Cina (2000): Das Freiburger Stresspräventionstraining. Erste empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit. In: Familiendynamik 25 (1): 55-69.

abstract: Das Freiburger Stresspräventionstraining für Paare stellt ein Präventionsangebot für Paare dar, das hauptsächlich auf die Verbesserung von drei Kompetenzen abzielt, die sich als relevante Prädiktoren für einen günstigen Partnerschaftsverlauf und ein geringeres Scheidungsrisiko erwiesen haben: (a) Kommunikationsfertigkeiten, (b) Problemlösekompetenzen und (c) angemessene individuelle und dyadische Belastungsbewältigungsfertigkeiten. Insbesondere die Verbesserung des Umgangs mit Stress bildet einen Schwerpunkt des Ansatzes. Das Training wird in einer 2-Jahres-Längsschnittuntersuchung in bezug auf seine Wirksamkeit untersucht. Erste Ergebnisse zu Prae-Post-Effekten an 71 Paaren werden im folgenden dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass zwei Wochen nach der Teilnahme am Training signifikante positive Veränderungen stattgefunden haben. Die Partnerschaftszufriedenheit, die dyadische Kommunikation und der Umgang des Paares mit Stress haben sich substantiell verbessert. Die Paare berichten positive Effekte des Trainings auf ihre Partnerschaft und ihr Leben insgesamt.

Cierpka, Manfred, Silke Wiegand-Grefe & Britta Zander (2000): Mit welchen Problemen kommen Paare und Familien zu uns? In: Familiendynamik 25 (1): 70-94.

abstract: Im vorliegenden Beitrag berichten wir erste Ergebnisse der multizentrischen Studie zur Versorgungsrelevanz und Effektivität der Paar- und Familientherapie. Zunächst werden einige allgemeine Überlegungen zur Beschreibung und Operationalisierung von Problemen in der Paar- und Familientherapie dargestellt. Nach einer Vorstellung der multizentrischen Studie werden die Ergebnisse einer deskriptiven Datenauswertung berichtet. Wie bei anderen Psychotherapieformen und in der allgemeinärztlichen Versorgung sind personale Beschwerden wie somatische Symptome, Ängste und Depressionen der häufigste Anlass zur Hilfesuche. Erwartungsgemäß sind aber auch spezifischere Konsultationsgründe wie »Schwierigkeiten mit Partnerschaft, Trennung, Scheidung« vertreten. Während nach Therapeuteneinschätzung überwiegend personale Probleme als Behandlungsauftrag genannt werden, beklagen männliche Patienten überwiegend Paarprobleme und in der Problembeschreibung der weiblichen Patienten dominieren sowohl personale als auch Paarprobleme. Der Behandlungskontext spielt erwartungsgemäß eine Rolle; in den klinischen Kontexten werden fast ausschließlich personale körperliche Beschwerden, Depressionen und Ängste genannt, in den freien Praxen und Beratungsstellen sind Trennungsprobleme häufige Konsultationsgründe.

Hardt, Jürgen, Frank Petrak & Ulrich T. Egle (2000): Fehlender Wirksamkeitsnachweis der Positiven Psychotherapie! Zum Artikel: Peseschkian, N., K. Tritt, T. Loew, K. Jork, H. Deidenbach, B. Werner, H. Kick (1999): Wirksamkeitsnachweis der Positiven Psychotherapie im Rahmen der Qualitätssicherung. Familiendynamik 24: 80- 99. In: Familiendynamik 25 (1): 95-97.

Tritt, Karin, Th. Loew, M. Meyer, H. Kick & Nossrat Peseschkian (2000): Ein Beitrag zu methodischen Problemen der Psychotherapieforschung am Beispiel der Kontroverse zur Positiven Psychotherapie. Erwiderung auf Die Kritik von Hardt, Petrak & Egle. In: Familiendynamik 25 (1): 98-103.

Simon, Fritz B. (2000): Krieg. Systemheoretische Überlegungen zur Entstehung tödlicher Konflikte. In: Familiendynamik 25 (1): 104-130.

abstract: Krieg kann als ein Interaktions- und Kommunikationsmuster verstanden werden, bei dem die miteinander kämpfenden Konfliktparteien (Nationen, Gruppen, Ethnien, Banden, Individuen usw.) ihr Überleben als abgegrenzte Einheit riskieren. Die Funktion von Kriegen ist die Herstellung oder Beseitigung von Machtbeziehungen. Ihre Entstehung lässt sich durch uneindeutige Machtverhältnisse erklären. Sie können als autopoietische soziale Systeme betrachtet werden, die sich – wenn sie erst einmal begonnen haben – selbst erhalten, unabhängig von den ursprünglichen,sachlichen‘ Gründen und Zielen. Sind es soziale Systeme, die miteinander im Krieg stehen, so haben existenzbedrohende Konflikte intern eine integrierende Funktion. Bezogen auf die kämpfenden Individuen kann der Sinn des Kämpfens im Kämpfen selbst gesehen werden.

Rüschstroer, Heinz (2000): Systemische Beratung eines Paares in der Krise. In: Familiendynamik 25 (1): 131-139.

abstract: Es wird die systemische Beratung eines Paares dargestellt, bei dem die 10 Jahre jüngere Ehefrau sich nach 5 Jahren von ihren körperlich behinderten, versorgungsbedürftigen Mann trennt und dieser sich zunächst erfolglos um ihre Rückkehr bemüht. Als die Ehefrau nach einem Jahr, voller Schuldgefühle ihrem Mann gegenüber, wieder zu diesem zurückkehren möchte, muß sie enttäuscht feststellen, daß dieser inzwischen eine Freundschaft mit einer anderen Frau eingegangen ist und an einer Fortsetzung der Ehe nicht mehr interessiert ist. Es wird die Beziehungsdynamik des Paares beschrieben und geschildert, wie sehr der Kontext durch den Behindertenstatus des Ehemannes geprägt war und das Paar auch in der Beratung deswegen einer Art »Sonderbehandlung« erhielt. Erst dadurch, daß der Berater die »Besonderheit« dieser Beratung sowie den Umgang mit Aggressionen offen ansprach, ergaben sich Veränderungen, die Fortschritte im Verlauf der Paarberatung ermöglichten.

Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (2000): Editorial: Der Familientherapeut persönlich. In: Familiendynamik 25 (2): 147-149.

Rober, Peter (2000): Die innere Konversation des Familientherapeuten. Über das Selbst des Therapeuten, therapeutische Sackgassen und wie man darüber nachdenken kann. In: Familiendynamik 25 (2): 150-176.

abstract: In der vorliegenden Arbeit wird zwischen der äußeren therapeutischen Konversation und der inneren Konversation des Therapeuten unterschieden. Die therapeutische Konversation ist ein zirkulärer Prozeß von Bedeutungen, an dem sowohl der Therapeut als auch die Klienten Anteil haben. Die innere Konversation des Therapeuten wird dagegen als Verhandlung verstanden zwischen dem Selbst des Therapeuten und seiner therapeutischen Rolle. In diesem Verhandlungsprozeß muß der Therapeut nicht nur seinen Beobachtungen, sondern auch dem, was in ihm während dieser Beobachtungen hervorgerufen wird, Beachtung schenken: Vorstellungen, Stimmungen, Emotionen, Assoziationen, Erinnerungen etc. Therapeutische Sackgassen werden als lähmende Störungen des zirkulären Prozesses der Bedeutungen und der inneren Konversation des Therapeuten beschrieben. Ein Reflexionsprozeß als möglicher Ausweg aus der Sackgasse wird vorgeschlagen. Im Rahmen dieses Prozesses wird die innere Konversation des Therapeuten externalisiert. Abschließend illustriert ein Fallbeispiel die Bedeutung dieses Vorgehens für die familientherapeutische Praxis.

Schmidt, Gunther (2000): «Wahrgebungen« aus der »inneren« und »äußeren Welt« des Therapeuten und ihre Nutzung für zieldienliche therapeutische Kooperation. In: Familiendynamik 25 (2): 177-205.

abstract: Aus systemischer Sicht kann individuelles Verhalten immer nur in seinem Beziehungskontext verstanden werden; erst dadurch erschließt sich oft sein kompetenter Aspekt. Die Bedeutung des Kontextbezugs wurde über weite Strecken der Geschichte systemischer Therapie als so zentral angesehen, daß man glaubte, individuelle intrapsychische Prozesse nicht direkt berücksichtigen zu müssen, weil eine Änderung des jeweiligen Kontextes das darin eingebettete individuelle Erleben ohnehin ändern würde. Die Theorie der Selbstorganisation lebender Systeme weist aber darauf hin, daß vor allem die innere Selbstorganisation des Individuums letztlich bestimmend für sein Erleben ist. Professionelles systemisches Handeln bekommt so die Aufgabe und Chance, Interventionen für Muster auf interaktioneller und intrapsychischer Ebene zu gestalten und dabei deren Interdependenz zu beachten. In dieser Arbeit wird dargestellt, wie die Konzepte der Ericksonschen Hypnotherapie als ideale Basis zur Beschreibung internaler Selbstorganisation mit systemischen Konzepten zu einem konsistenten kompetenzfokussierenden Modell integriert werden können. Dabei wird mit dem Konzept der wechselseitigen Aufmerksamkeitsfokussierung gezeigt, wie Klienten und Therapeuten sich wechselseitig hypnotisch beeinflussen und wie die bei Therapeuten dadurch induzierten Erlebnisprozesse als wertvolle Hinweise auf Problemmuster bei Klienten dienen können. Sowohl theoretisch als auch durch viele praktische Beispiele wird illustriert, wie Therapeuten ihre durch die Interaktion mit Klienten angeregten internalen Prozesse nutzen können dafür, das Therapiesystem sehr effektiv als wirksames Kooperationssystem mit optimaler Verteilung der Verantwortung in einem erfolgreichen »joint venture« aufzubauen. Sie können ihre intrapsychischen Prozesse in der therapeutischen Begegnung dafür modellhaft so transformieren und durch transparente Metakommunikation mit den Klienten so nutzen, daß Auftragszwickmühlen der Therapeuten aufgelöst werden und den Klienten viele hilfreiche Einladungen angeboten werden können für einen konstruktiven, zieldienlichen Umgang mit vorher probleminduzierenden Konflikten.

Miller, Gale & Steve de Shazer (2000): Mit Gefühlen arbeiten. Die Sprache der Gefühle in der lösungsorientierten Kurztherapie. In: Familiendynamik 25 (2): 206-228.

abstract: Aus einer Perspektive der Wissenssoziologie und der Wittgensteinschen Philosophie werden zwei grundlegende Fragen über Gefühle in der Therapie gestellt: Wie definieren Therapeuten Gefühle als einen (von Verhalten und Kognition getrennten) spezifischen Bereich menschlicher Erfahrung? Wie werden Gefühle zum Bestandteil lösungsorientierter Kurztherapie ? Die Antworten begründen, warum konventionelle Konzepte und therapeutische Methoden nicht geeignet sind, um die Bedeutung von Gefühlen in der lösungsorientierten Kurztherapie zu verstehen. Dagegen werden Gefühle als gesellschaftlich konstruierte Realitäten und als Handlungen (etwas, das wir tun) betrachtet, und sie werden dadurch zu Aspekten des Sprachspiels der lösungs orientierten Kurztherapie.

de Waal, Helmut (2000): Das Triviale als Ressource. Am Beispiel des Krimis. In: Familiendynamik 25 (2): 229-239.

König, Oliver (2000): Rezension: Kurt Lüscher & Brigitte Pajung-Bilger (1998): Forcierte Ambivalenzen. Ehescheidung als Herausforderung an die Generationenbeziehungen unter Erwachsenen. Konstanz (Universitätsverlag UVK). In: Familiendynamik 25 (2): 240-244.

Kasper, Wolfgang A. (2000): Rezension – Stephen Gilligan (1999): Liebe dich selbst wie deinen Nächsten – Die Psychotherapie der Selbstbeziehung, Heidelberg (Carl-Auer-Systeme-Verlag). In: Familiendynamik 25 (2): 244-245.

Schlippe, A. von (2000): Bericht von der Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft vom 12.-13.11.1999 in Marburg. In: Familiendynamik 25 (2): 252-253.

Margraf, Jürgen & S.O. Hoffmann (2000): Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie. Gutachten zur Systemischen Therapie als wissenschaftliches Psychotherapieverfahren. In: Familiendynamik 25 (2): 254-255.

Speierer, Gert-W. (2000): Minderheitsvotum zum Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom 29.09.1999 zur Systemischen Therapie. In: Familiendynamik 25 (2): 256-256.

Ludewig, Kurt, Schlippe, A. von, Anni Michelmann, Marie L. Conen & Gisal Wnuk-Gette (2000): Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie (AGST) zum Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats »Psychotherapie« über die Wissenschaftlichkeit der Systemischen Therapie. In: Familiendynamik 25 (2): 257-263.

Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (2000): Editorial: Familiensomatik. In: Familiendynamik 25 (3): 265-267.

Kröger, Friedebert & Susanne Altmeyer (2000): Von der Familiensomatik zur systemischen Familienmedizin. In: Familiendynamik 25 (3): 268-292.

abstract: Geht man zurück an die Ursprünge systematischer, familientherapeutischer Vorgehensweisen, wird deutlich, daß eine der Wurzeln aktueller systemischer Therapie die familienorientierte Gesundheitsversorgung des frühen 20. Jahrhunderts ist. Diese Thematik ging im familientherapeutischen Diskurs nicht verloren, wurde aber in größerem Umfang erst wieder in den 80er Jahren von amerikanischen Ärzten und Familientherapeuten aufgegriffen. Dies stand in engem Zusammenhang mit der Ressourcenverknappung im Gesundheitssystem und der Möglichkeit, durch die intensivierte Kooperation somatischer und psychotherapeutischer Behandler und die Einbeziehung des familiären Kontextes das Inanspruchnahmeverhalten im Gesundheitssystem zu verringern. Die systemische Familienmedizin beinhaltet die Ausweitung und Anwendung systemischer Konzepte in der biologischen Medizin. Sie ist charakterisiert durch die Anwendung familientherapeutischer Sichtweisen und Interventionstechniken auf die Themen der Organmedizin und die Strukturen der Gesundheitsversorgung. Um die Kooperation zwischen somatischen und psychosozialen Behandlern, den Patienten und seinen Angehörigen zu verbessern, bedarf es wesentlicher Modifikationen der psychotherapeutischen Berufskultur, aber auch des Behandlungssettings.
Für die familienorientierte Behandlung körperlich Kranker steht heute ein ermutigendes Erfahrungswissen zur Verfügung. Die systemische Familienmedizin verfügt über konkrete Behandlungstechniken, die für die Anwendung im organmedizinischen Kontext geeignet sind. Die Bedeutung des familiären Kontextes für die Ausformung des Gesundheits- und Krankheitsverhaltens ist wissenschaftlich fundiert. Die systemische Familienmedizin ist für Familienforscher ein geeignetes Feld, die Ressourcendiagnostik auszubauen und empirisch zu belegen, daß familientherapeutische Interventionen tatsächlich zu einer familiären Ressourcenstärkung führen und daß diese den Prozeß der Krankheitsverarbeitung und Krankheitsbewältigung positiv beeinflussen können.

Stierlin, Helm (2000): Wohlbefinden und Selbstregulation / Überlegungen zu einer systemischen Sozio-Psycho-Somatik. In: Familiendynamik 25 (3): 293-317.

abstract: Anhand der Schlüsselbegriffe Wohlbefinden und Selbstregulation entwickelt der Beitrag Grundzüge einer systemischen Sozio-Psychosomatik. Darin lassen sich Körper, Delegationsszenario und existentiell bedeutsames Bezugssystem (in der Regel die Familie) als aufeinander einwirkende Kräfte oder Systeme verstehen. Es läßt sich weiter von einem Ich als einer Instanz ausgehen, die diesen drei Systemen gegenüber eine beobachtende und ausgleichende Funktion ausübt. Dieses Ich läßt sich als Hüter des Wohlbefindens und Ermöglicher von Selbstregulation verstehen. Solche Hüterrolle kann ein systemischer Therapeut unterstützen, und dies nicht zuletzt auch dann, wenn schon schwere chronische Leiden wie Krebs oder Herz-Kreislaufkrankheiten bestehen. Unter Umständen können hier vergleichsweise wenige Sitzungen ausreichen, um die Chancen für ein langes gesundes Leben entscheidend zu verbessern.

Onnis, Luigi (2000): Zeit-Skulpturen. Der Gebrauch analoger Sprache bei der therapeutischen Arbeit mit psychosomatischen Familien. In: Familiendynamik 25 (3): 318-342.

abstract: Der Autor stellt eine bei Familien mit psychosomatischen Störungen anwendbare therapeutische Interventionsmethode vor, die auf der Verwendung von Familienskulpturen der Gegenwart und der Zukunft beruht. Dabei wird jedes Familienmitglied gebeten, die Familie so darzustellen, wie sie gegenwärtig »ist«, und so, wie sie in der Zukunft »sein wird«. Die Definition dieser Methode ist das Ergebnis einer umfassenden Forschungsarbeit, die sich mit psychosomatischen Störungen befaßt. Zuerst erörtern wir die theoretischen Gründe – in erster Linie zwei –, die uns zur Wahl dieser Methode führten: Erstens die Möglichkeit, eine therapeutische Sprache zu benutzen, die der nonverbalen Sprache des psychosomatischen Symptoms ähnlich ist, und zweitens die Möglichkeit, wieder eine Zeitdimension in Familiensysteme, die ihr Entwicklungspotential in einer Art »Zeitsperre« verloren zu haben scheinen, neu einzubringen. Im Anschluß werden zwei klinische Fälle erörtert: Im einen geht es um einen Jungen mit chronischem Asthma, im anderen um ein anorektisches Mädchen. In beiden Fällen deckte die Arbeit mit Skulpturen die zugrundeliegenden Probleme auf, die eine positive therapeutische Intervention möglich machten. Am Schluß des Beitrages hebt der Autor die epistemologische Bedeutung therapeutischer Interventionen mit Skulpturen hervor, einem Modell, das dem Therapeuten ermöglicht, mit vielfältigen systemischen Ebenen umzugehen.

Hansen-Magnusson, Ernst, Bengta Hansen-Magnusson & Jürgen Hargens (2000): Das kollegiale psychosomatische Konsil. Praxisorientierte Nutzung ressourcenorientierter Konzepte. In: Familiendynamik 25 (3): 343-352.

abstract: Der Mensch gilt als bio-psycho-soziale Einheit, nur ist dieses Verständnis nicht immer einfach in praktisches Handeln umzusetzen. Im Gesundheitsbereich haben sich – aus gutem Grund – Spezialdisziplinen entwickelt, die heute verstärkt vor der Frage stehen, wie sie alle anfallenden Informationen so bewältigen, daß sie sich zum Wohle des Patienten auswirken. Dabei kommt den Hausärzten – als erste Anlaufstelle und als Vertrauensperson – eine besondere Bedeutung zu, wie die aktuelle gesundheitspolitische Diskussion zeigt. Wir haben – zunächst aus Eigeninitiative, später dann im Rahmen des Praxisnetz Region Flensburg (P*R*F) – ein Konzept entworfen, das eine mögliche Umgangsform dafür bieten kann, die Bedeutung der Hausärzte sinnvoll und wirksam auszuweiten. Das Konzept – heute unter der Bezeichnung psychosomatisches Konsil regulärer Bestandteil des P*R*F (Hansen-Magnusson, Hansen-Magnusson & Hargens, 1998) – hat sich schrittweise aus der Praxis der Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizinern auf dem Lande und einem Psychologischen Psychotherapeuten entwickelt. Wir wollen hier die Grundlagen beschreiben, etwas zur Praxis sagen und die bisher vielversprechende Wirksamkeit aufzeigen.

Reich, Günter (2000): Eckhard Sperling 75 Jahre alt. In: Familiendynamik 25 (3): 353-354.

Jellouschek, Hans (2000): Rezension – Bruno Hildenbrand & Rosmarie Welter-Enderlin (Hrsg.): Gefühle und Systeme. Die emotionale Rahmung beraterischer und therapeutischer Prozesse. – Heidelberg (Carl-Auer-Systeme). In: Familiendynamik 25 (3): 353-354.

Retzer, Arnold & Fritz B. Simon (2000): Editorial: Familientherapeutische Schulen. In: Familiendynamik 25 (4): 365-368.

Neraal, Terje (2000): Psychoanalytische Familientherapie in Deutschland – eine persönliche Bestandsaufnahme. In: Familiendynamik 25 (4): 369-385.

abstract: Im vorliegenden Beitrag wird der unbewusste Anteil der Familiendynamik, wie sie von Familientherapie-Forschern aus dem deutschsprachigen Raum beschrieben wurde, dargestellt. Die Bedeutung der Übertragung/Gegenübertragung für die Beziehung zwischen Paar/Familie einerseits und Berater/Therapeut andererseits wird aufgezeigt und mit einer Fallvignette illustriert. Die Ursachen und Erscheinungsformen von aufkommenden Widerständen gegen Veränderungen während der Beratung oder Therapie und der therapeutische Umgang mit ihnen werden dargestellt.

Hahlweg, Kurt, Annett Kuschel & Yvonne Miller (2000): Verhaltenstherapeutische Familientherapie. In: Familiendynamik 25 (4): 386-410.

abstract: Es wird ein Überblick über verhaltenstherapeutische Ansätze zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Problemen in Familien gegeben. Als Beispiele hierfür werden Interventionen im Bereich von Beziehungsproblemen (verhaltenstherapeutische Paartherapie, EPL), emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern (TripIe P, THOP) und als Beispiel für familienorientierte Interventionen bei psychischen Störungen ein Programm zur Familienbetreuung schizophrener Patienten vorgestellt. Zudem wird auf Programme zur Rehabilitation (verhaltenstherapeutischer Ansaz bei Patienten mit chronischen Schmerzen, onkologische Rehabilitation) eingegangen. Es werden jeweils die theoretischen Grundlagen, Ziele und Inhalte beschrieben sowie Ergebnisse zur Wirksamkeit der Ansätze berichtet. Abschließend werden der aktuelle Stand, zukünftige Entwicklungen und Grenzen der verhaltenstherapeutischen Familienintervention diskutiert.

Deissler, Klaus G. (2000): «…ich, >mein Problem< und die anderen …« – von Ich-Erzählungen, Beziehungsgeschichten, transformativen Dialogen und Gesprächen im Dialog. In: Familiendynamik 25 (4): 411-449.

abstract: Der folgende Aufsatz soll einen Einblick in Theorie und Praxis therapeutischer und beraterischer Arbeit eröffnen, die sich postmodernes Gedankengut zunutze macht und Praktiken vorschlägt, die damit kohärent sind. Die Ausführungen bleiben vorläufig in dem Sinne, dass sie keine endgültigen Antworten geben und auch nicht beabsichtigen, sie zu geben: sie sollen weder einer Grundlegung noch einer Metatheorie oder Beschreibungen »dahinter liegender Prozesse« im Sinne von Wahrheit dienen. Sie sollen vielmehr eine Einladung sein, sich am (postmodernen) Prozess der Ideenerzeugung sowie Praxis beschreibung und -reflexion zu beteiligen und sich sozialkonstruktionistische und -poetische Ideen zunutze zu machen. Dabei soll: a. meine sich wandelnde Geschichte als »systemischer Therapeut« deutlich werden; b. die Transformation systemischer Therapiebegriffe zu sozialkonstruktionistischen und postmodernen vermittelt werden und c. anhand von Fallbeispielen auf die praktische Relevanz der beschriebenen neuen Begriffe verwiesen werden.

Ludewig, Kurt (2000): Systemische Therapie mit Familien. Probleme, Lösungen, Reflexionen, Praxis. In: Familiendynamik 25 (4): 450-484.

abstract: Dieser Beitrag zur Systemischen Therapie mit Familien geht davon aus, dass es gegenwärtig keinen klar identifizierbaren Ansatz der systemischen Familientherapie gibt. Die Arbeit mit Familien ist in das allgemeinere Programm der Systemischen Therapie übergegangen. Die Systemische Therapie beruht aber als Weiterenwicklung aus der Familientherapie heraus auf Konzepten, die ohnehin aus der Arbeit mit MehrPersonen-Systemen entstanden sind. Deshalb würde eine gesonderte Beschreibung der Systemischen Therapie mit Familien eine künstliche Differenzierung von anderen Settings beinhalten. Anstelle einer solchen Differenzierung wird es hier vorgezogen, sich mit der Systemischen Therapie als solcher auseinander zu setzen, sprich: mit den speziellen Problemen, die bei der Umsetzung systemischen Denkens in die therapeutische Praxis zu bewältigen waren und sind. Diese betreffen vor allem Fragen der klinischen Theorie, u. a. eine Bestimmung des »Gegenstands«, einige Leitdifferenzen für Theorie und Praxis, den Störungsund Lösungsbegriff, die Unterscheidung von Expertenturn und NichtWissen, die systemische Diagnostik, die therapeutische Beziehung sowie die Techniken und die Probleme einer systemischen Evaluation. Dieser Auseinandersetzung sind eine kurze Rekonstruktion der Geschichte der Systemischen Therapie einschließlich der in diesem Feld mittlerweile entstandenen Differenzierungen sowie einleitende Ausführungen zu den metatheoretischen Annahmen des Systemischen Ansatzes vorangestellt. Der Beitrag endet mit Reflexionen über die Therapie mit Familien und einem Fallbeispiel aus dieser Praxis.

Bayer, Irina & Dietmar Seel (2000): Hellinger – ein Zeichen der Zeit? In: Familiendynamik 25 (4): 485-503.

abstract: Die Autoren beschäftigen sich mit dem Phänomen der Breitenwirkung der umstrittenen Figur Hellingers. Beschrieben wird sowohl seine Arbeitsweise als auch die Wirksamkeit seiner Person in den viel besuchten Workshops. Psychoanalytische Theorien zur Massenpsychologie, zur autoritären Persönlichkeit und zur narzisstischen Entwicklung werden ebenso herangezogen wie soziologische Erkenntnisse, familientherapeutische und systemische Überlegungen. Auf diesem Hintergrund wird die Theorielosigkeit einer als neu definierten Methode kritisiert. Ein Handlungsbedarf für therapeutisch Tätige wird auf dem Hintergrund sich vielfältig entwickelnder Familienmodelle unserer sogenannten Postmoderne gesehen, d. h. für die sich immer differenzierter gestaltenden Lebensräume sollten auch differenzierte Methoden und Sichtweisen vorliegen, statt sie mit einer Einheitsidee künstlich zu nivellieren.

König, Oliver (2000): «Die zwei Welten«. Psychotherapie zwischen Wissen und Glauben, Reflexion und Aktion. In: Familiendynamik 25 (4): 504-531.

abstract: Der Aufsatz unternimmt den Versuch, die Auseinandersetzungen um die »phänomenologische« Psychotherapie Bert Hellingers auf dem Hintergrund des Verwissenschaftlichungsprozesses innerhalb der Psychotherapie und darauf bezogener Gegenbewegungen zu interpretieren. Vertreter der systemischen Psychotherapie finden sich dabei sowohl auf seiten der Kritiker wie der Apologeten Hellingers. Beispielhaft werden anhand dieser Auseinandersetzungen Probleme psychotherapeutischer Theoriekonstruktion, Prozesse der Schulenbildung und die populäre, mediale und geschäftliche Aufbereitung.von Psychotherapie mit ihren Rückwirkungen auf Theorie und Praxis behandelt. Der Einfluss gruppendynamischer und phänomenologischer Konzepte auf die Arbeit Hellingers wird verfolgt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Verhältnis von normativen und diskursiven Konzepten sowie der Balance von Reflexion und Handeln, Wissen und Glaubenssystemen.

Ruf, Gerhard Dieter (2000): Systemische Psychiatrie – Ein Praxiskonzept. In: Familiendynamik 25 (4): 532-550.

abstract: Nachdem in neurologisch-psychiatrischen Praxen üblicherweise mit dem Konzept einer innerhalb des Menschen liegenden psychischen Erkrankung gearbeitet wird, wo der Arzt als Experte die Ursachen und die richtige Behandlung kennt, habe ich in meiner Praxis auf dem Hintergrund des Konstruktivismus eine neue Sichtweise eingeführt: Wir »wissen« die definitive Ursache der psychiatrischen Erkrankungen nicht, sondern erfragen die Ideen der Patienten und wenden innerhalb eines systemischen, kundenorientierten Konzepts je nach Nützlichkeit verschiedene Krankheitstheorien an. Das hat den Kontakt zu den Patienten verbessert, den Patienten mehr Verantwortung übertragen, ihnen neue Sichtweisen und Verhaltensmöglichkeiten eröffnet und sie neugierig gemacht auf systemische Therapie, die dann oft nach wenigen Sitzungen wesentliche Veränderungen bewirken konnte.

Schweitzer, Jochen (2000): Renzension – Günter Schiepek (1999): Die Grundlagen der systemischen Therapie. Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht). In: Familiendynamik 25 (4): 551-552.

Hargens, Jürgen (2000): Renzension – Heinz von Foerster & Bernhard Pörksen (1998): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme Verlag); Heinz von Foerster & Ernst von Glasersfeld (1999): Wie wir uns erfinden. Eine Autobiographie des radikalen Konstruktivismus. Heidelberg (Carl-Auer- Systeme Verlag). In: Familiendynamik 25 (4): 552-553.

Schweitzer, Jochen (2000): Renzension – Michael Fischer & Pedro Graf (1998): Coaching. Ein Fern-Workshop. Alling (Fachverlag Dr. Sandmann). In: Familiendynamik 25 (4): 553-554.

Emlein, Günther (2000): Renzension – Harlene Anderson (1999): Das therapeutische Gespräch. Der gleichberechtigte Dialog als Perspektive der Veränderung. Stuttgart (Klett-Cotta). In: Familiendynamik 25 (4): 554-556.